HANS-DIETRICH SANDER / DER RUSSISCHE GENERAL UND DIE DEUTSCHEN
Es war des Prätendenten dritte Auslandsreise. Daß sie ihn nach den Visiten in Brüssel und den USA nach Bonn zog, zeigt mehr als eine persönliche Vorliebe an. Deutschland dürfte für ihn der Hebel sein, um die Rußland bedrohende Neue Weltordnung aus den Angeln zu heben.
Alexander Lebed verfolgt damit eine Politik, wie sie Zar Alexander I. mit Hilfe Preußens gegen Napoleon vollzog. Aber Deutschland verfügt heute in vergleichbaren Ämtern über keinen König Friedrich Wilhelm III. und über keinen General York von Wartenburg. Die BRDDR ist für ein exklusives Bündnis mit Rußland nicht zu haben. Das heißt nicht: ein solches Bündnis ist nicht praktikabel. Es ist nur unter keinen Umständen mit ihrer herrschenden Klasse herzustellen. Darüber darf es keine Illusionen geben.
Das betrifft schon den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, den Lebed als vorbildlich für den Wiederaufstieg Rußlands aus dem Desastre von Kommunismus und Nomenklaturakapitalismus erachtet. Die Männer, die ihm in Bonn und in München entgegentraten, haben das nicht vollbracht. Sie haben im Gegenteil das alles in den letzten Jahrzehnten auf beispiellose Art heruntergewirtschaftet und sind im Begriff, die letzten Reste allgemeiner Wohlfahrt, gestreuten Wohlstandes und des natürlichen Willens, als Volk zu überleben, auf den antideutschen Altären niederzulegen, die rings um unser Land errichtet wurden.
Es ist nicht erkennbar, ob der russische General bei seinem Besuch in Deutschland schon ein Gespür dafür entwickelt hat, daß bei uns zu totaler Machtausübung gelangt ist, was er in Rußland hinwegfegen will. Um so weniger ist von Politikern und Wirtschaftsführern dieses Schlages eine Außenpolitik zu erwarten, wie sie nicht nur Rußland - sondern auch Deutschland dringend braucht.
So wie mit von Fotos über den Besuch des vormaligen US-Präsidenten George Bush zur 50. Jahresfeier des Potsdamer Abkommens in Potsdam der geduckte Biedersinn im Gedächtnis kleben blieb, mit dem Stolpe & Co. ihre hemmungslose Botmäßigkeit verinnerlichten, werde ich die lauernde Haltung aus meiner Erinnerung nicht wegwischen können, mit der die Schäuble-Crew, laut TV-Bild, Alexander Lebed anstarrte, als wolle sie ausspähen, wie, wann und wo sie dem russischen Bären das Fangnetz überwerfen können ein Fangnetz, das nicht in Deutschland geknüpft wurde.
Man braucht der Frankfurter Allgemeinen nicht wörtlich zu glauben, wenn sie am 17. Januar per Schlagzeile mitteilte: "Die Bundesregierung hat für die Gespräche mit Rußland ein Konzept entwickelt." Sie hat dies Konzept zweifellos. Und es erklärt auch eine Reihe von Kommentaren und Berichten dieser Zeitung, die irritierten, weil sie nicht in das Bild paßten, das der russische General in beeindruckender Kontinuität von sich entwarf.
So schrieb am 6. Januar nach dem Kohl-Besuch in Moskau Günter Nonnenmacher in der Leitglosse "Der russische Zustand" über die Aussicht, "Rußland werde zu einem antiwestlichen Konfrontationskurs zurückkehren": "Dazu fehlen noch auf lange Zeit die Machtmittel; dagegen wirkt die inzwischen entstandene Interessenverflechtung der russischen Elite mit dem Westen. Jelzin repräsentiert diesen Zustand, doch jeder andere Kremlherrscher müßte gleichfalls mit ihm rechnen." Auch Lebed, der dem Kapitalismus pur den Kampf angesagt hat, der, von den Havard-Boys injiziert, zum Leitbild der westlich verfochtenen Elite geworden ist?
Am Tage seiner Ankunft in Bonn, am 14. Januar, erweckte die FAZ den Eindruck, als sei er bereits auf dem Wege, Jelzin in der Repräsentanz dieses russischen Zustands nachzueifern. In einem Gespräch zeigte er sich, so der Bericht, "kompromißbereit bezüglich der geplanten Erweiterung der Nato und äußerte wirtschaftspolitisch liberalere und weniger antiwestliche Ansichten als noch vor wenigen Monaten". Er soll sogar eine Verfassungsreform vorgeschlagen haben, "nach der Rußland von einer 'superpräsidialen Republik' zu einem Staat werden soll, in dem 'Vollmachten und Funktionen vernünftig zwischen Präsident, Regierung, Parlament und Verfassungsgericht' geteilt würden." Kapitalismus pur plus Demokratie pur?
In Deutschland verlautete Lebed nichts dergleichen. Gleichwohl hielt die FAZ am 16. Januar, übereinstimmend mit dem Resumee, das sich in Bonn gebildet hatte, daran fest, die Ansichten Lebeds in der Außen- und Wirtschaftspolitik hätten sich gemäßigt, und sie wendete ein paar diplomatische Floskeln über demokratische Maßnahmen und die Russen als Eigentümer hin und her, bis sie paßten. Dem widersprach freilich am selben Tag auf dem Feuilleton ein Bericht über die Konjunktur Iwan des Schrecklichen im heutigem Rußland, der erwähnte, daß Alexander Lebed nach seiner Entlassung als Sicherheitschef Jelzins sich Alexej Tolstojs Iwan-Drama angesehen habe, um zu lernen, "wie man regiert" und (was der Bericht vorenthielt) "wie man nicht regiert". Am 17. Januar brachte die FAZ das dann auf den Nenner "Der Charme der Naivität". Ein Trottel also...?
An diesem Tage erschien auch der Bericht über das Bonner Konzept, der die Widersprüche klärte. Er begann mit den Sätzen: "Die Bundesregierung hat für die jetzt zu führenden Gespräche über das Verhältnis zu Rußland ein Konzept entwickelt, das zwischen Kanzleramt, Auswärtigem Amt und Verteidigungsministerium abgestimmt worden ist. Es wurde auch mit dem stellvertretenden amerikanischen Außenminister Talbott erörtert, der diese Woche in Bonn, London, Paris und Brüssel war." Da nicht anzunehmen ist, daß der stellvertretende amerikanische Außenminister in dieser Woche zwischen diesen Städten hin und her pendelte, um als Bonner Generalvertreter für ein Konzept des CDU-Fraktionsvorsitzenden Schäuble zu werben, dürfte das Konzept amerikanischen Ursprungs sein. Das kann jeder erkennen, der die Sätze genau liest; er braucht noch nicht einmal zu wissen, daß Verteidigungsminister Rühe seit geraumer Zeit die strategischen Papiere über Fragen der Nato-Erweiterung direkt von amerikanischen Denkfabriken erhält. Es ist auch typisch amerikanisch, in Versuchen der Überredung oder Überrumpelung Zielvorgaben schon als erste Schritte anzusprechen, um dem Objekt dieser Politik zu suggerieren, sie kämen von ihm selbst...
Ich bezweifle, ob ein Mann von der Statur Alexander Lebeds so leicht zu haben ist. Die Unterschätzung, er ließe sich manipulieren, wird das Gegenteil hervorrufen. Am 17. Januar sprach der russische General in München mit dem bayerischen Ministerpräsidenten, zu dem er "weitere Kontakte" vereinbarte. Was er darüber sagte, läßt ihn bereits zu Bonn in Distanz erscheinen. "Ich rede", sagte er zur Süddeutschen Zeitung vom 20. Januar, "gern mit ernstzunehmenden Leuten. In der Praxis hat sich gezeigt, daß das Konsenative immer die Oberhand gewinnt." Vielleicht merkt er auch bald, daß der Unterschied zwischen Bonn und München gar nicht so groß ist. Das könnte der Fall sein, wenn er durch diesen Artikel erführe, daß die Staatsbriefe, die seit ihrer Gründung im Januar 1990 für ein neues Verhältnis zwischen Deutschland und Rußland plädieren, der Neuen Weltordnung kritisch gegenüberstehen und für Deutschland eine Politik fordern, wie sie Lebed auch für Rußland durchsetzen will, von Edmund Stoibers konservativer Justiz politisch verfolgt werden.
Es gibt keine wesentlichen Unterschiede in der herrschenden Klasse der BRDDR, die einen Ansatz böten für eine Politik Lebedschen Stils. Wenn der russische General Präsident wird, kann er indessen eine Lage schaffen, in der ihr schnelle Erfolge zufallen. Am 18. Januar schrieb er in das Besucherbuch der KZ-Gedenkstätte von Dachau einen Satz, der dem bebenden Reporter der SZ vom 20. als "wenig klar" erschien. Er lautet: "Man soll nicht mit Pistolen auf die Vergangenheit schießen, weil sonst Kanonenkugeln zurückkommen." Der Satz ist mehr als klar. Er bedeutet, daß Alexander Lebed genau weiß, welche Trumpfkarte er in der Hand hat. Öffnet er als Präsident gewisse Archivkammern, bricht nicht nur die BRDDR wie ein Kartenhaus zusammen. Auch die EU, die Nato und die ganze neue Weltordnung gründen auf der Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und den unvergeßlichen deutschen Verbrechen.
Alexander Lebed hätte diesen Satz nicht geschrieben, wenn er die Folgen nicht voraussähe. Ich will an dieser Stelle noch etwas hinzufügen, was ihm vielleicht noch nicht als selbstverständlich erscheint. Das deutsche Volk, dessen Fleiß, Disziplin und Rechtschaffenheit er bewundert, hat auch sein Gefühl für Treue, was immer man dazu sagen mag, noch nicht ganz verloren. Die Deutschen werden jedem unendlich dankbar sein, der den Alptraum von ihnen nimmt, der nach 1945 über sie gestülpt worden ist. Ist es Rußland, wird Deutschland diesem Land in einer langen und schöpferischen Freundschaft verbunden bleiben.
Es gäbe noch eine andere Trumpfkarte in der Hand eines Präsidenten Lebed. Sie heißt Nordostpreußen und ist in den Staatsbriefen 7-8/96 politisch topographiert worden. Würde dieses Land den Status einer Reichsenklave unter vorläufiger russischer Oberhoheit erlangen, militärisch geschützt durch eine russisch-deutsche Brigade, für die ich von unserer Seite vornehmlich ehemalige NVA-Offiziere empfehle, könnte ein Gemeinwesen entstehen, dessen Pioniergeist Rußland wie Deutschland zur notwendigen Remedur erleuchtete.