WOLFGANG STRAUSS / EIN SOLDATENTRYPTICHON

WEHRMACHTSFREI

Nach 1989 ist der "Osten" von der Geschichte entsorgt worden, und der Antibolschewismus ist legale Realität. Eine Ausnahme im "Westen" bildet die Süddeutsche Zeitung, wo den Hinterbliebenen eines welthistorischen Zusammenbruchs ein antideutscher Reflex ins Gehirn gebrannt ist. Realitätsverweigerung, die Deutschenschmähung und Wehrmachtsverhöhnung gebiert.

Die Hexenjagd führen an Heribert Prand, Christoph Schwennicke, Maxim Biller. Letzterer, ein aus dem Böhmischen nach München verschlagener Vielschreiber, ortet die "Horden endkampfbereiter, hitlerverliebter HJ-Jungen" als Haupttätergruppe beim "Genozid". Ein Charakteristikum der westdeutschen Nachkriegsliteratur sei es gewesen, behauptet Biller, den deutschen Frontsoldaten von der Anklage, als "Mörder" gehandelt zu haben, freizusprechen.

Ach, die Süddeutsche… Rudolf Walther interpretiert die Nation als Identität mit "Ausgrenzung von Fremden und Farbigen" (2. März). Heribert Prantl attackiert den Lauschangriff, weil dieser die "modernste Form der Zensur" sei (2. Februar). Gegen eine Zensur revisionistischer Werke und Zeitschriften hat der Ex-Staatsanwalt Prantl selbstverständlich gar nichts einzuwenden.

Prantl, eine Draculafigur. Im amerikanischen Thriller "Das siebte Zeichen" sieht man einen Unheilsbringer, der bei einem jungen Paar einzieht, das gerade ein Kind erwartet. Der Schauspieler im Film heißt Jürgen Prochnow, mit Prantl weder verwandt noch verschwägert. Er verkörpert den Typus eines Todesengels, des Zerstörers, Kulturnihilisten; doch die Rolle ist verwandt mit Prantl, der in die Medienterminologie die nihilistische Keule "wehrmachtsfrei" eingeführt hat (3. Februar).

Am späten Nachmittag des 1. Dezember 1934 betrat ein junger Mann den Smolny, das Hauptquartier der Kommunistischen Partei in Leningrad, in der dritten Etage versteckte er sich, und als Sergej Kirow auf den Flur trat, schoß er ihm mit einem Revolver in den Rücken. Zwölf Stunden nach Kirows Ermordung war Stalin, der Anstifter des Attentats, in Leningrad und befahl die ersten Säuberungen. 24 Stunden später kehrte Stalin nach Moskau zurück, wo Kirows Leiche für das Staatsbegräbnis aufgebahrt war. Abwechselnd hielten Mitglieder des Zentralkomitees in der Säulenhalle des Gewerkschaftshauses die Totenwache, darunter auch jene, die auf dem 17. Parteitag Kirow unter frenetischem Beifall als "Liebling der Partei", als kommenden Führer der Leninisten gefeiert hatten, während bei der ZK-Wahl mindestens 300 Stimmen gegen Stalin abgegeben wurden. Die Sowjetpresse berichtete, daß Stalin beim Anblick des Leichnams so bewegt schien, daß er vortrat und den Toten auf die Wange küßte. Dann vollzog sich ein Ritual, wie es typisch wurde für die heraufdämmernde Atmosphäre des Terrors.

Tausende von Moskauern trugen sich in das Kondolenzbuch ein mit dem Bekenntnis: "Ich war hier!" Dieser Satz scheint eine makabre Faszination zu besitzen. 64 Jahre nach der Ermordung Kirows, 45 Jahre nach dem Verröcheln Stalins, sieben Jahre nach dem Untergang des Bolschewismus findet man die Eintragung "Ich war hier!" im Gästebuch der sogenannten Wehrmachtsausstellung. Der Stalinismus hat überlebt in der Form des medialen Psychoterrors. Eine beliebige Ausgabe der Süddeutschen Zeitung bestätigt es. Der Faschismusvorwurf wirkt heute genauso tödlich wie der Trotzkismusvorwurf zu Stalins Zeiten.

Jüngst bekamen es Wolfgang Hübner, Rathaussprecher der Nürnberger CSU, Michael Kaiser, Geschäftsflihrer der Nürnberger CSU-Fraktion, und Professor Franz W. Seidler von der Bundeswehrhochschule München denunziatorisch zu spüren: Kollaborateure von "ausgewiesenen Rechtsextremisten" - Vor allem im Fall Seidler sticht die Parallele zum Stalinschen Terror ins Auge. Nach dem Tod Kirows übten sich Parteifunktionäre in allen möglichen Institutionen in vor auseilender Unterwürfigkeit. Eine Denunziationswelle überschwemmte die GPU. Dem gleichen Ritual fiel im März 1998 der deutsche Militärhistoriker Seidler zum Opfer; drei Professoren des Historischen Instituts der Bundeswehr-Uni München -Wolffsohn, Demel, Niehuss - stellten ihren Kollegen an den Öffentlichen Pranger (FAZ, 11. März).

Die Süddeutsche, in der Rolle einer demokratischen PRAWDA, frohlockt, und die Süddeutsche säubert. "Rechtsextreme unterwandern die Bundeswehr" lautete die Schlagzeile vom 16. Februar. Einen Tag später sieht Prantl-Wyschinski die Bundeswehr von "braunen Banden" erobert. Sie funktioniere wie ein Treibhaus für braune Gewächse ("es herrschen Bedingungen, die Rassismus und Nationalismus gedeihen lassen"). Am 5. März wird ein kategorisches Verbot der Traditionspflege gefordert, die Umwandlung in eine Fremdenlegion, der auch Ausländer beitreten können, gehe es doch nicht um Verteidigung von Nation und Vaterland, sondern um die "westliche Zivilisation". Mit Ausländern sind natürlich nicht Russen gemeint. Diese sind nach Meinung von Christoph Schwennicke gleichfalls faschismusverdächtig. Deutsch-russische Veteranentreffen brandmarkt dieser Prantl-Adept in einer SZ-Reportage vom 3. Februar.

Der Psychoterror der Süddeutschen Zeitung zeigt Wirkung bei den "Bürgerlichen" oder "Konservativen". Den jüngsten Jahresbericht von Claire Marienfeld (CDU), der Wehrbeauftragten des Bundestages, könnte Prantl geschrieben haben, und beim Welt-Kommentar von Rüdiger Moniac (5. März) ist Prand sicher vor Neid geplatzt. Gymnasiallehrer a. D. Volker Rühe las er etwa die Geschichte der erfolgreichen Säuberung der Roten Armee 1937/38, bevor er sich für die Einführung von Gesinnungsprüfungskomitees in der Bundeswehr stark machte? Fragen wie "Haben Sie sich schon einmal an einer Schlägerei beteiligt?" oder "Haben Sie einem Skinhead die Hand gereicht?" entscheiden über die Verteidigung der westlichen Wertegemeinschaft.

Was der Hamburger Unglücksrabe vor allem bräuchte, in seiner Fragebogenkommission, wären Leute wie Aldous Huxley und George Orwell. Sie könnten ihm beibringen, wie aus einer paranoiden Demokratie eine terroristische Demokratie entsteht. Rühes Bundeswehr hat nur noch eine Zukunft: die negative Utopie à la "1984" Von Hannes Heer wird der Satz kolportiert, er habe manchmal "alles hinschmeißen", "auswandern" wollen. Und wenn schon. Seine nihilistische Saat ist aufgegangen. Würden auch die Prantl auswandern? Wohl kaum. Stalin ließ einen Kirow ermorden; schlimmer sind jene, die den Stolz und das Traditionsgefühl der besten Armee der Welt liquidieren wollen.

Welche militärischen Leistungen er am meisten bewundere, wurde Deutschlands prominentester Sportmediziner vom FAZ-Magazin gefragt. Olympia-Arztjoseph Keul: "Kapitulationen". Tapferkeit, Opferbereitschaft, Anständigkeit seien nicht ausschlaggebend "für eine Armee in der Demokratie" auf die politische Einstellung käme es an, schreibt ZEIT-Reporter Hans Schueler (12. März). Kapitulationsbereitschaft, Feigheit, politisches Lakaientum, die Haupttugenden einer "Armee in der Demokratie"?

Ist eine entsolidarisierte, egoistische, von einem schweren Anfall hysterisch-histonscher Verwirrung heimgesuchte Gesellschaft überhaupt verteidigungswert? Wäre da die beste Lösung tatsächlich die Kapitulation? Staunen muß man über den Parforceritt der Wehrbeauftragten Clalre Marienfeld. Als Allheilmittel gegen die "politisch-moralische Desorientierung junger Soldaten" fordert sie eine Planübererfüllung bei "politischer Bildung in der Truppe". Das gleicht einem Ritt gegen Windmühlenflügel. Nie sei die "Interessenlosigkeit gegenüber politischen Zusammenhängen" so groß gewesen wie heute, klagt die CDU-Dame. Um so unverständlicher ihr Festhalten an einem Strohhalm. Wichtiger noch als die militärische und sportliche Ausbildung des Soldaten ist nach Ansicht von Frau Marienfeld die ideologische Indoktrination. Jeder Soldat muß jene Werte kennen", trommelt Claire, "für deren Sicherung und Verteidigung er notfalls sein Leben einsetzen soll."

Doch welche Werte? Die von Gewalt geprägten Slums in Berlin-Mitte und München-Hasenbergl? Eine Kultur der Verwahrlosung, Entwurzelung, Kriminalität? Die Türken-Ghettos in Kreuzberg, dem verkleinerten Istanbul? Eine "Kultur der Political Correctness", wie sie der grüne Abgeordnete Cem Özdemir fordert? Eine Kultur des neokommunistischen Antifaschismus, einer der niederträchtigsten Ideologien der Menschheitsgeschichte? Der gemeinsame europäische Konsum- und Kapitalmarkt zum Nutzen der Großbanken? Kohls "europäische Idee", von der SZ-Wirtschaftsredakteur Winfried Münster feststellt, es gebe sie überhaupt nicht?

Sind das die "Werte", die von deutschem Kanonenfutter bis zum letzten Blutstropfen verteidigt werden müssen? Karzinome eines sich auflösenden, innerlich zerfallenen, zerrissenen Staates ohne Ziel, Ethik oder gar Visionen. Für Kultursoziologen ist der Nihilismus ein interessantes Phänomen; als Objekt der Verteidigung, Hingabe eignet sich der Nihilismus nicht.

EIN OFFIZIERSBRIEF AUS KAPSTADT

1.12.1997

"Wer von unserer Wehrmacht noch lebt, soll sich in einer untrennbaren Bruderschaft sehen. Dann haben wir einen weiten Spielraum der Ansichten - besser sind genaue Einsichten in die Dinge, Erkenntnisse also -, solange der Kerl nur anständig ist. Und somit werden nüchterne Gedanken über Alles uns Angehendes - ich sage: wirklich Alles - ausgetauscht und betrachtet werden. Für uns kommt eine staatliche neue Zensur nicht infrage.

Gefunden in der Brusttasche des am 31. Januar 1942 gefallenen Kompanieführers der 2./Pz.Jäger Abt. 269:

›Wenn einmal die ganze Welt zerschlagen wird,
In Staub zerfällt am jüngsten Tag nach Gottes Rat.
Dann bleiben auf den Trümmern stehn
Und werden sich ins Auge sehn
Der ew'ge Gott und der Soldat.‹

Dieses absolute Selbstbewußtsein mußte entstehen, wenn man die Front mit zwei Mann auf hundert Meter und bei 30 bis -50' C hielt. Die Katastrophe drohte damals unmittelbar, wie wir ja wissen. Da steht dem Täter Gott der bewahrende Schützer gegenüber, der Soldat.

Hier im Lande werden wir nach dem baldigen Abgang Mandelas vermutlich schwere Zeiten erleben. Die im ANC eingebettete kleine und disziplinierte kommunistische Partei dürfte sich mit ihren Mitläufern vorübergehend durchsetzen. Doch nach dem Zusammenbruch der USA werden dann auch hier die ja erzwungenen Strukturen nachgeben und - noch - lebendigen politischen Kräften weichen müssen, wie auch anderswo z. B. in Europa.

Ich habe kürzlich in den USA die zunehmenden inneren Schwierigkeiten des unverschämten Gouvernantenstaats beobachtet. Wir werden das Unvorstellbare in historisch ganz kurzer Zeit erleben. Schön wird das für niemanden sein."

EISERNE KREUZE IN DER ZEIT

Tapfere Soldaten braucht ein Land, das überleben will. Am 14. Mai 1940 liest Emigrant Arthur Koestler in einem französischen Zug eine Nummer von L'Epoque: "Bei de rWiedereroberung eines Außenforts von Sedan haben unsere Truppen eine Tapferkeit gezeigt, die der glorreichen Tage von Douaumont würdig ist." Erschrocken teilt Koestler dies seinem Freund Joliot-Curie mit. "Sie sind bei Sedan!" "Bei Sedan? Du träumst. Ich wußte nicht, daß du so ein paniquard bist." Als Koestler das Laboratorium verläßt, ist eben der Paris-Midi erschienen. "Wir haben Sedan geräumt", flammte auf der Titelseite. "Das war der Augenblick", notierte Koestler später, "in dem der Stuhl unter uns zusammenbrach."

Am 15. Mai, um 7 Uhr 30, wird Churchill geweckt. Am Apparat ist Paul Renaud. "Wir sind besiegt worden!" schreit der französische Ministerpräsident. "Wir sind geschlagen! Wir haben die Schlacht verloren!" Churchill: "Das kann doch nicht so schnell gegangen sein?" Renaud, der englisch spricht, antwortet: "Doch. Die Front ist in der Nähe von Sedan durchbrochen, sie stürmen mit großen Mengen Panzern durch." In der Nacht zum 20. Mai stoßen Österreicher von Oberstleutnant Spittas Bataillon der 2. Wiener Panzerdivision von Abbeville die Somme hinunter und erreichen Noyelles an der Atlantikküste, nicht weit von dem Schlachtfeld von Crécy aus dem Hundertjährigen Krieg (Eduard III., 1346). Die hundemüden Panzerbesatzungen füllen sich die Lungen mit Seeluft, in zehn kurzen Tagen haben sie 350 Kilometer zurückgelegt und die Elite der alliierten Armeen eingekesselt.

Am 2. März 1998 erläutert in Bonn die Wehrbeauftragte Clalre Marienfeld ihren Jahresbencht. In Kasernen habe sie umfangreiche militär-historische Ausstellungen vorgefunden, Wehrmachtsuniformen, Orden, Landkarten mit Truppenbewegungen im Zweiten Weltkrieg. "Ohne Einordnung in den geschichtlichen Zusammenhang", kritisiert die Marienfeld. So gebe es in einer Sammlung Truppenzeitungen von 1941 mit den entsprechenden Schlagzeilen zum Vormarsch der Wehrmacht im Osten.

Ohne Einordnung in den geschichtlichen Zusammenhang? Die CDU-Politikerin scheint William S. Shirer nicht gelesen zu haben, einen Antifaschisten par excellence. 1941 erschien in London dessen "Berlin Diaiy 1934-1941 " Die Moral der deutschen Truppe sei "phantastisch" gewesen, schreibt Shirer. "Ich erinnere mich an eine Pionierkompanie, die unter feindlichem Feuer eine Pontonbrücke über die Schelde schlagen sollte. Die Männer ruhten am Wildrand und lasen die neueste Nummer der Soldatenzeitung Westfront. Ich habe nie Männer gesehen, die so nonchalant in eine Schlacht gingen, obwohl einige von ihnen sie bestimmt nicht überleben würden."

Weder in der Zahl noch in der Qualität der Panzer wäre die Wehrmacht den Alliierten 1940 überlegen gewesen, konstatiert Englands Kriegshistoriker Nummer ein, Alistaire Horne ("To Lose a Battle: France 1940", 1969). In der Gesamtzahl ihrer Panzer waren die Briten und Franzosen überlegen; 3200 gegen knapp 2400 deutsche. Die Franzosen besaßen mit ihrem neuen 33-Tonnen-Tank B und dem schnellen Somua (20 Tonnen) die besten aller Panzer im Jahre 1940, während das Gros der deutschen Panzerdivisionen aus den leichten Kampfwagen I und II bestand. Bekanntlich jedoch kommt es nicht auf das Material, sondern den Menschen an. Auf die Kampfmoral des Soldaten. Diese Erkenntnis ist auch ein Teil der (illegalen) Traditionspflege in den von Frau Marienfeld inspizierten Truppenteilen.

Was also bleibt von der "Einordnung in den geschichtlichen Zusammenhang"? Keinem ex-sowjetischen, keinem russischen oder ukrainischen Militärhistoriker von heute käme es in den Sinn, einer geschichtlichen Tatsache zu Widersprechen: Daß bis zum Oktober 1941 das Baltikum, ganz Weißrußland, die West- und Zentralukraine, große Teile der Ostukraine und des westlichen Kernrußlands von der Wehrmacht erobert worden waren. Oder anders formuliert: aufgegeben von der Roten Armee. Eine Niederlage Stalins, die, wie man weiß, nicht nur militärische, sondern vor allem politische, psychologische, auch ideologische Gründe hatte. Verständlich, daß das Wissen über "geschichtliche Zusammenhänge" wie diese in Bundeswehrkreisen "gepflegt" wird.

Eine verklemmte Traditionsangst in der politischen Etage der Bundeswehr scheint jetzt, unter dem Trommelfeuer von STERN, SZ, taz, in puren Traditionshaß umzuschlagen. "Die Amerikaner haben in diesem Jahrhundert zweimal die Welt vor den Feinden der Freiheit gerettet", behauptet Claudius Seidl in der Süddeutschen Zeitung vom 6. März. Die Amerikaner… Ihre Kreuzzüge sind, soweit uns bekannt, in den Traditionsräumen der Bundeswehr nicht präsent.

Daß es dann gekommen ist, darf nicht verwundern. Auf die Wehrmachtsausstellung eine Öffentliche Reaktion der Verhöhnten, ein moralischer Aufstand der Lebenden stellvertretend für jene, die sich nicht mehr wehren können.

Gemeint sind die In-memoriam-Anzeigen mit dem Eisernen Kreuz, abgedruckt in überörtlichen Tageszeitungen. Angehörige gedenken ihrer im Krieg Gefallenen, sie beklagen und klagen an die Ignoranz des heutigen Staates. Zwei Beispiele aus der Frankfurter Allgemeinen am Ostersamstag. Ein Angehöriger des ehemaligen Panzer-Artillerieregiments 89 gedenkt seiner Kameraden von der 24. Panzerdivision, untergegangen in Ostpreußen, April 1945. "Sie opferten ihr Leben für das Vaterland, das heute die Verunglimpfung seiner Soldaten duldet." In der anderen Anzeige erinnert ein Sanitäts-Rat "an die dreihundertundsiebzig deutschen Kriegsgefangenen, die von 1944 bis 1949 in meiner Gegenwart verstorben sind und in einem Massengrab bei Kurinowa/Kiew liegen."

Und auch damit war zu rechnen: mit der Gegenreaktion auf diese Reaktion. Eingeleitet wurde sie von Klaus Harpprecht in der Hamburger ZEIT vom 8. April 1998. Gegen eine Wiedergabe dieser Beschimpfung sträuben sich Stil und Ehrgefühl. Eine Obszönität wie diese verweigert sich der Beschreibung. Eine fast zweitausendjährige christliche Tradition, das lebensnotwendige Nichtvergessen um die Toten, ist als menschliches Bedürfnis in der Redaktion eines Helmut Schmidt und einer Gräfin Dönhoff aufgebraucht. Für Harpprecht war die Wehrmacht, analog der Ausstellungstendenz, eine Verbrecherbande, folglich verdienen ihre Soldaten statt des Eisernen Kreuzes einen Kreuzhieb ins Genick. Warum sich Harpprecht von den Todesanzeigen negativ angesprochen fühlt, bleibt unklar; es ist ja nicht sein Vaterland, für das junge deutsche Soldaten ihr Leben geopfert haben. Es erhebt sich die Frage, ob dieser Mann, der einmal mit dem Kulturkonservationen Hans-Egon Holthusen, den Kulturlinke nur den "SS-Mann" nannten, befreundet war, überhaupt noch ein Vaterland besitzt. Nach seinem langen US-Aufenthalt hat er es verloren. Heute gehört auch für ihn laut pc-Terminologie der Begriff "Vaterland" ins dunkle Reich des Mystischen, Reaktionären, Faschistoiden - in der Bonner Republik zumindest.

Aus der gleichen ZEIT-Ausgabe erfährt man, daß es in der alten BRD mehr als 20 000 Spione, Spitzel, Einflußagenten der Stasi gegeben hat. Parlamentarier, Redakteure, Publizisten, Historiker. Mögen im einzelnen die Beweggründe sehr verschieden gewesen sein, ein Motiv war den meisten gemeinsam: der deutsche Selbsthaß. Nachdem Untergang der Stasi ist er nicht untergegangen. Pathologische Phänomene sind zählebiger als politische Regime. Der ZEIT-Artikel Klaus Harpprechts beweist, daß der seit 1918 andauernde ideologische Bürgerkrieg in Deutschland im Eisernen Kreuz ein neues Prangerobjekt gefunden hat.


Quelle: Staatsbriefe 9(4) (1998), S. 17ff.


Zurück zum Staatsbriefe-Menü