Bücherschau

Lügen über Hitler und Irving

Von Samuel Crowell

Richard J. Evans, Lying about Hitler. History, Holocaust, and the David Irving Trial, New York, Basic Books 2001. Hardcover. 318 Seiten.

Eine der zweifellos denkwürdigsten Episoden des Verleumdungsprozesses David Irvings gegen Deborah Lipstadt war das lange Ringen zwischen dem als sein eigener Anwalt auftretenden Irving und dem Experten der Verteidigung Richard Evans, einem britischen Historiker, der einer achthundertseitigen Expertise zum Sturmangriff auf Irvings Charakter und seine Karriere als Historiker geblasen hatte. Acht Tage lang schlug Irving eine Bresche nach der anderen in Evans Argumentation und versuchte diesen dazu zu veranlassen, seine Positionen zu verteidigen, während Evans, mit tief in den Hosentaschen versenkten Händen, Irvings Blick auswich und lange, sterbenslangweilige Passagen aus seiner Expertise herunterleierte.

Beim vorliegenden Buch handelt es sich weitgehend um Evans Erinnerungen an den Prozeß, eine verkürzte Form seines zur Unterstützung der Lipstadt eingereichten Gutachtens sowie seine Beobachtungen nach dem Prozeß. Man erinnert sich: Irving hatte Deborah Lipstadt verklagt, weil sie ihn in ihrem 1993 erschienenen Buch Denying the Holocaust verleumdet habe. Das Buch war von dem in Jerusalem ansässigen Vidal-Sassoon-Zentrum zum Studium des Antisemitismus finanziert worden. Zur Verteidigung von Lipstadt hatten ihre Anhänger, darunter der Regisseur von Schindlers Liste, Steven Spielberg, mehrere Historiker angeheuert, welche in Expertisen die Berechtigung der Lipstadtschen Kritik an Irving aufzeigen sollten. Einige dieser Expertisen waren professionell aufgemacht und scheinbar objektiv, beispielsweise diejenige Christopher Brownings, auch wenn die Revisionisten natürlich seine Schlußfolgerungen nicht gutheißen können. Andererseits waren die Expertisen Robert Jan Van Pelts und insbesondere Evans’ selbst so stark von Verdammungsurteilen gegen David Irving durchsetzt, daß es schwer war, nüchterne historische Analysen von persönlichen Angriffen unterhalb der Gürtellinie zu trennen.

Lying about Hitler krankt an derselben Schwäche. Es ist zwar im Ton etwas gemäßigter als Evans’ aggressiv formuliertes Gutachten, doch mindert die zwanghaft anmutende Beharrlichkeit, mit welcher der Verfasser David Irving der Fälschung und Manipulierung von Dokumenten bezichtigt, jeden allfälligen historischen Wert, den das Buch aufweisen mag.

Das Werk umfaßt sieben Kapitel. Im ersten beschreibt Evans, wie es zu seinem Auftritt beim Irving-Prozeß kam. In den beiden darauffolgenden geht es um Adolf Hitlers Rolle bei der „Endlösung", im vierten um Irvings Rolle als „Holocaustleugner", im fünften um die Bombardierung Dresdens, das Thema von Irving erstem Buch. Zwei weitere Kapitel beleuchten Evans’ Zeugenaussage vor Gericht sowie die sich nach dem Prozeß ergebenden Perspektiven. Von unmittelbarstem Interesse für Revisionisten ist das »Irving und die Holocaustleugnung« betitelte Kapitel, in dem sich Richard Evans merkwürdigerweise am zivilsten äußert.

Alles in allem springt Evans mit den Revisionisten relativ anständig um, indem er die Schriften von Paul Rassinier, Arthur Butz, Wilhelm Stäglich und Robert Faurisson mehr oder weniger akkurat und ohne offenkundige Böswilligkeit beschreibt. Er vermeidet beispielsweise die dümmliche Verwendung von Schimpfwörtern, die in Peter Novicks The Holocaust in American Life unangenehm auffällt. Er spielt sich bei der Einschätzung der Motive der Revisionisten auch nicht als Inquisitor auf und ortet die Beweggründe z.B. Rassiniers nicht in tiefverwurzeltem Antisemitismus, sondern in seinen persönlichen Erfahrungen in den Lagern. Nach diesem verhältnismäßig fairen Anfang sinkt das Niveau des Kapitels aber rasch, und dies aus zwei Gründen: Erstens, weil Evans darauf erpicht ist, Irving als „Holocaustleugner" bloßzustellen, und zweitens, weil er mit den Einzelheiten des Holocaust offenkundig überfordert ist.

Evans tendiert dazu, sich auf Nebensächliches wie Irvings Kommentare über die Zahl der Opfer und die Lächerlichmachung gewisser Behauptungen zu fixieren. Gestützt auf Ausschnitte aus Irvings auf Video aufgenommenen Reden, bemüht er sich lang und breit, diesen als Leugner festzunageln. Doch seine Kriterien dafür, was denn ein Leugner ist, ändern sich ständig. Einerseits behauptet er, wer die jüdischen Verluste der Kriegszeit mit einigen Hunderttausend angebe, mache sich der Leugnung schuldig, doch wenn Irving an einer Stelle mutmaßt, die Zahl der jüdischen Opfer liege zwischen einer und vier Millionen, zählt das für ihn nicht, weil ein Großteil dieser Sterbefälle auf Seuchen zurückgeführt wird. Auch ist sich Evans nicht zu schade, reine ad hominem-Angriffe gegen Irving zu führen: Ein längerer Abschnitt in diesem Kapitel besteht aus nichts anderem als einer Beschreibung von Irvings Verhältnis mit dem Institute for Historical Review, das ebenfalls sein Fett abbekommt.

Wenn es um das Thema der Vergasungen geht, gibt Evans ein besonders schwaches Bild ab. Er behauptet, es gebe dokumentarische Belege für Menschenvergasungen in den „Vernichtungslagern" Chelmno, Treblinka, Sobibor, Belzec und Auschwitz-Birkenau und gerät dadurch in Widerspruch zu der Expertise Christopher Brownings, der das Fehlen solcher Beweise ausdrücklich hervorhebt, sowie zum Bericht Van Pelts, der nur einige wenige zweideutige Dokumente erwähnt. Ansonsten wiederholt Evans einfach die sattsam bekannten Einwände gegen die Revisionisten: Der Leuchter-Bericht sei „diskreditiert", zum Töten von Läusen brauche man so und so viel mehr Zyklon als zum Töten von Menschen, und so weiter.

Die einzigen eigenen Gedanken, die Evans bezüglich der Vergasungen ausbreitet, sind äußerst dünn gestrickt. So argumentiert er, die falsche „Gaskammer" von Dachau besitze keine Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Vergasungsbehauptungen, denn »nicht einmal Irving machte geltend, laut dem in Nürnberg präsentierten Beweismaterial sei die Gaskammer in Dachau jemals wirklich verwendet worden« (S. 124). In einer Fußnote schreibt Evans, in Nürnberg habe »nur ein Zeuge behauptet, in den [Dachauer] Gaskammern Leichen gesehen zu haben: Diese könnten jedoch provisorisch aus dem angrenzenden Krematorium dorthin gebracht worden sein, in dem Hinrichtungen stattfanden«; anschließend zitiert er aus einer Schrift, bei der es sich offenbar um eine Dachauer Touristenbroschüre handelt (S. 286). Doch angesichts der Tatsache, daß der Nürnberger Zeuge Dr. Franz Blaha in seinem zu Recht berühmten Affidavit ausgesagt hat, er habe in der Dachauer Gaskammer Vergaste untersucht, von denen zwei oder drei noch geatmet hätten (Trial of the Major War Criminals, Nürnberg 1947, Band 5, S. 172-173), müssen wir aus dieser Argumentation folgern, daß dem Herrn Professor Evans bei seinen Ausführungen über die Fälschung oder Manipulation geschichtlicher Dokumente die Vertrautheit mit der von ihm selbst angewandten Methoden sicherlich sehr zustatten kam.

In Evans Diskussion der Vergasungsbehauptungen gibt es viele Lücken, insbesondere für Auschwitz. Beispielsweise geht er – abgesehen von einer flüchtigen Anmerkung in seiner Schlußfolgerung – überhaupt nicht auf die fehlenden Löcher in der Decke der „Gaskammer" des Krematoriums II ein, ohne welche jedwede mit den Zeugenaussagen übereinstimmende Vergasung ein Ding der Unmöglichkeit war. Ebensowenig bringt er jene Deutung zur Sprache, laut der die unterirdischen Geschosse der Krematorien als gasdichte Luftschutzräume gedient haben, obgleich dies ein wesentlicher Bestandteil der Verteidigung Irvings war und von allen Hauptakteuren beim Prozeß diskutiert wurde.

Dies führt uns zur rätselhaftesten Lücke von allen, der buchstäblichen Nichtexistenz von Prof. Robert Jan Van Pelt im vorliegenden Buch. Dieser wird nämlich nur an einer einzigen Stelle einer aussagekräftigen Erwähnung für würdig befunden; wir erfahren, daß er Evans riet, Irving nicht ins Auge zu blicken, weil »es Sie ganz einfach wütend machen wird« (S. 199). So wird der höchstbezahlte Experte, dessen Gutachten fast ebenso umfangreich war wie jenes von Evans selbst, der Spezialist für jenes Lager, in dem angeblich die größte Zahl von Menschen vergast wurde, nur in einem Zusammenhang erwähnt, der Evans’ grobes Verhalten vor Gericht erklärt!

Gegen das Ende seines Buchs hin verlagert Evans das Schwergewicht von Irving auf jene, die ihn vor, während und nach dem für ihn ungünstig ausgegangenen Prozeß verteidigt haben. Hier läßt er seinen zuvor gegen andere Revisionisten angeschlagenen zivilen Ton fallen und holt zu Rundschlägen gegen einen jeden aus, der die Kühnheit aufgebracht hat, Irving zu loben oder seine Irrtümer zu verharmlosen. Dieser Teil des Buchs ist amüsant, wenn auch nur darum, weil sich der Leser fragen wird, wieviele Ressentiments und wieviel Dreistigkeit jemand besitzen muß, um Persönlichkeiten wie Sir John Keegan und mehrere andere auf diese massive Weise zu verunglimpfen. Donald Cameron Watt, ein weiterer namhafter britischer Historiker, sehr viel älter als Evans, wird besonders gnadenlos attackiert und muß in den Schlußbetrachtungen mehrere bissige Seitenhiebe hinnehmen.

Alles in allem bringt das Buch wenig Neues für jemanden, der den Irving-Prozeß mit einem Mindestmaß an Aufmerksamkeit verfolgt hat. Ganz offensichtlich hegt Evans eine tiefe Abneigung gegen David Irving, doch diese bildete eine viel zu dünne Grundlage für seine Expertise und verleiht auch seinem bedeutend weniger umfangreichen Buch keinen ausreichenden Gehalt. Zudem ist der Titel, Lying about Hitler (Lügen über Hitler) ganz irreführend, denn hier geht es nicht um Hitler, sondern um Irving. „Lügen über David Irving" wäre wohl ein wesentlich treffenderer Titel gewesen.


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(1) (2002), S. 103-105.


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