FREDERICK E. PETERMAN / PLÄDOYER FÜR TOLERANZ

Nicht die Dinge selbst sind es,
die uns beunruhigen
sondern die Meinungen,
die wir von den Dingen haben.
EPIKTET

Deutsche Philosophen, Komponisten und Naturwissenschaftler genießen in der Welt hohes Ansehen. Symphonien von Beethoven, die Kritiken der Vernunft von Immanuel Kant und die Begründung der Quantentheorie von Max Planck sind dazu eindrucksvolle Beispiele. Dennoch sieht die Welt die Deutschen mit zweispältigen Gefühlen. Umstände, die gegenwärtig dazu beitragen, die Deutschen eher kritisch zu sehen, werden hier dargelegt.

ZWEI VERFEINDETE LAGER

In den Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg sind in der Geschichtsforschung zwei Lager entstanden, die beide mit wissenschaftlichen Methoden arbeiten und zu gegensätzlichen Ergebnissen gekommen sind. Während die Exterminationisten nachgewiesen haben, daß während des Dritten Reiches vorwiegend in den Jahren von 1942 bis zur Befreiung aus dem Dogmatismus der Nazis 1945 mehrere Millionen Menschen durch Vergasung in industriell betriebenem Massenmord umgebracht wurden, glauben die Revisionisten nachgewiesen zu haben, daß bei den Nazis zwar etwa 1 Million Juden in Lagern umgekommen sind, eine industriell betriebene Ermordung jedoch nicht stattgefunden habe. Die Exterminationisten führen für ihre Erkenntnis eine Fülle von Zeugenaussagen an und untermauern sie mit Dokumenten aus der damaligen Zeit. Ihre Arbeitsmethodik ist die der Sozial- und Geschichtswissenschaft. Die Revisionisten belegen ihre Schlußfolgerung mit forensischen Untersuchungen von Spuren, die in den Konzentrationslagern gefunden wurden und behaupten, eine Reihe der Dokumente, die von den Exterminationisten vorgelegt worden sind, als Fälschungen entlarvt zu haben. Ihre Arbeitsmethodik ist die der Naturwissenschaft, teilweise der Geschichtswissenschaft.

Die Verbreitung der Schriften und Gedanken aus einem der beiden Lager, dem der Revisionisten, ist in einigen Ländern, am konsequentesten in Deutschland, unter Strafe gestellt. Es gibt Zweifel, ob die Strafmaßnahmen der deutschen Behörden mit den Menschenrechten (Meinungsfreiheit, Wissenschaftsfreiheit) vereinbar sind.

Nur wenige Interessierte haben sich die Mühe gemacht, Schriften aus beiden Lagern gründlich zu studieren. Unter ihnen finden sich einige, die fanatisch und unversöhnlich den Standpunkt der Exterminationisten einnehmen und andere, die ebenso fanatisch die Ansichten der Revisionisten für die einzig richtigen halten.

Wegen der hochrangigen politischen Bedeutung des Themas haben sich die Gerichte in fast allen Ländern, die am Zweiten Weltkrieg wesentlich beteiligt waren, mit den Aussagen befassen müssen. In einigen Ländern sind Personen aus dem Revisionistenlager verurteilt worden.

Die höchsten Strafen und die meisten Verurteilungen wurden in Deutschland verhängt. Dort wird der Kampf zwischen den beiden Lagern am erbittertsten gekämpft. Mehrere wissenschaftliche Arbeiten der Revisionisten sind von deutschen Gerichten beschlagnahmt worden. In den angelsächsischen Ländern jedoch wurden die angestrebten Gerichtsverfahren entweder nicht eröffnet oder die Angeklagten sind schließlich freigesprochen worden, teilweise erst nach mehreren Instanzen.

Die in Deutschland gegenwärtig bestehende BRD scheut auch vor Maßnahmen im Widerspruch zu den Bürgerrechten auf freie Meinungsäußerung und auf Freiheit der wissenschaftlichen Forschung nicht zurück, die in der KSZE-Akte und den Grundsätzen der Vereinten Nationen verbrieft sind. Bürger verschiedener Länder wurden von BRD-Gerichten wegen der Verbreitung der Schriften und Meinungen der Revisionisten genauso konsequent - wenn auch nicht ganz so hart - bestraft, wie Andersdenkende bei den Nazis oder in der DDR.

Die Verantwortlichen in den BRD-Behörden wissen, was sie da tun. So hat der Justizminister Dr. Schmidt-Jortzig am 10.3.96 in 3-SAT gesagt: "Wirwerden - und das finde ich einigermaßen bedrückend - binnen kurzem von den USA wegen unserer Bestrafung der Auschwitzlüge eine förmliche Rüge über die Vereinten Nationen bekommen, weil wir auf diese Art und Weise Meinungsfreiheit einschränken."

Trotz der Verfolgung in Deutschland steigt auch dort die Zahl der Menschen, die den Ansichten der Revisionisten zuneigen, langsam aber stetig an.

In den angelsächsischen Ländern hat die Meinungsfreiheit einen hohen Stellenwert. Die in Deutschland von der Justiz verbotenen Schriften der Revisionisten werden in angelsächsischen und teilweise in romanischen und lateinamerikanischen Ländern auch in deutscher Sprache gedruckt und auf den derzeit bestehenden, freien Postwegen nach Deutschland gesandt. Die Deutschen, auf die die Schriften überzeugend wirken, hüten sich, dies zuzugeben, weil die Meinungen der Revisionisten in Deutschland strafbar sind. Das führt unter anderem dazu, daß die Arbeiten der Revisionisten keiner Öffentlichen Kritik unterzogen werden können und eine Widerlegung, wo sie möglich wäre, unterbleibt. Noch schlimmer ist, daß die BRD-Behörden damit zur Zeit eine wachsende Anzahl Bürger in den geistig-politischen Untergrund treiben und eine Gruppe Deutscher entsteht, die stetig wächst und die BRD verachten muß. Vielleicht machen sie das aus Unkenntnis, unter vermeintlichem Zwang oder gar absichtlich, um klammheimlich ein Potential für neue Diktatur zu schaffen. Was immer ihre Gründe sind, es gefährdet den Frieden.

Weil die Deutschen in diesem Jahrhundert ihre Staatsform sehr oft gewechselt haben (Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, DDR [Teildeutschland] und derzeit BRD), liegt die Vermutung nahe, daß auch die BRD nur auf schwachen Füßen steht. Die Maßnahmen ihrer Behörden sind wegen der Kurzlebigkeit deutscher Staaten als Panikreaktionen der Verantwortlichen erklärbar. Angst ist zwar ein schlechter Ratgeber, aber bei den Deutschen ist sie verständlich, weil Regierende dieses Volkes schon so oft und mit so schwerwiegenden Folgen versagt haben.

Eine politische Elite mit einem gesunden Selbstbewußtsein konnte sich unter diesen Umständen nicht entwickeln. Dauernde quälende Zustände erzeugen schließlich Debilität. Das gilt nicht nur für Individuen sondern auch für Völker und ihre Regierungen. Es gilt ganz unabhängig davon, ob die quälenden Zustände durch eigenes Tun oder von außen verursacht wurden. Die Debilität, mit der deutsche Behörden und weite Teile der deutschen Bevölkerung versuchen, die Bürger zu vernichten, die abweichende und einem wichtigen Teil der Weltöffentlichkeit unliebsame Meinungen vertreten, ist deshalb verständlich und erklärbar. Aber von ihr geht die Gefahr neuer folgenschwerer Fehlleistungen aus, denn sie ist nur der Ausdruck des gleichen Mangels, den die Deutschen in ihren untergegangenen Staaten auch schon hatten: ihre Unfähigkeit, die Wirklichkeit von verschiedenen Standorten aus zu sehen und ihre Unfähigkeit zu Toleranz.

Diese Unfähigkeit tritt heute in einem anderen Gewande auf als früher und ist deshalb für die unmittelbar Beteiligten nicht so offensichtlich wie der Gesinnungsterror der Nazis und der Stasis. Mangels einer Tradition in der Duldung Andersdenkender merken die Deutschen immer erst nach dem Untergang ihres jeweiligen Staates, was sie da getan haben und reiben sich erneut verwundert die Augen. Die Vehemenz, mit der dann das vergangene System in Öffentlichen Reden und Schriften verachtet wird, lenkt sie zugleich von den schweren Brüchen in ihrem gegenwärtigen Staatswesen ab. So steuern sie unweigerlich auf die nächste Katastrophe zu.

ERKENNTNISFRAGEN

Es erhebt sich die Frage, welches Lager Recht hat, die Exterminationisten oder die Revisionisten und wie mit dem Konflikt in demokratischer und verantwortungsbewußter Weise umgegangen werden könnte. Der Konflikt enthält das Potential zu Eskalation und, wenn weitere die Völker stimulierende Faktoren hinzukommen, auch zu neuem Krieg. Es ist deshalb von hohem Wert, wenn eine Basis gefunden werden kann, auf der die beiden verfeindeten Lager miteinander kommunizieren können und auf der Verständnis und vielleicht sogar Toleranz wachsen kann. Dem kommt entgegen, daß eine Reihe von Arbeiten erschienen sind, die sich als Basis für ein Miteinander als sehr solide erweisen werden, wenn es nur gelingt, die "Insassen" der verfeindeten Lager zu veranlassen, sich mit diesen Arbeiten zu befassen. Das wird schwer sein, weil ihre Aufmerksamkeit vom Gegner im unversöhnlich geführten Kampf gefesselt ist. Der Versuch soll trotzdem hier gewagt werden.

Die Arbeiten, die helfen können, die Brücke zu bauen, stammen von hochrangigen Geisteswissenschaftlern wie Karl Popper, Paul Witzlawick, Ernst von Glasersfeld, Konrad Lorenz, Immanuel Kant und Arthur Schopenhauer. Sie hier darzulegen würde den Rahmen dieser Schnft sprengen. Aber die Aussage, auf die es ankommt, läßt sich an zwei Beispielen veranschaulichen.

Das eine Beispiel betrifft die Frage, ob ein Glas halb leer oder halb voll ist. Für Optimisten ist es halb voll, für Pessimisten halb leer. Entlarvend für unser Denken ist, daß wir in diesem Satz "oder" sagen. Das ist selbstverständlich falsch. Es ist halb leer und halb voll. Aber unser Denken läßt die gleichzeitige Wertung aus zwei Blickwinkeln nicht zu. Deshalb verlangt das Sprachgefühl das Wort "oder".

Das andere der Beispiele bringt noch deutlicher zutage, welch drastischer Einschränkung unsere Perzeptionsfähigkeiten unterliegen. Im nebenstehenden Bild kann man eine alte oder eine junge Frau erkennen. Wer das Bild eine Weile anschaut, wird abwechselnd die alte oder die junge sehen, aber niemals beide gleichzeitig. Unsere Fähigkeiten des Erkennens sind es, die uns daran hindern, beide gleichzeitig aufzunehmen. Aber die Strukturen für beide "Ansichten" sind sehr wohl gleichzeitig vorhanden.

Sich dieser Grenzen menschlicher Wahrheitserkenntnis bewußt zu werden, ist von allerhöchstem Wert für das friedliche Miteinander in Familie, Gesellschaft und Politik. Die Ideologen haben sich immer die Grenzen menschlichen Erkennens und Denkens zunutze gemacht, um ihre Aufruhr und Krieg gebärende irrwitzige Einseitigkeit den Menschen als endgültige und einzige Wahrheit zu präsentieren und es hat immer wieder Völker gegeben, die sich auf solch einseitige Sicht eingelassen haben und dafür in den Krieg gezogen sind.

Verloren haben aber meistens die, die sich am rigorosesten einer einzigen Sicht der Dinge verschrieben hatten. Sie hatten in ihrer Einseitigkeit die Fähigkeit verloren, sich flexibel und diplomatisch einlenkend zu verhalten, wenn es an der Zeit war, sich versöhnender Politik zu Öffnen. Der Teil der Wirklichkeit, den sie ausgeklammert hatten, hat sie in katastrophaler Weise in einen Zusammensturz geführt, in dem sie dann, durch die Sieger gezwungen, ihre Einseitigkeit begraben mußten.

Die Beispiele zeigen, daß es dem Menschen nicht gegeben ist, die ganze Wirklichkeit zu erfassen. Es gibt zu vielen Fragen verschiedene Ansichten, die gleichberechtigt richtig sein können und dennoch für einen einzelnen nicht gleichzeitig erkennbar sind.

Wer hat Recht? Die Frage, die die Revisionisten und die Exterminationisten bewegt, ist nun leicht zu beantworten. Die Angehörigen des Gegenlagers betrachten die Wirklichkeit aus einem anderen Blickwinkel. Die Exterminationisten sehen die soziale Wirklichkeit, in der wahr ist, was alle sagen und was alle Augenzeugen, die nach 1945 Gehör fanden, bezeugt haben. Die Revisionisten pochen dagegen auf die Ergebnisse naturwissenschaftlicher und geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen.

Wie bei der Betrachtung des alt-jungen Frauengesichts ist es aber ganz unmöglich und übersteigt jede menschliche Perzeptionsfähigkeit, die Wahrheit des anderen Lagers gleichzeitig wie die des eigenen zu erkennen. Dennoch sind beide Sichten gleichzeitig zutreffend, so wie in dem Frauenbild alt und jung zugleich vorhanden sind. Das ist ja gerade die Aussage aller der obenerwähnten Großmeister der Geisteswissenschaften: daß es viele gleichberechtigte und gleich zutreffende und dennoch uns gegensätzlich erscheinende Wirklichkeiten gibt.

Mit dem bisher Gesagten ist nun klargelegt, daß der Fluß, der die beiden verfeindeten Lager trennt, so breit ist, daß keiner zum gegenüberliegenden Ufer hinüberblicken kann. Es ist aber gleichwohl nur ein breiter Fluß. Es gibt auf der anderen Seite auch ein tragfähiges Ufer. Hier eine Brücke bauen zu wollen, muß sehr schwer sein. Aber das heißt keineswegs, daß es unmöglich ist.

TOLERANZGEBOT

Die Revisionisten treten mit dem nicht tolerierbaren Anspruch auf, aus Steinen die einzig gültige Wahrheit lesen zu können. Sie meinen, weil im Mauerwerk in Auschwitz bestimmte Substanzen fehlen, solle die Menschheit an der geschichtlichen Wahrheit des Holocaust zweifeln und die Nachgenerationen der im Völkermord Hingerichteten sollten sich durch eine solche ungeheuerliche Veränderung der Geschichtsschreibung beleidigen lassen. Sie meinen, die Naturwissenschaften könnten endgültige Wahrheiten offenbaren. Ich möchte an diese Leute die Frage richten, ob es in ihrem Leben soziale Bindungen gibt, die sie gegen alle Argumentationen verteidigen würden, auch wenn die Argumente noch so objektiv naturwissenschaftlich untermauert wären. Ich möchte sie fragen, ob sie einem ihnen sehr nahestehenden Menschen verbunden sind, der für sie unantastbar ist und den sie auch gegen wissenschaftlich objektive Argumente verteidigen würden wie eine Mutter ihr gefährdetes Kind. Wenn ja, dann mögen sie aufhören, zu behaupten, sie könnten aus Steinen Wahrheiten lesen, die andere glauben sollen und die geeignet sind, deren soziale, religiöse und gesellschaftliche Identität zu zerstören.

Die Exterminationisten verlangen, daß die Revisionisten darauf verzichten sollen, ihre Ergebnisse bekannt zu machen. Ich möchte sie fragen, ob sie sich schon einmal mit dem entsetzlichen Geschehen der Hexenverbrennungen auseinandergesetzt haben, das nur möglich war, weil die damals akzeptierte soziale Wahrheit, daß es nämlich Hexen gäbe, sich mit der Macht der Kirche verbündet hatte. Ich möchte sie fragen, ob sie wissen, daß die Hexenverbrennungen damals einen der wichtigsten Rechtsbestände darstellten, der von der ganzen damaligen Gesellschaft getragen und akzeptiert wurde.

Die Naturwissenschaftler und Revisionisten frohlocken bei diesem Satz vermutlich. Ich möchte sie darauf aufmerksam machen, daß unbewiesen ist, ob es Hexen gibt oder nicht. Man kann nämlich grundsätzlich nur beweisen, was es gibt und niemals, daß es etwas nicht gibt. Klar ist nur, daß bisherige Zeugenberichte über Hexen Wahnvorstellungen entsprangen. Ob die Naturwissenschaft, auf die die Revisionisten sich berufen, die Menschheit schließlich in die Selbstvernichtung treibt, weiß heute niemand. Und das Wort "Hexen" steht ja wohl für das Verderbenbringende in menschlichem Tun, das man damals in die unschuldigen Frauen projizierte.

Den Exterminationisten, die diesen letzten Gedanken vermutlich gern aufnehmen, sei mit auf den Weg gegeben, daß die Projektion der Ängste der damaligen Zeit in unschuldige Frauen und ihre grausame Verbrennung im Name des christlichen Glaubens nur möglich war, weil es objektivierendes naturwissenschaftliches Denken noch gar nicht gab und weil diejenigen, die damals schon mit ihrem gesunden Menschenverstand Zweifel an den Hexenverdammungen hegten, dies nicht äußern durften.

Wenn die Deutschen heute naturwissenschaftliches Denken und die daraus folgenden relativen Wahrheiten verbieten und wenn die Wissenschaftler, die sie zutage gefördert haben, ins Gefängnis gesteckt werden, wie das in der BRD in den letzten Jahren mehrmals geschehen ist, dann wird eine neue Ideologie vorbereitet, deren Auswirkungen wir noch nicht kennen. Wir können aber davon ausgehen, daß die Gefahren, die von endgültig vorgeschriebenen Wahrheiten ausgehen, im Zeitalter der Atomwaffen nicht geringer sind als in den Zeiten, in denen es noch keine so wirkungsvollen Waffen gab.

Meinungsfreiheit für beide Lager, Exterminationisten und Revisionisten, ist angezeigt. Sie herrscht in den meisten Ländern der Welt. In Deutschland, das offenbar noch immer in Einseitigkeit befangen ist und aus der Nazieinseitigkeit nichts gelernt hat, ist die Meinungsfreiheit und die Freiheit der Wissenschaft noch immer nicht gewährleistet. Die Deutschen müssen aber trotz ihrer angstneurotischen Debilität zur Selbsterkenntnis veranlaßt werden. Sie müssen von den demokratischen Völkern gezwungen werden, die Menschenrechte, die sie auf dem Papier anerkannt haben, auch in der Praxis zu achten. Die Wahrheit jenseits des Flusses ist auch eine Wahrheit, das müssen die Deutschen endlich lernen. Die unliebsame, dem Staate unbequeme Wahrheit zu unterdrücken, führt unweigerlich dazu, daß ihnen schließlich ihre gegenwärtige BRD genauso zusammenbricht wie ihre anderen Staaten in diesem Jahrhundert auch. Die Beständigkeit der Demokratien z. B. in Großbritannien, den USA und Kanada ist wesentlich darauf gegründet, daß sie die Vielfalt der politischen Überzeugungen tolerieren, alle Bevölkerungsgruppen gleichberechtigt nebeneinander existieren können und niemand das Recht hat, jemand anderem eine absolute Wahrheit vorzuschreiben.

Das Bewußtsein, daß es keine endgültigen Wahrheiten gibt, ist in den angelsächsischen Völkern weit entwickelt. Den meisten Deutschen fehlt es. Deshalb konnten Regierungen mit den Deutschen im Dritten Reich den Nationalsozialismus und in der DDR den Kommunismus betreiben. Beide haben unsägliches Leid über viele Völker gebracht.

Vielfach wird übersehen, daß der Kommunismus nur in der Ausführung aus dem Osten gekommen ist. In der ideologischen Konzeption kam er von dem deutschen Hegelschüler Karl Marx. Die deutsche Reichsregierung hat den Politmanager und Marxanhänger Lenin, der 1917 im Schweizer Asyl ein noch unbekanntes Dasein fristete, mit einem Regierungszug nach St. Petersburg bringen lassen und ihm 5 Millionen Goldmark Startkapital für die radikale Revolution gegeben, die die deutsche Reichsregierung wollte und die er dann in Rußland tatsächlich durchgeführt hat. Die Kontrolle über das Geschehen in Rußland ist den Deutschen danach allerdings entglitten. Der Versuch, den Ausgang des Ersten Weltkrieges unter Einsatz von marxscher und leninscher Ideologie zugunsten des Deutschen Reiches zu beeinflussen, ist kläglich gescheitert. Die Menschen in der DDR haben also die Folgen deutschen ideologischen Denkens aus dem Jahrhundertanfang ausbaden müssen.

SCHLUSSFOLGERUNG

Die Deutschen der BRD müssen erkennen, daß man auf der Hut sein muß vor vorgeschriebenen Wahrheiten und daß der Staat kein Recht hat, Wahrheiten vorzuschreiben, die niemand überprüfen darf. Allenfalls in der Religion ist das zulässig und wird von der Rellgionsfreiheit kompensiert. Paul Watzlawick, einer der angesehensten Philosophen, Psychologe und Therapeut, hat das in seinem Buch "Wie wirklich ist die Wirklichkeit" auf den Punkt gebracht, indem er schreibt, "daß die sogenannte Wirklichkeit das Ergebnis von Kommunikation ist. Diese These scheint den Wagen vor das Pferd zu spannen, denn die Wirklichkeit ist doch ganz offensichtlich das, was wirklich der Fall ist, und Kommunikation nur die Art und Weise, sie zu beschreiben und mitzuteilen." Er zeigt, "daß das nicht so ist; daß das wacklige Gerüst unserer Alltagsauffassungen der Wirklichkeit im eigentlichen Sinne wahnhaft ist und daß wir fortwährend mit einem Flicken und Abstützen beschäftigt sind..." An anderer Stelle folgt: "Die Geschichte der Menschheit zeigt, daß es kaum eine mörderischere, despotischere Idee gibt als den Wahn einer "wirklichen« Wirklichkeit (womit natürlich die eigene Sicht gemeint ist), mit all den schrecklichen Folgen, die sich aus dieser wahnhaften Grundannahme dann streng logisch ableiten lassen. Die Fähigkeit mit relativen Wahrheiten zu leben, mit Fragen, auf die es keine Antwort gibt, mit dem Wissen, nichts zu wissen, und den paradoxen Ungewißheiten der Existenz, dürfte dagegen das Wesen menschlicher Reife und der daraus folgenden Toleranz für andere sein. Wo diese Fähigkeit fehlt, werden wir, ohne es zu wissen, uns selbst wiederum der Welt des Großinquisitors ausliefern und das Leben von Schafen leben, dumpf und verantwortungslos und nur gelegentlich durch den Rauch eines prächtigen Autodafés oder der Schlote von Lagerkrematorien unseres Atems beraubt." Watzlawick hat bei dieser Aussage die Autodafés und Lagerkrematorien auch für den Fall nicht ausgenommen, daß sie selbst zu einer absoluten Wahrheit erhoben werden, die niemand überprüfen darf.

Vielen Deutschen mangelt heute die menschliche Reife, mit relativen Wahrheiten zu leben. In der preußischen Tradition war diese Reife geradezu Verpflichtung gewesen. Die Fehlleistungen deutscher Politiker in diesem Jahrhundert, zu denen auch die mangelhafte Umsetzung demokratischer Prinzipien gehört, erscheinen dadurch nur noch eklatanter.

Weder die Forschungsergebnisse der Revisionisten noch die der Exterminationisten dürfen in Deutschland verboten werden. Welche Seite auch immer die politische Macht hat, sie darf der anderen keine endgültige Wahrheit vorschreiben. Möge die UNO über die Deutschen wachen, denen sie in ihrer Satzung ohnehin einen Sonderstatus eingeräumt hat.


Quelle: Staatsbriefe 7(9-10) (1996), S. 30-34


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