Fort Eben-Emael: Ein Wendepunkt der Geschichte

Von Frank Joseph

Der deutsche Durchmarsch durch Belgien im Frühjahr 1940 erfolgte blitzartig. Die deutsche Wehrmacht ging durch das stark befestigte Belgien wie ein heißes Messer durch Butter. Diese ungeheuer wichtige Schlacht des Zweiten Weltkriegs, die von einem der führenden Krieger des 20. Jahrhunderts als »größter militärischer Sieg, den Menschen je errungen haben« charakterisiert wurde, verdient es, besser bekannt zu werden. Was war das Geheimnis des erstaunlichen deutschen Erfolges?


Die eben zitierte Charakterisierung des Angriffs auf die belgische Festung Eben-Emael als großartigste Leistung ihrer Art stammt von Luftwaffengeneral Kurt Student. Seine Ansicht wird von vielen Strategen geteilt, doch wissen selbst ansonsten gutinformierte Historiker dieser Epoche oft nicht über die weitreichenden Folgen des siegreichen Unternehmens Bescheid.

Den Anstoß zur Errichtung des Forts Eben-Emael, das nach dem nahegelegenen Weiler Emael benannt war, gaben die Ereignisse des Jahres 1914, als die deutschen Truppen Belgien während ihres Vorstoßes nach Frankreich überrannten. Um eine Wiederholung dieses Geschehens auszuschließen, schmiedeten die Führer der belgischen Nachkriegsarmee Pläne zum Bau des ausgeklügeltsten und furchterregendsten Festungswerks, das die Welt je gesehen hatte. Die instabile wirtschaftliche Situation in Europa sowie das Fehlen einer greifbaren Bedrohung seitens der schwachen Weimarer Republik sorgten dafür, daß die Pläne zunächst in den Schubladen vergilbten. Mit Adolf Hitlers Machtübernahme entfielen diese Faktoren jedoch, und das belgische Parlament bewilligte Ausgaben in der für damalige Begriffe unerhörten Höhe von 35 Millionen Francs für den Bau des Forts.

Hier steht eine Fußnote, die jedoch offenkundig nicht zum Text paßt, weshalb ich sie weglasse. Ich füge den wichtigen Text dieser Fußnote an anderer Stelle ein.

Die Armeeingenieure hatten sich im Lauf des verflossenen Jahrzehnts keineswegs auf die faule Haut gelegt, und ihre beharrlichen Forschungen trugen nun Früchte in Gestalt einer weit fortgeschrittenen Technologie.

Eben-Emael war mehr als das Kernstück der Befestigungen an der belgischen Grenze. Es bildete das Zentrum eines weitverzweigten Systems breitgefächerter Verteidigungsanlagen längs der gesamten deutschen Grenze, welche die strategisch enorm wichtigen nordöstlichen Provinzen Frankreichs schützen sollten. Dazu gehörte eines der Wunder der industrialisierten Welt, der Albert-Kanal. Er war 130 km lang und wies ein halbes Dutzend dreifacher Schleusen auf, welche den ganzen Kanal in weniger als einer Stunde füllen oder leeren konnten. Entlang dieses Kanals verlief eine Reihe von Forts, von denen jedes in Reichweite der Artillerie des nächsten lag. Von Eben-Emael aus konnte man das gesamte System überschauen. Es ragte auf einem hohen Felsen über der für Belgien lebenswichtigen Maas und gewährte meilenweite, ungehinderte Aussicht auf das Gebiet nahe der deutschen Grenze. Das Fort war gewissermaßen ein Ausläufer des Albert-Kanals und bildete seinen höchsten Damm, der beinahe waagrecht war und sicheren Schutz gegen jeden direkten Angriff verhieß. Ihm schlossen sich andere steile Dämme aus Stahlbeton an, die mit einer 130 Meter weiter östlich in einer schmalen Schlucht fließenden Jaar verbunden waren.

Der gesamte Festungskomplex war von einem dichten Stacheldrahtverhau umrankt, der mit dreieckigen, stählernen Panzerhindernissen durchsetzt war. Dazu kamen riesige Minenfelder, die man von Maschinengewehrnestern in Betonbunkern aus mit Feuer bestreichen konnte. Dieses Reich des Todes wurde ferner im Westen durch einen tiefen Wassergraben von über 400 m Länge verstärkt, der Eben-Emael Ähnlichkeit mit einem phantastischen Kriegsschiff verlieh, das bis zu seinen Schlachttürmen im Boden versenkt war.

Kasematten, Schießscharten und Unterstände aus Stahlbeton ragten wie ungeheuer massive Türme von den Wällen der Festung. An allen wichtigen Punkten strotzten diese nur so von 60-mm-Panzerabwehrkanonen und 7,9-mm-Maschinengewehren.

Belgische Kriegsgefangene bei Eben-Emael mit ihren deutschen Wachen vor dem Abmarsch in ein Gefangenenlager. Es war für Belgien sehr demütigend, daß die mächtige Festung, von der man annahm, sie könne unbegrenzt lange Zeit Widerstand leisten, von den Deutschen mittels eines Überraschungsangriffs unter Einsatz unerwarteter Waffen - Segelflugzeuge zum Transport der Soldaten sowie Hohlladungsgranaten - binnen weniger Stunden eingenommen wurde. Hitler hat diesen Angriff selbst entworfen, doch seine Generäle schafften es, daß dem ehemaligen Gefreiten des Ersten Weltkriegs nach dem erfolgreichen Handstreich jeglicher Kredit für seine Verdienste um die Eroberung des Forts verweigert wurde.

Dieser uneinnehmbare Wall verbarg eine von Nord nach Süd 1000 m lange sowie 730 m breite Plattform, die groß genug für das gleichzeitige Austragen von 70 Fußballspielen war. Unter dem bombensicheren Bunkerdach befanden sich drei unterirdische Stockwerke mit Munitionsspeichern, einem halben Dutzend 175-PS-Generatoren, Reparaturwerkstätten, einem Funkraum, einer Kommandozentrale, einem Lazarett, Aborten, Duschen und Baracken für die 1200 Offiziere und Soldaten der Festung. Diese drei Stockwerke waren durch Treppen, Lifte und Lastenaufzüge miteinander verbunden. Letztere schafften die Munition direkt in den oberhalb des Erdbodens gelegenen Teil der Festung, zu den Geschützstellungen, welche die Gestalt von Domkuppeln aufwiesen und aus 30 cm dickem Stahl bestanden. Die hier verankerten 75-mm- sowie 120-mm-Geschütze konnten jeden Punkt innerhalb eines Radius von 20 km beschießen. Die Reichweite der Kanonen überschnitt sich mit derjenigen der Geschütze anderer Forts auf beiden Seiten von Eben-Emael.[1]

Obgleich ihre Kasematten bei zahlreichen Tests den stärksten Sprengladungen ihrer Zeit mühelos standgehalten hatten, strotzte die gesamte Fläche des Forts nur so von ultramodernen Fliegerabwehrstellungen. Sie waren speziell für den Abschuß von Sturzkampfbombern sowie zur Dezimierung von Fallschirmjägern konzipiert. Falls es aber entgegen aller Wahrscheinlichkeit einem Feind gelingen sollte, auch nur einen der Eingänge zu durchqueren, so verwehrten ihm zwei 1,80 m voneinander entfernte Türen, die massiver waren als Tresortüren einer Bank, ein Vordringen ins Innere der Festung. Diese Türen, die sich durch eine elektrische Steuerung schließen ließen, blockierten den Zugang zu dem Haupttunnel, der die drei unterirdischen Stockwerke miteinander verband.[2] Seit der großen Pyramide des Cheops hatte der Mensch kein dermaßen gewaltiges Bauwerk mehr aus dem Boden gestampft.

Bei den Offizieren und Soldaten von Eben-Emael handelte es sich um bestens ausgebildete und mit dem anspruchsvollsten technischen Gerät wohlvertraute Männer, also um eine Elitetruppe. Sie waren ihrer Zeit insofern voraus, als es für sie bedeutend wichtiger war, hochentwickelte Waffensysteme zu begreifen, zu unterhalten und zu bedienen, als wie gewöhnliche Soldaten mit den herkömmlichen Waffen zu kämpfen.[3] Zudem waren sie hochmotiviert und empfanden großen Stolz auf das, was nicht nur in Belgien, sondern weltweit als Wunder der modernen Militärwissenschaft und Inbegriff der Verteidigungsanstrengungen des Landes Bewunderung erweckte.

Niemand war von diesem ominös in Richtung Deutschland blickenden ungeheuerlichen Fort tiefer beeindruckt als Adolf Hitler. Er wußte, daß die Erstürmung Eben-Emaels unabdingbare Voraussetzung für den für Frühjahr 1940 geplanten Durchbruch durch die Ardennen war. Die Festung stand wie ein unbeweglicher Fels, der den Vormarsch der Wehrmacht nach Frankreich blockierte. Hitlers altmodisch denkender Generalstab war in dieser Frage zerstritten. Die meisten seiner konservativen Strategen gingen davon aus, daß ein geballter Frontalangriff im Stil ähnlicher, mörderischer Manöver des Ersten Weltkriegs nach zwei Wochen zum Erfolg führen konnte, daß aber schwere deutsche Verluste dabei nicht zu vermeiden sein würden. Um solche zu verhindern, schlugen diese Generäle eine lange Belagerung des Forts vor. Andere, weniger pessimistische Theoretiker kamen zum Schluß, die Operation könne vielleicht nach einer Woche blutigster Kämpfe erfolgreich abgeschlossen werden.

»Das ist immer noch zu lange«, wandte der Führer ein. Er wußte, daß eine Woche den Belgiern ausreichend Zeit gewähren würde, alle ihre Reserven zu mobilisieren und sich mit dem wohlausgerüsteten britischen Expeditionskorps sowie mit der riesigen Armee in Nordfrankreich zu vereinen. Die Alliierten würden dann eine überwältigende, kombinierte Gegenoffensive gegen die zahlenmäßig kraß unterlegenen, bei Eben-Emael steckengebliebenen Deutschen entfachen.

»Selbst im günstigsten Fall wird jede Verzögerung unsererseits den Belgiern genug Zeit geben, um alle Brücken zu sprengen, was unseren Vormarsch in ihr Land stark hemmen wird. Die Zeit wird gegen uns arbeiten.«[4]

Sollte die Offensive im Westen rasch vorankommen, so war der Zeitfaktor entscheidend. Hermann Göring konnte nicht versprechen, daß die Bomben seiner Luftwaffe ausreichende Durchschlagskraft zur Lahmlegung der Festung besaßen.[5] Und obendrein waren auch die den Deutschen zur Verfügung stehenden Informationen über die Festung erbärmlich dürftig und beruhten auf den zweifelhaften Auskünften von Deserteuren sowie Fotos auf Postkarten der Vorkriegszeit. Pikanterweise waren ausgerechnet zwei deutsche Unternehmen, die A.G. Hochtief in Essen sowie die Firma Dycherhoff & Widmann in Wiesbaden, ab 1931 in den frühen Phasen des Baus an der Festung Eben-Emael als Subunternehmer tätig gewesen, doch zwei Jahre später, nach der nationalsozialistischen Machtergreifung, verzichtete man auf ihre weitere Mitarbeit. Die Leiter dieser beiden Firmen übergaben den Wehrmachtskommandanten ihre alten Baupläne, doch die genaue Struktur der belgischen Verteidigungsanlagen blieb trotzdem unbekannt.

Im Hintergrund sieht man die Brücke von Canne, oder Kanne, welche die Belgier noch zu zerstören vermochten, ehe die vorrückenden deutschen Truppen sie überqueren konnten. Andere, nahegelegene Brücken konnten sie hingegen nicht mehr sprengen. Im Vordergrund ist eine Beobachtungs-Kasematte zu erkennen.

Als sich der Polenfeldzug seinem Ende näherte, zog sich Hitler in den Berghof zurück, sein Landhaus in den Bayrischen Alpen auf dem Obersalzberg. Dort wandte er sich wiederum dem Problem Eben-Emael zu und erdachte eine einzigartige Operation, mittels welcher sich das Fort innerhalb von einem oder zwei Tagen einnehmen ließ. Seinem Plan lag die Verbindung von zwei neuartigen Waffen zugrunde. Bei seiner jahrelangen, intensiven Lektüre war er auf eine Beschreibung des Monroe-Effekts gestoßen, den der amerikanische Sprengstoffexperte C.E. Monroe im Jahre 1888 entdeckt hatte.[6] Dieser Effekt tritt ein, wenn eine Explosion starke Schockwellen gegen die Oberfläche einer ausgehöhlten Struktur aussendet und dort eine entsprechende Erschütterung mit sehr starkem Druck und großer Hitze auslöst. Als 1935 die deutsche Wiederaufrüstung einsetzte, wies Hitler seine Militäringenieure an, sich dieses Prinzip beim Bau verbesserter Granaten zunutze zu machen, indem sie eine Metallauskleidung einbauten, welche die Sprengkraft auf den Sprengbrennpunkt konzentrieren sollte.

Das Ergebnis war die erste Hohlladung.[7] Bei Versuchen erwies sich deren Zerstörungskraft als größer denn die aller anderer bisher bekannten Geschosse, doch hatte sie den Nachteil, daß man sie nicht aus der Luft abfeuern konnte. Zu ihrem Einsatz brauchte es Infanteristen. Bei Kriegsbeginn waren zwei Varianten verfügbar, eine glockenförmige mit 10 kg sowie eine zweiteilige von 50 kg. Erstere konnte man in einer Art Tragetasche unterbringen, und ein Mann genügte, um sie an einem Sprengpunkt anzubringen. Doch die letztere, 50 kg schwere bedurfte zu ihrer Bedienung zweier Soldaten. Diese trugen je eine halbe Ladung, stürmten auf das Ziel los, setzten die beiden Ladungen zusammen, brachten sie an der feindlichen Stellung an, begaben sich schleunigst in Deckung und bedienten die Fernzündung.

Der zweite Teil von Hitlers Plan zur Eroberung der Festung wurzelte in seiner persönlichen Erfahrung mit Militärsegelflugzeugen. Sie waren beim Nürnberger Reichsparteitag von 1936 eingesetzt worden und hatten ihn durch ihre erstaunliche Präzision beeindruckt. Bei der geplanten Verbindung der beiden Waffen sollten Kommandos mit Segelflugzeugen auf der Festung abgesetzt werden. Geschah dies bei Nacht und in vollkommener Stille, so würde es ihnen vielleicht gelingen, einen vollkommenen Überraschungseffekt zu erzielen und die Kanonen mit Hohlladungen außer Gefecht zu setzen.[8]

Je gründlicher Hitler die verschiedenen Faktoren abwog - die Flugtüchtigkeit der Segelflieger, die mit schwerem Gerät ausgerüstete Männer tragen mußten, die Möglichkeiten einer Landung im Dunkeln, die Fähigkeit seiner noch nie im Ernstkampf getesteten Hohlladungen zur Durchdringung des Stahlbetons -, desto mehr wuchs seine Begeisterung für den tollkühnen Handstreich,[9] und er beschloß schließlich, den ganzen Westfeldzug eine Stunde nach der Landung in der Festung beginnen zu lassen. Die deutschen Generäle taten diesen Plan hochmütig als „Akrobatenkunststück" ab und beharrten darauf, ihre Truppen würden Wochen oder gar einen Monat benötigen, um Eben-Emael einzunehmen. Hitler gab seinen Männern 60 Minuten. Er wußte, daß das Schicksal der geplanten gewaltigen Offensive vom Erfolg dieses einzelnen Angriffs abhing.[10]

Die zur Durchführung des waghalsigen Unterfangens auserkorenen Männer gehörten einer Eliteeinheit an, nämlich der siebten Fliegerdivision, bei der es sich um die weltweit erste Luftlandetruppe handelte. Die Fallschirmjäger fühlten sich in ihren federleichten Segelflugzeugen anfangs unwohl. Doch monatelanges, intensives Training längs der verlassenen Beneš-Linie an der ehemaligen deutsch-tschechoslowakischen Grenze, deren Befestigungen zumindest äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem belgischen Fort aufwiesen, machte sie nach und nach mit ihren belastbaren, wenn auch nicht gerade bequemen Segelflugzeugen des Typs DFS 230 vertraut. Die Maschinen gehörten zu den leistungsfähigsten aller Zeiten. Konstruiert worden war das Flugzeug von der Deutschen Forschungsanstalt für Segelflug, die dem Rhön-Forschungsinstitut angegliedert war. Es trug eine Last, die fast ebenso schwer war wie sein Eigengewicht (1.275 kg). Bis zum Jahre 1943 waren der Luftwaffe insgesamt 1.477 Exemplare dieser robusten und gut zu fliegenden Maschine übergeben worden. Bereits wenige Monate nach der Vollendung der Konstruktionsarbeiten im Jahre 1939 waren mehrere hundert Stück hergestellt worden - gerade rechtzeitig für den Einsatz im Krieg.[11]

Die mit der Erstürmung des Forts betraute Truppe erhielt den Namen »Gruppe Granit«. Sie umfaßte zwei Offiziere, 73 Fallschirmjäger[12] sowie elf Segelflugzeugpiloten unter dem Kommando von Rudolf Witzig. Dieser 23-jährige Offizier war als Ingenieur, der sein Handwerk verstand, sowie als engagierter Berufsoffizier bekannt.[13] Beim zweiten Offizier handelte es sich um Leutnant Delica. In der Nacht des 9. Mai 1940 erhielt Witzig seine Anweisungen für den bevorstehenden Angriff. Seine Truppe war zwar zahlenmäßig schwach, doch war ihre Feuerkraft um so stärker. Neben Gewehren und Maschinenpistolen trugen die Segelflugzeuge 56 Hohlladungen, Bangalore-Torpedos zur Zerstörung von Stacheldrahtverhauen und sogar Flammenwerfer. Insgesamt transportierten sie mehr als fünf Tonnen Sprengstoff oder 50 kg pro Mann.

Um 3.35 Uhr morgens folgte der letzte Segelflieger seinem Schleppflugzeug, einer dreimotorigen Junkers 52, über dem Luftwaffe-Flugplatz bei Ostheim unweit der belgischen Grenze auf seinen Flug in die Dunkelheit.[14] Während des 50-minütigen Anflugs zum Ziel sangen Witzigs Männer die Fallschirmjägerhymne Rot scheint die Sonne, um ihre bis zum Zerreißen angespannten Nerven etwas zu beruhigen. Doch falls sie gehofft hatten, ihre Landung im Feindesgebiet würde völlig unerwartet erfolgen, so hatten sie sich getäuscht.

Während die „Gruppe Granit" durch den schwarzen Himmel auf ihren Bestimmungsort zuflog, schrillten Alarmglocken durch die mächtigen Hallen von Fort Eben-Emael. Ganz Belgien war in Alarmzustand versetzt worden, und der Rundfunk berichtete von deutschen Truppenbewegungen an der Grenze. Major Jean Fritz Lucien Jottrand, ein Offizier der belgischen Armee, der viele Dienstjahre auf dem Buckel hatte, sorgte im Handumdrehen dafür, daß die Festung bereit war, jedem Angreifer einen heißen Empfang zu bereiten, und seine Männer warteten in ihren Stellungen gelassen auf den Beginn der Feindseligkeiten. Doch vorderhand war noch weit und breit kein Gegner in Sicht.

Etwa um vier Uhr morgens erhielt Jottrand aber einen Anruf von einem oberhalb der Erdoberfläche stationierten Beobachter:

»Flieger über der Festung! Ihre Motoren sind ausgeschaltet! Sie schweben fast regungslos in der Luft!«

Ehe der Major auch nur an eine Antwort denken konnte, begann eines der Luftabwehr-Maschinengewehre zu rattern, doch die anderen schwiegen.[15] Im ersten Licht des Morgengrauens verschwommen sichtbar, langsam und anmutig senkten sich Witzigs Segelflugzeuge auf das Dach der Festung nieder. Die Verteidiger waren wie gelähmt. Sie waren zu betäubt vom Anblick der an Tänzer bei einem Walzer gemahnenden Erscheinungen, um das Feuer zu eröffnen. Als sie endlich zu Besinnung gekommen waren und begriffen hatten, was da vorging, hallte die Luft von Maschinengewehrfeuer, und die Mündungen spuckten eine Salve nach der anderen auf die fledermausgleichen Schatten. Es war zu spät. Die Segelflugzeuge vollzogen in rascher Folge perfekte Landungen, manchmal weniger als einen Meter von ihrem jeweiligen Ziel entfernt. Es war 4.25 Uhr morgens, und die erste Luftlandeoperation der Kriegsgeschichte war in vollem Gange.[16]

Jottrand reagierte unverzüglich und ordnete die Zerstörung der nahegelegenen Brücke über den Albert-Kanal bei Canne an. Nur Minuten bevor ein weiteres Segelflugzeug der Luftwaffe sie für die heranrollenden Panzer retten konnte, flog diese in die Luft. Jottrand befahl Maschinengewehrfeuer auf die gelandeten Maschinen, die durch den konzentrierten Kugelhagel buchstäblich binnen Sekunden in Fetzen gerissen wurden. Doch zum Unglück für die Belgier hatten die deutschen Kämpfer ihre Segelflugzeuge bereits verlassen und hasteten in diesem Augenblick für die Verteidiger unsichtbar auf eine der wichtigsten Artilleriestellungen zu. Sie rannten die Kasematte hoch, setzen flugs ihre 50-kg-Hohlladungen zusammen, befestigten sie an ihrem Fundament, stellten die Zünder ein, liefen so rasch sie konnten den Abhang hinunter und warfen sich dann auf den Boden. Wenige Sekunden später erbebte dieser, als die lauteste Explosion ertönte, welche die Männer jemals gehört hatten. Eine 200 Tonnen schwere 120-mm-Kanone, das Ziel des Sturmangriffs, war förmlich aus ihren Verankerungen gesprengt worden und stürzte ihren eigenen Turmschacht hinab, wobei sie alle Männer in der Kuppel und mehrere Soldaten im Schacht darunter tötete.

Andere Fallschirmjäger brachten zur selben Zeit ihre 10-kg-Ladungen gegen die Stahltüren einer 75-mm-Kanone in Stellung. Diese flog buchstäblich über die Kasematte, rammte mit ohrenbetäubendem Krach gegen die Hinterwand und richtete Verheerung im Inneren an. Die Deutschen sprangen sogleich durch die durch die Explosion in die Mauer gerissene, klaffende Lücke und schwärmten ins Innere von Eben-Emael, wobei sie bei ihrem raschen Vorstoß mit ihren Maschinenpistolen alles niedermähten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Kaum waren sie durch die Bresche vorgestoßen, erfuhr Jottrand dies, und er ließ die kolossalen Zwillingsstahltüren schließen, die zum unterirdischen Teil der Festung führte. Dann befahl er den beiden benachbarten Forts telefonisch, die oberste Plattform von Eben-Emael mit dem weitreichenden Feuer ihrer schweren Artillerie zu bestreichen. Im Fort Eben-Emael setzten die Deutschen inzwischen ihr Zerstörungswerk fort, indem sie eine Kanonenstellung nach der anderen mit ihren unwiderstehlichen Hohlladungen vernichteten. Das nun auf sie niederprasselnde Artilleriefeuer war höllisch und unglaublich präzise, so daß Witzig und seine Männer in den Kuppeln und Kasematten der bereits außer Gefecht gesetzten Geschütze Deckung suchen mußten.

Entschlossene Gegenangriffe der belgischen Verteidiger, die wie Schwärme gereizter Ameisen aus den Eingeweiden von Eben-Emael strömten, wurden jedes Mal von langem Maschinenpistolenfeuer der zahlenmäßig kraß unterlegenen Deutschen zurückgeworfen. Sie hielten nun uneinnehmbare Positionen inne, aus denen sie Handgranaten werfen und mit ihren MPs auf die zahlenmäßig weitaus stärkeren, doch in einer strategisch ungünstigen Stellung befindlichen Belgier schießen konnten. Obgleich die Festung schwerstens angeschlagen war, hatten die Angreifer die letzte Bedrohung der auf Maastricht vorstoßenden deutschen Truppen noch nicht aus dem Wege geräumt. Bei dieser handelte es sich um die Kasematte 12. Eine 10-kg-Hohlladung riß auch diese 75-mm-Kanone aus ihren Verankerungen und ließ sie gegen die Mauer sausen. Das Geschütz prallte dort ab, hüpfte wild 20 m bis zum Boden eines Treppenhauses, zermalmte dabei jeden und alles, was ihr im Wege stand, und setzte die gesamte Stromversorgung des ersten unterirdischen Stockwerks außer Betrieb. In bedrückende Finsternis gehüllt, taumelten die durch das Dröhnen der Granaten benommenen Belgier umher.[17]

Hitler hatte seinen Männern eine Stunde eingeräumt, um Eben-Emael zu nehmen. Sie hatten es in 20 Minuten geschafft.

Doch Jottrand dachte nicht an Kapitulation. Er wähnte sich hinter seinen Türen sicher, die stärker als die eines Banktresors waren, und wollte auf Verstärkung warten, die gewiß schon unterwegs war, um die Belagerten zu entsetzen. Tatsächlich wurden die Alliierten aber zu diesem Zeitpunkt bereits von den nun durch kein Artilleriefeuer aus der Festung mehr bedrohten Wehrmachteinheiten nach Lüttich zurückgedrängt, und schon bald durchschlug eine 10-kg-Hohlladung die doppelte Stahltür, als bestünde diese aus Pappe.

Um 12.15 Uhr forderte ein einzelnes Signalhorn die Belgier, die noch verzweifelten, aber vergeblichen Widerstand leisteten, zur Kapitulation auf. Während sein klagender Ton erscholl, ebbte das Feuer auf beiden Seiten ab, und eine seltsame Stille senkte sich auf die rauchenden Ruinen von Fort Eben-Emael. Mit seiner Übergabe brach die ganze Linie von Grenzverteidigungsanlagen zusammen, und von neuen Segelflugzeugen abgesetzte Truppen nahmen taktisch wichtige Brücken unversehrt ein. Innerhalb von Stunden brausten gepanzerte Wehrmachtkolonnen über sie ins Herz Belgiens.

Jottrand blieb noch eine Weile in seinem Quartier und verbrannte militärische Unterlagen. Er sprach dann einigen seiner verwundeten Männer Trost zu, ehe ein deutscher Oberst an ihn herantrat und ihn fragte:

»Geben Sie mir Ihr Ehrenwort, daß Sie im Fort keine Verzögerungsminen angebracht haben?«

Ein auf dem "Dach" der Festung (einem ausgehöhlten Hügel) gelandetes Segelflugzeug, das durch das Abwehrfeuer der Belgier zerstört wurde. Doch zu deren Unglück hatten die Deutschen die Maschine bereits verlassen. Im Hintergrund läßt sich eine falsche Kuppel des Forts erkennen. Von diesen gab es zwei, und tatsächlich lenkten sie eine Anzahl deutscher Soldaten eine Zeitlang von den wirklichen Zielen ab.

Mit gebrochener Stimme versicherte Jottrand wahrheitsgemäß, eine solche Maßnahme sei in Eben-Emael nicht vorgesehen gewesen. Der Oberst sagte nun zu den deprimierten und verwundeten Belgiern:

»Ich beglückwünsche Sie zu Ihrem Mut. Im Krieg muß es einen Verlierer geben. Es tut mir leid, daß es Sie getroffen hat, doch wir befinden uns im Krieg. Ich muß Sie nach Deutschland schicken.«[18]

Während eine traurige, über anderthalb Kilometer lange Kolonne von Belgiern den Weg in ferne Kriegsgefangenenlager antrat, stieß Hitlers Offensive mit der von ihm verlangten Geschwindigkeit vor. Die drei alliierten Armeen waren darauf nicht vorbereitet und wurden voneinander getrennt. Die Wehrmacht trat ihren ununterbrochenen Siegeszug im Westen an. Der Schlüssel zu diesen Triumphen war Eben-Emael gewesen. Hätte die Festung auch nur ein paar Tage lang Widerstand geleistet, so wäre der Sieg im Westen nicht möglich gewesen.

Witzigs Verluste betrugen sechs Gefallene und 20 Verwundete. Dies entsprach etwa einem Drittel der Gesamtstärke seines Kommandos, das den ganzen Morgen ununterbrochen gekämpft hatte. Die Belgier hatten 58 Tote und über 300 Verwundete zu verzeichnen.[19] Diese Verluste waren nur ein verschwindend kleiner Teil jener, die beide Seiten hätten erbringen müssen, hätte man die Eroberung des Forts konventionellen Strategen anvertraut. Die Eroberung der Zitadelle durch Witzig, mit gnadenloser Effizienz und brutaler Entschlossenheit durchgeführt, rettete um ein Vielfaches mehr Menschenleben, als bei der Operation ausgelöscht wurden. Diese war gewissermaßen der Inbegriff des Blitzkriegs, den die Gegner Deutschlands als barbarisch verdammten, doch der aufgrund seiner Kürze in Wirklichkeit trotz seiner Brutalität sehr viel humaner war als die endlos tobenden Abnützungsschlachten des Ersten Weltkriegs mit ihren Hekatomben von Opfern.

Es stimmt, daß die Festung Eben-Emael nicht ganz vollzählig bemannt war, doch die Belgier hatten alle Abwehrstellungen nach dem Lehrbuch besetzt. Jedenfalls spielte das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Angreifern und Verteidigern bei ihrem Fall kaum eine Rolle, denn dieser wurde ausschließlich durch den vollkommen überraschenden Einsatz von Segelflugzeugen sowie der gewaltigen Zerstörungskraft der Hohlladungen bewerkstelligt - sowie durch die Schlagkraft und Kühnheit von Witzigs Männern, ohne die beide Waffen nutzlos geblieben wären.

Um „dem Teufel die ihm gebührende Ehre zu erweisen", wie seine Gegner sich ausgedrückt hätten, gebührt die Anerkennung für den Erfolg des Unterfangens letzten Endes ohne Frage Adolf Hitler, der diesen verwegenen Handstreich ins Auge faßte, während Militärstrategen auf beiden Seiten die Festung als entweder gar nicht oder erst nach langen Kämpfen einnehmbar betrachteten. Ihr jäher Fall kam für die Alliierten, die mit einem wenigstens einwöchigen erfolgreichen Widerstand des Forts gerechnet hatten, völlig überraschend. Die darauf um sich greifende Panik wirkte bis Dünkirchen und dem Fall Frankreichs nach.

Selbst wenn Hitler niemals eine andere Militäroperation als diese ausgedacht und durchgeführt hätte, wäre der entscheidende Triumph von Eben-Emael bereits ausreichend, um ihm einen Ruf als einer der größten Feldherren der europäischen Geschichte zu sichern. Trotzdem wird er von den Hofhistorikern andauernd als stümperhafter Amateur dargestellt, dessen einzige Erfolge auf schieres Glück zurückgingen. Wenn er die Führung des Krieges Berufssoldaten im Generalstab anvertraut hätte, behaupten diese Historiker, so wäre das Reich womöglich siegreich aus dem Völkerringen hervorgegangen. Doch Deutschlands konservative Generäle ließen sich durch die Festung einschüchtern und wähnten, sie könne lediglich nach einer mit mittelalterlichen Methoden geführten Belagerung erobert werden. Hätte diese noch von der Einstellung des Ersten Weltkriegs geprägte Mentalität obsiegt, so wäre der Westfeldzug für die Wehrmacht zum Fiasko geworden.

Nach der Kapitulation bei Compiègne weigerten sich Hitlers Generäle anzuerkennen, daß er irgendeine Rolle bei der Eroberung von Eben-Emael gespielt hatte. Ihr Einfluß war dermaßen groß, daß sie es sogar fertig brachten, den populären, 1940 gedrehten Dokumentarfilm Sieg im Westen zu zensieren, indem jeder Hinweis auf den Segelflugangriff und die entscheidende Rolle, die der Führer dabei gespielt hatte, getilgt wurde. Weder die „Nazi"-Luftwaffe noch Witzig und seine Männer wurden der Erwähnung für würdig befunden. Diese kleinliche Eifersucht seitens der Aristokraten im Generalstab war das Krebsgeschwür, das schließlich zur aktiven Subversion und der Zerstörung Deutschlands führen sollte.[20]

In der Folge brachten die Segelflugzeuge des Dritten Reiches sowie anderer Staaten ihren Besatzungen noch manche Lorbeeren ein. Besonders berühmt geworden ist ihre Rolle bei der Invasion Kretas, der Befreiung Benito Mussolinis aus seiner Gefangenschaft auf dem 3000 m hohen Gran Sasso sowie schließlich bei der Invasion in der Normandie.

Was die zerstörerischen Hohlladungsgeschosse betrifft, so sind diese heute noch in verbesserter Form bei Armeen aller Welt in Gebrauch. Doch die erstmals erfolgte, tödliche Kombination von Segelfliegern und Hohlladungen führte an jenem schicksalhaften 9. Mai 1940 an der belgischen Grenze zu einem einzigartigen militärischen Unterfangen mit weitreichenden Folgen.


Frank Joseph ist der verantwortliche Herausgeber von Ancient America, einer alle zwei Monate erscheinenden archäologischen Zeitschrift, die seit 1993 in Wisconsin publiziert wird. Mehrere seiner wichtigsten Artikel über die Geschichte der Luftfahrt sind vom US-Verteidigungsministerium veröffentlicht worden (»Sea to Shining Sea«, »The X-Planes«, »Breaking the Sound Barrier« etc.) und in etlichen amerikanischen Publikationen erschienen, einschließlich World War II, Command and Aviation Heritage, aber auch in britischen wie Fly Past und Air Classics. Ferner hat er für das australische Fernsehen das Drehbuch für The Temple of Mu geschrieben, einen einstündigen Dokumentarfilm über eine untergegangene Zivilisation im Pazifischen Ozean. Joseph hat sieben Bücher über Metaphysik und Archäologie verfaßt.


Anmerkungen

Mit freundlicher Genehmigung entnommen der Barnes Review, 7(4) (2001), S. 27-31 (130 Third St., SE, Washington, D.C., 20003, USA). Übersetzt von Jürgen Graf.

[1]Jean-Louis Lhoest, Les Paras Allemands au Canal Albert, Presses de la Cité, Paris 1964.
[2]Walter Melzer, Albert Kanal und Eben-Emael, Kurt Wohlwinckel, Frankfurt 1957, S. 122.
[3]L. Meesen, Ce que j'ai vu à Eben-Emael, Collection Nationale Civisme, Lüttich 1953, S. 96.
[4]H. Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier, Stuttgart 1976, S. 212.
[5]Paul Tchekodlev, Hermann Göring, Regnery Press, Chicago 1971, S. 296.
[6]Lhoest, a.a.O., S. 87.
[7]Alistair Home, To lose a Battle, Little, Brown & Co., Boston 1969, S. 88. (Es kamen auch 1-kg-Ladungen zur Anwendung.)
[8]Col. E. James Mrazel, The Fall of Eben-Emael: Prelude to Dunkirk, Luce/New York 1970, S. 147.
[9]Unabhängig vom Führer hatte Luftwaffengeneral Kurt Student über die Erfolgsaussichten eines mit Segelflugzeugen geführten Angriffs auf die belgische Festung nachgedacht. Als Hitler dies erfuhr, ließ er Student zu sich kommen, und die beiden Männer arbeiteten den Plan gemeinsam aus. The Marshall Cavendish Illustrated Encyclopaedia of World War II, Band 2, New York 1985, S. 1012.
[10]Picker, S. 296.
[11]David Mondey, Concise Guide to Axis Aircraft of World War II, Temple Press, Middlesex/England 1984, S. 181.
[12]Eine andere Quelle gibt die Zahl mit 72 an (Greg Wzy und Ciaran Byrne, Fallschirmjäger Glider Operations in Belgium, May 1940. Die in TBR veröffentlichte Internet-Adresse ist nicht länger gültig, Anm. d. Red.
[13]Melzer, aaO. (Anm. 2), S. 123.
[14]Ebenda, S. 124.
[15]Meesen, aaO. (Anm. 3), S. 111.
[16]Home, aaO. (Anm. 7), S. 242.
[17]Mrazel, aaO. (Anm. 8), S. 178.
[18]Ebenda, S. 273. Man vergleiche die von Mitgefühl geprägte und ritterliche Haltung dieses Luftwaffenobersten mit dem seit mehr als einem halben Jahrhundert von Hollywood gepflegten Image der als hysterische Massenmörder verunglimpften deutschen Offiziere.
[19]Ebenda, S. 252.
[20]Roger Manvell und Heinrich Fraenkel, The Canaris Conspiracy: The Secret Resistance to Hitler in the German Army, Pinnacle Books, New York 1969.

Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(1) (2002), S. 23-28.


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