MENSCHENWÜRDE UND REVISIONISMUS
Am 2. Februar 1995 meldete die Süddeutsche Zeitung, Polizei und Staatsanwaltschaft hätten in Bingen die Geschäftsräume eines Verlages durchsucht und eine Zeitschrift "mit rechtsextremistischem und fremdenfeindlichem Inhalt" sichergestellt. Es handelte sich um die UN - Unabhängige Nachrichten. Der Anlaß war indessen ein in die Januar-Ausgabe eingedrucktes Flugblatt, das ein bekanntes Foto von den Leichenbergen nach dem alliierten Bombenangriff am 13. und 14.2.1945 auf Dresden mit dem Satz versah "Nur die tägliche Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit führt zur Versöhnung", der als "immerwährende Mahnung der Staatslenker der BR Deutschland v. Weizsäcker, Süssmuth, Kohl, Bubis, Herzog" ausgewiesen war. Diese Volksvertreter hielten es offensichtlich für unstatthaft, auf die Unteilbarkeit des Begriffes Kriegsverbrechen hingewiesen zu werden. Aus diesem Vorfall mag erhellen, warum es der Verfasser der Studie über die Unteilbarkeit des Begriffes Menschenwürde vorzieht, ungenannt zu bleiben; selbst ein Pseudonym scheint ihm schon zu indiziös zu sein. Geschehen im dreizehnten Jahr der Regierungszeit des Kanzlers Kohl, der vor seiner Machtübernahme frohlockt hatte, es sei für ihn eine wahre Freude, einen Meinungskampf in einer freiheitlichen Demokratie auszutragen.
Die Menschenwürde ist unantastbar! Wie erfreulich, daß sich unsere Politiker und Meinungsmacher endlich darauf besinnen. Denn seit fast fünfzig Jahren wird diese Menschenwürde in unserem Land in beispielloser Weise mit Füßen getreten. Der Anlaß freilich, weshalb man erst jetzt zu einer Demonstration dafür aufruft, ist makaber: Steine gegen Asylantenheime. Die richten sich nämlich gar nicht gegen die Menschenwürde der Asylanten, sonder gegen deren häufig kriminelles Verhalten, vom Taschendiebstahl angefangen bis zur Vergewaltigung und Rauschgiftmord an Deutschen.
Ganz anders dagegen steht es mit der Menschenwürde des deutschen Volkes, die von denselben Politikern und Meinungsmachern in gröbster Weise mißachtet wird. Oder wie steht es etwa mit der Achtung der Menschenwürde in einem Staat, in welchem dem edelsten Streben des Menschen -dem nach der Wahrheit gerade dort nicht stattgegeben werden darf, wo diese Wahrheit "Geschichtsirrtümer" aufklären und damit die geschundene Menschenwürde des Staatsvolkes Wiederherstellen könnte? Und wie steht es mit der Menschenwürde unserer Soldaten, die in beiden Weltkriegen ebenso heldenhaft wie ehrenhaft gekämpft haben und es sich nun gefallen lassen müssen, in den Schmutz gezogen zu werden?
Wie verhält es sich also mit der Menschenwürde hier und heute in Deutschland?
MENSCHENWÜRDE ALS BEGRIFF
Die Würdelosigkeit der gegenwärtigen deutschen Politik ist immer Thema von Kommentaren der Staatsbriefe ("Waten in Würdelosigkeit", 3/94) und wird von vielen anderen Deutschen in gleicher Weise empfunden. Und das, obwohl das erste Gebot des Grundgesetzes dem Staat die Pflicht auferlegt, die Menschenwürde zu achten und zu schützen.
Allerdings wird diese Menschenwürde nirgendwo definiert, was schon zu einer wahren Inflation von Ansprüchen auf Menschenwürde geführt hat. So gilt häufig schon die Unterbringung in geringwertigem Wohnraum oder die Beschäftigung auf einem schlecht bezahlten Arbeitsplatz als menschenunwürdig - eine völlige Verkennung dieses Begriffs. Denn dann müßten die Zustände in der ganzen früheren Menschheitsgeschichte als menschenunwürdig bezeichnet werden -man denke an die Arbeitsbedingungen oder die primitiven Wohnverhältnisse von einst; bis ins 19. Jahrhundert kannten sogar deutsche Kaiser nur das Plumpsklo…
Artikel 1 GG sollte eine Begriffsbestimmung anfordern, damit klar wird, was eigentlich zu schützen ist. Was also ist Menschenwürde?
Würde schreibt man als einzigem lebendem Wesen nur dem Menschen zu. Es gibt keine Regenwurmwürde, keine Katzenwürde, nur bei einem Löwen wäre man vielleicht bereit, von ihm als einem Tier mit würdevollem Gebaren zu sprechen; man bezeichnet es dann aber doch gewöhnlich als majestätisch, das heißt, als das Auftreten eines Mächtigen. Diese Löwenwürde wird auf rein körperliche Macht reduziert. Was zweifellos nicht mit der Menschenwürde des Grundgesetzes gemeint ist. Diese muß vielmehr etwas mit der Sonderstellung des Menschen in der Schöpfung zu tun haben und kann daher nur auf die Geistigkeit des Menschen abzielen. Diese manifestiert sich in seiner Vernunft und in seinem Ichbewußtsein. Indem er sich selbst als Ich erkennt, schreibt er sich schon aus Gründen der Selbsterhaltung eine Bedeutung zu, um beanspruchen zu können, erhalten zu werden.
Der Mensch erkennt sich aber auch in seiner Geistigkeit und damit als ein durch sie in der Schöpfung herausgehobenes Wesen. Ist er noch religiös, sieht er diese Dimension wiederum letztlich nicht darin, ein im Heideggerschen Sinn in die Welt geworfenes Etwas, sondern Geschöpf Gottes zu sein, das Gott so gewollt hat und als sein Werk geachtet und geschützt, also auch nicht vernichtet sehen will.
Als Geschöpf Gottes hat der Mensch Anspruch, auf dieselben Rechte wie jeder andere Mensch, einen Anspruch, den besonders das Christentum durchsetzte und, wie Felicitas Küble in den Staatsbriefen 3/94 richtig feststellt, entscheidend zur Ächtung der Sklaverei führte. Diese Ächtung trifft man zwar auch in manchen anderen Kulturen, aber weit schwächer. Diese Auffassung von der Gleichwertigkeit des Menschen einerseits und seinem personalen Wert andererseits führte dann auch zu den Artikeln 1 und 3 GG. In den drei Qualitäten, Vernunft, Ichbewußtsein und persönlicher Wert, ruht nun die Menschenwürde.
Aus seiner Natur als Geschöpf Gottes, aber auch von seinem menschlichen Selbstverständnis her als geistiges Wesen ergibt sich zunächst der Anspruch, von seiner Vernunft rechten Gebrauch machen zu können. Dazu zählt unter anderem, das als vernünftig Erkannte über das zu stellen, was sich allein aus der bloßen Anschauung oder gar nur aus Berichten anderer ergibt.
Mit dem Ichbewußtsein, der nächsten Qualität, wird die Auffassung des Menschen als eines sittlich handelnden Wesens verbunden und damit die zentrale Eigenschaft, mit der er sich vom Tierreich abhebt, das zu sittlichem Handeln nicht fähig ist. Denn erst dadurch, daß sich der Mensch als handelnde Person erkennt, kann er auch die Folgen seines Tuns und sich selbst als den Ausführenden erkennen. Denn er kann sagen: Das habe ich getan; ein Tier kann das nicht. Somit ist er fähig zu erkennen, ob er nicht nur praktisch, sondern auch sittlich richtig oder falsch gehandelt hat. Aus dieser Erkenntnis erwächst ihm auch die Fähigkeit, sein Handeln zu steuern und damit seine Sittlichkeit. Zugleich ist die Erkenntnis der sittlichen Bedeutung einer Handlung jedoch auch Vorbedingung, ein Handeln als sittlich einstufen zu können.
Als sittlich handelndes Subjekt gelangt der Mensch schließlich zu seiner dritten Qualität, seiner Personalität, die darin besteht, ein Wesen von geistiger Qualität zu sein.
Der Mensch ist insofern geistiges Wesen, als er von seiner Vernunft rechten Gebrauch machen kann und durch sein Ichbewußtsein zur sittlichen Person wird, Personalität erlangt. Aufgrund dieser Qualitäten - Vernunft, Ichhaftigkeit und Personalität - kommt ihren Menschenwürde zu. Sein religiöser Status als Geschöpf Gottes verleiht ihm die Stellung einer geschützten und zu achtenden Person. Religiös gesehen muß man dann aber auch sagen: Gott war es, der dem Menschen Vernunft und Ichbewußtsein verlieh, damit er von ihnen rechten Gebrauch mache. Wird er daran gehindert, ist das Wider Gottes Willen, weil er damit einer Fähigkeit beraubt wird, die ihm Gott dazu verlieh, daß er von ihr Gebrauch mache. Und letztlich dieselbe Forderung muß aus sittlicher Sicht erhoben werden: Den Menschen am rechten Gebrauch seiner Qualität zu hindern, ist sittenwidrig, ein Verstoß gegen die Geistigkeit des Menschen und damit gegen die Menschenwürde.
DER RECHTE GEBRAUCH DER VERNUNFT
Zum rechten Gebrauch der Vernunft gehört, daß sich der Mensch an der Wirklichkeit des Seins orientiert. Diese Wirklichkeit erkennt er bekanntlich nicht allein durch bloßen Augenschein und auch nicht aus Berichten anderer -was haben nicht Reiseberichterstatter seit Marco Polo und noch früher alles über Menschen und Tiere in damals noch unbekannten Ländern erzählt! Die einzig reale Kenntnis der materiellen Welt vermittelt also erst wissenschaftliches, nachprüfbares Beobachten und Auswerten des Beobachteten; so wie Kopernikus die Sternenbahnen nicht allein durch Beobachten sondern erst durch mathematisches Auswerten des Beobachteten erkannte. Beides gehört also zusammen.
Damit ist aber der rechte Gebrauch der Vernunft noch nicht erschöpft, sondern dazu gehört auch die Fähigkeit, das Erkannte frei und ungehindert mitteilen zu können. Denn erst dadurch, daß viele das von ihnen Erkannte mitteilen und zusammenlegen, gelangt man immer näher an die Wahrheit. Auch Kopernikus hätte sein System nicht entwickeln können, hätte er nicht auf die Mitteilungen anderer - teilweise bereits aus der Antike stammende Berichte - zurückgreifen können.
Die auf diese Weise erhaltene Kenntnis der Wahrheit ist jedoch nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch oft von höchster, existentieller Bedeutung. So stellt man Wächter auf, um durch sie vor Gefahren gewarnt zu werden und sie zu bannen - schon Platon würdigt ihr Amt. Genauso aber konnten sich die Wissenschaften erst durch Sammlung einer Vielzahl von Mitteilungen entwickeln und, darauf aufbauend, heute das Leben einer derart großen Zahl von Menschen ermöglichen. Und selbst die Möglichkeiten zur Geburtenkontrolle und damit die Verhinderung von ansonsten existentiell notwendigen Kriegen zwecks Landgewinnung wurde durch die Wissenschaften erreicht. Wahrheit erhält praktische Bedeutung erst, wenn sie auch mitgeteilt werden kann; das Mitteilen des von der Vernunft Erkannten ist auch unerläßlich für den rechten Gebrauch der Vernunft, macht diesen erst vollständig und führt zu seiner praktischen Bedeutung.
So ist der rechte Gebrauch der Vernunft als einer herausragenden Qualität des Menschen zugleich untrennbar mit dem Gebot der Achtung der Menschenwürde verbunden; ohne diesen rechten Gebrauch kann sich der Mensch nicht voll in seinem Menschsein entfalten; wird er dann behindert, ist das ein Angriff auf sein Menschsein und damit ein Angriff auf seine Würde.
SITTLICHKEIT UND ÜBERZEUGUNG
Sittliches Handeln setzt das Erkennen von Gütern voraus, die bei diesem Handeln geachtet werden sollen. Es bedarf also des Wissens, daß bestimmte Dinge zu achtende Güter seien; aus diesem kann dann die Überzeugung entspringen, diese - als erkennbare Werte - auch schützen zu sollen. Die Treue zu dieser Überzeugung ist dann sittliches Handeln. Dabei kann strittig sein, ob das zu achtende Gut auch für der Wert ist, für den es der Betreffende hält und ob es nicht auch die Möglichkeit von Gefahren in sich birgt.
Die christlichen Märtyrer zum Beispiel standen für die Überzeugung, die Menschheit durch Hinführung zu Christus zu erlösen und zu retten. Man mag über die Richtigkeit dieses Zieles heute streiten, unbestreitbar ist aber, daß vor allem dem heroischen Opfermut dieser Märtyrer der Sieg des Christentums zu verdanken ist. Daß er sich dann, später einmal zur Macht gelangt, selbst oft genug schwerer Vergehen schuldig machte, hindert nicht die Rechtfertigung des Tuns der Märtyrer.
Der Mensch wird also gerade dadurch, daß er um geistiger Werte willen bereit ist, schwerste materielle Opfer zu bringen sittlich handelnde Person: Er setzt das Geistige über das Materielle. Zu diesen geistigen Gütern zählen aber auch Recht, Freiheit, Wahrheit, Ehre. Indem der Mensch für ihre Durchsetzung eintritt, wird er sittlich handelnde Person, beweist er dadurch sein Menschsein. Unterläßt er es hingegen, für diese geistigen Güter oder sonstwelche Werte seiner Überzeugung zu kämpfen aus Furcht vor materiellen Schäden, wird er würdelos, gesinnungslos, macht er sich der Verletzung seiner eigenen Menschenwürde schuldig.
Menschenwürde ist nicht ein Etwas, auf das man Anspruch erheben kann, dessen Achtung man nur von anderen einzufordern braucht, man muß sie auch gegen sich selbst behaupten, sich durch sie in Pflicht nehmen lassen, dafür zu kämpfen'. Notfalls unter Hinnahme von Schäden, an Leib und Leben.
Gerade das will nun Artikel 1 GG verhindern: Daß dem Menschen aus dem Eintreten für geistige Güter, für das, wovon er überzeugt ist, Schaden entstehe; daß er in der Verteidigung seiner Überzeugung nicht mehr zum Märtyrer werden muß. Denn dieser Artikel wurde ja vor allem erlassen im Hinblick auf Maßnahmen des NS-Regimes, das jene verfolgte, die zu einer anderen als der vom Nationalsozialismus vorgegebenen Überzeugung standen. Deshalb muß dieser Artikel heute genauso jene schützen, die eine andere Überzeugung haben, als die obrigkeitlich vorgegebene! Geschieht das nicht, wird dieser Artikel 1 GG verletzt, schützt der Staat nicht mehr die Menschenwürde, sondern macht sich selbst eines Angriffs auf sie schuldig!
Es genügt aber nicht, nur das Äußern einer Überzeugung im stillen Kämmerlein zu tolerieren; es muß auch ihre Verbreitung hingenommen werden, selbst wenn sie der Staatsauffassung widerspricht.
Eine Überzeugung verpflichtet ihren Träger, ihre Inhalte praktische Lebenswirklichkeit werden zu lassen. Dem hat der Staat, will er die Überzeugung eines Menschen - und damit seine Menschenwürde - achten, zumindest solange gerecht zu werden, als diese Überzeugung nicht andere Werte des Grundgesetzes gefährdet.
Auch das Christentum - einst vom Staat genauso verfolgt, wie heute andere Überzeugungen - wäre nie verwirklicht worden, hätte es bloß in der Überzeugung der Apostel bestehen dürfen. Und hätten sich diese nicht gedrängt gefühlt, ihre Überzeugung weiterzugehen. Erst dadurch wurde es zur Weltreligion. Ohne das Christentum aber gäbe es, wie erwähnt, den Artikel 1 GG ebensowenig wie Art. 3 GG und andere.
PERSONALITÄT UND MENSCHENWÜRDE
Der Schutz der Menschenwürde muß jedoch nicht nur für Vernunft und Überzeugung gelten, sondern auch für den Menschen als Person. Das geschieht in einem ordentlichen Gerichtsverfahren nicht zuletzt dadurch, daß hier keine Mittel gescheut werden, um die Wahrheit zu ergründen, um, auf ihr aufbauend, ein gerechtes Urteil fällen zu können. Denn ein ungerechtes Urteil würde den Angeklagten nicht nur materiell schädigen, sondern auch in seiner Ehre und damit seiner Menschenwürde verletzen. Er müßte dann ja in Zukunft den Vorwurf hinnehmen, verwerflich gehandelt zu haben, obwohl dieser Vorwurf nicht zuträfe. Die Pflicht, nach einem gerechten Urteil zu suchen, ist also ebenfalls durch Artikel 1 GG geboten.
Ein gerechtes Urteil setzt aber die Kenntnis der Wahrheit über den Tatbestand voraus. Um diese Wahrheit muß zum Schutz der Menschenwürde gerungen werden und dabei darf - wiederum um der Vernunft willen - ein wissenschaftlich nachprüfbarer Sachverhalt nicht einer nicht nachprüfbaren Zeugenaussage untergeordnet werden. Denn jede Zeugenaussage steht immer unter dem Vorbehalt, möglicherweise die Unwahrheit zu beinhalten. Die Wahrheit läßt sich nur aufgrund einwandfreier wissenschaftlicher Klärung des Sachverhalts ermitteln. Diese aufzuspüren ist unabdingbare Pflicht eines ordentlichen Gerichtsverfahrens. Dabei ist auch gefordert, einen durch Zeugen früher bekundeten Sachverhalt zu überprüfen, wenn sich neue, gewichtige Gründe für eine Falschaussage der Zeugen ergeben. Das gilt vor allem dann, wenn es diese neuen Gründe sind, die den Angeklagten zu seiner Überzeugung geführt haben. Geschieht dies nicht und wird der Angeklagte verurteilt, wird er in seinem persönlichen Rang und damit in seiner Menschenwürde angegriffen. In diesem Fall würde sich der Staat also nicht nur der unterlassenen Achtung der Menschenwürde schuldig machen, sondern diese Menschenwürde selbst verletzen. Daß er dabei den obersten Paragraphen des Grundgesetzes angreift, wäre dessen denkbar gröbste Mißachtung.
Allerdings ist der Staat nicht gefordert, von seiner eigenen Auffassung zu diesen Dingen abzuweichen; er ist nur gehalten, die allgemeine Diskussion darüber zu tolerieren.
WAS IST EHRE?
Nun geht es im Revisionsmusstreit um die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, um die Ehre Verstorbener. Was ist diese Ehre und was hat sie mit Menschenwürde zu tun?
Ein Mann, eine Frau von Ehre ist ein Mensch, der sich dem geltenden Sittenkodex entsprechend verhält. Wurde zum Beispiel früher eine Ehefrau des außerehelichen Verkehrs mit einem anderen Mann beschuldigt ohne dies beweisen zu können, hatte der Ehemann oder ein anderer ihr Nahestehender das Recht und die Pflicht, Satisfaktion zu fordern, also für die Wiederherstellung der Ehre dieser Frau unter hohem persönlichem Einsatz einzutreten. Denn diese Ehre war verletzt durch die Anschuldigung, sie habe sich zu unsittlichem Handeln herabgewürdigt. Damit war ihr Ansehen gefährdet und sie selbst der Mißachtung ihrer eigenen Würde bezichtigt. Ehre ist also das Ansehen eines Menschen, das er als Träger von Menschenwürde beanspruchen kann. Damit ist die Verletzung der Ehre zugleich ein Angriff auf die Menschenwürde. Beides gehört also zusammen.
Hätte sich die Frau tatsächlich dieses außerehelichen Verkehrs schuldig gemacht, wäre sie es selbst gewesen, die ihre Würde preisgegeben; die Anschuldigung hätte zu Recht bestanden. Träger von Menschenwürde zu sein, beinhaltet nicht nur den Anspruch auf ein Recht, sondern auch die Pflicht, diese Würde selbst zu wahren; sie gegen die eigenen Triebkräfte zu behaupten. Seine Würde preisgeben, kann nur der Mensch selbst, der Staat hat die Pflicht, ihm bei der Verteidigung seiner Würde gegenüber anderen mit ganzer Kraft beizustehen, ihn nicht der Entwürdigung preiszugeben.
Der Schutz der Menschenwürde fordert also auch den Schutz der Ehre. Das gilt nicht nur im Fall der Ehre einer Ehefrau, sondern auch dann, wenn ein Mensch möglicherweise wahrheitswidrig beschuldigt wird, ein Verbrechen begangen zu haben. Auch hier wird dem Betroffenen sittenwidriges, ehrenrühriges Verhalten vorgeworfen. Das Zurückweisen einer falschen Anschuldigung ist jedoch auch hier, genauso Wie im Fall der Ehefrau, zugleich eine sittliche Pflicht.
So erweist sich der Mensch auch dann erst als sittlich handelnde Person, wenn er den Mut aufbringt, den materiellen Gefahren zu trotzen, die ihm aus der Zurückweisung einer falschen Anschuldigung möglicherweise drohen, um seine geistige Integrität und seine Würde zu behaupten. Auch diese sittliche Pflicht ist letztlich durch Artikel 1 GG geboten. Er kann die Menschenwürde nur schützen, wenn er den Mut aufbringt, falsche Anschuldigungen zurückzuweisen. Allerdings ist dieser Mut nicht unter allen Umständen gefordert, weil der Staat auch diejenigen repräsentieren muß, die dazu nicht bereit wären.
WER IST DER ANGEGRIFFENE?
Im Revisionismusstreit soll durch die Leugnung bestimmter Verbrechen das Andenken - die Ehre - Verstorbener dadurch verunglimpft werden, daß behauptet wird, sie hätten ihr Leben nicht durch Mord, sondern auf andere Weise verloren. Hier ist nicht ersichtlich, in welcher Weise dadurch der persönliche oder sittliche Wert eines Menschen verletzt wird. Nicht sein Handeln steht in Rede, sondern sein Erleiden eines verbrecherischen Handelns. Letzteres läßt sich nicht mit dem Begriff der Ehre verknüpfen.
Andererseits steht damit aber auch das Andenken jener in Rede, die diese Verbrechen begangen haben sollen; ihre Ehre ist durch eine derartige Anschuldigung bedroht. Es geht also nicht nur um Ehre und Menschenwürde der Opfer, es geht um die gleichen Güter der Täter. Diese aber sind gemäß Art. 3 GG genauso schutzwürdig wie die der Opfer. Hinzu kommen bei den Tätern noch die schweren Haftstrafen, zu denen sie aufgrund der Anschuldigungen in vielen Fällen verurteilt wurden.
Diese Anschuldigung greift aber noch weiter über die persönlich Betroffenen hinaus, sie umgreift alle SS-Angehörigen und auch die Soldaten, die beschuldigt werden, durch ihren Kampf in der deutschen Wehrmacht diese Taten überhaupt erst ermöglicht zu haben. Und schließlich greift sie auf das ganze deutsche Volk über. (Deutschland ist gemäß Michel Friedman das "Land, in dem Millionen Täter aus der Zeit des Holocaust leben." DNZ 21/44). Auch wenn man also verbal eine deutsche Kollektivschuld verneint, wird sie praktisch dennoch allerorten bejaht.
Wir haben wegen Auschwitz die Überfremdung hinzunehmen, wir haben uns als Volk insgesamt zu schämen, unsere ganze Geschichte in Frage zu stellen und überhaupt aufzuhören, uns noch als Volk fühlen zu dürfen. Mit dem Vorwurf wegen Auschwitz wird eine Anschuldigung von ungeheuerlicher Tragweite erhoben. Das muß jeden Angehörigen dieses Volkes ebenso herausfordern, wie der schon genannte Vorwurf gegen eine Ehefrau deren Ehemann oder sonstwie Nahestehenden herausforderte. Denn zur Verteidigung einer Gemeinschaft ist letztlich jeder verpflichtet, der ihr angehört.
GEISTIGE WEHRPFLICHT
Wenn eine Gemeinschaft jeden ihrer Angehörigen schützen soll, dann muß auch jeder dieser Angehörigen an dem Schutz mitwirken. Denn nur dann kann die Gemeinschaft die zu diesem Schutz unerläßliche Macht aufbieten. Dem trägt zum Beispiel die Wehrpflicht Rechnung, die ja jedem gegebenenfalls das allerhöchste Opfer, das Leben, abfordert. Es drückt sich aber auch aus im Amtseid der Regierenden, der sie verpflichtet, für das Wohl des deutschen Volkes einzustehen (und auch für die Wahrung des Grundgesetzes!).
Dieser Amtseid erhält jedoch nur dann seinen eigentlichen Sinn, wenn er eine für alle Bürger gültige sittliche Norm setzt. Denn die Regierenden allein waren ja gar nicht in der Lage, dieses Wohl aus eigener Kraft zu bewirken, könnten sie sich nicht auf die gleiche Gesinnung der Summe aller Bürger stützen. Erst in diesem Zusammenwirken läßt sich dann das Wohl der Gemeinschaft herbeiführen.
In diesem Sinne ist es durchaus richtig, wenn heute darüber diskutiert wird, ob nicht die Aufforderung zum Gemeinsinn im Grundgesetz verankert werden soll. Er ist im Prinzip schon in dem Bekenntnis zur Wehrpflicht und im Amtseid der Regierenden gefordert - nur muß man diesen Gemeinsinn wesentlich höher ansetzen als jetzt beabsichtigt ist. Denn Gemeinsinn beweist man nicht dadurch, daß man einem Asylanten die Hand drückt, Gemeinsinn beweist vielmehr, wer das Wohl seiner Gemeinschaft im Auge hat. Aus dieser Sicht erhält dann auch der Gemeinsinn - gegenüber Einzelnen - seine richtige Zuordnung.
Soll also eine Gemeinschaft bestehen und innerlich gefestigt sein, muß jeder auch das Bewußtsein haben, für sie als Ganzes mitverantwortlich zu sein. Erst aus dieser Verantwortlichkeit für das Ganze erhält die Verantwortung auch für jeden Einzelnen ihren richtigen Ort. Um diese Verantwortung für das Ganze geht es auch im Revisionismusstreit.
Hier ist - Kollektivschuld ja oder nein - die Gemeinschaft als Ganzes angegriffen durch einen äußerst schweren Vorwurf. Ist damit also nicht auch jeder Einzelne aufgerufen, sich dem zu stellen? Aufgerufen aufgrund des Bewußtseins eines jeden, sich seiner Gemeinschaft zugehörig zu fühlen? Denn dieses Bewußtsein der Zusammengehörigkeit ist Voraussetzung, um diesen Vorwurf überhaupt als für sich geltend anzuerkennen und sich betroffen zu fühlen. Oder warum sonst sollte man sich denn betroffen fühlen, wenn man sich dieser Gemeinschaft überhaupt nicht zugehörig fühlt? Muß dann aber nicht auch die Möglichkeit bestehen, diesen Vorwurf auch gründlich und sachgerecht zu prüfen, um dann gültig entscheiden zu können, wie man sich zu ihm zu verhalten habe? Und sollte sich dann bei dieser Prüfung vielleicht herausstellen, daß der Vorwurf nicht glaubwürdig sei, besteht dann nicht andererseits auch die Pflicht, die Gemeinschaft dagegen in Schutz zu nehmen? Besteht da nicht eine Art geistiger Wehrpflicht, analog der physisch-militärischen, die doch auch fordert, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen? Hat denn diese militärische Wehrpflicht überhaupt einen Sinn, wenn ihr nicht die geistige gleichwertig an die Seite gestellt wird? Denn ein Land ist doch nicht nur von militärischen Gefahren bedroht, sondern auch von anderen, geistigen und politischen. Und fordert die Wehrpflicht nicht auch den ganzen Mann; kann man den auf seinen Einsatz mit dem Gewehr beschränken oder gehört dazu nicht ebenso die geistig-sittliche Kraft dieses Mannes?
Das sind Fragen, die sich jedem aufdrängen, der sich eingehend damit befaßt. Und jeder hat zumindestens das Recht, das so zu sehen und zu seiner Überzeugung zu machen. Und die Anschuldigung, ein Verbrechen begangen zu haben, ist ja auch eine Art Angriff auf die politisch-sittliche Natur des Menschen, den man ähnlich zu behandeln hat wie einen militärischen Angriff. Die erste Reaktion kann in diesem Fall nur darin bestehen, den Vorwurf mit allen verfügbaren Mitteln sachgerecht zu prüfen, also auch gemäß dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Forschung.
Der Staat hat nicht das Recht, das zu behindern, auch das wäre eine Verletzung der Menschenwürde, indem der Mensch im Gebrauch seiner Vernunft, seiner kognitiven Fähigkeiten, behindert würde. Und sollte dann die gewissenhafte Prüfung eine Gegenreaktion gebieten, dann müßte den Betreffenden auch die Möglichkeit eingeräumt werden, seine Erkenntnis bekannt zu machen. Oder wie anders könnte er sonst jener geistigen Wehrpflicht genügen?
Es ist jedenfalls nicht Aufgabe des Staates, irgendwelche Vorgaben hinsichtlich behaupteter Sachverhalte zu machen. In einem freien Staat muß es vielmehr jedermann unbenommen bleiben, sich sachgerecht zu informieren und dazu ist es auch nötig, Informationen anbieten zu können; anders wäre eine sachgerechte Information unmöglich. Gleicherweise steht dem Staat nicht das Recht zu, Bußpflichten vorzuschreiben, selbst wenn er sie aus seiner Sicht der Dinge ableitet. Es ist der Bürger, der von sich aus zu entscheiden hat, ob er zu büßen habe oder nicht; auch diese Entscheidung kann er gültig nur treffen, wenn er sich zuvor sachkundig gemacht hat.
WAS IST DAS GRUNDGESETZ NOCH WERT?
Wir haben ein Grundgesetz mit Anspruch auf Achtung seiner Regeln. Es räumt dem Einzelnen eine sehr hohe Stellung ein und diese darf der Staat nicht beliebig einengen, ohne sich selbst gegen die Verfassung zu vergehen. Diese hohe Stellung des Einzelnen ruht in der von der Verfassung als erstrangig herausgehobenen Bedeutung der Menschenwürde, die mit allen Konsequenzen zu achten ist. Leider geschieht das nicht. Und so wie bei der Menschenwürde gilt das auch für zahlreiche andere grundlegende Verfassungsinhalte nicht.
So haben sich zum Beispiel die Parteien eine Machtstellung geschaffen, die der von der Verfassung vorgegebenen - die Parteien wirken an der politischen Willensbildung des Volkes mit - bei weitem nicht mehr gerecht wird. Die Parteien beherrschen heute den Staat total - ein klar verfassungswidriger Zustand. Die Parteien haben auch den Begriff des Volkes - mit dem eindeutig das deutsche Volk gemeint ist, weil es damals noch kein anderes hierzulande gab -aus ihren Parteiprogrammen eliminiert und ihn in die Nähe einer rechtsextremen Vokabel gerückt. Obwohl doch laut Grundgesetz alle (!) Staatsgewalt von eben diesem Volk auszugehen hat, dem man freilich noch immer die im zweiten Teil von Art. 20,2 GG vorgesehenen Volksabstimmungen zum vollständigen Vollzug der Staatsgewalt verweigert, obwohl auch das grundgesetzwidrig ist, wie aus Art. 146 GG hervorgeht, der für grundsätzliche Fragen wie die Verabschiedung einer endgültigen Verfassung zwingend die Volksabstimmung vorschreibt.
Man hebelt das Grundgesetz offenbar so lange aus, bis das Volk nicht mehr in der Lage sein wird, eine endgültige Verfassung zu verabschieden. Das nicht zuletzt dadurch, daß es überfremdet ist und in seiner ursprünglich gegebenen Form überhaupt nicht mehr besteht! Ebenso ist auch der millionenfache Mißbrauch des Asylrechts verfassungswidrig, weil mit dem Amtseid der Regierenden unvereinbar. Und ähnlich schlecht steht es mit der nach Art. 3 GG geforderten Gleichheit vor dem Gesetz, die heute dahin entwertet ist, daß zwischen linken und rechten Deutschen, ausländischen und deutschen Straftätern teilweise krasseste Unterschiede gemacht werden. Und nicht anders steht es mit dem schwer geschundenen Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit.
Vor allem aber gilt es hinsichtlich des Amtseides der Regierenden, der selbst von hochrangigen Richtern - zumindest im privaten Gespräch - zur bloßen Absichtserklärung herabgestuft wird. Dabei ist doch dieser Amtseid der einzige Artikel des Grundgesetzes, der eine Verantwortlichkeit der Regierenden für das Volk nachdrücklich festlegt und dessen Entwertung auch einer der Gründe ist, weshalb sich nun auch die Bürger kaum noch für das Wohl des Volkes einzusetzen bereit sind. Was letztlich zum Zusammenbruch jeden inneren Zusammenhalts und damit des Gemeinwohls führen muß.
Es bedarf keiner Anmahnung an den Gemeinsinn, es bedarf der Anmahnung der Treue zum Amtseid und seiner sinngemäßen Übertragung auf die Pflichten eines jeden Bürgers gegenüber der Gemeinschaft! Wenn die Regierenden ihre Pflichten gegenüber der Gemeinschaft wieder ernst nehmen, Wird das Volk diesem Vorbild folgen; verweigern sich dem die Regierenden, darf man vom Volk nichts Besseres erwarten!
Und wenn gar Verfassungspatriotismus gefordert Wird, dann muß ihr Verfassungstreue vorausgehen. Und zwar zuerst von den Regierenden, den Mächtigen im Lande. Eine Verfassung lebt von der Treue der Regierenden zu ihr - ist diese nicht vorhanden, stirbt die Verfassung! Und mit ihr das geistig-sittliche Rückgrat des Staates. Denn was nützen Gesetze, wenn sie nicht eingehalten werden? Treue zur Verfassung tut not - auf Punkt und Komma genau. Und mit allen Konsequenzen!
Das Schielen auf das Ausland enthebt nicht von dieser Pflicht. Zumal dieses Ausland Verfassungstreue durchaus respektiert - siehe Bundeswehreinsätze im Nicht-Nato-Gebiet. Das Ausland war nicht unbeteiligt an der Aufstellung des Grundgesetzes; das weiß man dort sehr gut und wird sich hüten, Treue zu eben diesem Grundgesetz zu mißbilligen. Nichts steht also der Treue zum Grundgesetz im Weg - es sei denn die Charaktermängel der Regierenden.
Quelle: Staatsbriefe 6(2) (1995), S. 28-32