PASTICCIO
LANDGERICHTSNACHLESE
In der siebenten Woche nach der Urteilsverkündung durch das Landgericht, in der ich diesen Text zu Papier bringe, trat die schriftliche, nachbestückte, Urteilsbegründung ein, nach der ich nun den Namen des Landrichters nennen kann. Er heißt und schreibt sich Kunert.
Am Ende des Pasticcios über den Urteilstermin hatte ich von meinem Eindruck berichtet, das Urteil hätte schon vorher festgestanden. Ich bezog mich darauf, daß meine Äußerungen während der Beweisaufnahme auf steinigen Boden gefallen waren. Es gibt indessen noch mehr Indizien.
Der Richter muß von vorneherein gewußt haben, auf welchen schwachen Füßen die Anklage beruhte. Hätte er nicht unter Auflagedruck gestanden, würde es für ihn keinen Grund gegeben haben, die Forderungen der Verteidigung nach einer Konkretisierung der Vorwürfe und einer rechtsstaatlichen Korrektur des Eröffnungsbeschlusses abzuweisen. Jede Frage nach den Einzelheiten der inkriminierten Texte wäre für die Urteilsbegründung tödlich gewesen. Die Erörterung war deshalb zu unterbinden.
Für wie dürftig der Richter das Beweismaterial gehalten haben muß, ging aus seiner insistierenden Fragerei hervor, mit der er mein Verhältnis zu Germar Rudolf zu ergründen suchte, z. B. ob wir uns duzen, so als ob er erpicht war, Ansätze einer kriminellen Vereinigung aufzudecken. Da dieser Versuch sich als unergiebig herausstellte, verfiel er im Urteil darauf, meine "Thesen zum Antisemitismus" aus der "Auflösung aller Dinge", die auf Antrag der Verteidigung zu meiner Entlastung verlesen wurden, zwecks Belastung zu vergewaltigen.
Das geschah durch die Zitierung des Satzes "Die Liquidierung der Juden im Zweiten Weltkrieg war weder einmalig noch unvergleichlich", ohne auf den bei der Beweisaufnahme verlesenen Kontext einzugehen, aus dem hervorgeht, daß der Satz eingebettet ist in die Weltgeschichte der Judenverfolgungen und -vertreibungen, daß die meisten jüdischen Gelehrten, den Holocaust im Vergleich zu den früheren Katastrophen als nicht wesentlich verschieden erachten, daß die höheren Opferzahlen ein Signum des 20. Jahrhunderts waren, das als ein Ausrottungsjahrhundert gelten kann. So wurde ich wider besseres Wissen des Gerichts zum Holocaustverharmloser stilisiert.
Der Richter wußte, daß dies nicht ausreichen würde, sein Urteil abzudecken. Nicht nur er, sondern auch die Staatsanwältin, hatten alle Anträge der Verteidigung, die klären sollten, daß ich kein Antisemit sei, mit der Begründung abgelehnt, das könnte nach meiner Einlassung als wahr angenommen werden. Deshalb bezeichnete er in der mündlichen Urteilsbegründung den Abdruck der inkriminierten Texte als eine Entgleisung, die, weil wohl zu wacklich, im schriftlichen Urteil durch einen Vorsatz ersetzt wurde, der sich auf Unterstellungen stützt.
Der Richter muß auch bereit gewesen sein, den Prozeß in dieser Piratenmanier zu führen. Sonst hätte er die Gelegenheit, sich aus der Affäre zu ziehen, kaum ausgeschlagen, die darin bestand, dem Antrag der Verteidigung nach Aussetzung des Verfahrens stattzugeben, bis das Bundesverfassungsgericht entschieden hätte, ob der § 130 StGB nach der Fülle der juristischen Kritik, die sich an ihm aufgetürmt hatte, noch verfassungsgemäß sei.
Da ich nicht glaube, daß er diesen Antrag aus persönlicher Bösartigkeit heraus ablehnte, nehme ich an, daß er sich dazu genötigt sah. Er reagierte nämlich außerordentlich empfindlich, als ich diesen Punkt in meiner Einlassung berührte, indem ich bemerkte, daß die Staatsanwältin ihn belehrte, er könne dem Antrag nur stattgeben, wenn er selbst schon von der Verfassungswidrigkeit des umstrittenen Paragraphen überzeugt sei. Und das war seine einzige Äußerung zu meinen Ausführungen! Aus diesen Gründen betrachte ich den Prozeß gegen mich als eine vorsätzliche und angeordnete Rechtsbeugung, für die zur Verantwortung gezogen zu werden der Richter nicht fürchten mußte.
Bei politischen Prozessen werden Revisionsanträge, wenn sie von der Verteidigung kommen, in der Regel vom Oberlandesgericht als unbegründet verworfen und Verfassungsbeschwerden in Karlsruhe gar nicht erst angenommen.
Ein Richter, der solche Urteile fällt, hat auch die Öffentliche Meinung nicht zu fürchten. Die Medien nehmen Prozesse dieser Art seit langem nicht mehr wahr. Auch sie dürften dazu angehalten werden.
Aus freien Stücken schweigen - anders als in der geschmähten DDR - die sakralen und profanen Hüter des Gewissens, die Priester und die Künstler, zum J'accuse berufen und geboren, vom Engagement zur Inquisition emanzipiert. Auch Heinrich Böll würde heute "kein einziges Wort" sagen.
Wie recht hatte Friedrich der Große, als er bemerkte, eine Justiz, die der Staat nicht zügelt, entartet! Das ist noch mehr der Fall, wenn der Staat sie dazu ermuntert.
Ein ordentliches Gerichtsverfahren zeichnet sich seit Menschengedenken dadurch aus, daß dem Urteil die Wahrheitsfindung vorausgeht, zu der auch der Staatsanwalt verpflichtet ist. In den politischen Prozessen, wie sie sich bei uns in den letzten Jahren etablierten, gehen den Urteilen lediglich Schuldzuweisungen, wenn nicht gar Schuldbehauptungen voraus.
Zum Schluß dieser Nachlese noch ein allgemeiner Aspekt in dieser Landgerichtsnachlese. Die natürlichen Hemmungen, die Richter bei Prozessen nach Piratenmanier haben müßten, werden von ihrer Sachunkenntnis beseitigt. Da sie die Dinge, um die es geht, meistens selbst nicht beurteilen können, übernehmen sie automatisch die Argumentation der Staatsanwaltschaft, vor allem dann, wenn die Anzeige amtlicher Natur ist. So sitzt Dummheit zu Gericht und gibt den Verfahren einen infernalischen Anstrich. Die FAZ überschrieb einmal einen Artikel mit der Zeile "Eine ungebildete Justiz wird gemeingefährlich". Auf meinen Fall hingewiesen, würde sie erschrocken dementieren, es so auch wieder nicht gemeint zu haben.
H.-D. S.
Quelle: Staatsbriefe 9(4) (1998), S. 41