Hans-Dietrich Sander


Einfangen, einbinden, plattmachen

Bei dem Behördeneinsatz gegen das Lesertreffen der Staatsbriefe am 30. Oktober 1995 (vgl. Heft 11/95) unterschob die Polizei einem Abonnenten ein verräterisches Wort. "Schade", soll er gesagt haben, "daß wir hier nicht mehr sind, sonst würden wir alles plattmachen." Er hat es nicht gesagt. Niemand von uns hat es gehört. Er kann es auch nicht gesagt haben, denn es gehört nicht zum Wortschatz der nationalen Szene. Selbst die dumpfen Gemüter, die es hier auch gibt, haben instinktiv erfaßt, daß es mit der Rückkehr des nationalen Elementes in die Politik um das Gegenteil geht.

"Plattmachen" ist ein derbes, aber treffliches Wort für die, um es adäquat zu sagen, Philosophie der Neuen Weltordnung, die von der euphorisch taumelnden amerikanischen Weltmacht nach dem Zerfall der russischen verkündet wurde. Der Tempelhofer Polizist, der die Begriffslocierung verhängte, vollbrachte eine entzückende Fehlleistung.

Die Bürger der BRDDR erleben zur Zeit in vollkommener innerer Einheit, wie alles um sie herum plattgemacht wird.

Nachdem lange genug der nationalstaatliche Begriff geschmäht worden war, wurde er zur Disposition gestellt. Nachdem man lange genug am Sozialstaatsbegriff herumgemäkelt hatte, warf man ihn zum verrosteten Eisen. Die letzten Reste der von den Besatzungsmächten zu unbeschränkter Haftung wiederzugelassenen deutschen Staatlichkeit werden, nachdem ihnen der hoheitliche Funke ausgeblasen wurde, vor aller Augen niedergetreten. Mutmaßliche nationalpolitische Ansätze werden, auch wo ihre Erbärmlichkeit zum Himmel schreit - Gesetze hin, Gesetze her - auf der Partei- und Vereinsebene wie im politischen Bereich niedergemacht.

Auch das Surrogat des Wirtschaftsstandortes D befindet sich längst in der Hand bestallter Plattmacher. Sie wracken es mit einem Eifer ab, als sei ein Ersatzbefriedigungsobjekt nicht mehr vonnöten. Rücksichten scheinen nicht mehr erforderlich. Mit Widerstand wird nicht mehr gerechnet.

Und das ihm! Der alte bundesdeutsche Adam versteht die Welt nicht mehr. War er doch everybodys darling! Der beste Freund der Vereinigten Staaten von Nordamerika und Washington der beste Freund Bonns. Nichts hatte er unternommen, dieses Bildnis bezaubemd schön auch nur anzukratzen.

Dem gewöhnlichen Menschenverstand des Bundesbürgers leuchtet durchaus nicht ein, daß Plattmachen eine Konsequenz der amerikanischen Umarmungspolitik darstellt. Das Bündnis im Kalten Krieg ist mehr eine Einbindung des deutschen Bündnispartners gewesen. Seit dem Ende alten Kalten Krieges wird das auch offen gesagt, wenn man auch noch nicht schamlos genug ist, zuzugeben, daß diese Einbindung vorsorglich als Fesselung angelegt war, deren Stricke nun, da man die Deutschen nicht mehr braucht, mehr und mehr angezogen wurden.

Der Deutsche begreift es vielleicht leichter, wenn er sich klarmacht, daß so wie dem Plattmachen die Einbindung vorausging, die Einbindung das Einfangen zur Voraussetzung hatte: die Niederwerfung der Deutschen in der Niederlage und ihre mit Peitsche und Zuckerbrot betriebene Einvernahme, deren euphemistische Verinnerlichung den Amerikanern über Generationen hinaus ausreichend Helfer und Helfershelfer unter den Deutschen garantierte.

Zum Jahreswechsel erschien bei Ferdinand Schöningh in Paderbom post mortem das letzte Buch des deutsch-amerikanischen Politologen Wolfram F. Hanrieder "Deutschland Europa Amerika - Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1949-1994". Es wird darin ganz offen die "Wiedervereinigungspolitik als Ende der Deutschlandfrage" beschrieben, bei der es darum ging "der größten Gefahr, der Renationalisierung, zu entgehen". Zustimmend angeführt in der FAZrezension vom 30.4.1996. Dazu gibt es eine korrespondierende Äußerung von Wolfgang Schäuble. Am 29.9.1995 fragte ihn die Freie Presse zum Vereinigungsdesatre: "Wäre in der ersten Stunde der Einheit der Wille zu mehr Hilfe nicht ausgeprägter gewesen ?" Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erwiderte: "Wir haben absichtlich darauf verzichtet, das nationale Pathos anzusprechen. Das wäre für uns und für unsere europäischen Partner nicht gut gewesen ..." So wurde es, weil es für die Partner nicht gut gewesen, eben schlecht für das eigene Volk.

Was die Staatsbriefe seit ihrer Gründung im Januar 1990 befürchteten und im Laufe der Zeit mit immer mehr Indizien erhärteten, wird in diesen Äußerungen als offizielles Programm zugegeben. Wir müssen uns dieser schonungslosen Wahrheit stellen: noch als die Deutschen sich im Einheitstaumel befanden, wurde die Parole des Plattmachens ausgegeben. Eine herrschende Klasse, die über kein soziales Gewissen und keine nationale Ehre mehr gebot, hatte keine Probleme, eine solche Politik mitzumachen.

Ich gestehe, diese Betrachtung, obwohl ich die Dinge schon lange so sehe, mit starker innerer Erregung niedergeschrieben zu haben. Ich habe auch ihren sprachlichen Duktus genossen, der leicht, aber allzuleicht, als demagogisch bezeichnet werden kann. Die Triade Ein- fangen, Einbinden, Plattrnachen gilt nicht allein Deutchland und den Deutschen. Die Triade gehört zu den Archetypen derVereinigten Staaten von Nordamerika. Ihr Ursprung ist so doppelschichtig wie zwielich- tig. Einfangen, Einbinden, Plattmachen das ist der Brauch bei Cowboys und Banditen.

Die Triade ist der Marschbefehl des als Weltwirtschaft ausgegebenen amerikanischen Wirtschaftsimperialismus. Wer unserem Handel die Türen nicht öffnet, dem treten wir sie ein, sagte der spätere US-Präsident Wilson 1907 in offenherziger Wildwestrnanier. Zuallererst angewendet in den Ländern der Dritten Welt.

Was immer gegen die Kolonialpolitik europäischer Länder in Afrika und Asien gesagt werden muß: plattgemacht wurden diese unter großem Pomp entkolonisierten Länder erst von den Amerikanern. Es sehnt sich dort heute so mancher alte Mann in die goldenen Jahre der Kolonialzeit zurück, die, den Kolonialherren entsprechend, durchaus unterschiedliches Gefälle hatten, doch ihren Völkern und Stämmen die Identität beließen.

Schleichender und einschmeichelnder vollzog sich die Amerikanisierung in Japan und Südostasien. Washington kann auf unterschiedliche Kulturen verblüffend sensibel reagieren, ist aber außerstande, auf die feine Wilsonsche Art gänzlich zu verzichten.

Die amerikanische Politik Europa gegenüber ist von Henry Kissinger in seinen Erinnerungen als zwiespältig bezeichnet worden. Einerseits befördert Washington die europäische Union, damit die europäischen Nationalstaaten verschwinden, andererseits ist es an unabhängigen Vereinigten Staaten von Europa nicht interessiert, weil sie für die USA eine unerwünschte neue starke Konkurrenz abgäben. Diese Definition trifft die Sachlage hochprozentig. Sie wird hundertprozentig stichhaltig, wenn man hinzufügt, daß jeder Schritt auf eine europäische Union zu mit einem verstärkten amerikanischen Einfluß verknüpft war. Er wurde meistens über die Bonner Republik ausgeübt - was der Hauptgrund dafür gewesen ist, daß Bonn mit seinen westlichen Nachbarn nie wirklich ins reine gekommen ist. Den Amerikanern dürfte das auch als ein nicht gerade unwillkommenes Abfallprodukt ihrer Europapolitik erschienen sein.

Die verlogene Kampagne gegen eine neue Blockbildung oder gegen einen möglichen europäischen Protektionismus - als gäbe es keinen amerikanischen, der nicht zimperlich ist! - dient nur der Offenhaltung der europäischen Türen für Importe und Beteiligungen und die Ausschaltung lästiger Produktionskonkurrenzen. Die Chancen hierür sind groß, denn das Plattmachen hat schon vor der Konstituierung einer solchen Union begonnen.

Dieser amerikanischen Europapolitik dient auch die Konzession, daß mit der Konstituierung einer Europäischen Union kein imperiales Gebilde entsteht, das auf einer eigenständigen politischen und militärischen Machtbasis fußt. Je näher die Union rückt, um so dieser sind die Vorstellungen, wie sie denn nun strukturiert sein soll. Das ist kein Zufall. Es wird überhaupt keine politische Führung geben, die diesen Namen verdiente. Europa soll von den Agenturen der sogenannten Welt- wirtschaft dirigiert werden. Globalisierung heißt ihre Parole, die seit Monaten aus allen Medienkanälen auf die europäischen Völker niederprasselt.

Mit dem ehemaligen Ostblock ist nach dem Sturz des Kommunismus dem amerikanischen Wirtschaftsimperialismus ein viertes Operationsfeld zugefallen. Als fünftes erhofft er sich die noch existierende chinesi- sche Volksrepublik...

Wir können den Kollaps mit Gelassenheit abwarten. Die USA würden sich mit einer faktischen Weltherrschaft auch übernehmen, wenn sie sich noch auf dem Höhepunkt ihrer Kraft befänden, den sie längst über- schritten haben. Sie sind in ihrer Handlungsfähigkeit auch eingeschränkt durch wachsende innere Konflikte. Denn was sie der ganzen Welt zumuten, tun sie auch ihren Landsleuten an. Washington macht auch in Amerika alles platt.

Eine Ahnung endlichen Scheiterns glaube ich in den frenetischen Bemühungen zu spüren, mit denen Bonn im Auftrag versuchte, die Fusion zwischen Berlin und Brandenburg über die Bühne zu ziehen. Sie sollte offensichtlich dazu dienen, die preußischen Überreste in der Mark Brandenburg durch den Verbund mit einem Berlin, das gänzlich aus der Art geschlagen ist, plattzumachen. Welch ein rührender und ehrenvoller Respekt schlägt hier durch. Ausgerechnet den total niedergeworfenen, gefesselten und plattgemachten Deutschen traut man die Fähigkeit zum entscheidenden Gegenimpuls zu. Und das in einem Bundesland, das schon jetzt wieder die Sandbüchse Deutschlands ist.

Der irrationale Respekt hatte, wie die Volksabstimmung am 5. Mai zeigte, in der die Brandenburger deutlich Nein sagten, einen rationalen Kern. Und kaum, daß die Fusion scheiterte, soll sie sogleich in vorauseilendem Gehorsam von einer wachsenden Kooperation ersetzt werden.

Es ist jedoch schwervorstellbar, daß sich die Brandenburger das Plattmachen durch die Hintertür gefallen lassen. Die hinterlistigen Versuche werden sie um so mehr erbittern.

Die Abstimmung war das Signal einer Zäsur. Es war das erste Mal, daß ein Konzept, daß die Bonner Parteien mit allen Mitteln durchziehen wollten,vom Volk abgelehnt wurde.

Drohungen, in der Sandbüchse zu verhungern, dürften bei den Märkern auf steinigen Boden fallen. Sie werden sich daran erinnern, wie die Mark Brandenburg einst von der Sandbüchse des Reiches zu einer deutschen Großmacht aufstieg, der schließlich die deutsche Einheit gelang. Ein Aufstieg aus dem Mangel steht eines Tages auch anderen Bundesländern bevor. Die Mark kann ihnen dann sagen, wie man das macht.


Quelle: Staatsbriefe 7(4) (1996), S. 1f.

(Fassung Thule : http://www.thulenet.com/texte/pubstbr/text0001.htm)

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