SYMBOLUM-GHIBELLINUM
HITLER IM CASTEL FIORENTINO

"Hinweg mit dir, guelfischer Tropf!" - "Ich denke nicht daran. Das ganze Jahr schwirrte ich hinter euch her. Nun entwischt ihr mir nicht. Ich weiß genau: der Kaiser sitzt auf Fiorentino, wo er starb. Hier will ich ihm in seinem 800. Jahr gegenübertreten, als Großer dem Großen."

"Ich ruf dir auf den Hals den Stumm der Sarazenen von Lucera." - "Ich weiche nicht einmal der Gewalt. Und wenn erneut das deutsche Reich, das deutsche Volk und ich draufgehen."

"Er wieder zuletzt…Seht Ihr, Herr Walther, nichts hat er gelernt. Vor seinem Tod nichts und nichts hinterher." - "Was sollte ich denn lernen ? Und von wem? Stehe ich heute nicht glänzend da? Alles, was nach der Götterdämmerung geschah, rechtfertigt mich."

"Ich kann's nicht bestreiten. Richtig war vieles. Doch zuviel hast du falsch gemacht und so alles am Ende verloren." _ "Das begreifen nur geweihte Häupter, Domestik! Meld er mich jetzt gefälligst dem Stupor Mundi!"

"Die Majestät erquickt sich gerade an Canzonen, Passacaglien und Toccaten Buxtehudes. Sie verstände es, hörte ich noch, daß der junge Bach zu Fuß von Amstedt nach Lübeck lief, um diesen Meister zu besuchen."

"Das ist ja blanker Unsinn. Wo steht denn hier eine Orgel? Als dieses Castel gebaut wurde, gab es überhaupt keine Orgeln. Ich weiß das."

"Ihr habt recht, Herr Petrus. Nichts hat er gelernt. Fünfzig Jahre ist er tot und kennt noch nicht das transsensuale Organon der Impulse. Wir hören Orgeln ohne Orgelspiel. Buddha sprach fälschlich fleischlich vom Nirwana." - "Schluß mit dem intellektuellen Geschwafel!"

"Herr Petrus, ruft die Sarazenen her!" - "Herr Petrus…Petrus? Petrus de Vinea! Ha, Verräter! Du wagst es, den Zugang zum Machthaber zu verrammeln, den du verrietest? Ich erwürgte dich, wenn du lebtest. Verräter habe ich immer mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Daß i di zertret, Drecksköter, damischer! Erscheine, großer Kaiser!"

"Adolfino! Reg dich nicht so auf. Du warst immer viel zu aufgeregt. Auch wenn du es geschickt verborgen. Bis es dich übermannte und du in schweren Stunden niedersankest und entscheidungsunfähig vor dich hinstarrtest. Jetzt treibt es dich umher, weil du damit nicht fertig wirst, daß du gescheitert und dein Volk in einem Zustand hinterlassen, der schier aussichtslos erscheint. Ich biete dir Quartier in meiner Todesburg. Hier findest du die Ruhe, die du brauchst, um über deinen Platz in der Geschichte nachzudenken."

"Oh, Majestät! Ich habe Großes gewollt und vieles erreicht und endete, von ständigem Verrat umwittert, schmählich meine Bahn. Meine Pflicht hab ich getan. Doch ach, wie wird mir? Bin ich noch tot? Und spür ich nicht linde, sanft säuselnde Luft? Und ist nicht mein Grab mir erhellet?

"Jetzt singt er gleich wie Florestan, Herr Walther."

"Herr Petrus, ich glaube, Hitler wird gerade vom Organon der Impulse ergriffen."

"Habe ich wirklich meine Pflicht getan? Oh, Majestät! Ihr wißt, ich las in meinem Sterbebunker das große Buch, das der Jude Ernst Kantorowicz über Euch geschrieben. Ich hatte im Historikerstreit den Pfaffen der Bewegung verboten, Karl den Großen und Euch zu schmähen. Ich war mir das schuldig als Gleichrangigem. Jetzt zweifle ich tief, ob ich es gewesen bin. Ihr hättet sicher nicht die Meuchelei vom 30.Juni 1934 befohlen. Überhaupt nicht erkannt habe ich, daß ich den zweiten Weltkrieg wider besseres Wissen führte. Anfang 1939 sagte ich zu meinem Architekten Giesler - Speer war ein Schwein -, ein neuer Weltkrieg sei unvermeidlich, wir dürften nur keinen Zwei- oder Mehrfrontenkrieg mehr führen. Und die Südflanke des Reiches, fügte ich luzid hinzu, sollten befreundete neutrale Länder decken. Und ich habe nichts Entsprechendes getan. Mussolini nicht aus dem Krieg herausgehalten. Frankreich keinen ehrenvollen Frieden gewährt. In Rußland habe ich nicht nur gegen den Kommunismus gekämpft, sondern auch gegen die Völker, die er unterjochte. Das Auseinanderbrechen der Sowjetunion hätte ich schon haben können. Dann hatte ich Amerika den Krieg erklärt. Ich hatte alles in der Hand aus eigener Kraft und alles verspielt. Ich kann nicht einmal sagen, ich wäre nicht gewarnt worden. Aber ich dachte, mir kann nichts mehr fehlgehen. Und als es aus war, habe ich nicht Schluß gemacht. Hätte ich mich schon im Sommer 1944 erschossen, wäre mein Volk die Substanz erhalten geblieben, die es nach dem Zusammenbruch dringend brauchte. Die deutschen Städte wären unversehrt geblieben. Das Reich wäre aufgeteilt worden, aber die Teile dann nicht so beherrschbar gewesen. Vielleicht hätte ich mich gar nicht erschießen, sondern stellen sollen. Die Sieger hätten mich aufgehängt, aber die Deutschen nicht zu einem Verbrechervolk stempeln können, was sie bis heute abhält, die Besetzung und die Fremdbestimmung abzuschütteln. Was kann mein Platz in den Annalen noch sein? Der Platz des Trommlers, der fehlte, als er sich selbst zu dem Großen ernannte, für den er den Weg frei machen sollte? Jetzt sagt mir noch, warum nahmt ihr den Verräter Petrus de Vinea wieder bei Euch auf ?"

"Er ist ein kluger Mann. Ich wollte seinen Rat, wie man die Judenfrage heute lösen soll."

"Ich nehme Euer Angebot an. Laßt mich hier verweilen. Noch lange. Ich habe über vieles lange nachzudenken."

"Jetzt fühlt er sich erst vernichtet."- "Nein, jetzt fühlt er sich erlöst."

Hans-Dietrich Sander


Quelle: Staatsbriefe 6(12) (1995), S. 34.

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