WOLFGANG STRAUSS / DEUTSCH-RUSSISCHE AFFINITÄTEN
Panzerjäger der Müncher 7. Infanteriedivision fanden im Winter 1941 in einem russischen Flüchtlingstreck einen halberfrorenen, ausgehungerten siebenjährigen Jungen. Sie nahmen sich seiner an, sorgten dafür, daß er sich satt essen konnte und wieder zu Kräften kam. Der so vor dem Verhungern und Erfrieren Gerettete blieb noch lange in der Obhut seiner faschistischen Betreuer. Ihm wurde eine Wehrmachtsuniform angeschneidert, und der Bub versuchte sogar, Bayerisch zu lernen. Er hieß Jurij Gagarin, der erste Mensch, der am 12.April 1961 die Erde in einer Raumkapsel umkreiste.
Nach dem Scheitern des Unternehmens Zitadelle, Juli 1943, brach die sowjetische Gegenoffensive los. Auch im Nordabschnitt der Heeresgruppe Mitte. Bei Kirejkowo wurden die Württemberger der 25. Panzergrenadierdivision berannt. Oberleutnant Hans-Jörg Kimmich versuchte, den Ring um das Waldlager zu sprengen. Als er im Kessel anlangte, beschwor ihn inständig der Führer der Gefangenenkompanie, ein russischer Hauptmann: "Pan, gib uns Gewehre!" Kimmich mußte sich schnell entscheiden, er händigte dem Russen Waffen und Munition aus. "Der Hauptmann enttäuschte mich nicht", erinnerte sich Kimmich. "Er und seine Leute kämpften erbittert an unserer Seite, zuletzt mit Kolben und Seitengewehr. Ich glaube nicht, daß einer überlebt hat oder daß einer übergelaufen ist. Mehrere fielen neben mir, auch der Hauptmann."
Als Flakoffizier war Lorenz Treplin im Verband der niedersächsischen 13. Panzerdivision 1942/43 im Kaukasus eingesetzt. Über die Schlachten dort und über die Gastfreundschaft der russischen Zivilbevölkerung schrieb Treplin ein halbes Jahrhundert später ein inzwischen in 3. Auflage erschienenes Dokumentationsbuch unter dem Titel »Mein Feldzug" Ohne sein Zutun wurde das Buch 1996 im Universitätsverlag der nordkaukasischen Stadt Pjatigorsk herausgebracht, übersetzt ins Russische vom Dozenten Iwan Loboda. Die erste Auflage war bald vergriffen. Eingeladen zur Vorstellung des Buches in der dortigen Universität und im Haus der Freundschaft, erlebte Treplin am 16. September 1996 Überraschendes. "Die Übersetzung war den Besuchern bekannt", berichtet der ehemalige Flakoffizier. "Mich anrührende Ehrengeschenke nach der Buchpräsentation im Haus der Freundschaft und briefliche Reaktionen später vermittelten mir das Gefühl, nicht umsonst die Reise angetreten zu haben, im Gegenteil."
Als die Wehrmacht ab 1943 kämpfend zurückwich, von Schlüsselburg im Norden bis Taganrog im Süden, fand gleichzeitig eine Volksabstimmung mit den Füßen statt. Russische, ukrainische, weißrussische Bauern, später auch Esten und Litauer, flüchteten mit den Deutschen nach Westen. Eine Völkerwanderung neben den Heerstraßen des Großen Rückzuges. Hundertausende. Sie verloren die Heimat, aber eines wollten sie nicht verlieren, den Schutz der Wehrmacht. Jene Wehrmacht, die in der Ausstellung der Heer und Reemtsma als eine Bande von Räubern und Henkern vorgeführt wird. Was damals Realität war und in der Erinnerung der Enkelgeneration fortlebt, will diese antideutsche wie antislawische Ausstellung austilgen. Das wahre Bild der Wehrmacht bleibt dennoch ein Aktivposten im Geschichtsbewußtsein und in der Erwartungshaltung der Völker in der ehemaligen UdSSR.
Nordwestlich von Pjatigorsk liegt Krasnodar, Stützpunkt der Kubankosaken. In der Stadt Labinsk in der Krasnodar Region lebt und wirkt Sergej Rasumzew, Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche und einer der Kaderpersönlichkeiten der Russischen Patriotischen Partei, gegründet vom Historiker und Publizisten Boris Mironow. Im Herbst vorigen Jahres erhielten die Staatsbriefe die Zeilen: "Wir, Vertreter der russischen nationalen Bewegung, sind der Ansicht, daß das Motto ,Nationalisten aller Länder, vereinigt euch!' heute aktueller denn je ist." In einem Brief vom 17. November 1997 bestätigt Pater Rasumzew, daß die Staatsbriefe in "unseren patriotischen Kreisen gut bekannt sind", Kopien wichtiger Artikel bekomme er von Gesinnungsgenossen aus ganz Rußland. "Wir sind auch fest davon überzeugt, daß Rußland und Deutschland eine hervorragende Rolle im Kampf gegen den gottlosen Amerikanismus und für die Erhaltung der christlichen Kultur und Religion spielen werden", versichert der Geistliche. Seinen Brief schließt Rasumzew mit dem Satz: "Mit fester Entschlossenheit und im Glauben an unseren endgültigen Sieg, den Sieg der beiden großen Nationen . . ."
Welch ein Deutschlandbild in den Augen der Kriegsgegner von einst! Das genaue Gegenteil diktiert Johannes Willms den Lesern der Süddeutschen Zeitung. Im Leitartikel vom 23. Dezember brandmarkt Willms, einer der Intelligenzijapäpste der SZ, neben Joffe und Prantl, das "sehr wehrmachtsmäßige Verständnis vom Soldatentum" im Offizierskorps der Bundeswehrheute. Versackt der 1955 gestartete "radikale Neubeginn« für eine »eigene Tradition". Das Ideal des Staatsbürgers in Uniform welche einem "ebenso elitären wie reaktionären und demokratiefeindlichen Kommißgeist". Womit die Wehrmacht gemeint ist.
Jene Wehrmacht, die gerade bei den Rückzugsschlachten im Kaukasus 1943 eine Leistung zeigte, auch in den Augen der Russen, wie sie die Kriegsgeschichte noch nicht kannte. Der Kampf im Kaukasus und im Kuban-Brückenkopf war ein Kapitel des Krieges, in dem sich Tapferkeit und Hingabe von Offizier und Mann manifestierten, und zwar nicht nur an der Waffe, sondern ebenso mit dem Spaten, neben Pferd und Muli. Die Wehrmacht zeigte sich hier besonders eindrucksvoll in ihrer fortschrittlichen Struktur, frei von sozialen Schranken und Vorurteilen, frei von Kommißgeist und Kadavergehorsam. Sie war die einzige Armee derWelt, in der Offfiziere und Mann die gleiche Verpflegung teilten. Der Offizier war nicht nur Vorkämpfer, sondern auch "Vorarbeiter", der durch seinen selbstverständlichen Einsatz in der Trägerkolonne oder an derZugmaschine das Vorbild zur Überwindung der Erschöpfung gab. Eine von diesen Einheiten war die im Westkaukasus eingesetzte 46. Infanteriedivision, Franken, Oberpfälzer und Sudetendeutsche.
In einem Memoirenband "Der Krieg der Partisanen" (1997) erinnert Milovan Djilas an die "heroischen Spuren" der Wehrmacht auf dem Rückzug gegen Ende des Krieges in Montenegro. »Auf dem langen, einzig offenen Weg von Griechenland an die Drina stießen die Deutschen auf ein völlig verödetes Land, auf zerstörte Brücken, feindliche Einheiten... Die Deutschen räumten Schneewehen an den Gebirgspässen, stürmten felsige Gipfel und machten Umgehungsstraßen passierbar. Ausgehungert und halbnackt. Die Jagdbomber der Alliierten entdeckten sie ohne Schwierigkeit und übten ihre Manöver an ihnen: bequem, den ganzen Tag lang - auf kahlen Plateaus, an Flußübergängen... Der Kraftstoff ging ihnen aus; ihre Fahrzeuge brachen zusammen oder wurden zerstört. Man erzählte uns, daß sie die Schwerverwundeten, die sie nicht mehr mitnehmen konnten, töteten. Sie nahmen das Vieh und alles Eßbare, das sie fanden. Und sogar schäbige, ausgediente Bauernkleidung. Dies nahm ihnen niemand übel. Denn sie behelligten keine Zivilisten und zündeten keine Häuser an. Und sie kamen durch, im Gedächtnis des feindlichen Volkes eine Spur ihrer kriegerischen Menschlichkeit hinterlassend."
Reaktionärer Kommißgeist? Es gibt für die Deutschen ein moralisches Kapital im nachkommunistischen Osten. Das Kapital heißt "Wehrmacht".
II
Nicht von ungefähr will Gouverneur Alexander Ruzkoj deutsche Bauern und Techniker in seine Kursker Provinz holen. Als Vorbilder für seine darbenden Landsleute beim Wirtschaftsaufbau. Rußlanddeutsche aus Kasachstan sollen hier eine neue Heimat finden, von Zeiss Jena erhofft er sich den Bau eines Chirurgie-Zentrums, von Siemens wünscht er sich die Errichtung eines internationalen Flughafens.
Jelzins Ex-Vize, nach dem Zusammenschießen des Weißen Hauses 1994 Häftling in Jelzins Gefängnissen, bewundert die Deutschen. »Wie gern würde Ruzkoj Arm in Arm mit ihnen sein malades Territorium in Ordnung bringen", berichtet Moskau-Korrespondent Jörg R. Mettke in einer Spiegel-Reportage." Seine fünf DDR-Jahre bei der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte nennt er die ,schönste Zeit' seines Lebens, schwärmt von Sauberkeit, Disziplin, Pflichterfüllung." (1/1988).
Die Götter von einst hat der heute christlich-orthodoxe General radikal ausgewechselt; nicht mehr Marx, Engels, Lenin, sondern, man staune, Friedrich Nietzsche. »Beim Militär hat Ruzkoj das Befehlen gelernt, vom Deutschen Friedrich Nietzsche das Weltbild. Respektiert werde nur der Starke; ein Schwacher errege allenfalls Mitleid, zitiert er diesen ,genialen Gedanken' des Meisters aus Sachsen."
Vor 1135 Jahren riefen die Russen, zerstritten, führungslos und am Ende ihres Regierungslateins, die Normannen ins Land, die Waräger. Die Brüder Rurik, Sineus, Truvor. »Unsere Erde ist groß und reich, aber Ordnung herrscht bei uns nicht; kommt und herrscht über uns." Und die Waräger blieben, begründeten eine achthundertjährige Dynastie. Eine germanische, im Bunde mit den Ostslawen. Ukrainische und russische Reichsgeschichte begann mit den herbeigerufenen Germanen. Diesem Wendepunkt widmete die neo-slawophile Wochenzeitschrift Russkij Westnik (Russischer Bote) die Titelseite in Nr.33-34 1997. General Ruzkoj wird es gelesen haben.
Ich lese gerade Briefe und Memoiren der deutschen Diplomaten Karl und Kurd von Schlözer am Hofe der Zaren Nikolaj I., Alexander II., Alexander III. Wohin man sich auch wendet, man stößt auf deutsche Namen. Am Hof, im Militär, in der Reichsverwaltung, im Hochadel, in der Kultur. Nesselrode, Stieglitz, Lieven, Pahlen, BenckendorEf, Korff, Hagemeister, Diebitsch, Adlerberg, Borch, Weymarn, Tiesenhausen, Struve. Die Kaiser des Russischen Reiches nach Peter dem Großen, deutschblütig; ihre Staatsdiener, Deutsche. Außenministern und Kanzler Graf von Nesselrode entstammte niederrheinischem Uradel, der Livländer Fürst Lieven war Kurator der Universität Dorpat, Friedrich von Smitt war der herausragende russische Reichshistoriker in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, Alexander Stieglitz gründete die Russische Reichshank und finanzierte den Bau der russischen Eisenbahnen.
Nichts ohne die Deutschen. Selbst am Ende der deutschslawischen Herrschaftssymbiose, am Vorabend der Revolution von 1917, glänzte die Dekadenz mit deutschen Namen. Ilja Repin hat sie porträtiert, zu sehen in der Tretjakowskij Galerie. Maria Löwenfeld, Natalja Nordmann, Barbara Ixkul von Hildebrandt. Schönheit aus einer versunkenen Welt. Seinen Lebensabend verbrachte der aus dem Kosakentum hervorgegangene russische Malerfürst mit einer Deutschen, Mary Chlopuschina, geborene Paur. Das Bild der rätselhaften blonden Frau überlebte Aufstieg und Niedergang des bolschewistischen Kulturnihilismus.
Nietzscheaner Ruzkoj ist Bauernkind, Soldat, Autokrat. Zurück zu den Rurikiden? Die gibt es nicht mehr in Germanien. Nach streng historischen Quellen ist Rurik identisch mit dem jütländischen Wikinger Rorik aus dem Geschlechteder Skioldunger. Ein Berserker, Weiberheld, Räuber, Eroberer, eben ein Krieger nach den Vorstellungen des 9.Jahrhunderts. Übel berüchtigt bei den christianisierten Franken, galt Rorik als "Galle der Christenheit". Immerhin kam er bis Nordrußland, und die Ostslawen waren damals Heiden. Wer von denen, die heute in Bonn, Berlin, Hamburg, München regieren, darf sich, im Geiste, als Nachfahre des Wikingers Rorik betrachten? Der Russe Ruzkoj wird lange warten müssen.
III
"Der bezeichnendste Charakterzug der Deutschen ist vor allem der, undeutsch sein zu wollen", schreibt der ungarische Essayist Laszlo Földenyi in der Süddeutschen Zeitung vom 14. Januar 1998. Mit "den« Deutschen meint er vor allem die Meinungsmacher aus der Mediennomenklatura, also auch Herausgeber und Redakteure der SZ. "Nirgends in Europa erlebte ich einen solchen Grad an nationaler Zerrissenheit. Und nirgends traf ich auf ein solches Maß an Selbsthaß wie in Deutschland.«
Überall in Deutschland? Der Ungar kennt nicht das uckermärkische Lychen, ein Ort von knapp 3 000 Einwohnern, wo eine arbeitslose Hausfrau den Verein "Osteuropahilfe" ins Leben rief. In einem Städtchen Brandenburgs, wo jeder vierte arbeitslos ist, wo die Land- und Forstwirtschaft am Boden liegt. Das Symbol Lychen bezeugt dreierlei: Lebenskraft und Selbsthilfe der einfachen Brandenburger, eine deutschslawische Verbundenheit jenseits aller Politik, die Vitalität jener Russen und Ukrainer, die trotz Hunger und Elend überleben wollen, in Freiheit.
Hoch klingt das Lied von der braven deutschen Frau, die im ukrainischen Cherson zwei Lumpenkinder entdeckte; in einer Novembernacht schliefen sie neben einem Soldatendenkmal, wärmten sich an der ewigen Flamme. Die Frau, die ihnen Kleider und etwas zu essen brachte, kam aus Lychen. Und sie kommt immer wieder, zusammen mit den hundert Aktiven ihres Hilfsvereins, Mitgliedsbeitrag 24 Mark im Jahr.
Diese Brandenburger, meist Arbeitslose, Abgewickelte, kümmern sich in Zyropinsk um ein Heim für zweihundert schwerstbehinderte Kinder. Und um andere Kinderheime, Waisenheime, Altenheime, wo die Menschen zur Winterszeit in ungeheizten Räumen vegetieren, ohne Warmwasser zum Waschen, selbst die Kleidung wird mit eiskaltem Wasser und ohne Waschpulver gesäubert.
Die Lychener richteten eine Suppenkoche ein für alte Menschen, die weder Rente noch Angehörige haben. Die Jugend der Helfer aus der Uckermark war im Vergleich zum Wohlstandsland BRD arm, aber sie waren glücklich, glücklicher als die heutige hedonistische Generation, weil sie mit einer alten deutschen Volkstugend aufwuchsen: Solidarität. "Samaritergeist" nannte man es früher.
Was für ein Volk - aber das gilt auch für Russen, Ukrainer, Weißrussen.
Man könnte sich die Zustände dort überhaupt nicht vorstellen, bemerkt die Brandenburgerin in ihrem Tätigkeitsbericht. Ein sozialer Absturz, wie wie ihn diese Völker noch nie erlebt haben, ausgenommen die Grauensepochen von Bürgerkrieg und Weltkrieg. Sie habe viele arme Menschen auf der Straße betteln sehen, weil sie sich nicht ein Stückchen Brot kaufen konnten. »Ich erinnere mich an den zweiten Besuch bei einer 79jährigen blinden Frau, die keine Angehörigen hat. Sie erkannte mich sofort an der Stimme, klammerte sich schon an der Tür an mich und hat geweint, wie ein kleines Kind. Sie hatte schon zwei Tage nichts gegessen. Später habe ich dann auf dem Markt eine 89jährige Frau gesehen, die in ihrer Tasche ein paar Kohlblätter hatte und um Geld für Brot bat. Ich habe ihr dann etwas Geld gegeben und mir ihre Adresse sagen lassen. Am Nachmittag bin ich dann mit einem schönen ,Westpaket' zu ihr gegangen. Der Besuch war sehr erschütternd. Die Oma hatte in der Ecke viele Ikonen. Sie hat Gott für jedes Päckchen Nudeln und alles, was ich so ausgepackt habe, gedankt. Mehrmals hat sie den Fußboden geküßt. Ich, äußerlich sonst ein harter Mensch, habe hinter ihr gestanden und geheult.«
Und nach einem zweiwöchigen Aufenthalt im Behindertenheim von Cherson, August 1994: "Viele der Kinder waren so verwachsen, daß ich mich kaum gewagt habe, hinzusehen." Alle Invaliden würden die gleiche Rente bekommen, umgerechnet 37 Mark. "Das reicht nicht einmal für die Miete. Es sind einfach Überlebenskünstler dort. Alle arbeitenden Menschen haben schon monatelang keinen Lohn bekommen. Wovon leben sie? Es ist mir ein Rätsel.«
Vom ungebrochenen, rational nicht zu fassenden Lebenswillen der Ukrainer zeugt der selbstlose Einsatz der unbezahlten Schwestern, Betreuerinnen, Lehrer in den überfüllten Waisenhäusern ("sie gelten auch als Waisen, wenn sich die Eltem schriftlich von ihnen losgesagt haben«). In einem Heim, in dem es für mehr als 200 Kinder nur noch 20 Tassen gibt, erlebte die Brandenburgerin das Weihnachtsfest, ukrainisch ,Jolka". Dieses Fest sei für sie etwas ganz Besonders gewesen, auch deshalb, weil sie das "einmalige Verhältnis« zwischen Erwachsenen und Kindern beobachten konnte.
"Ich denke, es arbeiten nur Betreuer und Lehrer mit Herz dort. Märchen haben die Erwachsenen für die Kinder aufgeführt... Sehr schöne selbstgenähte Kostüme. Wir haben ja zwar nicht viel verstanden, trotzdem war es einfach herrlich. Wenn es dann eine Pause gab, hat der l5jährige Valeri Musik gemacht und zwar ganz flotte, und Kinder wurden von ihren Betreuern gleich von ihren Plätzen geholt und zum Tanzen aufgefordert. Mit welchem Eifer und mit Rhythmus sie tanzen, ist sagenhaft. Kinder ohne Arme, ohne Beine, Kinder, die auf Knien tanzen oder im Rollstuhl sitzen und sich bewegen und total glücklich sind... Nach diesem Konzert gab es dann noch für alle eine Überraschung. Wir hatten nämlich 80 Tortenböden, 80 Dosen Pfirsiche und Sprühsahne aus Deutschland mitgenommen, so daß sich sechs Kinder immer eine Torte geteilt haben."
Freude am Leben, in tiefster Not, singen und tanzen und das wenige brüderlich teilen, nur optimistische, moralisch gesunde, religiös verwurzelte, nationalbewußte Völker vollbringen das Wunder. In diesem Geist überlebten die Ukrainer eine dreihundertjährige Finsternis. In der deutschen Nachkriegsfinsternis ein Hoffnungsversprechen auch für unser Volk, denn es ist noch nicht verloren. Es gibt viele Lychen. Brandenburg ist überall, wenn das deutsche Vaterland Retter, Erlöser braucht. "In den Staub mit den Feinden Brandenburgs", ruft Kleist im Prinzen von Homburg.
Lychen und die deutsch-slawische Bruderschaft, trotz "Wehrmachtsausstellung" ein Stern an Europas Himmel. Man könne die Zukunft nicht voraussehen, schreibt die brave Frau. "Vielleicht wird auch hier in unserem kleinen Lychen einmal eine Armenküche nötig werden." Der Tag scheint nicht fern. Wenn die Deutschen das Barrikaden bauen verlernt haben sollten, wenn der Ruf "Steht auf, wenn ihr arbeitslos seid!« ungehört verhallt, wenn die Pest der Arbeitslosigkeit die berüchtigte 6-Millionen-Grenze überschreitet (summa summarum sind es bereits so viele), dann helfen nur noch Armenküchen. Oder auch nicht.
P.S. Für Spendenwillige: Sparkasse Uckermark, Konto-Nr. 35 510025 08, BLZ 170560 60
IV
Die Flut anti-deutscher Äußerungen und Provokationen in der Tschechei hat in Rußland kein Pendant. Dem Mann von der Straße ebenso wie dem Politikerist Deutschenfeindlichkeit fremd. Beherrscht wird die russische Öffentlichkeit von einem Aufschäumen des Antiamerikanismus, wie er in dieser Explosivität seit 1993 - Zertrümmerung des Weißen Hauses durch Jelzin-Söldner und US-Berater - nicht mehr zu beobachten war. Am Pranger der Medien, der Volksmeinung und der Duma stehen die kriegslüsternen, araberfeindlichen Vereinigten Staaten.
Die russische Schmerzgrenze ist erreicht. "Die USA sind heute ein Weltgendarm, der den ganzen Planeten mit Gewalt und Dreck überzieht", erklärte im Parlament KPRF-Chef Sjuganow; ausnahmsweise sind auch die Gegner der Kommunisten dieser Meinung. Während drinnen die Abgeordneten die USA angriffen, hielten draußen Tausende von Demonstranten Plakate in die Höhe: "Heute der Irak - morgen Rußland." Selbst Jelzin, am Dollartropf hängend, reihte sich ein in die Anti-USA-Front. Seinen Freund Bill warnte er vor einem Weltkrieg. Die Regierungszeitung verglich Bagdad mit Hiroschima, nachdem in den Medien Berichte über geplante Atomschläge gegen den Irak erschienen waren. Die radioaktive Verseuchung durch den Abwurf amerikanischer Atombomben könnte auch Rußland treffen, schrieb die Rossijskaja Gaseta. Die liberale Nowoja Iswestija urteilt am 5. Februar: "Um die demokratischen Werte zu schützen, haben die USA-Truppen nach Panama oder Grenada geschickt. Um mit dem Regime Saddam Husseins fertig zu werden, droht man dem Irak mit einem nuklearen Bombenschlag."
Auf dem Hintergrund einer aggressiven Zuspitzung im russisch-amerikanischen Verhältnis kann man die Diagnose wagen, daß Amerikas Lieblinge in der Kreml-Nomenklatura, die Chicago-Boys Nemzow, Tschubajs, Beresowski, aus dem Rennen um die Nachfolge Jelzins ausgeschieden sind. Die Schüler des amerikanischen Monetarismuspapstes Milton Friedman haben keine Chance, das Vertrauen des vom Raubkapitalismus geknebelten russischen Volkes zu erhalten. Der Vorwurf "amerikafreundlich" wirkt heute tödlich.
Wer auch immer im Jahre 2000 (oder schon früher) den Präsidententhron besteigt, er wird gewungen sein, Rußlands Außenpolitik einer fundamentalen, ja fundamentalistischen Umkehr zu unterziehen, in der Erkenntnis, daß Rußlands einziger und wahrer Verbündeter Deutschland ist. Nicht die sieche Melkkuh von Bonn, sondern das wieder zu erstehende Deutsche Reich in Berlin, wobei zur politischen, diplomatischen, wirtschaftlichen Wiedererstarkung der Zentralmacht Europas ein nationalrussisches Rußland beitragen kann, ja beitragen muß, will es seine eigenen Interessen europaweit durchsetzen - in Zusammenarbeit mit dem neuen Deutschland.
Eine Voraussetzung dafür wäre die Konkretisierung von realistischen Plänen für eine deutsch-russische Zukunft Ostpreußens. An der territorialen Rückgabe Ostpreußens aus dem Beuterest der Sowjetunion führt kein Weg vorbei für ein nationales, mit Deutschland verbündetes Rußland. Die Fortdauer von Annexion und Okkupation ist keine Grundlage für eine deutsch-russische Partnerschaft im 21.Jahrhundert. Kennzeichnend für die absurde Haltung Moskaus zu Ostpreußen ist die Tatsache, daß Präsident Jelzin und Premier Tschernomyrdin es ablehnen, der Stadt Königsberg ihren alten Namen zurückzugeben. Sie heißt weiterhin Kaliningrad, in der der Gebrauch der Sprache Kants amtlicherseits verpönt ist. Kalinin war ein Vollstrecker Stalinscher Völkerverbrechen, darunter die blutige Deportation der Wolgadeutschen. Will Jelzin als Nachfolger Kalinins enden?
Außenpolitisch und militärisch ging es dem Russischen Imperium, begründet von Peter dem Großen, gut, solange deutsche Fachleute eine führende Rolle spielten, vor allem im militärischen Bereich. Das bezog sich auf das 17. und 18. Jahrhundert sowie auf die Napoleonische Ära. Nach der Angliederung der Ostseeprovinzen waren die Rittertraditionen des deutsch-baltischen Adels in der jungen russischen Armee gefragt. Viele russische Kaiser, die in der preußischen Armee ein Muster zur Nachahmung sahen, waren bestrebt, Elemente der deutschen Kultur, hauptsächlich aus dem Militärbereich, auf den russischen Boden, und da vor allem auf Petersburg, zu übertragen, was der Stadt den Charakter einer deutsch-russischen Militärmetropole verlieh. St. Petersburg war mehr deutsch und mehr militärisch geprägt als jede andere Stadt Rußlands.
Die Europaisierung Rußlands vollzog sich unter dem Vorzeichen des preußischen Kriegsgottes; seit Friedrich dem Großen nennt man die Deutschen "Fritzen". Ein weiterer Grund für die überdurchschnittliche Präsenz der Deutschen in der Petersburger Garde-Garnison waren Mut, Organisationstalent und Disziplin ihrer Offiziere, deren gute Ausbildung ihren Einsatz an Militärschulen, im Generalstab, in den Chefetagen des Kriegs- und des Marineministeriums rechtfertigte. In Petersburg lebten und leisteten ihren Dienst Münnich, Meller, Sakomelski, Diebitsch-SaLalkanski, Wittgenstein, Lütke, Barclay de Tolly und andere deutschstämmige Feldmarschälle und Admirale. Die Abwehr der napoleonischen Invasion war ihr Verdienst. Je höher Rang, Amt, Verantwortung, desto größer die Zahl deutscher Abstammung.
Berühmt wurde die Antwort des Generals Jermolow auf die Frage von Zar Nikolaj I., welche Auszeichnung sich der Eroberer des Kaukasus wohl wünsche: "Ihre Majestät, machen Sie mich zu einem Deutschen."
Sollten diese historischen Fakten Jelzin unbekannt sein, unbekannt auch den geschichtsbewußten Generälen Lebed und Ruzkoj?