2. Flucht, Austreibung und Ausmordung der Deutschen
Am 12. Januar 1945 waren die Truppen der Roten Armee in einer gewaltigen Übermacht aus dem Weichselbogen bei Baranow, Magnuszew und Pulawy zu ihrer großen und letzten Offensive angetreten. Ihre Angriffe in Richtung Königsberg, Breslau und das oberschlesische Industriegebiet stießen überall durch, weil die deutschen Abwehrkräfte einfach zu schwach waren, die außer im Osten auch noch die Fronten im Westen und Süden gegen übermächtige Gegner halten sollten. Jetzt rächte es sich auch, daß man wegen der Ardennen-Offensive im Westen starke Panzerverbände von der Ostfront abgezogen hatte. Dies gab der Roten Armee die Chance, mit ihrer Panzerlawine durchzurollen. Bereits am 20. Januar überschritten ihre Truppen östlich von Breslau die alte Reichsgrenze. Bei Brieg und Steinau wurde am 23. und 28. Januar die Oder erreicht. Kurz darauf war Breslau eingeschlossen. Die Stadt hielt sich bis zum 7. Mai 1945. Erst an diesem Tag zog die Rote Armee in die zertrümmerte Stadt ein, die sie - entgegen ihren Zusicherungen - zur Plünderung und Schändung freigab.
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Da die Greuel und Brutalitäten der Sowjetsoldaten wegen des schnellen Vormarsches relativ spät bekannt wurden und die Aufforderung zur Flucht an die Zivilbevölkerung zu spät erfolgte, wurden viele Flüchtlingskolonnen und Trecks von den Sowjets überrollt, und es spielten sich unbeschreibliche Szenen ab.
Am 30. Januar war Königsberg eingeschlossen, und am 1. März erreichte die Rote Armee bei Köslin das Ufer der Ostsee. Kolberg konnte solange gehalten werden, bis der letzte Flüchtling und die Besatzung der Stadt gerettet waren. Der Fluchtweg über Land war nun allen Flüchtlingen aus Ostpommern und Danzig abgeschnitten. Alle Trecks strömten nun nach Danzig und Gotenhafen zurück, um von dort aus über See den nachdrängenden Sowjets zu entkommen. Am 27. März fielen auch diese beiden Städte.
In Schlesien waren bereits schon Ende Januar alle ostwärts der Oder gelegenen Gebiete in der Hand der Roten Armee, Oppeln war bereits am 26. Januar gefallen. Ende Januar gingen in Oberschlesien Beuthen, Gleiwitz, Kattowitz und Hindenburg verloren. Königsberg, seit Wochen völlig eingeschlossen, mußte am 6. April kapitulieren. Auch diese Stadt wurde entgegen den Zusicherungen der Führung der Belagerungstruppen achtundvierzig Stunden lang zur Plünderung freigegeben.
Auch hier wurde geschlagen, ermordert, verschleppt und geschändet. Dies wird durch Tausende Dokumente bewiesen. Bereits am 16. Oktober stießen starke Verbände der Sowjets aus dem Baltikum kommend nach Ostpreußen vor und erreichten bei Eydtkuhnen deutsches Reichsgebiet. Vierhundert deutsche Dörfer und Städte gingen bei diesem ersten Ansturm verloren, darunter auch Wirballen, Rominten und Goldap. Es waren insgesamt vier Sowjetarmeen, die nach Ostpreußen hineinstürmten.
Am 20. Oktober 1944 trat die 11. Garde-Panzerarmee der Sowjets erneut an und erreichte am Abend des folgenden Tages Nemmersdorf. Als dieser Großverband von der 5. PD und der „PD-Hermann Göring" zurückgeworfen wurde, stießen die deutschen Panzermänner in und bei Nemmersdorf auf Bilder des Grauens. Frauen waren in gekreuzigter Haltung an Scheunenwände genagelt. Kinder lagen mit zerschmetterten Schädeln in Straßengräben und Jauchengruben. Kriegs-
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gerichtsrat Paul Groch und Stabsarzt Dr. Werner Rose trafen als erste am Ort dieses Massakers ein. Ihnen folgte eine Ärztekommission, die diese Verbrechen für alle Zeit festhielt.
Der Augenzeuge Dr. Heinrich Amberger berichtete folgendes: „Am Straßenrand und in den Höfen und Häusern lagen massenhaft Leichen von Zivilisten, die augenscheinlich nicht im Verlauf der Kampfhandlungen durch verirrte Geschosse getötet, sondern planmäßig ermordet worden waren. Unter anderem sah ich zahlreiche Frauen, die man, nach der Lage der verschobenen und zerrissenen Kleidungsstücke zu urteilen, vergewaltigt und danach mit Genickschuß getötet hatte. Zum Teil lagen daneben auch die ebenfalls getöteten Kinder."
Der Genfer Courier veröffentlichte am 7. November 1944 den Augenzeugenbericht seines Sonderkorrespondenten an der Ostfront. Dieser meldete: „Die Lage wird nicht nur durch die erbitterten Kämpfe der regulären Truppen gekennzeichnet, sondern leider auch durch Verstümmelung und Hinrichtung von Gefangenen und die fast vollständige Ausrottung der deutschen bäuerlichen Bevölkerung."
Auch in Alt-Wusterwitz südlich Gumbinnen würden ähnliche Verbrechen der Roten Armee gemeldet. Dazu der Zeuge Hans Zirm: „Am 24. Oktober bezog ich mit meinem Zug eine Luftschutzstellung im Raum westlich von Girnen, etwa neun Kilometer südlich Gumbinnen. Auf der Suche nach einer Unterkunft kam ich auch zu dem Vorwerk Alt-Wusterwitz und mußte dort folgende Feststellung machen: Die Russen hatten sämtliche Zivilisten, denen die Flucht nicht mehr gelungen war, auf einem Gutshof auf bestialische Art ums Leben gebracht. Im Stall lagen sechs verbrannte Skelette, daneben ein junges Mädchen, fast nackt, das erst vergewaltigt (die Geschlechtsteile waren blutig) und dann durch zwei Schüsse in Brust und Bauch getötet waren war. Im Schuppen lag ebenfalls ein totes Mädchen, das vorher vergewaltigt worden war."
Dies alles waren keine Einzelfälle. In unzähligen Dörfern Ostpreußens, Pommerns und Schlesiens zeigten sich diese Grausamkeiten in den letzten Monaten des Krieges. So beispielsweise auch in Metgethen. Hierüber ein Bericht des Kommandanten eines Tigerpanzers, der bei einem Gegenangriff Metgethen erreichte:
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„. . . Ohne Panzerausfälle erreichten wir die Hauptkampflinie des Gegners. Troß und Artillerie waren vor uns auf der Flucht. Als wir Metgethen erreichten, stockte uns das Blut in den Adern. Tief erschüttert sahen wir, was die Russen dort gegen Ende Januar 1945 angerichtet hatten. Auf einem Bahnhof stand ein Flüchtlingszug. Darin waren Frauen und Mädchen vergewaltigt worden, anschließend hatte man sie einfach umgebracht. Im Lauf des 20. Februar wurde auch das Dorf Powayen zurückerobert. Hier ebenso wie in dem Dorf Groß-Medenau, das am 23. Februar in Besitz genommen wurde, das gleiche Bild. Erschlagene und verstümmelte Menschen allen Alters und Geschlechts.
Erschlagene und verstümmelte Zivilisten lagen neben Säuglingen auf den Straßen der Dörfer, in den Häusern und aneinandergereiht in den Gärten."
Dies hier war keine Goebbels-Propaganda, wie die Feindseite immer tönte. Hier sahen deutsche Soldaten mit eigenen Augen, wie der Zivilbevölkerung in unvorstellbarer Weise mitgespielt wurde. Und es war schlimmer als alles, was sie davon gehört hatten. Auch der Soldat B. H. sagte über Metgethen aus: „Im Verlauf des deutschen Angriffs zur Wiederherstellung der Landverbindung zwischen Königsberg und Pillau vom 19. bis zum 24. Februar 1945 konnten alle Soldaten der Angriffsverbände folgende Verbrechen feststellen:
1. Im Ort Metgethen, einem westlichen Vorort von Königsberg, fanden wir in vielen Wohnungen Frauen und Kinder im Alter von zehn bis achtzig Jahren geschändet und ermordet vor. Etwa zweihundert Tote dieser Art haben wir mit Truppenfahrzeugen eingesammelt und zur Identifizierung gebracht. Dies allein im Gefechtsstreifen der 1. und 561. Infanteriedivision.
2. Auf dem Tennisplatz von Metgethen befand sich ein Sprengtrichter von etwa zehn Metern Durchmesser und vier Metern Tiefe. In seinem Innern, auf seinem Rand und in der nächsten Umgebung des Trichters, am und auf dem hohen Drahtzaun des Tennisplatzes und in den Ästen der umstehenden hohen Bäume lagen und hingen erdverschmierte Leichen und Leichenteile von etwa fünfundzwanzig Männern, Frauen und Kindern, drei oder vier Flaksoldaten und einiger Männer in deutscher Polizeiuniform. Rund um den Trichter
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lagen einige Pferdekadaver und Fuhrwerke mit zerfetztem Flüchtlingsgut. Andere Leichen teile z. B. Knie, Arm mit Hand und so weiter, fanden wir bis zu zweihundert Meter in der Umgebung des Tennisplatzes.
Die Erklärung zu diesem Massaker: Offenbar wurden Flüchtlinge, gefangene Soldaten und Polizisten in den auf dem Tennisplatz befindlichen Trichter einer Fliegerbombe getrieben, alle Treckwagen darum gestellt und eine Sprengladung auf dem Boden inmitten der Eingepferchten zur Entzündung gebracht." (Zu allen geschilderten Aussagen siehe: Bundesarchiv Koblenz: Ost-Dokumentationen, 1/31, 2/20, 2/14, 2/9, 2/8 und andere.)
„Ein Feldwebel wies auf ein Mädchen und zwei deutsche Soldaten, die man in der Kirche vorgefunden hatte. Das Mädchen war gekreuzigt und die beiden Soldaten als Pendant links und rechts von ihr aufgehängt worden.
Auf meinem weiteren Weg lagen überall bis an die Straßenkreuzung nach Powayen Leichen von Zivilpersonen. Während die Männer meist mit Genickschuß ermordet waren, waren die Frauen völlig entkleidet, vergewaltigt und dann in viehischer Weise durch Bajonettstiche oder Kolbenhiebe umgebracht worden. Den Kindern war meist mit einem harten Gegenstand der Schädel eingeschlagen oder der kleine Körper von zahllosen Messerstichen durchbohrt." Von diesen unzähligen Brutalitäten und Unmenschlichkeiten, die sich beim Vormarsch einer Armee von Ungeheuern vom Balkan bis an die Ostsee ereigneten, die Schilderung des Zusammentreffens einer Kolonne von Flüchtlingen mit polnischen Partisanen und einer sowjetischen Panzerspitze:
„Sofie Jesko und ihre Gruppe wurden etwa dreißig Kilometer hinter Posen von ihrem Schicksal ereilt. Sie hatten einen langen und mühseligen Marsch hinter sich, der durch den Straßenzustand und die schneidende Kälte noch erschwert worden war. Einige hatten erschöpft aufgegeben; die anderen waren weitergezogen, nur beherrscht vom Gedanken, so schnell wie möglich ans Ziel zu gelangen. In der Nähe der Stadt Schroda wurden sie plötzlich von einer aus Süden kommenden Kolonne deutscher LKW überholt. Die Lastwagen hielten und die Insassen sprangen hinunter. Zum Schrecken der
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Flüchtlinge waren es polnische Partisanen, die sie mit Waffengewalt von der Straße abdrängten und sofort damit begannen, das Gepäck der Flüchtlinge zu plündern. Die Unglücklichen sahen resigniert und erbittert zu, wie ihnen das Wenige, das sie gerettet und mühselig mitgeschleppt hatten, nun entwendet wurde.
Kurz darauf ließ sie ein dumpfes, rhythmisches Dröhnen aufhorchen; mit Schrecken hörten sie es näher kommen und sahen schließlich sowjetische Panzer, die langsam und bedrohlich auf sie zurollten und anhielten. Am vordersten Panzer ging langsam der Turm auf und ein Offizier erschien, der nach deutschen Soldaten fragte. Da er keine ihn befriedigende Antwort erhielt, befahl er den Panzerschützen, alle Verdächtigen sofort zu liquidieren.
Die Soldaten gehorchten und verschossen Nebelgranaten. In dem künstlichen Nebel sprangen sie aus ihren Panzern und begannen nun auf ein Signal hin das Abschlachten, Plündern, Vergewaltigen. Man hörte Schüsse, die Schreie der Sterbenden, das Kreischen der geschändeten Frauen, die Hilferufe der Kinder und alten Frauen, die vom Gejohle und vom dem unverständlichen Geschrei der Angreifer erwidert wurden.
Wie lange das Inferno dauerte, vermag Sofie Jesko nicht zu sagen; sie berichtet nur, daß sie sich dank ihrer perfekten Kenntnisse der russischen und polnischen Sprache retten konnte, da sie den Sowjets in ihrer Sprache erklärte, sie sei eine verschleppte Ostarbeiterin. Als endlich alles still war und die Lebenden die Toten zählen konnten, die in der Überzahl waren, suchte die Frau nach ihrer Freundin Frau Lange. Sie fand sie unter den Toten mit ihrem Sohn, der neben den Leichen der zusammen mit den Deutschen aus Penczniew geflüchteten Polen lag.
Die Sowjets hatten sich beruhigt und rüsteten mit gleichgültigen Blicken auf das, was sie angerichtet hatten, zum Aufbruch. Nun jedoch kehrten die Partisanen zurück, und für die Überlebenden kam die nächste, noch schrecklichere Tragödie.
Sofie Jesko sah die alte Frau sofort, die im offenen Pelz mit im Wind flatterndem weißen Haar auf einem der Lkw saß und wie eine Furie aussah. Sofie Jesko wurde von instinktivem Entsetzen gepackt. Die jungen Mütter, die bei dem Massaker verschont geblieben waren,
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wurden mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm von den polnischen Burschen zu der weißhaarigen Alten gestoßen und mußten sich in einer Reihe aufstellen. Die Frau riß ihnen die Säuglinge aus dem Arm und schlug deren Köpfe mit aller Kraft auf die Kante des Lastkraftwagens. Die verzweifelt schreienden Mütter brachen zusammen und wurden weggezerrt.
Es nahm erst ein Ende, als sämtliche Säuglinge getötet waren. Dann wurde den Überlebenden unter Androhung von Waffengewalt befohlen, nach Penczniew zurückzukehren. Auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren und der nun von den Leichen der Erschossenen und Erhängten wie von Meilensteinen gesäumt war, zogen sie in ihre schwerbeschädigte Heimatstadt zurück, die nun nicht mehr die ihre war." (Dokument, d. Vertreibg. d. Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, Bundesministerium f. Vertriebene, 1954, Nr. 92, 271, 47, 49, 102, 106.) Konnten diese Mordtaten, diese unmenschlichen Verbrechen ohne das Wissen der obersten sowjetischen Führung geschehen? Handelte es sich hier um Einzelverbrechen und nicht um Befehle, die dazu ausgegeben wurden? (Über den zu erwartenden Mordterror der Sowjets gegen die deutsche Zivilbevölkerung war bereits im Februar 1944, also lange vor den Ereignissen, sogar das britische Informationsministerium eingeweiht. Siehe Kapitel I, Seite 15-17, in diesem Buch.) Wer auch nur annähernd die Zigtausende Zeugenvernehmungen der betroffenen Bevölkerung und der Soldaten durchblättert, ist überzeugt davon, daß dies alles auf höchster Ebene so befohlen wurde und daß die entmenschte Soldateska nur zu gern diesen Weisungen folgte, die in Operationsbefehlen und Aufrufen an sie gerichtet wurden. Es darf auch daran erinnert werden, daß die Soldaten der Roten Armee zum größten Teil in asiatischen Ländern der Sowjetunion beheimatet waren und, was Grausamkeit im Kampf anbelangt, diese Menschen mit dem Mitteleuropäer nicht zu vergleichen sind. Der deutsche Landser, der an der Ostfront im Einsatz stand, hat in vier Jahren dieses Verhalten des Gegners bis zum bitteren Ende erdulden müssen. Der Einfall der Roten Armee in Mittel-Osteuropa hat einen Dschingis Khan weit in den Schatten gestellt.
Die politischen Abteilungen der Fronten - wie die russischen Heeresgruppen genannt wurden - hatten den Boden zu diesen Verbrechen sy-
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stematisch bereitet. Armee- und Frontzeitungen, Aufrufe, beispielsweise jener von Ilja Ehrenburg, zu morden und zu schänden, zu brennen und zu erschlagen, taten ein übriges. Die Aufrufe zur Rache ließen keinen Rotarmisten darüber im Zweifel, daß darin aufgefordert wurde, alle diese Schandtaten zu begehen. Dies ging sogar soweit, daß die Truppe ihrer Führung entglitt.
Die großen Pünderungsaktionen wurden von sowjetischen Großverbänden ausgeführt. Alle Wohnungen wurden von ihnen durchkämmt. Sie, die im Rücken der kämpfenden Truppen in die eroberten Dörfer und Städte einzogen, stahlen buchstäblich alles. Und was sie nicht wegschleppen konnten, das wurde zerschlagen oder verbrannt. Jedem Soldaten der Roten Armee war im Monat die Versendung eines Paketes im Gewicht von fünfzehn Kilogramm nach der Sowjetunion gestattet worden. Dies genügte, um aus einer Millionenarmee eine Bande von Plünderern zu machen.
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