WOLFGANG STRAUSS / WEHRMACHTS-EPOPöEN
Oberst Bernhard Gertz, Vorsitzender des Bundeswehrverbandes, erklärte im März, 43 Jahre nach Gründung der ersten demokratischen Armee in Deutschland gebe es Rekruteneinheiten und Offiziersschulen, in denen man sich "mehr mit der Tradition der Wehrmacht" als mit der Tradition des Parlamentarismus beschäftige. Für die Journaille schien dies der Startschuß zur Säuberung der Idole der Gründerzeit zu sein, Auch Alibi-Personen ("Widerständler"), nach denen Kasernen der frühen Bundeswehr benannt wurden, gelten nicht länger als Tabus. Man darf sie von nun an als "Vollstrecker" bezeichnen.
*
Zu den politischen Köpfen der deutschen Militäropposition im Zweiten Weltkrieg zählte Generalmajor Henning von Tresckow. Von ihm stammte das revolutionäre Projekt, eine Befreiungsarmee aus 200 000 slawischen Freiwilligen zu mobilisieren, in der Erkenntnis, daß das bolschewistische Unterdrückungssystem nur dann zu schlagen sei, wenn man sich mit dem russischen Volk verbünde, eine russische Gegenregierung unter einer volkstümlichen Persönlichkeit bilde und dieser Regierung zu einer Freiheitsarmee aus Russen verhelfe.
Zu diesem Zeitpunkt - Anfang Oktober 1941 - ging die Doppelschlacht von Wjasma und Briansk ihrem Ende entgegen (663 000 Gefangene). Tresckow, damals Ia bei der Heeresgruppe Mitte, hatte zusammen mit Oberst v. Gersdorff, seinem Ic, dem Heeresgruppenbefehlshaber Feldmarschall von Bock den Auftrag abgerungen, ein Projekt für die russische Befreiungsarmee zu entwerfen. Mit der Ausarbeitung beauftragte Tresckow einen persönlichen Freund aus dem Stab der Heeresgruppe, den Hauptmann der Reserve Wilfried Karl Strik-Strikfeldt, Chefdolmetscher bei Bocl". Der Vierzigjährige war Baltendeutscher, stammte aus Riga und hatte während des Ersten Weltkriegs als junger Offizier in der Zarenarmee gedient, ein Mann, der gegen sich selbst ungeheuer rücksichtslos war, besessen von einer Idee, die er im Stab immer wieder vortrug: Stalin könne nur von den Russen besiegt werden -im Bündnis mit der Wehrmacht.
Bestärkt wurden Tresckow und Strik-Stnkfeldt von einer aufsehenerregenden Aktion der russischen Stadtväter von Smolensk. Diese hatten noch im Juli, kurz nach der Einnahme der Stadt, Feldmarschall Bock eine napoleonische Kanone geschenkt und ein Memorandum an Hitler überreicht. In dieser Denkschrift war der Vorschlag unterbreitet worden, in
Smolensk eine nationale Regierung für die befreiten Gebiete auszurufen, die zum Zentrum aller jener Russen werden sollte, welche bereit waren, mit der Wehrmacht gegen das sowjetische Regime zu kämpfen.
Innerhalb kürzester Zeit hatte Strik-Strikfeldt den Plan für eine schlagkräftige 200 000-Mann-Armee ("mit allen Waffen") entworfen. Gleichzeitig hatte er die Weisung für die Bildung einer russischen Gegenregierung in Smolensk konzipiert. Tresckow gab das Projekt unverzüglich weiter, zunächst an Bock, dann an Brauchitsch als Oberbefehlshaber des Heeres. Beide billigten Tresckows Gedanken. Brauchitsch kommentierte: "Halte ich für kriegsentscheidend." Positiv war dazu auch die Einstellung von Bocks Nachfolger v. Kluge, im Oktober 1941 Oberbefehlshaber der 4. Armee.
Anders Keitel. "Polltische Dinge gehen der Heeresgruppe grundsätzlich nichts an", lautete sein Bescheid im November 1941, gerichtet an Tresckow. "Außerdem sind solche Gedanken für den Führer undiskutabel." Brauchitsch hatte offenbar nicht mehr die Kraft gehabt (oder den Mut), das Projekt "russische Befreiungsarmee" Hitler vorzulegen. Im Dezember, nach Beginn der sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau, wurden Brauchitsch und Bock in die Wüste geschickt.
Tresckow gab nicht auf; in einem noch damals unbekannten Oberst fand er einen neuen Verbündeten. Graf Stauffenberg. Und ausgerechnet Hennig von Tresckow soll ein williger Vollstrecker der Hitlerschen Versklavungspolitik gewesen sein?
Die Perfidie dieses Vorwurfs, erhoben von Christian Gerlach im Begleitbuch zur Frankfurter Widerstandsausstellung, steht für den abgrundtiefen Haß, mit dem linksliberale Antifaschisten die Akteure der militärischen Opposition bis in den Rufmord verfolgen. Tresckow erscheint in dieser Darstellung als ein früher Vollstrecker Hitlerscher Vernichtungsbefehle. Gerlach interpretiert sogar die Partisanenbekämpfung als Teil eines "Vemichtungskrieges". In der FAZ vom 11. März spricht Günther Gillessen zutreffend von Geschichtsklitterung.
*
Daß General Wlassow Ende 1942 seinen "Aufruf des Russischen Komitees von Smolensk" unter Kriegsgefangenen und die Zivilbevölkerung in den besetzten Gebieten verbreiten konnte, verdankte er russophilen Offizieren der Wehrmacht, die später zum inneren Kreis des 20. Juli gehören sollten. Weder Himmler, Koch, noch andere Exponenten einer slawenfeindlichen Politik hatten vorher von Wlassows Befreiungsmanifest gewußt, in dem u. a. die Wiederherstellung der Staatlichkeit Rußlands, die Garantierung der ethnischen Freiheit aller Völker, Lehr-, Presse-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, Abschaffung der Zwangsarbeit, Auflösung der Konzentrationslager, Übergabe des Landes an die Bauern gefordert wurden.
Das entsprach gewiß nicht den Germanisierungsplänen Hitlers und Himmlers, wohl aber den Absichten von Wehrmachtsoffizieren, die ein freies, nicht ein versklavtes Rußland anstrebten. Canaris, Stauffenberg, Tresckow waren, wohl neben Köstring, Schenckendorff, Schulenburg, Gersdorff, Hellmich, Oberländer, von Herwarth, Gehlen, Herre die zentralen Motivatoren für die These, daß der Sinn des Ostfeldzuges nur darin bestehen könne, die ostslawischen, baltischen, kaukasischen, zentralasiatischen Völker in ihrem Freiheitskampf gegen Stalin zu unterstützen.
Auf "Befreiung" war am 22. Juni 1941 die Wehrmachtspropaganda gestimmt, geleitet von der Abteilung "WPr" IV im Oberkommando der Wehrmacht. Auffallend viele Balten- und Rußlanddeutsche haben bei der Konzipierung einer alternativen Ostpolitik mitgewirkt, so die Heeresoffiziere Sergei Fröhlich, Wilfried Karl Strik-Strikfeldt, Freiherr von Roenne, Nikolaus von Grote, Freytag-Loringhoven, Eugen Dürsken. Die "russischen Deutschen".
"Wlassow brachte seinen deutschen Freunden gegenüber immer wieder ein fassungsloses Erstaunen darüber zum Ausdruck, welches Ausmaß an individuellen Initiativen und freier Rede unter Vertrauten in diesem Deutschland noch möglich sei", schreibt Nolte. "Auf einer Reise zu den Frontstäben der Heeresgruppen Mitte und Nord wurde Wlassow von den kommandierenden Feldmarschällen fast schon wie ein Gleichgestellter behandelt, und die Bevölkerung drängte sich an ihn heran, um ihm die Hände zu küssen. Aber eben dadurch erregte er die Aufmerksamkeit Hitlers und Himmlers, und es erging ein strenges Verbot, 'diesen Russen' weiter zu fördern…" ("Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus." München 1997, S. 457).
Nolte sieht in Tresckow und Stauffenberg die Führungspersönlichkeiten der Militärfronde für eine alternative Ostpolitik. Oberstleutnant Stauffenberg, 1942 Gruppenleiter in der Organisationsabteilung des Generalstabs des Heeres, ein Mann von "überragender Begabung und Entschlossenheit", habe alle seine Talente aufgewandt, um die Aufstellung russischer Freiwilligenverbände möglich zu machen, sei aber auf den entschiedenen Widerstand Hitlers gestoßen, der gegenüber Rußland völlig freie Hand behalten wollte. Ein zusätzliches Motiv oder das Hauptmotiv für den 20. Juli?
Ernst Nolte in seiner Motivforschung: "Alle diejenigen Offiziere in den Stäben der Heeresgruppen - unter ihnen vornehmlich Oberst Tresckow von der Heeresgruppe Mitte -, im Generalstab und in der Abteilung Wehrmachtspropaganda, die ein klares Bewußtsein vom drohenden Verlust des Krieges hatten, gaben sich Rechenschaft darüber, daß nur die Bildung einer national-russischen Regierung unter der Führung eines der sowjetischen Bevölkerung bekannten Mannes das Geschick noch wenden und dem Krieg einen stimulierenden Sinn geben konnte. Für sie stand es außer Frage, daß trotz der schrecklichen Erfahrungen des ersten Kriegswinters unter den russischen Kriegsgefangenen genug Bauern waren, die das Kolchossystem haßten, und genug Offiziere, deren Familienangehönge in Lagern des NKWD zugrunde gegangen waren. Sie wußten aber auch, daß die Erfolge sehr begrenzt bleiben würden und daß die Propaganda gegenüber den Soldaten der Roten Armee und der Bevölkerung des sowjetischen Hinterlandes keine Glaubwürdigkeit gewinnen würde, solange keine verläßlichen Zusicherungen über das künftige Schicksal Rußlands damit verbunden waren."
Die Wende im deutsch-russischen Verhältnis (und eine Wende vielleicht sogar in welthistorischer Bedeutung) kam im September 1942, als ein bekannter sowjetischer Heerführer gefangengenommen wurde und dieser bald zu erkennen gab, daß er Stalin und den Bolschewismus ablehnte und unter bestimmten Bedingungen zur Zusammenarbeit mit den Deutschen bereit war.
Nolte über diese Wende: "Generalleutnant Andrej Andrejewitsch Wlassow hatte nach verbreiteter Meinung die beste aller sowjetischen Divisionen befehligt, und im Oktober/ November 1941 hatte er neben Schukow am meisten zur Verteidigung Moskaus beigetragen. Dann hatte er als stellvertretender Befehlshaber einer Heeresgruppe und Kommandeur der zweiten Stoßarmee den unrealistischen Befehl Stalins zur Befreiung Leningrads zu verwirklichen versucht, aber nach schweren Kämpfen war seine Armee am Wolchow zugrunde gegangen, und er selbst wurde nach wochenlangem Umherirren im Zustand völliger Erschöpfung gefangengenommen. Seine glänzende Laufbahn verdankte er neben der eigenen Tüchtigkeit der Partei, in die er 1930 eingetreten war, aber er war der Sohn eines Bauern, der zum Eintritt in eine Kolchose gezwungen wurde, und er hatte in seiner Jugend ein geistliches Seminar besucht. So hatte er wohl immer gewisse Vorbehalte gegen den Bolschewismus und gegen Stalin gehabt, aber erst die Erfahrung des Krieges steigerte sie zum Haß. Die Geschichte seiner Entdeckung durch einige deutsche Offiziere, wie den baltischen Hauptmann Strik-Strikfeldt und den Chef der Abteilung 'Fremde Heere Ost' ' den Generalmajor Gehlen, liest sich wie ein phantastischer Roman… Im Frühjahr und Sommer 1943 schien er tatsächlich zum Führer einer russischen Gegenregierung aufzusteigen: Sein Offener Brief vom 3. März 1943 griff Stalin aufs heftigste als den Mörder von Millionen russischer Menschen an und rief das Volk 'zu einem Kampf für die Vollendung der Revolution, zur Schaffung eines neuen Rußlands und zur brüderlichen Einigkeit mit den Völkern Europas und insbesondere mit dem großen deutschen Volk' auf" (S. 456 f).
Trotz der Verbote Hitlers und Himmlers setzten 1943 russische und deutsche Offiziere die Vorbereitungen zur Aufstellung einer russischen Nationalarmee fort. "In halber Illegalität fanden sich um Wlassows Residenz in Berlin-Dahlem und um das Lager Dabendorf bei Berlin alle diejenigen Kräfte in einigen Repräsentanten zusammen, die sich im Bürgerkrieg aufs heftigste bekämpft hatten: der Bauernsohn und General der Roten Armee Wlassow, der Korpskommissar Schilenkow, der jüdische Korpskommissar und ehemalige Mitarbeiter Buchanns Sykow, der Sohn eines in der Verbannung umgekommenden Geistlichen Oberst Meandrow, der vom NKWD grausam gefolterte Fliegeroberst Malzew, der Sohn des ehemaligen Adjutanten von Admiral Koltschak, Sacharow, die emigrierten Kosakengeneräle Krasnow und Schkuro..."
Ernst Nolte zieht die bittere Bilanz verlorener Siege: "Wenn man nicht genau wußte, wie viele Menschen hinter den Männern des Attentats vom 20. Juli standen, so waren hinter den Anhängern und Verbündeten Wlassows doch um die gleiche Zeit nahezu eine Million Menschen versammelt. Es muß gewiß eine Spekulation bleiben, wie viele Millionen es gewesen wären, wenn Wlassow nicht erst im November 1944, sondern bereits im November 1942 oder auch nur zu Anfang 1944 die Zustimmung Hitlers und Himmlers erhalten hätte, unter dem Zeichen des weißblauen Andreaskreuzes die selbständige 'Russische Befreiungsarmee' zu bilden und das 'Nationalkomitee für die Befreiung der Völker Rußlands' ins Leben zu rufen… Aber das Scheitern und die Tragödie bewiesen immerhin, daß für viele Deutsche und zahllose Russen dieser Krieg doch ein Befreiungskampf gewesen war, der nur deshalb zum Mißerfolg verurteilt war, weil Hitler trotz aller Erfahrungen, die er machte, starr an dem Konzept festhielt, das Genozide und Endlösungen implizierte…" (S. 458).
*
Weder die Hetzausstellung der Heer und Reemtsma noch die eingangs erwähnte Frankfurter Widerstandsausstellung, noch Knopps "Hitlers Helfer" und die ARD-Serie "Soldaten für Hitler" berücksichtigen das Kapitel Wehrmacht/Russische Befreiungsarmee - es existiert für sie überhaupt nicht. Der Grund ist einleuchtend: Wer im Zweiten Weltkrieg nicht auf der Seite Stalins stand, machte sich mitschuldig an den "Verbrechen der Wehrmacht" - Schwarzbuch hin, Schwarzbuch her.
Zum Förderkreis einer proslawischen deutschen Ostpolitik während des Krieges gehörten Wissenschaftler wie Günther Stöld (der Österreicher studierte 1934-1938 osteuropäische Geschichte und slawische Philologie an den Universitäten Wien, Königsberg, Breslau), der aus der Westukraine stammende Universitätsprofessor Dr. Hans Koch, Direktor des Osteuropa-Instituts Breslau (1937-40) und Wien (194045), landeskundiger Offizier beim Heeres-Gruppenkommando Süd (1941-43) und beim Oberkommando der Wehrmacht 1943 bis 1945, sowie Dr. Fritz Arlt, ein Brandenburger aus der Oberlausitz, Insider im ostpolitischen Vorgehen des Dritten Reiches, Verfasser des Buches "Polen-, Ukrainer-, Juden-Politik. Im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete 1939 bis 1940" (Verlag Herbert Taege, Lindenhorst 1995). Mit der Übernahme des Krakauer Gruppendezernats "Bevölkerungswesen und Fürsorge" baute Arlt eine Selbsthilfeorganisation auf, in der zuerst Polen und Ukrainer, und nach einigen Schwierigkeiten auch die Juden des Generalgouvernements zusammenarbeiteten. Arlts Ziel war es, die ethnische Substanz von Juden, Polen und Ukrainern zu sichern. Auf Betreiben Himmlers wurde er 1940 entlassen.
Der Hauptimpuls für eine radikale Wende in der deutschen Ostpolitik ging von den Militärs aus. Generalstabsoberst Heinz Danko Herre war sogar entschlossen, mit der Einführung einer russischen Selbstverwaltung Hitler vor vollendete Tatsachen zu stellen - eine politische Bombe lange vor Stauffenbergs Bombe.
Herre in seinem Tagebuch am 14. Mai 1943: "Konferenz in Mauerwald: Schenckendorff, Tresckow, Gehlen, Gersdorff, Altenstadt. Entschluß, Entscheidung des Führerhauptquartiers gegen Wlassow nicht hinzunehmen, sondern alle Kräfte zu einem direkten Kampf um die Entscheidung zusammenzuraffen. Altenstadt schlägt vor, die Verwirklichung seiner alten Idee, Wlassow als Dach auf die von unten heraufgebaute russische Selbstverwaltung zu setzen, durchzukämpfen. Wenn Wlassow hier erst eine Verwaltungsfunktion - und sei es zunächst nur im rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Mitte - hat, ergibt sich alles Weitere in Kürze von selbst." (Jürgen Thorwald "Wen sie verderben wollen", Stuttgart 1952, S. 224).
Dazu Ernst Nolte: "Hitler hatte 'seine' sowjetischen Generale (Wlassow u. a.) früher, als Stalin 'seine' deutschen Generale hatte (v. Seydlitz u. a,), und 'Hitlers Russen' waren weit zahlreicher als 'Stalins Deutsche', aber aus Furcht vor der 'biologischen Stärke' Rußlands machte er (Hitler) von seinem Vorteil so gut wie keinen Gebrauch" (Aus: "Deutschland und der Kalte Krieg", Piper 1974, S. 646).
Eine Diskussion über diesen Aspekt des "sowjetisch-deutschen Krieges" (Solschenizyns Terminus) boykottieren Medien und Politklasse hierzulande. Das Urteil ist gefällt: auch Tresckow und Stauffenberg tragen das Brandmal des "Wehrmachtsverbrechers". Deutschland sei ein Land der "Richter und Henker gewesen", behauptet der brandenburgische Landtagspräsident Herbert Knoblich auf den Trümmern eines GULag-KZ, in dem zwischen 1945 und 1950 ca. 20 000 Deutsche an Hunger, Seuchen, Folterung gestorben sind. Endlich sei bewiesen, daß "die" Wehrmacht am "mörderischen Terror gegen die Zivilbevölkerung" aktiv beteiligt sei, frohlockt das Nachrichtenmagazin des Ex-Kanoniers Augstein (17/1998, S. 229).
Als das Berliner Landgericht den Plakattext "Deutsche Armee in einer langen Tradition. Ja, Morden" als straffreie Satire einstufte, jubelte Ex-Staatsanwalt Heribert Prantl, dessen Süddeutsche befriedigt feststellte: "Bayern bleibt fast Dietlfrei" (2. April), nachdem das Münchner Verwaltungsgericht die Wiederbenennung einer Straße in Bad Albling nach Gebirgsjägergeneral Eduard Dietl verboten hatte. "Seit 1871 haben deutsche Generale zwar manche Schlacht, aber glücklicherweise keinen Krieg mehr gewonnen", spottete man im SZ-Streiflicht vom 7. April. Daß das in Nörvenich stationierte Jabo 31, benannt nach einem Jagdflieger des Ersten Weltkrieges, Oswald Boelcke, immer noch die Tradition des Kampfgeschwaders 27 der Wehrmacht (nach Boelcke benannt gewesen) pflege, sei eine Schweinerei, politically most incorrect, schimpfte Prantl-Zögling Christoph Schwennicke in der SZ vom 25. April.
Da kam es schon einem Wunder gleich, daß im Prantl-Blatt Knopps Machwerk "Hitlers Helfer" als "Gelaber", "Zeitgeist-Gespenst", "üble Gemengelage" in den Mülleimer befördert wurde. Eine Seifenoper mit "schwadronierenden 'Zeitzeugen'", "kopflosen Szenen", "handelnden Unterteilen", eine "wirre Anmache" - meinte Claus Heinrich Meyer in der SZ vom 23, April. Knopp bediene "spaßorientierte Zuschauer", urteilte Meyer; zählen zu diesen auch die Gespensterjäger Prantl und Schwennicke? Tage zuvor hatte Frank Schirrmacher im FAZ-Feuilleton Knopp der Geschichtsfälschung und des "lrrwitzes", der "Gruselmusik" überführt ("Spielt Hitler für Knopp den Hitler?").
Unglaubwürdigkeit mit Thrillerklamauk: "Freislers Beine, Ribbentrops Schuhe, Wehrmachtsstiefel, Schauspielerrümpfe laufen durch die historische Szenerie wie Hühner, denen man den Kopf abgeschnitten hat: ohne Sinn und nur von posthumen Reflexen bewegt… Bald schon wird man nicht mehr wissen, ob sie überhaupt je Geschichte waren" (18. April).
*
Totengräber jener deutsch-russischen Waffenbrüderschaft wurde ein Verbrechertypus, wie er immer dann auftritt, wenn Loyalitätsbrüche herrschen, Usurpatoren triumphieren, Imperien zerfallen, Dynastien wechseln, Weltanschauungskriege eskalieren, Eroberungszüge explodieren. Dieser Typus entzieht sich einer ethnischen Zuordnung. Grausamkeitslust, Tötungsgier, Ausrottungsdrang, Machtwahn entspringen einer anthropologischen Grundkonstante. Virulent wurden sie in diesem Wahnsinnsjahrhundert im Bolschewismus und im Hitlerismus.
In diese Typengalerie gehörte Polizeiführer Odilo Globocnik, Himmlers Beauftragter für die Durchführung von Umsiedlungsaufgaben in Polen, ein Spezialist für "Sonderbehandlungen"; deutsche Beamte in Lublin versuchten der Vernichtungspolitik Globocniks zu entgehen, indem sie sich zur Wehrmacht versetzen ließen.
Globocnik kommandierte die SD-Einsatzgruppen. Vom Standpunkt der Wehrmacht aus hätte man die Globocniks gleich nach dem 22. Juni 1941 vor die Gewehrläufe deutscher Frontsoldaten stellen müssen. Erschießen, ohne Gericht und ohne Gnade. Nur: hinter den Globocniks stand der "Germanisierungs"wahn von Himmler und Hitler.
Einige Mini-Globocniks lernte ich 1953 in Workuta kennen. Die Henker von Himmlers Sachsenhausen. Der letzte Kommandant Höhne, ein Kleinbürger und Familienvater mit Mittelschulbildung, bieder und loyal. "Pistolenschubert", bei der Einzelliquidierung politischer Kommissare im Herbst 1941 ein Meisterschütze im Pistolenschießen, belohnt für jeden Hinrichtungsabend mit einer Flasche Weinbrand, als fanatischer Nationalsozialist eine unheimlich zerrissene Person, die sich am liebsten selbst erschossen hätte, eine echte Dostojewskij-Figur. Gustav Sorge, gerufen der "Eiserne Gustav". Ihr Kumpan Paul Sakowski, ein Krimineller, der "Henker von Sachsenhausen". Da wir damals nicht ahnen konnten, jemals in die Heimat zurückzukehren, plauderten sie aus der Schule, ohne Hemmungen, ganz nüchtern. Geschichtsunterricht pur.
Notizblock und Bleistift besaß ich nicht im Karzer von Schacht "Kapitalnaja", August 1953, aber jedes Wort der Tatzeugen brannte sich mir ins Gedächtnis, unauslöschlich. Sage mir niemand, das KZ Sachsenhausen vor fünfundvierzig wäre ein normales Strafarbeitslager gewesen. Der GULag-Terror, den ich erlebte, war nicht schlimmer. Die Wahl zwischen Himmlers Sachsenhausen oder Berijas Workuta wäre mir gewiß nicht schwer gefallen.
*
Im Gillessen-Artikel "Verdunkelnde Aufklärung" (FAZ vom 11. März) fehlt ein aufklärender Hinweis auf den ideologischen Standort des Berliner Historikers Christian Gerlach. Dieser agiert als Parteigänger der Ehrenburg-Antifaschule, deren Hauptthese lautet: die Wehrmacht insgesamt habe Himmlers "völkische Neuordnung" durch eine Hunger- und Deportationsstrategie unterstützt, der Judenmord in Osteuropa - ihr Werk (zitiert aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 14./15. März 1998). Unter dem Titel "Die Wannsee-Konferenz, das Schicksal der deutschen Juden und Hitlers politische Grundsatzentscheidung, alle Juden Europas zu vernichten" (Hamburg 1997) hat Gerlach einen Aufsatz vorgelegt, in welchem er für sich nicht weniger in Anspruch nimmt als die von der zeitgeschichtlichen Forschung wie keine andere heftig umstrittene Frage, ob Hitler selbst einen Befehl zur "Endlösung der Judenfrage" erteilt habe, nun beantworten zu können. Am 12. Dezember 1941 habe Hitler in einer Rede vor den in seinen Privaträumen in der Neuen Reichskanzlei versammelten Reichs- und Gauleitern seine "polltische Grundsatzentscheidung" bekanntgegeben, wonach alle Juden im deutschen Machtbereich zu ermorden seien.
Auf positives Echo ist Gerlachs Entdeckung in der ZEIT und in der Berliner Zeitung gestoßen. Götz Aly, Redakteur der BZ, lobte Gerlach, weil er den "archimedischen Punk" der politischen Entstehungsgeschichte des Holocaust gefunden habe, Gerlachs Begründung sei schlichtweg "genial". In diesem Zusammenhang erinnert die NZZ daran, daß auch Eberhard Jäckel und Klaus Hildebrand davon ausgehen, ohne einen Befehl Hitlers hätte der Juden-Genozid nie in Gang gesetzt werden können. Ihre Argumente zielen auf die antisemitischen Äußerungen vor und nach 1933 ab, die sie als Programm zur "Endlösung" interpretieren. Dem stehen andere Historiker gegenüber, vor allem Hans Mommsen, der darauf verweist, daß der Holocaust als ein etappenweise eskalierender Prozeß, als "kumulative Radikalisierung" zu verstehen sei, die nicht auf einen Befehl von oben zurückgehe, sondern Ausdruck vielschichtiger, sich schnell beschleunigender Entwicklungen während des deutsch-sowjetischen Krieges sei.
"Hat Adolf Hitler die Ermordung der Juden ausdrücklich befohlen?", fragt Prof. Ulrich Herbert. "Ein neuer Versuch, diese Frage bejahend zu beantworten, vermag nicht zu überzeugen." Herberts Analyse erschien in der Neuen Zürcher Zeitung vom 14./15. März 1998 ("Eine 'Führerentscheidung' zur 'Endlösung'? Neue Ansätze in einer alten Diskussion"). Der Verfasser ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Freiburg im Breisgau.
Christian Gerlach, dies sei abschließend festgestellt, übertrifft noch Goldhagens Antigermanismus. Er arbeitet an einer Studie über die Vernichtungspolitik der Wehrmacht in Weißrußland. Wie die Geschichte der bundesrepublikanischen Gesellschaft zeigt, lebt ihre meinungsbildende Elite von dem, was sie verachtet und unterdrückt: die historische Wahrheit. Ein Lichtblick am Revisionismushorizont: die geplante aktualisierte Neuausgabe von Joachim Hoffmanns "Stalins Vernichtungskrieg" im Frühjahr 1999 bei Herbig.
Für August Graf von Kageneck, den früheren Pariser Korrespondenten der WELT, haben sich achtzehn Millionen Wehrmachtssoldaten zum freiwilligen "Werkzeug" eines "Eroberungskrieges" gemacht (FAZ, 20. Mai 1998).Von Claudio Magris, Germanist und Marxist aus Triest, stammt die in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichte Interpretation, wonach der Unterschied von Auschwitz und Gulag darin bestehe, daß der Gulagismus nicht aus der Bestialität entstanden sei, sondern sich auf der "ldee der Gleichheit, der weltweiten Solidarität, der Befreiung aller Menschen von der Unterdrückung" gründe (28. April 1998).
*
An einer Viehkette wird das Opfer zu einem Baumstumpf getrieben, es muß sein eigenes Grab schaufeln. Folterung mit einer glühenden Eisenstange, Peitschung mit Gummiriemen, mit einem Wurfmesser Kreuze in den Rücken des Gefesselten schneiden. Nach drei Stunden des Martyriums stößt man dem Blutenden das Messer paarmal in die Herzgegend. Schlägt, weil das Opfer noch röchelt, mit dem Spaten zu, immer auf den Kopf, bis der Spaten den Schädel spaltet. Zum Schluß wird ihm die Kehle durchgeschnitten.
Fotos aus der "Wehrmachtsausstellung" der Heer und Reemtsma? Brutalszenen aus Guido Knopps "Hitlers Helfer" (ZDF) oder aus der ADR-Serie "Soldaten für Hitler"? Der geschilderte Mord, den sich kein Horror-Autor gräßlicher ausdenken könnte, geschah im 48. Jahr der Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung, 22. Juli 1997. Die Mörderinnen aus dem Drückermilieu, die 31jährige Chefin einer Zeitschriften-Werberkolonne und ihre zehn Jahre jüngere Komplizin, standen im April heuer vor dem Landgericht Ellwangen. Die Ältere siecht an Aids dahin. Seitdem sie es weiß, hat sie ihre Sex-Partner wissentlich angesteckt. Sie habe, bekannte sie, möglichst viele in den Tod mitziehen wollen. Auch der Liberalismus gebiert Ungeheuer.
Die Motive? Typisch für eine hedonistische Gesellschaft, Todeskultur. Übersättigung, ethische Leere, Menschenverachtung, Lust an Grausamkeit und Erniedrigung. "lch kann positives und negatives Verhalten nicht unterscheiden", sagte die 31jährige, eine kalt Berechnende. "Ich habe nichts zu verlieren. Ich gehe jetzt über Leichen."
Das System, das sie hervorgebracht hat, verurteilte sie zu lebenslänglich.
*
Seit Beginn der "Wehrmacbtsausstellung" schwillt die Flut der Erinnerungsanzeigen an. In Memoriam unter dem Eisernen Kreuz. Fast immer versehen mit der Begründung: Er opferte sein Leben für sein Vaterland, das Vaterland jedoch achtet sein Opfer nicht. Dabei fällt eines auf: die jungen Soldaten starben in der Schlußphase des Krieges, sie fielen bei der Verteidigung des Baltikums, der eigenen Heimat, ihres Volkes. Narwa, Riga, Königsberg, Stettin, Berlin. Damit ist die Frage nach den Motiven beantwortet. Die über Leichen gingen, waren die Eindringlinge, Eroberer, Vergewaltiger.
Im Video-Clip "Die Niederlage" des Antifa-Propagandafilms "Soldaten für Hitler" (Berater: Jürgen Engert, Hannes Heer), ausgestrahlt im ARD am 15. April, bricht der 2. Weltkrieg unerklärlicherweise mit der Kursker Schlacht ab. Das Herausragende im Drama Wehrmacht 1944/45, nämlich die Menschen Ost- und Mitteldeutschlands vor der GULag-Barbarei zu retten, Stalins Mythos von der Unbesiegbarkeit seiner Schlächterarmeen auf deutschem Boden zu brechen, findet keine Erwähnung, weder im Text noch im Bild.
Mit zunehmender Nähe zu Deutschland steigerte sich die kollektive wie individuelle Widerstandskraft der Wehrmachtssoldaten. Die Deutschen kämpften verwegen, verbissen, opfervoll, ihr Kampfgeist schien ungebrochen, sie zeigten die Kampfmoral einer Verteidigungsarmee, die keiner Politoffiziere und keiner Parteipropaganda bedurften, um den Sinn ihres Kampfes zu begreifen.
Stalins Soldaten stießen auf deutschem Boden auf eine unwahrscheinlich zäh kämpfende Truppe mit Todesmut.
In der zur Festung erklärten pommerschen Hafenstadt Kolberg ermöglichte der Opfergang der rund 3 000 Verteidiger die Flucht vor 85 000 Zivilisten. Eine zusammengewürfelte Truppe von Matrosen, Pionieren, Fliegern, Pimpfen, Volkssturmmännern, Reservisten, Verwundeten widerstand 18 Tage lang einer zwanzigfachen Übermacht von Menschen und Material - drei sowjetische und polnische Panzerdivisionen. Das Herz der Verteidiger: Oberst Fritz Fullriede, Ritterkreuzträger, kein Parteioffizier; Fullriede hatte, bevor er am 1. März 1945 im eingeschlossenen Kolberg eintraf, fünfmal direkte Befehle Hitlers mißachtet und nach seiner besseren Einsicht und seinem preußischen Pflichtbewußtsein gehandelt. Nach dem fünften Kapitulationsangebot Schukows befahl Fullriede seine Offiziere zu sich. "Schukow hat mich aufgefordert, die Stadt aufzugeben. Für uns, na ja, Sie wissen ja… Zusicherung des Lebens, im Weigerungsfalle Tod. Von der Zivilbevölkerung war nicht die Rede. Ich habe daher das Kapitulationsangebot ablehnen müssen. Ich bin überzeugt, daß wir nun in die letzte Runde gehen. Ich danke Ihnen für Ihre bisher gezeigte Tapferkeit und für Ihre Treue. Sie wissen, warum wir diesen aussichtslosen Kampf führen. Ich darf wohl annehmen, daß Sie auch jetzt noch als Soldaten voll Ihre Pflicht erfüllen. Es lebe Deutschland!" Die Offiziere erhoben sich. "Es lebe Deutschland!" wiederholten sie. Zum Schluß brannte die ganze leichenübersäte Stadt. Zurück blieben 400 Landser, die als Nachhut bis zuletzt kämpften. Sie opferten sich für die Rettung ihrer Kameraden und von 85 000 Zivilisten.
Es blieb deutschen Feuilletons und dem Straßburger Sender Arte vorbehalten, das Drama Kolberg in den stalinistischen Sumpf zu ziehen. Als Aufhänger dienten das Maser-Buch "Heinrich George" und die Wiederaufführung des Ende 1944 gedrehten Spielfilms "Kolberg" Horst Caspar spielt den Gneisenau, George den Nettelbeck, der auf den Knien schwört: "Und wenn wir uns mit unseren Nägeln in unseren Boden einkrallen, wir lassen uns nicht los. Nee, nee, man muß uns die Hände einzeln abhacken oder uns erschlagen, einen nach dem anderen. Lieber unter Trümmern begraben als Kapitulation." Joachim Nettelbeck verteidigte 1807 als Bürgeradjutant Gneisenaus Kolberg erfolgreich gegen die Franzosen. Der große Heinrich George, elendig gestorben im NKWD-Vernichtungslager Sachsenhausen am 25. September 1946, ihn schimpft Elisabeth Bauschmid in der Süddeutschen vom 24. März einen "linken Renegaten", einen "korrumpierten Sündenfall" der deutschen Filmgeschichte. Im Mai heuer rehabilltierte die Staatsanwaltschaft der Russischen Föderation den deutschen Staatsschauspieler Heinrich George.
Eine andere Epopöe heißt Breslau. Ausgeklammert in Soldaten für Hitler, weil auch hier die Opferbereitschaft einer Armee des Volkes - und das war die Wehrmacht - letzte tragische Triumphe erfocht. Seit Mitte Februar 1945 eingeschlossen, erfüllten bis Anfang Mai die Verteidiger ihre Pflicht für Deutschland. (Wer sprach da noch von Hitler?)
Unter wechselnden militärischen Festungskommandanten wurde die Stadt von schlecht organisierten Infanteriebataillonen, mangelhaft bewaffneten alten Männern und 16jährigen Jungen verteidigt. Fünfundvierzigtausend gegen die 6. Sowjetarmee der Ersten Ukrainischen Front unter Marschall Konjew. Die Barrikaden bauten Jungen ab zehn Jahre und Mädchen ab zwölf. Sie schufteten zwischen Ruinen, krepierten im Artilleriefeuer und Tieffliegerbeschuß. Ca. 200 000 Zivilpersonen befanden sich noch in der Stadt - und Ratten, die an den Toten reichlich Nahrung fanden.
Breslau fünfundvierzig wie einen nüchternen militärischen Bericht abzuhandeln, erscheint unmöglich. Der Todeskampf der Stadt, eigentlich ein Kapitel Weltliteratur, wofür es Beispiele gibt - den "Berlin"-Roman eines Plievier, die Sewastopoler Erzählungen Leo Tolstois, Werfels "40 Tage des Musa Dagh" Untergang in Trümmem. Hinter dem Bahndamm von Pöbelwitz liegt eine Jungen-Kompanie. Mit Handgranaten und Brandflaschen versuchen Fünfzehnjährige die T 34 aufzuhalten. An ein Paddelboot geklammert schwimmen drei Breslauer Mädchen durch die russischen Linien, sprengen eine Oderbrücke und sich selbst in die Luft. Ausgeblutet und ohne Munition ergeben sich die letzten Verteidiger am 6. Mai. Viele erschießen sich.
Festungskommandant Generalleutnant Niehoff verhandelt im Gefechtsbunker der 6. Sowjetarmee. Generaloberst Glusdowskij verspricht eine ehrenvolle Behandlung der deutschen Besatzung, deren "tapferen Kampf" er anerkennt. Glusdowskij sichert den Soldaten eine sofortige Entlassung nach Kriegsende zu. Die Zivilbevölkerung soll weiterleben können. Niehoff zögert, den Kapitulationsvorschlag anzunehmen. Er denkt an die Verbände der Waffen-SS unter den Verteidigern. So bittet er Glusdowskij, die Garantien auf diese Einheiten auszudehnen. Der Russe ist einverstanden und läßt einen entsprechenden Nachtrag anfertigen, um dann zu unterschreiben.
Stalins Strategie ist eine andere. Überlebende Breslau-Verteidiger kommen erst Ende der vierziger Jahre aus Sibirien zurück. Nicht alle. Breslaus Frauen und Kinder werden dem Vertreibungsterror der Polen ausgeliefert. General Ruff, der Kampfgruppenkommandeur von Breslau, wird im Gefangenenlager Krasnogorsk vom NKWD gehängt. Das weitere Schicksal des Russen Glusdowskij blieb unbekannt.
*
"Mehr als 50 Jahre nach dem Weltkrieg ist Hitlers Armee wieder in den Mittelpunkt des Öffentlichen Interesses gerückt", schrieb die WELT am 25. April. "Neben dem Widerstand und dem Versagen der Generalität geraten jetzt die einfachen Infanteristen in den Blick." Gemeint ist die ARD-Serie "Soldaten für Hitler". Produziert wurden die sechs Folgen von fünf Sendern aus West- und Mitteldeutschland. Es entstand ein prosowjetischer Propagandafilm mit vorwiegend stalinistischen Wochenschauaufnahmen.
"Wir wollten keinen neuen Historikerstreit", behauptet ARD-Chefredakteur Hartmann von der Tann. Das Gegenteil trifft zu. Die Serie signalisiert eine neue Runde im Histonkerstreit, geführt mit Verleumdung, Denunzierung, Geschichtsfälschung. Im Schußfeld: die deutsche Revisionismusforschung.
Hartmann von der Tann lobt das Verdienst des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Inhalt und Tendenz der Fernsehserie decken sich mit den Intentionen der Heer und Reemtsma. Analog der Anti-Wehrmacht-Ausstellung spricht der ARD-Chefredakteur von einer "Vernichtungsmaschine", "verbrecherischen Armee". Nur ein toter Russe sei ein guter Russe, nach diesem Motto hätten Millionen von deutschen Landsern gehandelt.
Gespickt mit Desinformazija war die am 15. April ausgestrahlte Folge "Die Niederlage". Zum Beispiel Stalingrad. Gezeigt wurden ausschließlich kommunistische Propagandaaufnahmen, Getürkte Szenen vom Einsatz sowjetischer Scharfschützen, denen kopflose Deutsche reihenweise vors Gewehr laufen. Gefallene mit Haken-Kreuz-Ringen am Finger. Kannibalismus im Kessel. Jubelnde Gefangene mit sauberen weißen Tüchern. Feige deutsche Offiziere und Kommandeure, bis auf die Knochen korrupt, ohne Kampfgeist, Verantwortungsgefühl, Kameradschaft, Würde, Opfermut.
Unfaßbar oder auch bezeichnend, daß die ehemaligen Wehrmachtsoffiziere Helmut Schmidt und Richard von Welzsäcker, befragt als "prominente Zeitzeugen", gegen Rufmord und Charaktermord nichts einzuwenden hatten!
Paul Carell muß also gelogen haben, als er diese Sätze in seinem Stalingrad-Kapitel niederschrieb: "Von allen Verbindungen abgeschnitten, hungernde, schlecht bewaffnete Truppen schlugen sich gegen überlegenen Feind mit einer verbissenen und wütenden Tapferkeit, die wenige Beispiele hat. So etwas hat es nur noch im Wolchowkessel gegeben, als sich die 2. sowjetische Stoßarmee in ihren Untergang focht. Gnadenlos wie jene Schlacht in den Winterwäldern des Wolchows waren auch die Schlußkämpfe in Stalingrad. Nur die Rollen hatten gewechselt. Das Leid, die Not, die Tapferkeit und das Elend waren dieselben… Tatkräftige Generale. Beherzte Offiziere. Wenige kampffähige Männer - ja! Am Bahndamm südlich der Zanzaschlucht schießt der Kornmandeur der niedersächsischen 71. I.D., Generalleutnant von Hartmann, stehend freihändig mit dem Karabiner in die angreifenden Russen, bis er von einer MG-Garbe niedergemäht wird" ("Unternehmen Barbarossa", S. 5 97f).
Hitlers Fehlplanung im Fall Stalingrad, noch vor der Einkesselung der 6. Armee, wird im ARD-Film nicht einmal am Rande erwähnt. Vier hervorragend ausgestattete schnelle Großverbände ("Leibstandarte", die 6. und 7. Panzerdivision, die motorisierte Elitedivision "Großdeutschland"), im Herbst 1942 von Hitler nach Frankreich verlegt, wären in der Lage gewesen, so Carell, Anfang November das letzte Zehntel von Stalingrad Stalin zu entreißen, ein paar Fabrikgebäude und ein paar Kilometer Steilufer. "Ein unbegreiflicher und verhängnisvoller Irrtum", meint Carell. Diese von der Südfront "unnützerweise" abgezogenen Kräfte hätten mit Sicherheit ausgereicht, "die Katastrophe von Stalingrad zu verhindern" (S. 486).
Nicht mit historischen Fakten, mit Propagandashows beschäftigt sich"Die Niederlage" in der ARD. Minutenlang ziehen ausgemergelte deutsche Soldaten, Gefangene der zusammengebrochenen Heeresgruppe Mitte, durch Moskaus Straßen, erniedrigt und verhöhnt, lebende Beute eines Menschenverächters, der im gleichen Jahr - 1944 - mehrere Panzerarmeen verliert, die schwersten Verluste seit Beginn des Krieges. Laut amtlichen Mitteilungen von Fremde Heere Ost (IIc) vom 10. 10. 1944 betrugen im Zeitraum Januar 1944 bis einschließlich September 1944 die Totalverluste an sowjetischen Panzern und Sturmgeschützen 24 917 Einheiten ("Verluste nach Truppenmeldungen von Heer und Luftwaffe"). In der Rubrik "Vermutete tatsächliche Verluste" reduziert sich die Zahl auf 15 448, was der Sollstärke von ca. zehn sowjetischen Panzerkorps entspricht (Mitteilung von Carl Dirks, 5. April 1998).
Einseitig bis unobjektiv die Auswahl der Zeitzeugen; einer erzählte im Remarque-Stil: "Man hat mich gemordet, ohne daß ich gefallen bin." Zu Wort kamen Identifikationsfiguren der VVN, KPD, DKP, Ostermärsche. Antifarhetorik pur. Es entstand ein Bild einer Wehrmacht, in der lauter Kriegsdienstverweigerer gedient hatten.
Zwei Ausnahmen in diesem bizarren Kaleidoskop verspäteter Pazifisten: Hauptmann Ernst von Schröder berichtete, daß bei den Frontsoldaten keine Drangsalierung der Zivilbevölkerung vorgekommen sei, und Zeuge Kimmich, auch er ein Frontoffizier, erklärte, man habe im Glauben gekämpft, Deutschland und Europa verteidigen zu müssen; mehr als den Tod habe man die sowjetische Gefangenschaft gefürchtet.
Kriegsgeschichtliche Unrichtigkeiten enthielt die dritte Folge am 17. April. Der von den Filmemachern erhobene Vorwurf, Wehrmachtssoldaten hätten sich an "Massakern" und bei "Vernichtungsaktionen" gegen Juden und Zivilisten beteiligt, kann nicht belegt werden (Partisanenerschießungen gehören nicht hierher). Weder am grausigen Geschehen im Warschauer Ghetto noch an den Judendeportationen in Frankreich waren Wehrmachtseinheiten beteiligt. Ausführende waren nachweislich Gestapo, SD, die Einsatzgruppen, Säuberungsbrigaden Heydrichs und Himmlers aus dem Reichssicherheitshauptamt, wofür die Namen Otto Ohlendorf, Erich Naumann, Paul Blobel, Werner Braune stehen, um nur einige zu nennen. Den berühmt-berüchtigten "Stroop-Bericht" von 1943 ("Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr") verfaßte nicht ein Wehrmachtsgeneral, auch kein Angehöriger der Waffen SS; er stammt vom Polizeiführer im Distrikt Warschau, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei Jürgen Stroop (als Faksimileausgabe 1960 bei Luchterhand erschienen).
Die Wirkungsgeschichte des Hitlerschen "Kommissarbefehls" spielte sich anders ab, als sie der ARD-Film zeigte. Wehrmachtskommandeure ignorierten den "Kornmissarbefehl". "Tatsächlich wurde der Befehl weitgehend nicht befolgt und 1942 aufgehoben, und später zählten ehemalige Politische Kommissare zu den engsten Mitarbeitern Wlassows", notiert Ernst Nolte in "Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus" (Herbig, München 1997, S. 431).
Was der Film indes nicht verschweigt: die antibolschewistische, deutschfreundliche Grundstimmung der Zivilbevölkerung und sehr vieler Rotarmisten im Sommer 1941.
Zwei Beispiele: die menschlich guten Kontakte zwischen slawischen, baltischen, kaukasischen Bauern und deutschen Soldaten und die enorme Wirkung der deutschen Flugblätter zu Beginn des Krieges, formuliert und verbreitet von einer Wehrmachtsdienststelle, die im Gegensatz zur Hitlerschen Kolonialpolitik einen slawenfreundlichen Befreiungskurs verfolgte. Es handelte sich um die Gruppe WPr IV "Aktivpropaganda". Dieser Zentrale einer psychologischen Kriegführung gehörten neben russophilen Balten- und Rußlanddeutschen auch zahlreiche "reichsdeutsche" Wehrmachtsoffiziere der späteren Militärfronde an (20. Juli). Der ARD-Film erwähnt sie nicht.
Im Mittelpunkt der Folge "Verbrechen der Wehrmacht" steht die Behandlung der slawischen Kriegsgefangenen. Fakt ist, daß von insgesamt 5,7 Millionen ca. 3,3 Millionen das Kriegsende nicht überlebt haben. Über drei Millionen Russen, Weißrussen, Ukrainer, die sich aufgrund ihrer Anti-Stalin-Haltung und eingedenk der guten Behandlung der Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg den Deutschen ergeben hatten. Die Wehrmacht habe sie verhungern lassen, behaupten die ARD-Kolporteure. Verhungert ja, aber nicht nach dem Willen deutscher Frontbefehlshaber. Ursache war die Praxis einer antislawischen Untermenschen-Ideologie einer Partei, die in den Prämissen einer imperialistischen Rassenpolitik dachte. Die Prügelstrafe für "Ostarbeiter" in Deutschland dekretierte Robert Ley 1943.
*
Es waren deutsche Frührevisionisten, die als erste auf diese Schandtat hinwiesen. Erinnert sei an den Schreckensbericht eines Heinz Danko Herre, 1941 Generalstabsmajor im XXXXIX. Gebirgskorps. Er erlebte am 26. Januar1942 die Gefangenenhölle von Stalino. Was er sah, ist nicht zu beschreiben. Wandelnde Leichen zwischen Verwesenden, zusammengepfercht wie Schlachtvieh. Nachzulesen in Jürgen Thorwalds "Wen sie verderben wollen" (Stuttgart 1952, S. 44 ff.).
In seinem vierten Wlassow-Kapitel des Buches "Die zwölf Gespräche 1935-1945" schildert Edwin Erich Dwinger sein Treffen mit einem SS-Obersturmbannführer aus dem Reichssicherheitshauptamt. Es ist der 20. August 1944. Gibt es noch eine Chance für eine russische Befreiungsarmee? Das einzige Reservoir seien die Gefangenenlager, meint Dwinger. "Aber die Insassen sind entkräftet." Und: "Immerhin sind bis heute fast zwei Millionen bei uns verhungert". Ob diese Zahl nicht etwas übertrieben sei, wirft der RSHA-Funktionär ein. Dwinger: "Nach meinen Informationen ist sie sogar zu niedrig" (Dwingers Erinnerungen erschienen 1966 im blick+bild Verlag, Velbert und Kettwig).
Das schaurigste Stück schamloser Geschichtsklitterung präsentierte ARD am 24. April beim Thema "Widerstand". 44 Minuten lang marschierten Deserteure durch die Optik. Ganz nebenbei erwähnt Ludwig Beck und Stauffenberg. Die eigentliche historische Tat Stauffenbergs (nicht das Attentat!) fiel unter den Zensorentisch: die Mobilisierung von slawischen, turkestanischen, kaukasischen "Hilfswilligen" als Kader künftiger Befreiungsarmeen, Generaloberst Guderian, Generalfeldmarschall von Brauchitsch, Oberst von Tresckow, General von Armin, Graf von der Schulenburg, Generalfeldmarschall Busch, Offiziere und Befehlshaber für eine antikolonialistische Politik im Zeichen eines deutsch-osteuropäischen Befreiungskrieges, die ARD-Schande brandmarkte sie als Vollstrecker eines "verbrecherischen Angriffskrieges".
27. August 1941. Auf dem Gefechtsstand Guderians im schwer umkämpften Jelnjabogen südlich von Moskau trifft der Verfasser der Denkschriften "Wesensfundamente einer Ostraumpolitik" und "Der russische Mensch" ein. Edwin Erich Dwinger. Autor der Weltbestseller "Zwischen Weiß und Rot", "Armee hinter Stacheldraht" , ein russophiler nationalsozialistischer Dissident. Ein nächtliches Gespräch, in dem es, zwei Monate nach Kriegsbeginn, um die Aufstellung einer russischen Befreiungsarmee geht.
Dwinger berichtet über den Chef der Organisationsabtellung Ost, Graf Stauffenberg. "Seine Idee heißt: aus den Gefangenen eine Hilfsarmee aufzustellen, Weil ihm bei seinen ersten Anfängen jedoch gesagt wurde, daß sich diese Idee strikt gegen den Willen des Führers richte, ist er als Ausweiche auf den Gedanken der 'Hiwis' gekommen… der Kern einer Befreiungsarmee!" Das sei ihm natürlich bekannt, erwidert Guderian: "Macht es hier doch so ähnlich! Wir brauchen solche Hilfstruppen nämlich dringend, unsere Divisionen schmelzen wie Schnee in der Sonne! Aber sie werden natürlich nur zuverlässig sein, wenn wir sie mit der Überzeugung erfüllen, daß sie an ihrer Befreiung mitarbeiten, wie Sie das von Anfang an gefordert haben."
Dwinger hat die Zivilcourage, die politische Achillesferse zu nennen, und sie heißt Hitler: "Diese Befreiung jedoch, Herr Generaloberst, will man gar nicht! Das ist die schmerzlichste Erkenntnis der letzten Wochen… Hitler will gar nicht befreien, will eindeutig nur erobern. Darüber hinaus das Eroberte auch noch zur Kolonie machen, nichts als hundert Millionen Arbeitssklaven für sich gewinnen."
Dwinger fährt fort: "Darum alle diese unfaßbaren Anweisungen, die ich bis dahin nur als töricht ansah. Sie sind gar nicht so töricht, sie sind im Grunde nur 'linientreu'… Denken Sie nur an sein Verhalten zu Lohse, Kube, Koch, den schon bestallten Generalkommissaren. Guderian ist entsetzt ("mir fällt es jetzt wie Schuppen von den Augen").
Man kommt auf die Einsatzkommandos zu sprechen. "Ich war sogar einmal in Minsk, in der Höhle des Löwen Nebe", erzählt Dwinger. "Er ist ein eigenartiger Mann, vielleicht sogar ein Hasardeur. Was also in diesen SD-Dienststellen geschieht, Herr Generaloberst, ist eine ewige Schande für uns. Als ich zum Beispiel zu einem Sturmbannführer aufs Büro kam, saß er gerade am Schreibtisch, hakte auf einer langen Liste einen Namen nach dem andern ab. 'Ich mache gerade Tausende für morgen früh fertig', sagte er, als ob er Kohlköpfe für seine Küche abzähle. 'Wollen Sie sich das nicht mal ansehen? Es ist hier gleich vor der Stadt, ich nehme Sie gern in meinem Wagen mit…'"
Guderian reagiert mit einem "Entsetzlich…",versichert, daß sich fast alle Feldmarschälle mit allen Mitteln dagegen gesträubt hätten, die Einsatzgruppen in ihrem Heeresgebiet tätig werden zu lassen. "Nicht einem einzigen ist ihre Ausweisung geglückt, nicht einmal unserem sonst so unnachgiebigen Vorbild Leeb. Wiederum ist es Hitlers persönlicher Wille, daß diese Gruppen in dieser schauerlichen Weise tätig sind."
Ausführlich berichtet Dwinger von den Schlächtereien der SD-Einsatzgruppen, um zum Schluß an Guderian die Frage zu richten: "Wie soll es dann aber weitergehen, Herr Generaloberst, wie sollen wir den Krieg noch gewinnen? Eine Hilfsarmee verboten, jedes menschliche Verhalten verboten. Das kann doch à la longue gesehen nur zur Katastrophe führen." Und diesen Dwinger wollte Himmler 1941 als "persönlichen Ostreferenten" gewinnen! Das hier wiedergegebene Gespräch stammt aus den schon erwähnten Erinnerungen Dwingers, erschienen vor 32 (!) Jahren, doch für die Serienmacher von ARD und ZDF einfach nicht existent.
20. Juli 1943. Im Wiener Hotel "Bristol" kommt es erneut zu einem Treffen zwischen Dwinger und Guderian. Das Thema Wlassow beherrscht das Gespräch, Wlassow und der Kreis deutscher Offiziere, die dessen Befreiungspläne aktiv unterstützen. Dwinger erwähnt den baltendeutschen Hauptmann Wilfried Karl Strik-Strikfeldt, Verbindungsoffizier der Wehrmachtspropagandaabteilung (WPr) zu Wlassow. "Aber Strikfeldt ist nicht unser einziger Kämpfer, wir haben schon eine ganze Handvoll davon", enthüllt Dwinger. "Hervorragend setzte sich Feldmarschall von Kleist im Kaukasus ein, aus dem er das Musterland eines Freundschaftsbündnisses gemacht hätte. Einmal hat er sogar eine SS-Division zur Ordnung gerufen, als sie nicht genau in seiner Linie spuren wollte. Auch Feldmarschall von Manstein ist zu uns übergegangen, er erließ kürzlich einen Befehl mit dem Tenor: 'Die Bevölkerung der besetzten Gebiete ist als Verbündeter zu behandeln!' Leider geht uns gerade der Kaukasus verloren, somit auch das Musterstück dafür, wie wir es überall hätten machen sollen. Andererseits war es nur durch die kurze Besatzungszeit möglich, denn die Feldmarschälle ließen während der Zeit niemand herein, ließen die neuen Generalkommissare einfach vor der Tür stehen" (S. 120).
Als Beispiel für eine Anti-Hitler-Ostpolitik zeigt Dwinger ein Flugblatt, das Generalfeldmarschall Ernst Busch im Hinterland der Heeresgruppe Mitte verbreiten ließ. Den Text ("Denkst Du daran… ?") hatte Dwinger aus seinen Denkschriften zusammengestellt. Das Flugblatt wurde im Sommer 1943, in mehreren hunderttausend Stück gedruckt, über die Kompaniechefs an die gesamte, in Westrußland und Weißrußland stationierte Heeresgruppe verteilt.
Zehn Gebote für den deutschen Soldaten, darunter: "Schlage nie einen Russen. Erstens kann es der GPU-Mann besser, zweitens ist es halb so schlimm für den Geschlagenen, wenn es einer seines eigenen Volkes tut. Wenn Du in einem russischen Haus in Quartier liegst, so zeig den Bauern Bilder von Deinen Kindern. Du wirst sofort Zugang zu ihren Herzen bekommen. Sei überhaupt freundlich zu den russischen Kindern, schenk ihnen Kleinigkeiten aus der Marketenderei, die Eltern werden dann das letzte Stück Brot mit dir teilen. Belächle niemals ihre Wissensgier, sondern suche sie zu stillen. Die Russen sind ein äußerst lernfreudiges Volk, sie lieben daher ihre Schulen über alles. Nach der Revolution haben die jungen Russen jahrelang, Mädchen wie Knaben, ihre Feierabende geopfert, um die primitiven Alten zu unterrichten. So haben sie mit unendlicher Mühe das Analphabetentum liquidiert - wer von unseren jungen Menschen würde dafür seine Freizeit opfern? Nähere Dich den russischen Mädchen in anständiger Form, sie sind die prüdesten in Europa, ihnen bedeutet Reinheit noch eine echte Tugend. Du kannst dem deutschen Ansehen durch nichts mehr schaden, als wenn Du Dich als draufgängerischer Hooligan aufführst. Prahle dem Russen gegenüber nicht, um wieviel schöner alles bei uns sei, es ist dies ohnedies eine schlechte deutsche Eigenschaft. Einem so armen Volk gegenüber, das so maßlos gelitten hat, ist es geradezu eine unverzeihliche Barbarei. Da man dem Russen nur barsch befahl, müssen wir mit Höflichkeit anordnen, da man keinen Erlaß zu begründen pflegte, müssen wir jeden vernünftig zu erklären suchen. Den sowjetischen Natschalnik durch den Feldwebel von 1914 ersetzen zu wollen, wäre jedenfalls der größte Fehler der deutschen Soldaten… Man komme nicht immer wieder mit dem bequemen Einwand, der Russe wolle den Herren sehen, ihm müsse man mit Glanz imponieren, das sind nichts als Einwände einer längst versunkenen Zeit. Dem neuen Russen imponiert nur mehr Schlichtheit, ihn beeindruckt auch nur mehr echte Leistung. Diese aus dem 'Untermenschen' geborene Auffassung ist die schlimmste, wie der Begriff des Untermenschen überhaupt der dümmste aller unserer Begriffe ist" (S. 125 f.).
Kann man sich eine aufrichtigere Liebeserklärung von Besatzern an die Besetzten vorstellen?
Das sind Fakten, sind Zeugnisse einer humanen proslawischen Ostpolitik der Wehrmacht und ihrer zivilen Bundesgenossen. Über die existentiellen Spannungen zwischen Hitlerismus und Wehrmachtsfronde in jenen schicksalsschweren Jahren weiß der sechsteilige ARD-Film "Soldaten für Hitler" nichts zu berichten - keine einzige Charakterstudie jener Wehrmachtsoffiziere, die sich auch als Soldaten gegen Hitler begriffen, gegen Hitlers Raub- und Versklavungspolitik.
Nebenbei erwähnt: dieser Film ist ein Gulasch aus Dokumentation, Fiktion und Agitation. Nicht nur, daß Spielszenen in die Dokumentation eingeführt wurden; bei der Zuordnung und Kommentierung von historischem Bildmaterial schreckte man nicht vor plumpesten Fälschungen zurück. Jürgen Engert vom Geschichtlichen Arbeitskreis der ARD, ein Intimfreund von Hannes Heer und Jan Philipp Reemtsma, kann sich vorstellen, daß die Bundeswehr die sechs Filme in ihre Ausbildung übernimmt (was sicher geschehen wird). Engert hat ein Begleitbuch herausgegeben. Es findet in PDS-Kreisen reißenden Absatz.