Björn Clemens


Das falsche Pferd

Nationale Kreise neigen in Deutschland dazu, ihre durchaus tragfahigen politischen Grundgedanken mit illusionären Hoffnungen, Handlungen oder Taktiken zu verbinden. Da werden Heilserwartungen mit allerlei sektiererischen Bewegungen, neuheidnischem Zirkus u.ä. verknüpft.

Neueste Spielart ansonsten ernstzunehmender Köpfe ist der Versuch, das politische System durch Teilnahme an seinen verschiedensten Erscheinungsformen (z. B. Mitarbeit bei einem der Herrschaftsmedien) zu "infiltrieren" und dadurch in eine dem deutschen Volk dienlichere Richtung zu lenken. Besonders klug kommen sich diejenigen vor, die glauben, durch ihre Mitgliedschaft in der FDP diese parteigewordene politische Prostitution zu einer national-freiheitlichen Organisation a la jörg Haider umformen zu können. Der gutgemeinte - was häufig das Gegenteil von gut ist - Versuch der Infiltration im allgemeinen und der Bekehrung der FDP im besonderen ist zum Scheitern verurteilt.

Die Verfechter der Infiltrationsthese, d.h. der Beteiligung am politischen System der BRD, wie es der Verfassungswirklichkeit, nicht der grundgesetzlich vorgesehenen Verfassungstheorie entspricht, mit dem Ziel, es den Interessen des deutschen Volkes wieder anzunähern, verweisen gerne auf den Erfolgsmarsch der Linken durch die Institutionen, der in den Folgejahrzehnten von 1968 zu einer beispiellosen Verschiebung des politischen Zentrums nach links geführt habe. Diesem Vorbild entsprechend müsse man einen rechten Marsch durch die Institutionen organisieren, um die Gesellschaft wieder ins Gleichgewicht zu rücken.

Dabei übersehen die Apologeten dieses Weges seine entscheidende Voraussetzung: die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland als Lizenzstaat gegründet wurde. Die Gründung jeglicher Einrichtung, die in irgendeiner Form für die Ausbildung der geistig-politischen Einstellung geeignet schien, war an die Erteilung einer entsprechenden Lizenz durch die Alliierten gebunden, sei es eine Partei, sei es eine Zeitung gewesen. Zu den ersten Lizenznehmern gehörte die "unabhängige" Wochenschrift Die Zeit. Die Besatzungsmächte riefen mit der Politologie sogar eine eigenständige, neue Wissenschaftsdisziplin ins Leben, die dazu dienen sollte, dem geisteswissenschaftlichen Nachwuchs und damit langfristig dem gesamten deutschen Volk ein neues, "demokratisiertes" politisches Bewußtsein zu vermitteln.

Die Politologie sollte das geistige Fundament einer mit allen Traditionen und Strömungen (ausgenommen der linken), die bis dato das politische Deutschland bestimmt hatten, radikal brechenden westlich-bundesrepublikanischen, rheinbündischen Gesellschaft sein. Die Gründungsveranstaltung fand unter alliierter Aufsicht in dem unscheinbaren süddeutschen örtchen Waldleiningen statt.

Zu den maßgeblichen Vertretern der jungen Disziplin avancierten Mitglieder der sog. Frankfurter Schule, einer Gruppierung, die sich in den zwanziger Jahren gebildet hatte, dann weitgehend in die USA ausgewandert war und nach dem Zweiten Weltkrieg von den Amerikanern systematisch in den deutschen Universitätsbetrieb retabliert wurde. Sie trugen ein egalitäres libertäres, "antifaschistisches" (im schlechtesten gegen alles rechts der Mitte stehende Gedankengut gerichteten Sinne) Weltbild in die deutsche Studentenschaft. Begriffe wie Volk und Nation wurden von dieser Schule dem Orkus der Geschichte zugeschrieben, einem diffusen Verfassungspatriotismus das Wort geredet. Die der in der Nachkriegswohlstandsgesellschaft verspießerten Elterngeneration skeptisch gegenüberstehende studentische jugend nahm zu einem großen Teil dieses geistige Gift begierig in sich auf, schien es doch ein wirksames Mittel gegen die verknöcherte Gesellschaft zu sein.

Die ebenfalls der Lizenzierung entsprungene Medienlandschaft begleitete die Kulturrevolution der späten sechzigerjahre wohlwollend. Auf diese Weise entstand eine breite, sich selbst stets erneuernde geistige Richtung, die die Basis für aktive Staatspolitik, wie sie seit Beginn der achtziger Jahre von den Grünen und mittlerweile auch von der Partei der Staatssicherheit (PDS) betrieben wird, abgab.

Ohne die doppelte Rückendeckung durch Journaille und Wissenschaft wäre der Siegeszug der Linken durch die Institutionen und der Aufstieg sozialistisch-antideutschen Gedankenguts zum geistigen "mainstream" der Republik gar nicht denkbar gewesen.

Eine solche Basis besteht für eine nationale Richtung nicht. Das liefe dem antinationalen, auslandshörigen Grundkonsens der BRD geradezu zuwider. Mit anderen Worten wäre die Republik nicht die, die sie ist, wenn unter den gegenwärtigen Verhältnissen Raum für nationale Kräfte innerhalb des politischen Systems wäre.

Daraus folgt, daß eine Teilnahme an welcher auch immer unter dem Einfluß des geistigen (PC-geprägten) Herrschaftsklimas stehenden Institution nur mit einem Verzicht auf den eigenen politischen Standpunkt erkauft werden kann. Beispielsweise wird ein Anhänger der nationalen Richtung wohl die Möglichkeit haben, bei einem etablierten Blatt unterzukommen, aber seinen Standpunkt wird er dort kaum veröffentlichen können. Ebensowenig ist es denkbar, daß ein Fernsehredakteur, mag er ein noch so stolzer Patriot sein, einem Ignatz Bubis oder einem Michel Friedmann die Frage stellt, warum es denn nun unbedingt nötig sei, in Berlin ein monströses Holocaustmahnmal zu errichten, bzw. einen Holocaustgedenktag (27.1.) einzuführen, und einen wichtigen protestantischen Feiertag (Bußtag) oder einen nationalen Gedenktag wie den 17.Juni abzuschaffen.

Auch dürfte die Hoffnung illusionär sein, als Beamter in die höheren Chargen aufzusteigen, um dann, endlich, Entscheidungen im deutschen Sinne treffen zu können.Wer das nicht glaubt, denke nur an einen hohen Wirtschafts- (nicht einmal Staats-!)funktionär, der über eine im Privatgarten hängende Reichskriegsflagge stolperte, oder an den Bundestagspräsidenten, der ob seiner mißverständlichen Worte, die seine deutsche Bußfertigkeit nicht laut genug zum Ausdruck brachten, geschaßt wurde. Ganz zu schweigen von einem nicht lange zurückliegenden Gerichtsverfahren, das eine beispiellose Kampagne gegen den Vorsitzenden Richter auslöste und es unter krassem Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit zu politischen Forderungen der Justizministerin und anderer kam, die die nächste Instanz veranlaßten, correct zu entscheiden.

Nicht Infiltration des Systems sondern die eigene Anpassung wird die Folge sein.

Was im allgemeinen gilt, ist auf Parteiebene nicht anders, einer Ebene, die zumindest theoretisch Einflußmöglichkeiten auf das Staatsschiff eröffilet. So ist die Funktion solcher Einrichtungen wie Landesrundfunkräte oder Landeszentralen für politische Bildung, deren Besetzung von den Landtagen vorgenommen wird, nicht zu unterschätzen. In diesen Bereichen sitzen die Träger kultureller Hegemonie, die anzugreifen eines der wichtigsten nationalen Ziele sein muß. Dort könnte Politik betrieben werden, wenn eine entsprechende Partei in die Parlamente käme (für die hier beispielhaft erwähnten kulturellen Bereiche sind die Landtage wichtiger, da die Länder Träger der Kulturpolitik sind).

Die FDP kann nicht diese Partei sein. Zum einen verhindern die oben geschilderten Verhältnisse ihre Infiltration, von ihrer kompletten Neuausrichtung ganz zu schweigen. Das haben entsprechende Aufschreie in Parteiführung und Medien bewiesen, die u.a. dazu führten, daß im ach so nationalen Berliner Parteigetriebe eine bis dato völlig unbekannte graue Maus, deren Standpunkte aus der bei Liberalen üblichen prinzipiellen Standpunktlosigkeit (und somit für alle potentiellen Käufer gleichen Attraktivität) bestehen, den Vorzeige-Nationalliberalen Alexander v. Stahl bei der Kandidatur zum Landesvorsitzenden aus dem Rennen warf. Nicht einmal zum Stellvertreter hat es der Freiherr gebracht.

Ein noch größeres Hindernis für eine Umgestaltung der FDP ist deren Personalstruktur, von der sich der Verfasser Ende November vergangenen Jahres in Berlin bei der Vorstellung des Buches "Deutsches Pbrasenlexikon" des Neuliberalen Klaus-Rainer Röhl einen eigenen Eindruck verschaffen konnte. Was dort zusammentraf, war ein reaktionärer Spießerhaufen vom jugendlichen Polit-Yuppie bis zum gesättigten bürgerlich-konservativen Parteifunktionär.

Die bürgerliche Grundhaltung ist das entscheidende Hindernis auf dem Weg, der Deutschland erneuern könnte. Sie besteht in der - an sich nicht unberechtigten - Sorge um die Minderung oder sogar den Verlust des eigenen Besitzstandes. Die damit einhergehende Grundangst und ein übersteigertes Sicherheitsbedürfuis auf allen Ebenen wird den Bürgerlichen, den Bourgeois immer daran hindern, politische Fragen aufuwerfen, die Widerstand hervorrufen und daher Mut erfordern. Deshalb wird der Bourgeois immer nur bereit sein, seine Besitzstandswahrungspolitik mit nationaler Schminke zu kosmetisieren. Er wird aber nie bereit sein, für die nationalen überlebensinteressen zu kämpfen, sprich: sich derart dafür einzusetzen, daß es Opfer kostet; Opfer im Bekanntenkreis, der sich verkleinert, Diskriminierung am Arbeitsplatz, finanzielle Opfer, die einem entstehen, wenn man keine Altpartei im Rücken hat. Nicht umsonst beginnt das Gedicht "Deutsche Verzweiflung" von Hoffmann v. Fallersleben mit den Worten "In Angst und bürgerlichem Leben wurde nie eine Kette gesprengt ...!"

Zugegebenermaßen ist es schöner und leichter, ein Ziel ohne Widerstände zu erreichen; wer aber heute deutsche Interessen vertreten will, der muß wissen, daß er sich dadurch gesellschaftlicher Ächtung aussetzt -- dieses Opfer muß gebracht werden und gerade dazu ist der FDP-Liberalo nicht bereit (im Gegensatz übrigens zu den meisten Angehörigen anderer Parteien der demokratischen Rechten). Damit ist gerade die Haltung gefordert, die die Fackelträger des nationalen Pathos innerhalb der FDP vermeiden möchten.

Ob Verschärfung der inneren Sicherheitspolitik, Abschwächung des Europhilismus, Begrenzung des Ausländereinflusses und -zustroms - dahinter steht bei den FDP-Leuten immer die Angst um die eigene ökonomische Stellung. Das Nationalgespreche wird daher sofort wieder verschwinden, falls auf anderem Wege der Besitzstandswahrung besser gedient werden kann - wie weiland in der sozial-liberalen Phase. (Unzuverlässigkeit war eben noch immer das zuverlässigste Charakteristikum der Liberalen.) Das wird durch das Programmpapier der sog. Nationalliberalen bestätigt, wo u. a. vor "Ökodirigismus" gewarnt und der Atomlobby sowie ungezügeltem Wirtschaftswachstum das Wort geredet wird. Hier zeigt der national angehauchte Liberale sein wahres Gesicht. Ihm geht es um einen ungebremsten Wirtschafts- bzw. Manchesterliberalismus, zu dessen Durchsetzung man sich lediglich nationaler Thesen als Mittel bedienen will.

Damit ist man beim dritten Punkt angelangt, aus dem die FDP das denkbar schlechteste aller trojanischen Pferde ist, das die nationalen Kreise satteln können: ein Erfolg dieser Partei, wie sie sich Zitelmann, v. Stahl, Kappel, Röhl und Konsorten vorstellen, ist ausgesprochen wenig wünschenswert. Denn diese Form des "National"-liberalismus, die der des Kaiserreiches gliche, wäre mit existenziellen Gefahren verbunden. Die ohnehin bestehende Wirtschaftshörigkeit würde weiter gesteigert mit all ihren Nachteilen, wie staatlicher Souveränitätsverzichte zugunsten der Konzernmultis, gesteigerter Einmischung der Wirtschaft in die Politik, Arbeitsplatzexport, usw. M.a.W bekämen wir eine Forcierung des gegenwärtigen Negativzustandes. Aus Deutschland würde ultimativ der gleichnamige Wirtschaftsstandort, vom Lebensraum eines Volkes oder einer Kultur könnte noch weniger die Rede sein als heute. Es bedarf keiner Erwähnung, daß die Möglichkeiten, im Interesse des Weiterbestandes unseres Volkes gebotene Opfer auch der Industrie aufzuerlegen, gegen Null sänken.

Es ist somit festzuhalten, daß ein Erfolg eines sog. national umgestalteten Liberalismus für Deutschland ausgesprochen kontraproduktiv wäre. Der nationale Gedanke wäre seinem ärgsten Feinde ausgeliefert.


Am 24. März haben die Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein die strategischen überlegungen, warum die FDP für nationale Deutsche eine schlechte Wahl sei, schlagend bestätigt. Die Partei brachte sich mit ihren alten Parolen, was niemand glauben wollte, wieder ins parlamentarische Spiel. Kaum noch der Erwähnung wert ist dabei, daß sich die FDP noch am Wahlabend in Stuttgart rühmte, zu den Schwarzen ins Bett steigen zu können, ohne das Liebeslager mit den Roten in Mainz verlassen zu müssen; auch in Kiel steht man promiskuitiv zur Herrschaftsbeteiligung bereit. Damit ist das Konzept der nationalliberalen Fraktion von Stahl bis Zitelmann, an das die Junge Freibeit so hohe Erwartungen knüpfte, gründlichst gescheitert. Nur eine FDP, die in den drei Bundesländern die Wahlen verloren hätte, wäre für eine Erneuerung von Grund auf offen gewesen, ob sie es auch in einer nationalen Richtung gewesen wäre, bleibt füglich zu bezweifeln.


Quelle: Staatsbriefe 7(4) (1996), S. 13ff.

(Fassung Thule : http://www.thulenet.com/texte/pubstbr/text0002.htm)

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