FREDERICK E. PETERMAN / TRANSATLANTISCHE KOMMENTARE (3)

MACHTKONTROLLE UND ORDNUNGSFANATISMUS

17. Januar 1961, wenige Tage vor dem Ende seiner zweiten Präsidentschaft, gab US-Präsident Dwight D. Eisenhower eine Ansprache an seine Nation. Zu dieser Zeit hatte er mit seiner Warnung zur unkontrolliert wachsenden Macht des "militärisch-industriellen Komplexes" schon Aufmerksamkeit erregt. Nun brachte er einige weitere ernste Sorgen über Amerikas Zukunft und eine wirksame Kontrolle der Macht in der Gesellschaft zum Ausdruck. Hier einige Auszüge:

"Wir sind jetzt ein Jahrzehnt nach der Mitte eines Jahrhunderts, das vier große Kriege zwischen großen Nationen erlebt hat. In dreien davon war unser Land verwickelt. Trotz dieser Brandopfer (in seiner Ansprache benutzte er das Wort holocausts) ist Amerika heute die stärkste, einflußreichste und produktivste Nation der Welt. Verständlicherweise stolz auf diese Spitzenstellung, müssen wir uns doch gewärtig sein, daß Amerikas Führerschaft und sein Ansehen nicht nur von den materiellen Dingen, seinem Reichtum und seiner militärischen Stärke sondern auch davon abhängen, wie wir unsere Macht im Interesse des Weltfriedens und des Wohlergehens der Menschheit nutzen…

Bis zum jüngsten unserer Weltkonflikte hatten die USA keine Rüstungsindustrie. Amerikanische Hersteller von Pflugscharen konnten mit der Zeit und wie es erforderlich wurde, auch Schwerter machen. Aber wir können das Risiko einer improvisierten nationalen Verteidigung nicht länger eingeben; wir haben eine ständige Rüstungsindustrie größten Ausmaßes geschaffen. Zusätzlich sind dreieinhalb Millionen Männer und Frauen in der Landesverteidigung beschäftigt. Wir geben jährlich für die militärische Sicherheit mehr

aus als das Nettoeinkommen aller Unternehmen der USA. Diese Verbindung einer gewaltigen militärischen Organisation und einer großen Rüstungsindustrie ist für die Amerikaner eine neue Erfahrung. Der ganze Einfluß - wirtschaftlich, politisch und sogar geistig - ist in jeder Stadt, jedem Land, jeder Behörde der Bundesregierung gegenwärtig. Wir anerkennen die unbedingte Notwendigkeit dieser Entwicklung. Wir dürfen aber auch die ernsten Folgen nicht außer acht lassen. Unsere Arbeitskraft, unsere Ressourcen und unser Lebensunterhalt hängen davon ab, ebenso wie die ganze Struktur unserer Gesellschaft.

Im Kreise der Regierung müssen wir gegen unkontrollierbaren Machterwerb auf der Hut sein, ob er nun absichtlich oder unabsichtlich dem militärisch-industriellen Komplex zuwächst. Die Gefahr verheerenden Zuwachses fehlgeleiteter Macht besteht und wird weiterbestehen.

Wir dürfen es nicht zulassen, daß das Gewicht dieses Zusammenwirkens unsere Freiheiten und unsere demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts für gesichert ansehen. Nur eine wachsame und kenntnisreiche Bürgerschaft kann ein angemessenes Ineinandergreifen der gewaltigen Industrie- und Militärmaschinerie der Verteidigung mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so daß Sicherheit und Freiheit miteinander gedeihen.

Eingebunden in die gleitenden Veränderungen des industriell-militärischen Geschehens, für das wir verantwortlich sind, hat sich die technologische Revolution der letzten Jahrzehnte vollzogen. In dieser Revolution hat Forschung eine zentrale Stellung inne; sie wird immer formaler, komplexer und teurer. Ein ständig wachsender Anteil wird für, durch oder auf Weisung der Rehierung gestaltet… Die Gefahr der Abhängigkeit der Gebildeten der Nation von der Regierung von Zuteilungen und von der Macht des Geldes ist all gegenwärtig - und sollte ernsthaft beobachtet werden… Wenn wir die Zukunft unserer Gesellschaft im Auge haben, müssen wir - Sie, ich und unsere Regierung - die Versuchung meiden, nur für heute zu leben und für unsere eigene Bequemlichkeit und die kostbaren Ressourcen von morgen zu plündern. Wir können keine Hypotheken auf die Werte unserer Großkinder aufnehmen ohne deren politisches und geistiges Erbe zu riskieren."

Seit Eisenhower diese Rede gehalten hat, ist die Weltmachtrolle der USA in der abendländisch geprägten Welt auch zu einer alles überragenden moralischen Instanz geworden. Was Demokratie und Freiheit sind, wird von einer weitgehend gleichgeschalteten Presse definiert, die erkennbar unter US-amerikanischem Einfluß steht. Politisch korrekt haben die Erkenntnisse zu sein, die in den Schulen vermittelt werden dürfen.

Besonders stark sind die Auswirkungen solcher halkyonischen Schizophrenie in Deutschland zu spüren. Nur zaghaft wagen wenige, sich auf die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Wissenschaft zu berufen. Weite Teile der Bevölkerung sind ideologisch fanatisiert.

Zu den Wahnvorstellungen gehört das Dogma, alle Menschen seien gleich, wo sie doch nur vor dem Gesetz gleich sein können und in ihren Eigenschaften ganz offensichtlich erhebliche Unterschiede aufweisen. Daß es auch verschiedene Rassen gibt, darf man in Deutschland praktisch nicht äußern, obwohl es doch für jedermann klar erkennbar ist. Ein anderes Dogma, das die Deutschen in geradezu krankhafter Form umsetzen, besagt, daß fast alle Deutschen in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Verbrecher gewesen seien oder das Verbrechen mitgetragen hätten. Der Glaube an eine Form extremer sozialer Gerechtigkeit, die es in der Praxis nur in Zeiten ungewöhnlicher Prosperität geben kann, ist ein drittes Hemmnis, das vernünftigem politischem Handeln in der BRD entgegensteht.

Zudem hat das Wort Holocaust, das Eisenhower noch in Bezug auf die schweren Opfer aller in Mitteleuropa am Kriege beteiligten Völker ausgesprochen hat, eine ganz andere Bedeutung gewonnen. Die Opfer, die die Suche der Völker nach der ihnen gemäßen Ordnung in diesem Jahrhundert gefordert hat, waren viel größer als in allen vorangegangenen Kriegen, weil die Waffentechnik, die eingesetzt wurde, eine um Vieles grausamere Wirkung auf alles Lebendige ausübte. Das wird durch die gleichgeschaltete Presse immer weiter aus dem Bewußtsein der Weltöffentlichkeit verdrängt.

DasWort "Holocaust" ist heute nur noch auf die Opfer bezogen, die das Judentum der neuen Ordnung hat bringen müssen. Sie mit den Opfern anderer Völker zu vergleichen, sie zu relativieren, ist in Deutschland aufgrund eines äußerst zweifelhaften Gesetzes untersagt. Die Opfer der Nichtjuden, die Eisenhower noch anerkannte, werden auf diese Weise in der Geschichtsschreibung stetig weiter in den Hintergrund gedrängt und vielleicht einmal dem völligen Vergessen anheimgestellt. Auch dieser Denkvorschrift unterwerfen sich die Deutschen, soweit das von außen erkennbar ist, in einer geradezu fanatischen Weise, die dem Fanatismus gleichkommt, mit dem sie einmal dem Nationalsozialismus gehuldigt haben.

Während in anderen Ländern die Justiz und die Regierungen sich auf ihre Rolle als Wahrer der Ordnung in einem weit gesteckten Rahmen beschränken, ist die Regierung im gegenwärtigen Deutschland engagiert tätig, um Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und Freiheit der Forschung mit drastischen Maßnahmen einzuschränken. Eine Flut von Gesetzesverschärfungen wird auf den Weg gebracht. Eine große Zahl von Büchern, die allesamt im Ausland geduldet sind und von denen einige eindeutig den Kriterien seriöser wissenschaftlicher Forschung genügen, sind in Deutschland verboten. Autoren und Verleger werden bestraft, weil sie der Regierung unliebsame Ergebnisse zutage gefördert haben bzw. publizieren. In der Bevölkerung regt sich dagegen kein nennenswerter Protest.

Fehlgeleitete Macht ist ein wesentliches Anliegen in Eisenhowers Ansprache. Im heutigen Deutschland ist sie zu beobachten. Bürger, die für die Grundfreiheiten eintreten, gibt es kaum. Seine Sorge um "eine wachsame und kenntnisreiche Bürgerschaft", hier ist sie berechtigt.

Eine berühmt gewordene Aussage eines anderen Autors zu diesem Problem lautet: "Ich bin zwar nicht seiner Meinung, aber ich könnte dafür sterben, daß er seine Meinung sagen darf."

Diese Einstellung ist die Sache der Deutschen von heute nicht. Sogar Organisationen wie die Deutsche Burschenschaft, die ihrem Wahlspruch "Ehre, Freiheit, Vaterland" gemäß den Mißständen öffentlich entgegentreten müßte, sitzen feige im publizistischen Hintergrund. Ihre Schriftleitung wagt es nicht, die Dinge in den Burschenschaftlichen Blättern offen anzusprechen. Es läßt sich nicht einmal ausschließen, daß diese Organisation in ihrem Inneren zutiefst undemokratisch gesinnt ist und sich deshalb zurückhält. Der Diktatur Hitlers hat sie sich bald nach 1933 bedingungslos ergeben. In Gesprächen mit ihren Mitgliedern gewinnt man den Eindruck, daß diese Fehlleistung nicht einmal mehr in ihrem Geschichtsdenken registriert ist.

Es scheint, daß sich die Prophezeiung Eisenhowers, die Gebildeten der Nation würden in Abhängigkeit geraten, besonders für Deutschland erfüllt. Dieser Fisch stinkt vom Kopfe her. Dabei haben die Deutschen ihr Land äußerlich betrachtet gut in Ordnung. In den neuen Bundesländern, die unter dem Kommunismus schwer heruntergekommen waren, macht der Wiederaufbau rasche Fortschritte. Sie werden von der Welt bewundert, weil sie ihr Land so gut in Ordnung haben. Aber kaum einer wagt es in Deutschland, eine abweichende Meinung zu vertreten. Political Correctness, PC, in den USA als Begriff entstanden, wurde von den Deutschen schnell aufgenommen und wird in diesem "Musterland" viel perfekter angewandt als irgendwo sonst in der Welt.

Ein aktuelles Ereignis, das die Dominanz der Ordnungsfanatiker demonstriert, ist die hysterische Verfolgung der Scientologen, die von der deutschen Regierung praktiziert wird. Auch in anderen Ländern stoßen die Scientologen bei Teilen der Bevölkerung auf Ablehnung. Die US-Regierung hat sie trotzdem als Religion anerkannt, weil sie den formalen Kriterien für eine Religion genügen. Die BRD-Regierung betreibt jedoch eine gesetzeswidrige Verfolgung der Scientologen. Gesetzeswidrig ist sie deshalb, weil sich die Organisation der Scientologen keine konkret faßbaren Gesetzesverstöße hat zuschulden kommen lassen. Die Argumente, die die BRD-Behörden sich zu eigen machen, gründen sich auf angebliche und unerwiesene böse Absichten der Scientologen. Kürzlich hat sogar die ehemalige Justizministerin Leutheuser-Schnarrenberger öffentlich geäußert, daß gegen die Scientologen konkret nichts vorliege.

Die US-Regierung hat wegen der grundrechtswidrigen Einschränkung der Religionsfreiheit in Deutschland eine Protestnote an die BRD gesandt, die der Außenminister Kinkel mit harschen Worten zurückgewiesen hat.

Grund für diese völlig verschiedene Politik der BRD im Vergleich mit den USA ist das tief in den Deutschen verwurzelte, verabsolutierte Ordnungsdenken. Sie können es sich einfach nicht vorstellen, daß Menschen sich frei entscheiden dürfen, z. B. auch einer ganz anderen Religion beizutreten und ihr sogar persönliche Opfer zu bringen. Der Deutsche maßt sich an, seinen Mitbürgern vorschreiben zu sollen, wem sie ihre Lebensorientierung anvertrauen dürfen und wie der Gott zu sein hat, an den sie glauben.

Dem steht die Toleranz, die die alten Religionen wie das Judentum und der Islam derzeit in Deutschland genießen, nur scheinbar entgegen. Diese Toleranz gewähren die Deutschen entgegen ihrer inneren Einstellung und unter dem auf ihnen lastenden Druck aus ihrer jüngeren Geschichte. Wären sie frei von diesem Druck, so würden sie vermutlich auch diesen Religionen keinen Spielraum in ihrem Lande gewähren.

In Deutschland wird gegen die Scientologen sogar regelrecht gehetzt. Wenn ein Katholik oder ein Protestant an Wasserverlust stirbt, regt sich niemand auf. Stirbt ein Scientologe, wie das kürzlich geschah, so wird gleich die ganze Religionsgemeinschaft beschuldigt. Die führende Rolle der römischen Kurie und die Mitwirkung des Katholizismus bei der Ausrottung der Indianer und ihrer hochstehenden Kulturen im heutigen Lateinamerika hat man vielleicht in der BRD vergessen. Das war immerhin Völkermord, der über viele Jahrzehnte hinweg gnadenlos im Namen einer Religion begangen wurde, die die Nächstenliebe vor ihren Altären predigt. Soweit bekannt, hat der Papst dieses schwere Verbrechen bis heute nicht beim Namen genannt oder sich gar dafür entschuldigt.

Bleibt abschließend festzustellen, daß wohl in allen demokratischen Ländern die Demokratie ein Haus ist, das immer wieder neu zu gestalten ist. Es kann leicht verfallen, wenn die Bürger nicht aufpassen. Eisenhower hat mit seiner oben zitierten Rede nahegelegt, daß Sie und ich und wir alle dazu aufgefordert sind, die Machthaber zu kontrollieren. Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als die Wahrung der Demokratie. Bei dieser Aufgabe haben die Deutschen schon einmal in diesem Jahrhundert schwer versagt. Wie aus Eisenhowers Worten zu schließen ist, kann der Verpflichtung nicht nur mit dem Stimmzettel genüge getan werden. Vielmehr braucht es eine ausgeprägte unabhängige Denkfähigkeit bei den Gebildeten des Landes. Nur eine viel zu kleine Minderheit der Deutschen genügt diesen Ansprüchen. Deshalb sollten unsere Achtung und Unterstützung mit allen Mitteln denen gelten, die es wagen, in Ausübung ihrer demokratischen Rechte gegen Machtmißbrauch in Deutschland anzugehen. Das gilt auch und besonders dann, wenn die Machthaber sie dafür mit einer zweifelhaften Justiz bestrafen, deren Maßnahmen einer internationalen Kontrolle nicht standhalten würden. Den Deutschen, die träge und uninteressiert sind und deshalb die Gefahren für ihre Demokratie nicht sehen und nicht sehen wollen und ebenso denen, die sie sehen und feige in den Löchern bleiben, gelte die Mißachtung der verantwortungsbewußten Bürger der demokratischen Länder der Welt.


Quelle: Staatsbriefe 8(4) (1997), S. 7-9


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