WOLFGANG STRAUSS / ES WAR EINMAL EIN FOTOGRAF
Von Besuchern der "Wehrmachtsausstellung" bin ich über die Herkunft beziehungsweise Authentizität der Greuelfotos gefragt worden (Erschießung von Partisanen, am Galgen aufgehängte Frauen). Die Aussteller geben die Herkunft dieser Fotos fast ausnahmslos wie folgt an: "aus der Brieftasche von gefallenen Soldaten", "unbekannter Ort", "kriegsgefangenen deutschen Soldaten abgenommen".
Im Herbst heuer besuchte mich ein russischer Publizist. In seinem Gepäck befanden sich zerknitterte sowjetische Zeitschriften und Bildbände aus der Zeit des Krieges und kurz danach. Zu meinem Erstaunen entdeckte ich eine Reihe von Schreckensfotos, die auch in der "Wehrmachtsausstellung" zu sehen sind. Als Fotograf oder Finder dieser Bilder ist Chaldej angegeben, Kriegsberichterstatter der Sowjetarmee. Oder einfach nur die Initialen: TASS (J. A. Ch.).
Mein russischer Besucher klärte mich auf. Parteimitglied und Held der Sozialistischen Arbeit Jewgenij Ananjewitsch Chaldej sei der berühmteste, am meisten ausgezeichnete Armeefotograf der Nachrichtenagentur TASS gewesen, eingesetzt ab Juni 1941, nicht direkt an der Front, sondern im Hinterland oder in den wiedereroberten Gebieten; ein gefeierter Starreporter des Persönlichkeitskults, der nach 1945 zum Dank für Tapferkeit und Können die Mächtigen der Sowjetunion porträtieren durfte, Stalin eingeschlossen.
Das Geniale an der Fotokunst dieses Chaldej bestand darin, getürkte Bilder als originäre Schnappschüsse in die sowjetische und internationale Öffentlichkeit zu lancieren, dafür Rubel und Stalinpreise zu kassieren. Einen Türken bauen heißt, laut Duden, etwas vortäuschen. Krasser ausgedrückt: etwas falschen, die Lüge als Wahrheit deklarieren. Auf diesem Propagandasektor war dieser Künstler des Kleinen Volkes ein Meister, ausgerüstet mit einer Kamera aus dem Kombinat Flexi Dzerschinski. Der Name Chaldej steht also nicht für Echtheit, Glaubwürdigkeit, Zuverlässigkeit. Getürkte Fotos Chaldejs gingen um die Welt, tauchten in Schulbüchern, Museen, historischen Wälzern auf, auch als Briefmarken.
Lange nach den letzten Schüssen in Berlin ließ der Altmeister bolschewistischer Lichtbildpropaganda eine eigens aus erbeuteten Reichskanzlei-Tischtüchern geschneiderte rote Flagge mit Hammer, Sichel und Stern über dem Reichstag hissen. Faschistischer Stoff Für Stalins Siegesfahne. Getürkt auch die anderen Siegesbilder auf dem Flughafen Tempelhof, in den Trümmern von Sewastopol, Budapest, Belgrad.
Apropos Sewastopol. Das getürkte Flaggenhissen auf den Wällen der Festung, irgendwann im Mai 1944, lange nach der Erstürmung, zeigt alle Attribute einer Opernkulisse im Bolschoi. Es fehlt weder die obligatorische Rauchfahne im Hintergrund noch ein Trupp sauber gekleideter Matrosen, die ihre Revolver in die Luft knallen.
Das gestellte Flaggenhissen über Sewastopol findet man auf Seite 411 des Carell-Bildbandes "DerRußlandkrieg. Fotografiert von Soldaten" (Ullstein 1967). Von deutschen Soldaten gewiß, nicht aber von russischen; diese vertrat der Türkenbauer Chaldej, was, so darf man höflicherweise vermuten, Paul Carell nicht gewußt haben wird bei der Zusammenstellung des Bildbandes. Wurde der deutsche "Barbarossa"-Chronist getäuscht? Fiel auch er auf das Türken herein?
In der Einführung betont Carell, er habe niemals das Mittel der Montage oder eine falsche Zuordnung von Fotos benützt, um dann fortzufahren: "Ich habe versucht, das Bild nur als verbürgte Quelle zu verwenden: wo, wann und wenn nötig wie gemacht! Denn das Foto kann ein trügerischer Genosse sein. Wer kein sorgfältiges Quellenstudium betreibt, kann darüber getäuscht werden, ob eine Szene echt oder gestellt war; ob Zeit und Raum richtig angegeben sind; ob die Original-Bildbeschriftungen einen bestimmten Zweck im Auge hatten und welchen! Bis auf den heutigen Tag wird mit dem Fotozeugnis durch die Hintertür inkorrekter Beschriftungen Mißbrauch getrieben. Wir haben versucht, alles Fragwürdige in jedweder Form auszuschalten ob es immer gelungen ist?" (S. 9 f.)
Im Fall Chaldej ist es ihm nicht gelungen. Im Bildnachweis wird weder Chaldej noch TASS erwähnt; als einzige so Wietische Quelle taucht Nowosti auf, gleich mit 66 Fotos und die meisten stammen von Chaldej. Man erkennt sie am typischen Chaldej-Stil. Zum Beispiel auf Seite 121 im Carell Buch: durch die Straßen von Kalinin marschieren im Gleichschritt Rotarmisten in einer langen Reihe, wohlgenährte Riesengestalten in Pelzen, Filzstiefeln, Schneemänteln, drapiert im Vordergrund getötete deutsche Landser, erbärmliche Gestalten in Sommeruniformen, Gesicht nach oben, zwischen den Leichen eine Stielhandgranate. Was dieses Bild aussagen soll, ist auch dem Analphabeten klar. Bolschoi-Theater, letzter Akt der Stalinoper "Die unschlagbare Armee". Oder Chaldejs Stalingrad-Bilder, gleichfalls durch die Welt gegangen: stürmende Wattejacken mit Maschinenpistolen im Anschlag, vom Feind weit und breit keine Spur. Wie auf dem Exerzierfeld, präpariert für den Frontreporter Chaldej.
Was Chaldejs Bilder suggerieren wollen, springt dem Betrachter ins Auge. Sowjetarmisten sind unbesiegbar, sogar unsterblich, sie sind satt, warm gekleidet, sie sind immer auf dem Vormarsch (das Jahr 1941 hat es nicht gegeben), sie lächeln und hissen dauernd Fahnen, sie sind die glücklichsten Soldaten der Welt, denn ihr Woschdj heißt Stalin.
Ihre Feinde aber sind Hungergestalten, sie frieren sogar im Sommer und fressen russische Erde, sie vergewaltigen Genossinnen, bajonettieren Mütter, braten Kinder, sie kämpfen schlecht, sie sind feige, nur durch Zufall sind sie zur Wolga gelangt, sie sind so, wie Ehrenburg sie beschrieben hat. Untermenschen. Von Chaldej stammt kein einziges Bild der Begegnung zwischen deutschen Soldaten und russischen Bäuerinnen, von deutschen Soldaten beim Gottesdienst in orthodoxen Kirchen, denn es ist nichts Menschliches an den Deutschen, sie sind schlimmer als Raubtiere, in Woronesch hängen sie ein unschuldiges Mädchen am ausgestreckten Arm des eisernen Lenin auf die Deutschen muß man austilgen.
Das ist die Botschaft von Jewgenij Ananjewitsch Chaldej. Seinen abgrundtiefen Deutschenhaß, der nicht slawischen Ursprungs ist, rechtfertigt Stalins Lieblingsfotograf aus dem Kleinen Volk mit dem Verlust von Familienangehörigen während des Krieges.
Nach Stalins Tod starb auch Stalins Fotograf, ein Mephisto im Gedächtnis der Veteranen und im Geschichtsbild einer dissidentischen Generation. Vergessen und verarmt, kam zum Achtzigjährigen der Tod im Oktober 1997. "Der Kommunismus ist intellektuell tot und hat keine Gläubigen mehr", schrieb Leszek Kolakowski 1960. Den geistigen Untergang des Kommunismus konnten die getürkten Siegesbilder Chaldejs nicht aufhalten. Was falsch ist und Lüge, hat keine Daseinsberechtigung. Noch reist herum die "Wehrmachtsausstellung" der Heer und Reemtsma. Da dürfen Falschheit und Lüge, Deutschenhaß und Untermenschen-Ideologie noch einmal triumphieren. Für ihre Infamie erhielten die Türkenbauer von Hamburg die Carl-von-Ossietzky-Medaille. Am 4. November beschlossen Sozialdemokraten und grüne Achtundsechziger im Bonner Stadtparlament, im Oktober nächsten Jahres in der Beethovenhalle die nach 1945 deutschenfeindlichste Ausstellung zu zeigen. Mit Getürktem aus dem Arsenal Chaldejs.
Vielleicht fällt Solschenizyn dazu etwas ein. Von den Greueln der einmarschierenden "Befreier" in Ostpreußen hat er keine Fotos gemacht, er besaß vermutlich keine Kamera. Aber seine Anklagegedichte sind in die russische Freiheitsliteratur eingegangen.
Am 11. Dezember heuer wird Alexander Solschenizyn 79 Jahre alt. Der russischen Nationalkunst machte er ein Geburtstagsgeschenk: er stiftete einen mit 25 000 Dollar dotierten Literaturpreis, der im April nächsten Jahres verliehen werden soll. Jene, die dem Deutschenhaß eines Chaldej huldigen es sind nur wenige , brauchen sich keine Hoffnungen zu machen. Auch nicht der fleißige Memoirenschreiber Boris Jelzin. In seiner Rundfunkansprache vom 7. November 80. Jahrestag der sogenannten Oktoberrevolution erinnerte Jelzin an den "russischen Sieg". Er meinte tatsächlich die Niederkämpfung und Zerstückelung Deutschlands, bezahlt mit dem Leben von 30 oder 40 oder gar 50 Millionen Russen, erkauft mit der Verlängerung der Tyrannei um 46 Jahre.