Helmut Sündermann (32 KB)

Zeuge Nr. 35: Helmut Sündermann.

Helmut Sündermann:

"Die Nürnberger Ankläger… operierten mit einigen geschätzten Zahlen und mehreren wohlpräparierten Zeugen!"

ZEUGE NR. 35

SÜNDERMANN Helmut, Stellvertretender Pressechef der ehemaligen Reichsregierung.

VERFOLGUNG: Auf Grund seiner politischen Gesinnung eingekerkert. Seinen Werdegang kann man den folgenden Zeilen entnehmen:

Hitler wußte von nichts. Warum wurde Himmler ermordet? Die Säulen der Gaskammer, Poliakov, Reitlinger, Gerstein, Höttl, Höß und Wisliceny werden in ihren Aussagen gewogen und zu leicht befunden.

Helmut Sündermann, mit dem der Verfasser dieses Buches einmal, Anfang der siebziger Jahre, in Wien zusammengetroffen ist, zweifelte an der Gaskammer. Von seinen zahlreichen Büchern wird hier das Werk "HIER STEHE ICH" / Druffel-Verlag auszugsweise zitiert. Die Meisterschaft, mit der er schon sehr früh die Gaskammer anzweifelte, ohne frontal anzugreifen, scheint uns heute zaghaft. Jene Tage jedoch erlaubten keine andere Taktik.

Geboren in den letzten Friedensjahren der Wilhelminischen Ära, aufgewachsen in den Stürmen der Weimarer Republik, in der Kampfzeit der ersten 30er Jahre zum politischen Journalisten gereift, folgte Helmut Sündermann im Mai 1933 seinem Lehrmeister und späteren Reichspressechef Dr. Otto Dietrich nach Berlin. 1937 wurde er Stabsleiter, später Reichshauptamtsleiter und ab Juli 1942 "Stellvertretender Pressechef der Reichsregierung" - eine vielseitige Aufgabe, da Dr. Dietrich häufig fern von Berlin im Führerhauptquartier tätig war. Zuvor hatte sich Helmut Sündermann bereits als politischer Publizist profiliert; durch Dr. Dietrich wurde er auch in den engeren Kreis der Reichskanzlei eingeführt; so begleitete er u. a. Hitler auf dessen drei Auslandsreisen (Venedig 1934, Rom 1938 und Hendaye 1940), war auch unmittelbarer Zeuge des triumphalen Einzugs in Österreich am 12. März 1938 und bereitete die dortige Volksabstimmung pressemäßig vor. Als intimer Sachkenner und auf Grund seines hervorragenden Einblicks in die entscheidenden Vorgänge des Dritten Reiches konnte Helmut Sündermann seine brillanten Erinnerungen schreiben, die nicht nur ein getreuer Spiegel der Erlebnisse und Erfahrungen jener oft dramatischen Epoche sind, sondern darüber hinaus ein faszinierendes historisch-politisches Zeitdokument aus erster Hand darstellen. Diese glänzend geschriebenen Erinnerungen umspannen die Epoche der beiden Deutschlandkriege von 1914 bis 1945; in ihnen zeichnet der Autor die Stationen seines bewegten politischen und publizistischen Lebens bis zum deutschen Zusammenbruch 1945 und die anschließenden Lager- und Gefängnisjahre.

Die Mitglieder der Reichsregierung haben nichts gewußt! (Seite 249)

Das Geheimnis der Endlösung:

Hans Fritsche, der inzwischen verstorbene, vom Nürnberger Tribunal freigesprochene Angeklagte im sog. Prozeß der "Hauptkriegsverbrecher", schildert in seinem Buch "Das Schwert auf der Waage" überzeugend, wie überrascht und empört die meisten seiner damaligen Mitangeklagten waren, als die Anklagebehörde begann, Beweise dafür vorzulegen, daß in den letzten Kriegsjahren im deutschen Machtbereich unzweifelhaft eine große Mordkampagne gegen internierte Juden stattgefunden hatte. Es erging diesen Männern auf der Nürnberger Angeklagtenbank nicht anders als allen Deutschen damals: sie blickten schaudernd in einen Abgrund.

Gaszeuge Nr. 1, der Jude Poliakov, wird erschüttert.

Natürlich sind es Anklageschriften, die von dieser Seite vorgelegt werden - aber welcher rechtlich Denkende könnte jüdischen Schriftstellern das zum Vorwurf machen?! Das erste dieser Werke ist von Léon Poliakov, dem wissenschaftlichen Leiter des "Centre de Documentation Juive Contemporaine" in Paris, zusammengestellt worden und im Arani-Verlag in Berlin unter dem Titel "Die Juden im Dritten Reich" in deutscher Übersetzung erschienen. Dieser umfangreiche Band ist nicht sehr beweiskräftig, wie noch festzustellen sein wird. Schon der Titel ist irreführend - es handelt sich keineswegs um eine Dokumentation, die etwa das Gesamtproblem der Behandlung des Judentums im Dritten Reich 1933 bis 1945 umschließt, sondern um eine im wesentlichen erst 1938 einsetzende Auswahl von Zitaten unterschiedlichster Qualität in polemischer Aufbereitung. Immerhin finden sich hier einige wirklich wichtige Dokumente, wie der erst nach Abschluß des Nürnberger Prozesses am 18. 11. 1946 verfaßte Bericht des SS-Hauptsturmführers Wisliceny sowie der statistische Bericht des Dr. Korherr an Himmler vom 19. 4. 1943 sowie die ihm dazu erteilte Weisung vom 20.4.1943, im Wortlaut z. T. in Faksimile-Wiedergabe. Wesentlich aufschlußreicher als der unkritische, immer noch auf Propaganda abgestellte sog. "Dokumentenband" von Poliakov ist das mit beträchtlich größerer Mühe erarbeitete Werk von Gerald Reitlinger "Die Endlösung" (deutsche Übersetzung im Colloquium-Verlag, Berlin erschienen). Reitlinger selbst tarnt sich nicht. Er erklärt ehrlich, daß er als Jude und als Ankläger schreibt, und unter diesem Aspekt wird der fast 700 Seiten starke Band, so mühselig er zu lesen ist, sachlich beachtenswert.

Gaszeuge Nr. 2, der Jude Reitlinger wird erschüttert (S. 252/253).

Natürlich bietet auch Reitlinger keine Zusammenhänge, und er beleuchtet nur die eine, die deutsche Seite des Konfliktes. Auch seine Darstellung setzt erst 1938 ein, und es findet sich keinerlei Hinweis etwa auf die vom Zionistenführer und späteren Präsidenten von Israel, Dr. Chaim Weizmann, bei Kriegsausbruch 1939 veröffentlichte offizielle Vereinbarung mit der britischen Regierung, durch die die "menschlich-jüdische Kraft" unter die "zusammmenfassende Leitung der britischen Regierung" gestellt wurde - eine erstaunliche Erklärung, auf Grund derer die deutsche Regierung in der Tat berechtigt, ja fast gezwungen wurde, die in ihrem Machtbereich lebenden Juden als Kriegsgegner zu betrachten und zu behandeln. Reitlinger wird für sich in Anspruch nehmen, daß damit äußersten Falles ein deutsches Recht auf Internierung der Juden begründet wurde - und so ist es auch; aber sein Buch hätte gewonnen, wenn er diesen Hintergrund wenigstens erwähnt hätte. So sind die umfangreichsten Teile seines Werkes nur eine "Leichenschau" geworden - er selbst gebraucht dieses Wort. Trotz aller Tragik erschüttert es weniger, als es ermüdet: So als ob etwa ein deutscher Schriftsteller uns nochmals durch das tagelang bombardierte Dresden wandern ließe - in jeden Keller blicken, in dem verkohlte Körper ineinander verkrampft liegen, jeden der Plätze untersuchen, auf dem zertrümmerte Flüchtlingswagen sich mit blutigen Leichenhaufen mischen - und der Erzähler uns nie gestatten würde, den Schritt zu beschleunigen, sondern bei jeder grausigen Einzelheit erneut die Stimme erhöbe, ja uns im Kreise führen und zu den furchtbarsten Stätten uns immer und immer wieder hingeleiten wollte. Nachdem Reitlinger seine Wanderung durch den weiter Östlich gelegenen Bezirk des Todes schließlich doch beendet hat, findet der Verfasser, daß der Leser "der die Geduld hatte, auch nur einem Bruchteil dieses düsteren Berichtes zu folgen, sich Dutzende Fragen gestellt haben wird". So ist es in der Tat. Die Nürnberger Ankläger machten es sich einfacher. Sie operierten mit einigen geschätzten Zahlen und mehreren wohlpräparierten Zeugen. Diese Nürnberger "Affidavits" und die Publikationen der Nachkriegsjahre verlieren für den an Gewicht, der - wie Reitlinger - mehr Material verarbeitet. So hat sich beispielsweise herausgestellt, daß das "imposante Krematorium in Maidanek, das in der englischen Presse abgebildet worden ist", in Wirklichkeit doch "keine Todesfabrik in der Art von Auschwitz war", und die Nürnberger Erklärung des Auschwitzer Lagerleiters Höß (die noch im Poliakov-Buch als eines der wichtigsten Dokumente figuriert) nötigt Reitlinger eine Bemerkung über den "perversen Größenwahn" ab, der Höß dazu veranlaßt hat, in einer schriftlichen Erklärung die "Verantwortung für die Ermordung von zweieinhalb Millionen Menschen auf sich zu nehmen" (S. 115) und mit der gleichen Skepsis gegenüber Höß' "verwirrten und wortreichen Aussagen" (S. 119) begegnet er der Behauptung, Höß habe schon im Sommer 1941 einen geheimen Auftrag Himmlers erhalten, während dieser einen solchen Befehl nach Reitlingers Ansicht erst im Juni 1942 erteilt haben kann.

Nun, das sind Einzelheiten, die mit dem Gesamtbild ebensowenig zu tun haben, wie der Streit um die wirkliche Zahl der Tötungen. Während Poliakov leidenschaftlich an der gewohnten Propagandaziffer "6 Millionen" festhält, errechnet Reitlinger eine Höchstzahl von 4,8 Millionen, wobei er aber zu nicht weniger als 3,5 Millionen erklärt, daß es sich nicht um verläßliche Angaben handle. Reitlinger macht geltend, daß die Zahlenfrage für die Beurteilung des Gesamtvorganges nicht von ernster Bedeutung ist. Insoweit keine materiellen Forderungen aus den angestellten Rechenexempeln abgeleitet werden, wird man ihm zustimmen: Für die historische und sittliche Beurteilung ist es in der Tat völlig belanglos, ob wir es mit 6000, 600.000 oder 6 Millionen zu tun haben.

Die Gaszeugen 1 und 2 bestätigen widerwillig:

Endlösung war von Hitler als Auswanderung gedacht (Seite 254).

Mindestens bis 1941 hatte - wie Wisliceny überzeugend klarmacht (Poliakov S. 87ff.) und Reitlinger nicht bestreitet - das Wort "Endlösung der Judenfrage" sogar im engsten Kreis Himmlers noch die Bedeutung einer organisierten Auswanderung der Juden aus dem europäischen Raum. Sogar von Heydrich berichtet Reitlinger, daß dieser "nicht immer mit dergleichen Lösung beschäftigt" gewesen sei (S. 25). Obwohl Reitlinger natürlich bemüht ist, dem Wort "Endlösung" grundsätzlich die Bedeutung "Rassenmord" zu unterlegen, kommt er an einer Stelle (S. 343) zu dem Ergebnis, daß die "Frage nach der wahren Bedeutung der Endlösung beunruhigend und nicht zu beantworten" sei. In unseren Augen ist das nicht so "beunruhigend", denn mancher sonst unverständliche Vorgang erklärt sich, wenn wir wissen, daß innerhalb der Reichsführung unter dem Begiff "Endlösung" offenbar lange Zeit ganz etwas anderes verstanden worden ist als das, was alle Welt heute darunter begreift. Auch Reitlingers Darstellung leugnet nicht, daß bis in die ersten Kriegsjahre die Auswanderung der Juden aus dem Reich, ja die Bildung eines jüdischen Staatswesens außerhalb des deutschen Machtbereiches organisiert und gefördert worden ist - also gerade das Gegenteil dessen, was hätte geschehen müssen, wäre von vornherein ein "Rassenmord" geplant worden!

Der Plan, auf Madagaskar einen jüdischen Staat zu errichten, war nicht nur ein Hirngespinst. Reitlinger erwähnt, daß nicht nur die polnische, sondern auch die französische Regierung sich schon 1937 und 1938 damit beschäftigt haben. Nach dem deutschen Sieg aber Frankreich erhielt das Projekt eine neue Note. Zu den Frankreich aufzuerlegenden Friedensbedingungen sollte es gehören, daß das zum französischen Kolonialreich gehörige Madagaskar als jüdisches Staatsgebiet zur Verfügung zu stellen sei. Himmlers zuständige Dienststelle unter dem später berüchtigt gewordenen Sturmbannführer Eichmann beschäftigte sich das ganze Jahr 1940 hindurch mit diesem Plan; Hitler erwähnte ihn am l7. Juni 1941 noch Mussolini gegenüber. Reitlinger weiß begreiflicherweise mit dem ganzen Vorgang, an dem nachweislich auch noch Göring und Heydrich beteiligt waren, nichts Rechtes anzufangen. Er rettet sich in eine ironische Bemerkung: "Bestimmt hat Eichmann in keinem Jahr seines Lebens weniger angerichtet." (S. 87)

Es läßt sich nicht daran deuteln: Offenkundig war der Madagaskar-Plan bis 1941 die "Endlösung", und ebenso offenkundig hatte diese Endlösung nichts mit Rassenmord zu tun, sie war nicht nur nicht völkerrechtswidrig, sondern entsprach, wenn auch nicht in der geographischen Einzelheit, wohl aber im Prinzip sogar einer jüdischen Forderung.

Sündermann zweifelt, daß Hitler von Judenmorden wußte (Seiten 255/256).

Wir stehen hier unmittelbar vor dem merkwürdigsten Fragezeichen des ganzen Komplexes, vor einem Zweifel, der geradezu grotesk klingt, der aber trotzdem besteht: "Hat Hitler von den Judenmorden gewußt?"

Als Fritzsche noch während des Nürnberger Prozesses Göring direkt auf diese Frage ansprach, sagte ihm dieser. "Er glaube nicht, daß Hitler den Befehl dazu gab." (Springer-Verlag, Fiitzsche: "Das Schweif auf der Waage", S. 118). Später (1952) hat der SS-Obergruppenführer Wolff, der jahrelang Chef von Himmlers persönlichem Stab gewesen war, in einem Prozeß gegen den Legationsrat Rademacher unter Eid ausgesagt, er sei "überzeugt, daß Hitler von der Vernichtung der Juden nichts wußte" (Reitlinger, S. 126).

Sowohl Poliakov wie Reitlinger haben ihr Bestes getan, um gerade diesen Punkt aufzuklären, aber ihre Bemühungen blieben ergebnislos: Auch in zehnjähriger Suche ist es nicht gelungen, auch nur einen Befehl aufzufinden oder eines unmittelbaren Befehlsempfängers habhaft zu werden oder einen sonstigen schlüssigen Vorgang festzustellen, der Hitlers unmittelbare Beteiligung nachweisen würde.

Himmler ermordet!

Wollte er nicht gestehen? Oder warer nach seinem Geständnis nicht mehr zu präsentieren? Sündermann schreibt auf Seite 260:

Die Serie der Fragezeichen ist noch nicht zu Ende: Auch Reitlinger glaubt das vielverbreitete Märchen, Himmler habe im Mai 1945 unmittelbar "nach der Festnahme durch einen britischen Posten in der Lüneburger Heide" Selbstmord begangen. Von Offizieren, die Himmler damals begleitet haben, ist inzwischen bekannt geworden, daß Himmler nicht nur sich selbst beim Kommandanten eines britischen Kriegsgefangenenlagers melden ließ, sondern auch, daß er Stunden nach der Gefangennahme und nach den ersten Gesprächen mit britischen Offizieren noch gelebt hat. Mehr wissen wir nicht, aber es läßt vermuten, daß ein solcher wirklich "Hauptschuldige" in der damaligen Zeit dem Sieger um so weniger erwünscht war, je mehr Verbindungen vorher mit ihm gepflogen worden waren.


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