Gutachten im Asylverfahren von Germar Rudolf

Dr. jur. Dipl.-sc.pol. Günther Herzogenrath-Amelung

Bei den folgenden beiden Beiträgen von Dr. Herzogenrath-Amelung und Dr. Nordbruch handelt es sich um Gutachten, die im Asylverfahren von Germar Rudolf bei den Einwanderungsbehörden in den Vereinigten Staaten von Amerika eingereicht wurden. Ausgelöst wurde dieses Asylverfahren durch die Strafverfolgung, der Germar Rudolf in Deutschland als Folge der Veröffentlichung seines Gerichtsgutachtens über Auschwitz sowie eines von ihm herausgegebenen Sammelwerkes über den Holocaust, Grundlagen zur Zeitgeschichte, ausgesetz war. Beide Werke sind über den Verlag Castle Hill Publishers erhältlich. Zur näheren Vorgeschichte des Asylfalles G. Rudolf lese man die Beiträge zur »Jagd auf Germar Rudolf« in den vorhergehenden Ausgaben dieser Zeitschrift. Beide zur Verteidigung Rudolfs in den USA aufgetretenen Gutachter wurden von verschiedenen bundesdeutschen Persönlichkeiten als die Experten in Sachen Zensur und menschenrechtswidrige Verfolgung politischer bzw. historischer Dissidenten empfohlen und erklärten sich während ihres Aufenthaltes zum Abdruck ihrer Gutachten in den Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung bereit. Bei diesen zwei Beiträgen handelt es sich um die teuersten Beiträge, die jemals in den Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung abgedruckt wurden und werden, denn beide Autoren berechneten dem politischen Flüchtling Germar Rudolf je etwa € 10,000.- für ihre Gutachten.


A. Zum polizeilichen Staatsschutz in der Bundesrepublik Deutschland

Was ist unter dem Begriff »Staatsschutz« zu verstehen? Das führende polizeiliche Nachschlagewerk definiert wie folgt:

»Staatsschutz, im weiten Sinne Gesamtheit der sich aus dem Verfassungsauftrag der wehrhaften Demokratie ergebenden verfassungs-, straf- und verwaltungsrechtlichen Möglichkeiten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vor Bestrebungen gegen diese Grundordnung. […] Im engeren Sinne ist der Staatsschutz abzugrenzen vom Verfassungsschutz des Bundes und der Länder gem. Art. 73 Nr. 10 lit. b und c GG. Der Verfassungsschutz hat über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Informationen zu sammeln und auszuwerten. Der Staatsschutz im engeren Sinne ist der Einsatz exekutiver insbesondere polizeilicher und justizieller Mittel zum Schutz des Staates und der Verfassung aufgrund der Analyse dieser Erkenntnisse.«

(aus: Rupprecht, Reinhard, Hg.: Polizei-Lexikon, 2. – aktuelle – Auflage Heidelberg 1995, Stichwort »Staatsschutz«, S. 494)

Hinzuweisen ist darauf, daß die Polizei in Deutschland grundsätzlich Ländersache ist. Für das Land Niedersachsen lassen sich Erkenntnisse gewinnen aus einem Fachaufsatz, den ein dortiger leitender Mitarbeiter des polizeilichen Staatsschutzes unlängst veröffentlicht hat. Es heißt hierin u.a.:

»Für den Bereich des Polizeilichen Staatsschutzes gelten zum Teil bundesweit abgestimmte Regeln des Informationsaustausches und der Zusammenarbeit, um die überregional agierenden Täter wirksam bekämpfen zu können.«

Es ist die Rede von »offener und verdeckter Informationsgewinnung und -verarbeitung im Polizeilichen Staatsschutz«. An anderer Stelle heißt es hierzu:

»Es werden Erkenntnisse des LKA (Landeskriminalamtes, d.U.), BKA (Bundeskriminalamtes, d.U.), LfV (Landesamtes für Verfassungsschutz, d.U.), BfV (Bundesamtes für Verfassungsschutz, d.U.) für die Staatsschutzlage ausgewertet«.

Als andere Erkenntnisquellen werden genannt »VP« ( = Vertrauenspersonen) sowie »Inanspruchnahme von Informanten« (Goßmann, Ralf-Günter, »Polizeilicher Staatsschutz – Nur eine Personalreserve oder unverzichtbarer Bestandteil moderner Polizeiorganisation?« in: Kriminalistik, Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis, Heft 12/2000, S. 812 ff.).

Man wird das Vorstehende verallgemeinern können, was die Arbeit des polizeilichen Staatsschutzes in anderen Bundesländern betrifft. In Baden-Württemberg z.B. gehört laut einem mit »Kriminalpolizei bei einer Kreisdienststelle« betitelten Organogramm auch der Bereich »Staatsschutz« zu den Aufgaben der Inspektion 1 (von 4 Inspektionen. Quelle: Schürholz, Franz-Hellmut: »Kriminalitätsbekämpfung in Baden-Würtemberg«, in: Kriminalistik, Unabhängige Zeitschrift für die kriminalistische Wissenschaft und Praxis, Heft 5/2000, S. 311).

B. Zum Tatbestand der Volksverhetzung, § 130 StGB

I. VOLKSVERHETZUNG, ALTE FASSUNG

Bei strafrechtlichem Vorgehen gegen "Leugner des Holocaust" spielte und spielt diese Strafvorschrift eine zentrale Rolle. Diese hatte bis 1994 folgenden Wortlaut:

»§ 130 StGB, Volksverhetzung

Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er

– zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt,

– zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder

– sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.«

Geschütztes Rechtsgut ist der öffentliche Friede. Bemerkenswert ist, daß der Tatbestand bereits erfüllt ist, wenn die Tathandlung (auch nur) »geeignet« ist, den öffentlichen Frieden zu stören – zu einer tatsächlich eingetretenen Störung des öffentlichen Friedens braucht es also nicht gekommen zu sein. Rechtshistorisch interessant ist, daß die Vorschrift »als Reaktion auf antisemitische und nazistische Vorfälle« durch ein Gesetz von 1960 die obenstehende Fassung bekam (diese Vorfälle wurden, wie man heute annehmen kann, zum Teil von östlichen Geheimdiensten inszeniert). Auch in der Vergangenheit diente die Vorschrift dazu, gegen hetzerische Äußerungen vorzugehen (z.B: »Die Juden sind Untermenschen«, BGHSt 16, 49; 1, 63).

II. VOLKSVERHETZUNG, NEUE FASSUNG

Die Vorschrift wurde durch das sog. Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994 »zur wirksamen Bekämpfung rechtsextremistischer und ausländerfeindlicher Propaganda […] erneut erweitert und verschärft« (Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage 2001, § 130 Rn 1). Sie erhielt folgende (jetzt noch geltende) Fassung:

»§ 130. Volksverhetzung.

(1) Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören

1. zum Haß gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder

2. die Menschenwürde anderer dadurch angreift, daß er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet,

wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer

1. Schriften (§ 11 Abs. 3), die zum Haß gegen Teile der Bevölkerung oder gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe aufstacheln, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordern oder die Menschenwürde anderer dadurch angreifen, daß Teile der Bevölkerung oder eine vorbezeichnete Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden,

a) verbreitet,

b) öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht,

c) einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht oder

d) herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Buchstaben a bis c zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder

2. eine Darbietung des in Nummer 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk verbreitet.

(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.

(4) Absatz 2 gilt auch für Schriften (§ 11 Abs. 3) des in Absatz 3 bezeichneten Inhalts.

(5) In den Fällen des Absatzes 2, auch in Verbindung mit Absatz 4, und in den Fällen des Absatzes 3 gilt § 86 Abs. 3 entsprechend.«

Für den Gesetzgeber galt, daß »neben einer mutigen, offensiven politischen Auseinandersetzung […] Unbelehrbaren auch mit den Mitteln des Strafrechts begegnet werden muß« (Bundestags-Drucksache 12/7960 S. 4, 12/8411 S. 4). Der Gesetzesverschärfung lagen auch "revisionistische" Aktivitäten (möglicherweise auch solche des Antragstellers) zugrunde, wie den nachstehenden Ausführungen des Generalbundesanwalts zu entnehmen ist:

»Als Rechtsextremisten mit Schlagwörtern wie "Auschwitz-Lüge" auf der Grundlage pseudo-wissenschaftlicher Gutachten zur chemischen Beschaffenheit von KZ-Gebäuderesten versuchten, die Last des nationalsozialistischen Völkermordes abzuschütteln, um den politischen Nationalsozialismus gesellschaftsfähig zu machen, reagierte der Gesetzgeber 1994 mit dem Verbrechensbekämpfungsgesetz: Das Leugnen, Billigen und Verharmlosen des nationalsozialistischen Völkermordes wurde in § 130 StGB unter Strafe gestellt.«

(Quelle: Kay Nehm: »Die Rolle der Justiz bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus«, in: Bundeskriminalamt (Hg.): Rechtsextremismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit, Vorträge anläßlich der Herbsttagung des Bundeskriminalamts vom 21. bis 23. November 2000, Neuwied und Kriftel 2001, S. 41).

Problematisch erscheint vor allem (aber nicht ausschließlich) der neu eingefügte Absatz 3, bei dem es sich erkennbarerweise um Sonderrecht für eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung handelt, die in der Zeit von 1933 bis 1945 Opfer nationalsozialistischer Verfolgung wurden. Von verschiedener Seite wurde geltend gemacht, die Vorschrift sei mit der Verfassung nicht vereinbar. Ganz abgesehen davon wirft Absatz 3 erhebliche Auslegungsprobleme auf, insbesondere, was die Tatbestandsmerkmale »billigen« und »verharmlosen« betrifft. Beispiel: Macht sich jemand strafbar, der in Bezug auf "Auschwitz" andere, nämlich viel niedrigere als die gegenwärtig geltende (?) Opferzahl behauptet? Oder jemand, der behauptet, er gehe zwar auch von einer Völkermordabsicht Hitlers (bzw. der NS-Führung) aus, behaupte aber, es habe in Majdanek keine Gaskammern gegeben? Man mag diese Fragestellungen für zynisch halten, aber dies sind Konstellationen, mit denen sich die Gerichte befassen müssen. Zum anderen gibt es eine weitere dogmatische Schwierigkeit, was die subjektive (innere) Tatseite betrifft, die Schönke/Schröder (StGB, § 130 Rn. 20) wie folgt anspricht:

Best.-Nr. 43: Germar Rudolf

Das Rudolf Gutachten

Gutachten über die "Gaskammern" von Auschwitz

Mit der Erstveröffentlichung dieses Gutachtens 1993 setzten massive, aber in der Sache wirkungslose Angriffe auf den Verfasser ein sowie ungezählte gescheiterte Widerlegungsversuche. Nun hat der Autor sein Werk ergänzt und noch verständlicher gemacht. Das Fazit des damaligen Mitarbeiters am Max-Planck-Institut in Stuttgart ist daher heute noch aktueller als zuvor:

Die angeblichen Menschengaskammern von Auschwitz können aus chemischen und technischen Gründen nicht existiert haben!

Rudolfs verständliche Darlegungen sind so überzeugend und augenöffnend, daß die Bundesrepublik Deutschland sich gezwungen sah, den Autor zum Staatsfeind Nummer Eins zu erklären, obwohl seine Beweisführung sachlich und technisch-naturwissenschaftlich einwandfrei ist. Rudolf floh daher aus Deutschland und beantragte in den USA politisches Asyl!

»Diese wissenschaftlichen Analysen sind perfekt.«

H. Westra, Anne-Frank-Stiftung, BRT 1 (Belgisches Fernsehen), 27.4.1995

»Insgesamt stützt er sich auf Literatur, die lange vor diesem Bericht verfaßt worden ist, und muß als wissenschaftlich annehmbar bezeichnet werden.« Prof. Dr. Henri Ramuz, Gutachten zum Rudolf Gutachten, 18.5.1997

»Ich würde lebhaft wünschen, daß alle Äußerungen zu dieser Problematik so offenkundig auf langer und intensiver Arbeit beruhten wie die Ihre.« Prof. Dr. Ernst Nolte, Historiker, Schreiben vom 6.1.1993

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»Kaum lösbare Probleme wirft hier die Frage des Vorsatzes auf. Ist Leugnen objektiv das Inabredestellen von etwas Wahrem, so kann vorsätzliches Leugnen, wie es Abs. 3 verlangt, nach allgemeinen Regeln nur ein Inabredestellen sein, dessen Unwahrheit der Täter kennt oder jedenfalls in Kauf nimmt, mag auch die fragliche Tatsache für die anderen noch so offenkundig sein.«

Eine der Besonderheiten bei "Holocaust-Leugnern" ist jedoch (wie ich aus eigener Erfahrung weiß), daß die Betreffenden von dem, was sie behaupten (und damit "leugnen") absolut überzeugt sind. Falls in solchen Fällen verurteilt wird, so kann dies wohl nur geschehen, indem das Gericht (in rechtsbeugender Weise?) den für eine Verurteilung erforderlichen Vorsatz schlicht unterstellt (bzw. fingiert). Am Schluß der Erörterung dieser Problematik findet man jedenfalls im Kommentar folgende Feststellung (Schönke/Schröder, § 131, Rn. 20):

»So wie Auschwitz immer ein Trauma der Deutschen bleiben wird, […] so ist ein solches offenbar auch die "Auschwitz-Lüge" für das deutsche Strafrecht.«

Dem ist nichts hinzuzufügen. Die gegebene Rechtslage stellt de facto ein bestimmtes Geschichtsbild unter den Schutz des Strafrechts. Insbesondere in Ansehung des "Falles Deckert" bzw. des "Falles Orlet" wirkt sich dies hemmend auf die deutsche Zeitgeschichtsforschung aus (die, falls es sich um ernstzunehmende Forschung handeln soll, ergebnisoffen arbeiten müßte). Nicht nur ich sehe einen Konflikt zwischen der verfassungsrechtlich garantierten Meinungsfreiheit, der Freiheit der Wissenschaft und anderen (politischen) Interessen. Zur Begründung der Freiheitsbeschränkungen wird letztlich auf die deutsche Vergangenheit rekurriert (meiner Ansicht nach zu Unrecht, da Deutschland als gefestigte Demokratie anzusehen ist):

»Staaten, die nicht mit den Erfahrungen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft geschlagen sind, haben nun einmal, bei aller Wachsamkeit gegenüber dem Neonazismus in Deutschland, ein anderes, großzügigeres Verständnis von politischer Meinungsfreiheit. So sollte niemand erwarten, daß sich die Vereinigten Staaten von ihrem historisch gewachsenen Verfassungsverständnis verabschieden, nach dem eine freie Gesellschaft mit politischen Wirrköpfen und Brunnenvergiftern in freier politischer Auseinandersetzung und nicht durch Verbote fertig werden muß.« (Kay Nehm, aaO., S. 49)

C. Zur sogenannten "Offenkundigkeit" im Sinne des § 244 III Satz 2 StPO und seiner Anwendung durch die Gerichte bei "Leugnern des Holocaust"

I. DIE ZENTRALE VORSCHRIFT DES BEWEISAUFNAHMERECHTS IST § 244 STPO

Grundlegend heißt es dort in Absatz 1:

»Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.«

Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß das Gericht im Rahmen des faktisch Möglichen und rechtlich Zulässigen die Aufgabe der Stoffsammlung in optimaler Weise zu erfüllen hat (BGHSt 1 94, 96; 10, 116, 1008). Die Erforschung der Wahrheit ist, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte, »das zentrale Anliegen des Strafprozesses« (BVerfGE 57, 250, 275); beim Aufklärungsgebot handelt es sich um ein »die Handhabung aller Verfahrensvorschriften beherrschenden Grundsatz« (BGHSt 1, 94, 96; 10, 116, 118). Abgesehen davon hat auch – s. auch Art. 6 MRK – der Angeklagte das Recht, die Erhebung von Beweisen (mit dem Ziel seiner Entlastung) zu beantragen. Dies ist völlig unstrittig. Die Voraussetzungen, unter denen nun das Gericht einen solchen (förmlich, d.h. ordnungsgemäß gestellten) Beweisantrag ablehnen kann, sind abschließend im Gesetz normiert. Die Grundlage, einen Beweisantrag »wegen Offenkundigkeit« (der Beweisbehauptung, oder – was nach herrschender Meinung zulässig ist – von deren Gegenteil!) ablehnen zu können, findet sich in § 244 III Satz 2 StPO. Die Vorschrift lautet (Absatz 3):

»Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, wenn die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung oder schon erwiesen ist, wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder wenn es unerreichbar ist, wenn der Antrag zum Zweck der Prozeßverschleppung gestellt ist oder wenn eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.« (Hervorhebung vom U.)

Was ist nun unter »Offenkundigkeit« zu verstehen? Der Begriff umfaßt zwei Elemente, nämlich »Allgemeinkundigkeit« und »Gerichtskundigkeit«. Allgemeinkundig sind Tatsachen, von denen verständige und erfahrene Menschen in der Regel Kenntnis haben oder über die sie sich – ohne besondere Sachkunde – mit Hilfe allgemein zugänglicher Erkenntnismittel jederzeit zuverlässig unterrichten können (BGHSt. 6, 292, 293). Es sind Tatsachen, die so allgemein wahrgenommen werden oder so allgemein ohne ernstlichen Zweifel verbreitet werden, daß ein verständiger und lebenserfahrener Mensch sich davon überzeugt halten kann. »Gerichtskundig« sind Tatsachen, von denen der Richter im Zusammenhang mit seiner amtlichen Tätigkeit (ohne Benutzung privater Informationsquellen) zuverlässige Kenntnis hat. – Für uns ist ersichtlich

das erste Begriffselement, nämlich die »Allgemeinkundigkeit« relevant. Offenkundige Tatsachen müssen jedenfalls in der Hauptverhandlung zur Sprache gebracht werden (BVerfGE 48, 206, 209; BGHSt 6, 292,296). Im Kommentar von Schönke/Schröder heißt es dazu (§ 244 StPO, Rn. 72):

»Die Verfahrensbeteiligten müssen Gelegenheit erhalten, sich über die Annahme der Offenkundigkeit zu äußern, Bedenken dagegen geltend zu machen und Beweisanträge zu stellen, die den Nachweis der Unrichtigkeit der Tatsache oder des Erfahrungssatzes oder des Fehlens der Voraussetzungen der Offenkundigkeit bezwecken können.«

In den Strafprozessen, bei denen Angeklagten "Leugnung des Holocaust" vorgeworfen wird, geschieht in der Regel folgendes: Der Angeklagte (oder sein Verteidiger, oder beide) stellt entsprechende Beweisanträge (z.B: daß in Auschwitz aus naturwissenschaftlichen oder technischen Gründen nicht vergast werden konnte, daß die Opferzahlen nicht stimmen, daß es keinen Plan gab, alle Juden im deutschen Machtbereich umzubringen, und ähnliches). Derartige Beweisanträge wurden bislang jedoch, gestützt auf § 244 III Satz 2 StPO, wegen Offenkundigkeit des Gegenteils abgelehnt. So hat z.B. der Bundesgerichtshof im Fall Günter Deckert wie folgt geurteilt (BGH, Urteil vom 15.12.1994, Az. 1 StR 656/94 = NJW 1995, S. 340):

»Der Massenmord an Juden in Gaskammern von Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkrieges ist als geschichtliche Tatsache offenkundig; wer sich bei seiner politischen Agitation darüber bewußt hinwegsetzt, verdient dafür keine Strafmilderung.«

In diesem Zusammenhang ist gleichwohl darauf hinzuweisen, daß eine entsprechende Beweisaufnahme prozessual durchaus zulässig wäre – sie wird nur für überflüssig erachtet.

In einer unlängst unter dem Titel Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens erschienenen Dissertation heißt es zu dieser Praxis (Wandres, Thomas, Berlin 2000, S. 271):

»Den klugen Verzicht übten die Strafgerichte durchweg, um den Rechtsextremisten kein Propagandaforum zu eröffnen und zugleich eine öffentlichkeitswirksame Wiederholung der verletzenden und hetzerischen Parolen zu verhindern.«

Bemerkenswert an dieser Aussage ist, daß hier von jemandem, der sich intensiv mit dem Thema befaßt hat, konstatiert wird, die Gerichte würden ihre Verfahrensweise an außerprozessualen (vielleicht kann man sogar sagen: politischen) Kriterien orientieren (ob dies zutrifft, sei dahingestellt, die Aussagen von Wandres belegt aber wieder einmal, daß Verfahren dieser Art Besonderheiten aufweisen). – Die Ablehnung entsprechender Beweisanträge erfolgt, unter Hinweis auf die herrschende Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, in allen Instanzen. Gegen die letztinstanzliche (Revisions-)Entscheidung wurde in etlichen Fällen (von mir z.B. im Fall Gerd Honsik, s. hierzu in meinem Lebenslauf unter oben unter lit. B.II.) das Bundesverfassungsgericht angerufen, das jedoch bislang immer die Ablehnung entsprechender Beweisanträge für rechtens erklärt hat, wobei auf die diesbezüglichen Begründungen des Bundesgerichtshofes bzw. der Oberlandesgerichte verwiesen wurde. Eine Änderung dieser nach (meiner Ansicht nach juristisch äußerst fragwürdigen) Handhabung des Beweisrechts ist nicht in Sicht (sondern wohl nur bei einer grundlegenden Veränderung der politischen Verhältnisse zu erwarten).

D. Der "Fall Deckert", bzw. der "Fall Orlet"

I. EINFÜHRUNG

Von allen Fällen gegen "Holocaustleugner" ist sicherlich das Strafverfahren gegen Günter Deckert am bekanntesten, und dies aus folgenden Gründen:

DIE PERSON DES ANGEKLAGTEN:

Günter Deckert war Bundesvorsitzender der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, NPD. Bei der NPD handelt(e) es sich um die aktivste "rechtsradikale" politische Partei in Deutschland. Sie ist stets in den Verfassungsschutzberichten von Bund und Ländern zu finden. Die Bedeutung der Partei ist auch daraus ersichtlich, daß gegen diese gegenwärtig beim Bundesverfassungsgericht ein Verbotsverfahren anhängig ist.

DIE TAT:

Günter Deckert war angeklagt, bei einer politischen Vortragsveranstaltung einen auf Englisch gehaltenen Vortrag des US-amerikanischen Ingenieurs und Hinrichtungsfachmannes Fred Leuchter (Autor des in "revisionistischen" Kreisen bekannten "Leuchter-Berichts") übersetzt und kommentiert zu haben. Es ging also um den Kern dessen, was in "Auschwitz" geschehen (oder nicht geschehen) ist.

II. DIE REAKTIONEN AUF DAS URTEIL

Von allen Urteilen, die gegen "Holocaust-Leugner" gesprochen worden sind, hat das vom Landgericht Mannheim am 22.6.1994 unter dem Aktenzeichen (6) 5 KLs 2/92 verkündete (genau gesagt: dessen schriftliche Begründung, d.h. die Urteilsgründe im Sinne des § 267 StPO) am meisten öffentliche Aufmerksamkeit erregt (und, wie zu zeigen sein wird, zu in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik einmaligen Reaktionen geführt).

Der dem Verfahren zugrundeliegende Lebenssachverhalt ist in einem Aufsatz in der Deutschen Richterzeitung (offizielles Organ des Deutschen Richterbundes) wie folgt dargestellt (Vorsitzender Richter am OLG Dr. Robert Herr, Karlsruhe: »Zur "Rechtsblindheit" und zur "Unabhängigkeit" der deutschen Richter/Innen«):

»Am 10.11.1991 fand in einem Nebenraum einer Weinheimer Gaststätte eine geschlossene Vortragsveranstaltung statt, zu der die "Arbeitsgemeinschaft nationaler Verbände Bergstraße" gezielt "national gesinnte" Einzelpersonen eingeladen hatte und an der etwa 120 Personen teilnahmen. Bei dieser Veranstaltung referierte der vom Angeklagten Deckert als Redner verpflichtete US-Amerikaner Fred Leuchter in englischer Sprache über den "Gas Chamber Myth", während Deckert übersetzte und zustimmend kommentierte. Leuchter, ein 1943 in Boston (im Vorort Malden) geborener Ingenieur, beschäftigt sich neben seiner Tätigkeit als Waffentechniker für die US-amerikanischen Streitkräfte seit 1978 mit der Konstruktion, Verbesserung und Wartung von Hinrichtungseinrichtungen in amerikanischen Gefängnissen. Er wurde 1988 von der Verteidigung beauftragt, in einem Gerichtsverfahren ein Gutachten über die Auschwitzer Gasexekutionen zu erstatten, weshalb er eine Reise nach Polen unternahm und dann den sog. "Leuchter-Report" erstellte. Darin vertritt er die Auffassung, daß wegen der mangelhaften technischen Ausstattung in Auschwitz in sechs Jahren höchstens 500.000 Menschen hätten vergast werden können und daß die Exekutionen noch bis ins Jahr 2006 andauern müßten, bis die für ihn unvorstellbare Zahl von 6 Millionen Mordopfern erreicht werden könne.«

III. ZUM GANG DES VERFAHRENS

1. Die 4. (große) Strafkammer des Landgerichts Mannheim verurteilte mit am 13.11.1992 verkündetem Urteil den Angeklagten daraufhin wegen Volksverhetzung, übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die es zur Bewährung aussetzte (Az. (4) 5 KLs 2/92). An diesem Urteil wirkte der Richter Dr. Orlet, auf den noch zurückzukommen sein wird, nicht mit.

2. Gegen dieses Urteil wurde von der Verteidigung wie auch von der StA Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt, und mit Urteil vom 15.23.1994 (Az. 1 StR 179/93) aufgehoben sowie zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Mannheim zurückverwiesen. Diese setzte sich aus drei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern (Schöffen) wie folgt zusammen: Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. Müller (als Vorsitzender), Richter am Landgericht Dr. Orlet sowie Richterin am Landgericht Folkerts als beisitzende Richter; Vera Klug und Evelyn Hopp als Schöffen. Mit am 22.6.1994 verkündetem Urteil wurde der Angeklagte (wiederum) wegen Volksverhetzung, übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt (Az. (6) 5 KLs 2/92). Gegen dieses Urteil legten Verteidigung wie StA während der einwöchigen (mit Ablauf des Tages der mündlichen Urteilsverkündung beginnenden) Rechtsmittelfrist wiederum Revision zum Bundesgerichtshof ein.

Im August 1994 wurde das schriftliche Urteil bekannt, das vor allem wegen folgender Passagen heftige Reaktionen auslöste:

»Soweit der Angeklagte die Tatbestände der §§ 185, 189 StGB erfüllt hat, ist er auch nicht durch § 193 StGB gerechtfertigt. Zwar kann man der Auffassung sein, daß der Angeklagte ein berechtigtes Interesse wahrgenommen hat, indem er bestrebt war, die nach Ablauf fast eines halben Jahrhunderts immer noch aus dem Holocaust gegen Deutschland erhobenen Ansprüche abzuwehren. Jedoch hat er dazu nicht das erforderliche Mittel eingesetzt (vgl. Dreher /Tröndle aaO, § 193 Rdn.8), sondern ist über dieses weit hinausgegangen.«

Bei den Ausführungen des Gerichts zur Strafzumessung heißt es u.a.:

»Mildernd wurde demgegenüber die Unbestraftheit des Angeklagten gewürdigt, die um so positiver ins Gewicht fällt, als er schon seit Jahrzehnten in der aktiven Politik und in härtesten politischen Auseinandersetzungen steht, die eine hochgradige Versuchung bilden, das Strafrecht zu mißachten.«

Das Gericht wertete

»die Tat hauptsächlich als von seinem Bestreben motiviert, die Widerstandskräfte im deutschen Volk gegen die aus dem Holocaust abgeleiteten jüdischen Ansprüche zu stärken. Nicht außer Acht gelassen wurde auch die Tatsache, daß Deutschland auch heute noch, rund fünfzig Jahre nach Kriegsende, weitreichenden Ansprüchen politischer, moralischer und finanzieller Art aus der Judenverfolgung ausgesetzt ist, während die Massenverbrechen anderer Völker ungesühnt blieben, was, jedenfalls aus der politischen Sicht des Angeklagten, eine schwere Belastung des deutschen Volkes darstellt.«

Die Kammer begründete schließlich ihre Entscheidung, die Strafe zur Bewährung auszusetzen, u.a. wie folgt:

»Gem. § 56 StGB war die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, da zu erwarten ist, daß der Angeklagte unter dem bloßen Eindruck der Verurteilung in Zukunft straffrei leben wird. Denn der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung einen guten Eindruck hinterlassen. Es handelt sich bei ihm um eine charakterstarke, verantwortungsbewußte Persönlichkeit mit klaren Grundsätzen. Seine politischen Überzeugungen, die ihm Herzenssache ist, verficht er mit einem großen Engagement und erheblichem Aufwand an Zeit und Energie.«

Ferner schrieb das Gericht, Deckert sei ein »Mann von hoher Intelligenz«. Weiter heißt es u.a.:

»Daß sich der Angeklagte auch weiterhin zum Revisionismus bekennt und dies aller Voraussicht nach auch weiter tun wird, vermag ebenfalls keine andere Beurteilung zu rechtfertigen; denn diese Denkmethode beinhaltet nichts Strafbares.«

Die Kammer führte ferner aus, daß auch die »Verteidigung der Rechtsordnung« im Sinne des § 56 Abs. 3 StGB nicht gebiete, die Strafe zu vollstrecken, was u.a. wie folgt begründet wurde:

»Vielmehr zweifelt die Kammer nicht daran, daß die Bevölkerung in ihrer übergroßen Mehrheit durchaus Verständnis dafür haben wird, daß einem 54-jährigen unbescholtenen Familienvater, dessen Unrecht im Grunde nur in der Äußerung einer Auffassung besteht, die Rechtswohltat der Strafaussetzung zur Bewährung zu Teil wird.«

IV. REAKTIONEN AUF DIE SCHRIFTLICHE URTEILSBEGRÜNDUNG

REAKTIONEN AUS DER JUSTIZ

In einer am 15.8.1994 stattfindenden Versammlung von Richtern am Landgericht Mannheim beschloß die Mehrheit, sich vom Urteil zu distanzieren (an dieser Versammlung sollen von den 64 am Landgericht tätigen Richtern 40 teilgenommen haben). Der Präsident des Landgerichts Mannheim, Gunter Weber, richtete an die Jüdische Gemeinde in Mannheim einen Brief, in dem er »um Entschuldigung und Nachsicht« bat; das Urteil enthalte »objektiv mißverständliche Formulierungen«. Das Präsidium des Landgerichts Mannheim schließlich faßte am 15.8.1994 folgenden Beschluß:

»1. Infolge dauernder krankheitsbedinger Verhinderung des Vorsitzenden Richters am Landgericht Dr. Müller übernimmt mit sofortiger Wirkung Vorsitzender Richter am Landgericht N. den Vorsitz in der 1. und 6. Großen Strafkammer (§ 21 e Abs. 3 GVG).

Über die infolge der dauernden krankheitsbedingten Verhinderung des Richters am Landgericht Dr. Orlet erforderliche Änderung der Geschäftsverteilung wird das Präsidium aus verfahrensrechtlichen Gründen erst zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden.« (Quelle: Deutsche Richterzeitung, Nr. 10, Oktober 1994, S. 391)

Der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Victor Weber, forderte im Fernsehen Maßnahmen gegen die am Urteil beteiligten Richter. In der September-Ausgabe 1994 der Deutschen Richterzeitung (offizielles Organ des Deutschen Richterbundes) äußerte sich dessen Vorsitzender Rainer Voss im Leitartikel zum Urteil (zu einem Zeitpunkt, als dieses nicht rechtskräftig war!) unter der Überschrift »In Mannheim hat die Justiz versagt« u.a. wie folgt:

»Ich weiß, daß es normalerweise nicht unsere Aufgabe ist, Urteile zu kommentieren oder zu bewerten. Wir haben aus unserem richterlichen Selbstverständnis heraus die in richterlicher Unabhängigkeit ergangenen Urteile zu respektieren. So ist es auch das erste Mal, daß der Deutsche Richterbund seine Zurückhaltung aufgegeben hat, weil die Grenze des Hinnehmbaren hier in unerträglicher Weise überschritten worden ist. Das Urteil ist eine Zumutung für alle diejenigen, die unter den nationalsozialistischen Verbrechen gelitten haben. Es ist eine Verhöhnung jener Millionen Opfer, die der Holocaust gefordert hat. Ich empfinde Zorn darüber und schäme mich dafür, daß ein solches Urteil im Namen des Volkes verkündet worden ist.« (Quelle: Deutsche Richterzeitung, Nr. 9, September 1994, S. 352)

Die damalige Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, äußerte sich wie folgt (Focus Nr. 33 vom 15.8.1994, S. 25):

»Das ist ein Schlag ins Gesicht aller Opfer des Holocaust. Ich kann jetzt nur noch auf die Revisions-Instanz hoffen.«

Die Staatsanwaltschaft Mannheim kündigte am 11.8.1994 eine Überprüfung der Urteilsbegründung auf mögliche strafbare Äußerungen der Richter an (Süddeutsche Zeitung vom 12.8.1994).

REAKTIONEN AUS DER POLITIK

Bundeskanzler Helmut Kohl sagte:

»Die Begründung ist schlicht eine Schande. Das Urteil schadet dem deutschen Ansehen im Ausland.«

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Heiner Geißler, äußerte:

»Ich fordere eine Aufhebung dieses Urteils. Außerdem brauchen wir eine Aktuelle Stunde im Bundestag.«

Rudolf Scharping, damals Vorsitzender der SPD sagte:

»Der Urteilsspruch ist empörend, ein Freibrief für rechtsextremistische Funktionäre.«

Von jüdischer Seite wurde wie folgt kommentiert (Michel Friedman, Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland):

»Ungeheuerlich. Die Kammer hat einen geistigen Brandstifter als charakterlich einwandfrei gelobt.«

Der jüdische Weltkongreß erklärte:

»Die Sprache dieser Begründung könnte auch rechtsextremer Literatur entnommen sein.« (alles zitiert nach: Focus, Nr. 33 – einem der führenden deutschen Nachrichtenmagazine – vom 15.8.1994, S. 24 ff.)

Es wurde bekannt, daß das Urteil vom Richter am Landgericht Dr. Orlet als dem sog. Berichterstatter (s. § 197 des Gerichtsverfassungsgesetzes) verfaßt worden war (unterzeichnet war es entsprechend der StPO auch vom Vorsitzenden, Dr. Müller, sowie von der beisitzenden Richterin Folkerts). Das Interesse der Medien konzentrierte sich daher auf Dr. Orlet, der auch in seiner Privatsphäre behelligt wurde. Über dessen Zustand im August 1994 anläßlich eines Interviews äußerte sich ein Journalist später wie folgt:

»Da saß nun einerseits ein Mann, der einen vereinsamten, völlig isolierten Eindruck machte, ohne jeden Freundeskreis, ein Mann, der psychisch und physisch angeschlagen wirkte. Er war damals krankgeschrieben, er leide, wie er sagte, unter den Folgen eines Herzinfarkts, den er vor Jahren erlitt.« (Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 12.5.1995)

Ferner wurde das Verfahren Gegenstand von Erörterungen im Landtag von Baden-Württemberg (die gesetzgebende Körperschaft des Bundeslandes, in dem Mannheim liegt). Der SPD-Abgeordnete Max Nagel richtete dort folgende "Kleine Anfrage" an die Landesregierung:

»Ich frage die Landesregierung: Welche Möglichkeiten gibt es, den Richter am Landgericht Mannheim, Herrn Rainer Orlet, aus dem Dienst zu entfernen?« (Quelle: Landtag von Baden-Württemberg, 11. Wahlperiode, Drucksache 11/4936 vom 14.11.94).

Im Landtag von Baden-Württemberg wurde – ein bis dahin in der Geschichte der Bundesrepublik einmaliger Vorgang – zudem eine sog. Richteranklage gemäß Art. 98 Abs. 2 und 5 des Grundgesetzes in Verbindung mit Art. 66 Abs. 2 der Landesverfassung von Baden-Württemberg vorbereitet (Quelle: Landtag von Baden-Württemberg, 11. Wahlperiode, Drucksache 11/5671 vom 21.3.1995). Danach kann ein Richter »in ein anderes Amt oder in den Ruhestand versetzt werden«, falls er »im Amte oder außerhalb des Amtes gegen die Grundsätze des Grundgesetzes oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung eines Landes verstößt«. Gegen Dr. Orlet erübrigte sich allerdings das Verfahren, da dieser aus gesundheitlichen Gründen auf eigenen Wunsch mit Wirkung vom 15.5.1995 in den Ruhestand ging. Davor hatten sich zahlreiche Schöffen (Laienrichter) geweigert, ihr Schöffenamt in Spruchkörpern auszuüben, in denen Dr. Orlet als Richter fungierte. Zudem wurde er erfolgreich in einem Fall wegen – angeblich – bestehender Befangenheit zu Lasten ausländischer (türkischer) Angeklagter abgelehnt (OLG Karlsruhe, Beschluß vom 19.4.1995, Az. 3 WS 72/95).

REAKTIONEN DER MEDIEN

Das Magazin Focus schrieb (Nr. 33 vom 15.8.1994, S. 24):

»Justizskandal in Mannheim: Urteilsspruch lobt Volksverhetzer Deckert und gibt Anleitung zur Formulierung straffreier Naziparolen.«

Allgemein wurde von einem »Skandalurteil« gesprochen (so z.B. in der Süddeutschen Zeitung vom 11.5.1995). Die führende deutschen Wochenzeitung Die Zeit überschrieb den Leitartikel ihrer Ausgabe vom 19.8.1994 »Empörung ist nicht genug«. Im Innenteil auf S. 3 findet sich ein ganzseitiger, dem Urteil gewidmeter Artikel unter der Überschrift »Mit Blindheit geschlagen« und den Worten »Untergründige Sympathie und jämmerliche Schlamperei: Warum die Mannheimer Richter den NPD-Vorsitzenden moralisch freisprachen« (ich glaube, auf die Wiedergabe weiterer Äußerungen verzichten zu können).

JURISTISCHER AUSGANG DES VERFAHRENS

Das Urteil wurde vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15.12.1994 (Az. 1 StR 656/94) aufgehoben, und an eine Strafkammer des Landgerichts Karlsruhe zurückverwiesen. Dieses verurteilte schließlich mit am 21.4.1995 verkündetem Urteil den Angeklagten wegen Volksverhetzung, übler Nachrede, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren o h n e Bewährung. (Az. IV KLs 1/95 2 AK 1/95). Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Angeklagten wurde vom Bundesgerichtshof verworfen, so daß Rechtskraft eintrat. Der Angeklagte hat zwischenzeitlich die Strafe verbüßt.

EIGENE STELLUNGNAHME

Der Grund dafür, daß man von einem »Skandal« sprach, mag durch die beiden folgenden Zitate angesprochen werden:

»Wie Deckert selbst, so rührt auch das Urteil mit seinen Gründen an die Basis unseres staatlichen und gesellschaftlichen Selbstverständnisses. Wir sind als Volk ein resozialisierter ehemals schwerer Straftäter.« (Gastkommentar von Hanno Kühnert in der Deutschen Richterzeitung, Oktober 1994, S. 393).

Ferner:

»Wenn Deckerts Auffassung zum Holocaust richtig wäre, wäre die Bundesrepublik auf einer Lüge gegründet. Jede Präsidentenrede, jede Schweigeminute, jedes Geschichtsbuch wäre gelogen. Indem er den Judenmord leugnet, bestreitet er der Bundesrepublik ihre Legitimität.« (Patrick Bahner, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 15.8.1994).

In Art. 97 Grundgesetz heißt es:

»Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen.«

Angesichts dessen stellten die Reaktionen von Teilen der Justiz, der Exekutive und der Medien auf das Urteil der Landgerichts Mannheim vom 22.6.1994 einen schweren, nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die von der Verfassung garantierte richterliche Unabhängigkeit dar. Daß in einer freiheitlichen Gesellschaft auch Urteile der Kritik unterliegen, ist klar. Nicht hingenommen werden konnte jedoch vor allem zweierlei: Zum einen, daß sich die Reaktionen gegen das Urteil auf dessen Verfasser, den Berichterstatter Dr. Orlet fokussierten – ungeachtet der Tatsache, daß außer diesem noch zwei Berufsrichter (darunter der Vorsitzende!) und zwei Laienrichter für dieses verantwortlich zeichneten; zum anderen, daß in ein schwebendes Verfahren eingegriffen wurde. Am gravierendsten und weiterwirkend ist jedoch für einen Staat, der in Anspruch nimmt, ein Rechtsstaat zu sein, folgendes:

Seit dem "Fall Deckert/Fall Orlet" muß jedermann, der (im weitesten Sinne) wegen "Leugnung des Holocaust" vor Gericht steht, fürchten, kein rechtsstaatliches, gemäß Art. 20 Abs. 2 GG nur an Recht und Gesetz orientiertes Verfahren zu erhalten, da die betreffenden Richter – die auch "nur" Menschen sind! – für den Fall, daß ihre Entscheidungen nicht den offenbar bestehenden Erwartungen von zumindest Teilen der Justiz, der Politik und der Medien entsprechen, ähnliche Reaktionen befürchten müssen, wie sie die Kammer im "Orlet-Verfahren" im allgemeinen, den Richter Dr. Orlet im besonderen getroffen haben.

Für den vorliegenden Fall ist auf folgendes hinzuweisen:

Das Landgericht Stuttgart verkündete sein Urteil gegen den Antragsteller am 23.6.1995, also n a c h der erneuten (dann rechtskräftig gewordenen) Verurteilung des Angeklagten Deckert durch das Landgericht Karlsruhe. Es kann als sicher gelten, daß den Stuttgarter Richtern die Vorgänge um den Deckert-Prozeß im August 1994 und danach nicht entgangen sind (dies ist auch aufgrund der örtlichen Nähe zwischen Stuttgart, Mannheim und Karlsruhe anzunehmen). Daß das Landgericht Stuttgarter den Deckert-Prozeß sorgfältig verfolgte, ist z.B. auch daraus zu ersehen, daß die Kammer das BGH-Urteil vom 15.3.1994 (Az. 1 StR 179/93), mit dem das erste Urteil des Landgerichts Mannheim aufgehoben wurde, den Akten beizog (und damit zum Verfahrensbestandteil machte). Daher muß die Frage erlaubt sein, ob sich die Richter in Stuttgart – nachdem, was ihren Kollegen in Mannheim passiert war – überhaupt noch leisten konnten, ein Urteil zu sprechen, das der Erwartungshaltung von Justiz, Politik und Medien nicht entsprochen hätte.

E. Zum Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 23.6.1995, Az. 17 KLs 83/94

Dieses soll unter mehreren Fragestellungen, die für das Asylverfahren bedeutsam erscheinen, untersucht werden:

I. HAT ES SICH UM EIN "POLITISCHES VERFAHREN" UND EINEN "POLITISCHEN PROZESS" GEHANDELT, UND IST DIES AUS DEM URTEIL ERSICHTLICH?

Die Frage kann bejaht werden, und zwar aus folgenden Gründen:

  1. Die polizeilichen Ermittlungen wurden vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Dezernat 822 geführt (Geschäftszeichen 822-165/93). Es ist davon auszugehen, daß dieses Dezernat primär mit Staatsschutzsachen befaßt war (s. hierzu auch die Ausführungen zum polizeilichen Staatsschutz unter Abschnitt A).
  2. Die Anklageschrift wurde bei der Staatsanwaltschaft von einer Abteilung verfaßt, die (hauptsächlich?) für die Anklageerhebungen in Staatsschutzsachen zuständig war.
  3. Das Delikt, aus dessen Strafrahmen die Kammer bei der Urteilsfindung die Strafe entnahm, nämlich das der Volksverhetzung, § 130 StGB, steht im siebenten Abschnitt des Strafgesetzbuches, der die »Straftaten gegen die öffentliche Ordnung« enthält. Hierzu heißt es in einem der führenden deutschen Kommentare zum Strafgesetzbuch (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Kommentar, 26. Auflage, München 2001, Vorbemerkungen zu den §§ 123 ff.):
  4. »Zugleich eine politisch besonders sensible Materie betreffen die in diesem [ergänze: Abschnitt, d.U.] enthaltenen Strafvorschriften zum Schutz des inneren Friedens und der inneren Sicherheit (§§ 125 ff., 140).« (Hervorhebung vom U.)

  5. Weiterer Beleg dafür, daß der Charakter des Verfahrens ein politischer war, ist die Tatsache, wie das Gericht die politischen Ziele, Einstellungen und Motive des Angeklagten bezeichnete (ob die Feststellungen des Gerichts zutreffend waren oder nicht, kann hier dahinstehen). So heißt es bereits unter den »Feststellungen« des Urteils unter »A, Zusammenfassender Überblick« (Urteil, S. 8)
  6. »Die Schrift entstand in den Jahren 1991 bis 1993 auf dem Hintergrund einer rechtsextremistischen Einstellung des Angeklagten, der die negativen Folgen des nationalsozialistischen Regimes für Deutschland nicht wahrhaben will.« (Hervorhebung vom U.)

    Auf S. 28 des Urteils heißt es:

    »Da es ihm [dem Angeklagten, d.U.] von Anfang an darauf ankam, seine Schrift auch für politische, insbesondere nationalistische und rassistische Zwecke einzusetzen, sucht er vor allem den Kontakt zu rechtsextremistischen Kreisen.« (Hervorhebung vom U.).

    Auf S. 155 steht:

    »Die Beschäftigung des Angeklagten mit dem Thema Auschwitz ist in einem umfassenden Sinne politisch motiviert(NB: Fettdruck im Original).

    Bei den Ausführungen zur Strafzumessung wurde vom Gericht zu Lasten des Angeklagten u.a. folgendes berücksichtigt (S. 238 des Urteils):

    »Auch war er, um seine politischen Ziele durchzusetzen, bereit, auf rücksichtslose Weise selbst die sensibelsten Bereiche persönlicher Schicksale und des gesellschaftlichen Lebens anzutasten«. (Hervorhebung vom U.).

  7. Weiterer Beleg dafür, daß es sich um ein politisches Verfahren gehandelt hat, ist folgendes:
  8. In Deutschland gibt es auf gesetzlicher Grundlage auf Bundes- wie Landesebene Behörden, deren Ziel es ist, die Verfassung zu schützen (Bundesamt für Verfassungsschutz, diverse Landesämter für Verfassungsschutz). In Bayern heißt es im Bayerischen Verfassungsschutzgesetz (hier zitiert in der Fassung vom 24.8.1990) im I. Abschnitt (»Organisation und Aufgaben des Verfassungsschutzes«) wie folgt:

    »Art. 1

    (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder besteht im Bayern ein Landesamt für Verfassungsschutz. Es dient auch dem Schutz vor organisierter Kriminalität.

    (2) Freiheitliche demokratische Grundordnung nach Absatz 1 ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt- und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und der Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören mindestens:

    Die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.«

    Das Bay. Staatsministerium des Innern hat nun im Jahr 1996 in 3., unveränderter Auflage eine Schrift unter dem Titel »Revisionismus« herausgegeben, in der unter Ziffer 4 »Entwicklung« (des Revisionismus, d.U.) auch der Stuttgarter Prozeß des Antragstellers erwähnt wird. Hier heißt es wie folgt:

    »4.4. Rudolf-Gutachten

    Das 120 Seiten umfassende Rudolf-Gutachten, das sich u.a. auf den Leuchter-Bericht bezieht, wurde 1991 im Auftrag der Verteidigung des damals wegen Volksverhetzung angeklagten Rechtsextremisten Otto Ernst Remer erstellt und im Strafverfahren als Beweismittel für die "Auschwitz-Lüge" vorgelegt. Verfasser ist der Diplom- Chemiker Germar Rudolf, ein ehemaliges Mitglied der rechtsextremistischen Partei "Die Republikaner" (REP). […] Das Landgericht Stuttgart verurteilte Rudolf am 23. Juni 1995 wegen Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung. […]«.

    Das vorstehende Zitat erlaubt den Schluß, daß die abgeurteilte Tätigkeit des Antragstellers jedenfalls vom Freistaat Bayern als gegen die "freiheitliche demokratische Grundordnung", und damit gegen die Verfassung gerichtet (und somit per se politische) bewertet wird (eine Einschätzung, die sicherlich von den übrigen deutschen Verfassungsschutzbehörden geteilt wird).

  9. Ein weiterer Hinweis darauf, daß es sich um ein politisches Verfahren handelte, ist die Berichterstattung der Medien über den Prozeß (ich glaube, davon absehen zu können, hier in Einzelheiten zu gehen).

FAZIT:

Insgesamt kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, daß es sich bei dem betreffenden Gerichtsverfahren, in dem ich für den Antragsteller tätig war, um einen politischen Prozeß gehandelt hat.

II. HAT HERR RUDOLF EIN FAIRES VERFAHREN (FAIR TRIAL) ERHALTEN?

Hier ist zunächst die Frage zu klären, was unter einem solchen nach deutschem Recht zu verstehen ist (es übersteigt meine Kompetenz, das Verfahren unter der Fragestellung, ob es dem US-amerikanischen "fair trial"-Gebot standhält, zu überprüfen). Im schon erwähnten Kommentar zum Strafgesetzbuch wird der Grundsatz des "fairen Verfahrens" wie folgt beschrieben (Schönke/Schröder, StGB, 26. Auflage, Einleitung, Randnummer 28):

»Hierbei handelt es sich um einen Sammelbegriff, der sich aus Einzelelementen zusammensetzt, die zumeist im jeweiligen Verfahren ihren Niederschlag finden müssen. Die Wurzel dieses allgemeinen Prozeßgrundrechts findet sich in den in einem materiell verstandenen Rechtsstaatsprinzip verbürgten Grundrechten und Grundfreiheiten des Menschen […]

Aufmerksam zu machen ist in diesem Zusammenhang auch auf Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die auch von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert wurde.

Nach deutschem Recht haben alle Organe der Strafrechtspflege (die Polizei als Ermittlungsbehörde, die Staatsanwaltschaft, schließlich die Gerichte) in jedem Stadium des Verfahrens den "fair trial"-Grundsatz zu beachten. Da das Urteil gegen Herrn Rudolf rechtskräftig ist, könnte man davon ausgehen (was die deutschen Strafverfolgungsorgane sicherlich tun), daß mein Mandant in Stuttgart ein "faires Verfahren" erhalten hat (andernfalls wäre das Urteil ja nicht rechtskräftig geworden). Bedenken gegen diese Sicht der Dinge ergeben sich allerdings nach meiner Ansicht vor allem aus folgendem:

Die Verteidigung hatte im Plädoyer einen Hilfsbeweisantrag gestellt – d.h. einen Beweisantrag, der nur dann vom Gericht behandelt werden muß, falls dieses zu einer Verurteilung gelangen würde, die Verteidigung hatte Freispruch beantragt – der zum Ziel hatte, zu beweisen, daß die im "Gutachten" enthaltenen »Abschließenden Feststellungen«, insbesondere die »Schlußfolgerungen zu A« sowie die »Schlußfolgerungen zu B«, zutreffend sind. Das Gericht verurteilte Herrn Rudolf, und behandelte diesen Beweisantrag – was grundsätzlich zulässig ist – erst im Urteil, wo es hierzu folgendes ausführte (S. 231):

»Der Hilfsbeweisantrag läuft im Ergebnis auf eine Leugnung des Massenmordes an den Juden, begangen vor allem in den Gaskammern des Konzentrationslagers Auschwitz hinaus. […] Der Massenmord an den Juden, insbesondere in Auschwitz, ist aber, wie die Rechtsprechung seit langem entschieden hat, als geschichtliche Tatsache offenkundig und bedarf keiner Beweiserhebung (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).«

Die Verteidigung war (und ist) der Auffassung, daß der Beweisantrag nicht hätte abgelehnt werden dürfen, sondern daß der angebotene Beweis hätte erhoben werden müssen. Richtig ist nun allerdings, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes – was das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat – die Ablehnung derartiger Beweisanträge nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO (mit der Begründung, das Gegenteil dessen, was bewiesen werden solle, sei offenkundig) für rechtens erklärt hat. Mit einer solchen Spruchpraxis wurde (und wird) letztlich eine bestimmte Auffassung hinsichtlich eines komplexen, sich über Jahre hinziehenden historischen Geschehens – das in etlichen Fragen unstreitig immer noch nicht geklärt zu sein scheint, wie etliche Kontroversen ausweisen – für sakrosankt erklärt, womit sich die Rechtsprechung anmaßt, an die Stelle der Geschichtswissenschaft (und wie im vorliegenden Fall, etlicher naturwissenschaftlicher Disziplinen) zu treten. Mit einer derartigen Praxis wurde (und wird) Individuen, die abweichende Ansichten von bestimmten historischen Vorgängen vertreten, jede Möglichkeit genommen, ihren Standpunkt zu beweisen. Hierzu paßt, daß das Stuttgarter Gericht sich mit dem Inhalt des "Gutachtens" – das den ganz überwiegenden Teil der inkriminierten Schrift ausmacht! – in keiner Weise näher befaßte; dessen Inhalt wird nur kurz auf den Seiten 8 und 9 angesprochen; bemerkenswert ist jedenfalls, daß konstatiert wird, dieses sei »im wesentlichen in wissenschaftlichem Stil gehalten« (S. 23). Daß dem Gericht die Beurteilung der Frage, ob die im "Gutachten" mitgeteilten Tatsachen zutreffend, die daraus gezogenen Schlüsse richtig waren, aufgrund eigener Sachkunde unmöglich gewesen wäre, liegt auf der Hand. Eben deshalb gibt die deutsche Strafprozeßordnung die Möglichkeit, sich im Wege eines Sachverständigenbeweises fremder Sachkunde zu bedienen. Die Kammer hat aber von der Möglichkeit, mit Hilfe von diversen Sachverständigen verschiedener Fachrichtungen (wie Chemiker, Historiker, Bausachverständige) die "Richtigkeit" des "Gutachtens" beurteilen zu können, keinen Gebrauch gemacht. Ist es fernliegend, anzunehmen, daß dies womöglich deshalb geschehen ist, weil die Folgen für die inneren und äußeren Verhältnisse der Bundesrepublik beträchtlich wären, sollten sich die vom Angeklagten in der inkriminierten Schrift gezogenen »Schlußfolgerungen ...« als zutreffend erweisen? Ob dies der Fall hätte sein können, steht allerdings hier nicht zur Diskussion (und kann, mangels eigener Sachkunde, auch nicht vom U. beurteilt werden). Fest steht jedenfalls, daß dem Angeklagten nicht die Möglichkeit gegeben wurde, die Richtigkeit dessen, was er geschrieben hatte, zu beweisen.

Fazit: Entgegen der in Deutschland herrschenden Rechtsprechung ist der U. daher der Auffassung, daß ein solches Vorgehen einen Verstoß gegen den Grundsatz des "fair trial" darstellt. Die Frage, ob Herr Rudolf einen "fairen Prozeß" erhalten hat, muß daher – jedenfalls von mir – leider verneint werden.

III. WURDE HERR RUDOLF DESHALB VERFOLGT UND VERURTEILT, WEIL ER EINE ABWEICHENDE POLITISCHE MEINUNG VERTRAT?

ZUM VERFAHREN VOR DEM LANDGERICHT STUTTGART (AZ. 17 KLS 83/94)

Ich glaube, dargelegt zu haben, daß es sich bei diesem Verfahren um ein politisches gehandelt hat, ferner, daß "revisionistische" Bestrebungen von deutschen Behörden und Gerichten als gegen die Verfassung gerichtet angesehen werden. Zu beachten ist gleichwohl, daß Gegenstand der Urteilsfindung in Stuttgart n u r das unter Remers Namen herausgegebene "Gutachten" gewesen ist (wie sich versteht, inklusive Vor- und Nachwort). Über das "Gutachten" selbst heißt es im Urteil (S. 23):

»Diese Schrift, die die Grundlage aller seiner publizistischen Aktivitäten ist, ist im wesentlichen in wissenschaftlichem Stil gehalten. Sie beschäftigt sich mit einem chemischen Detail (Blausäure-Problematik) und verzichtet auf allgemeine politische Schlußfolgerungen.«

Das rechtfertigt den Schluß, daß der Angeklagte vom Gericht nicht wegen politischer Äußerungen in seinem Gutachten verurteilt wurde, sondern deshalb, weil ihm Vor- und Nachwort Remers (im Urteil auf den Seiten 109 a – 114 abgedruckt) zugerechnet worden sind (wobei hier auch die Frage offen bleiben kann, ob Otto Ernst Remer tatsächlich der Verfasser von Vor- wie Nachwort war). Dies wird von der Urteilsbegründung (»Rechtliche Würdigung«, S. 233 ff.) des Urteils bestätigt, wo die erfolgte Verurteilung wegen Volksverhetzung wie folgt begründet wird:

Best.-Nr. 45: Ernst Gauss alias Germar Rudolf (Hg.)

Grundlagen zur Zeitgeschichte

Handbuch über strittige Fragen der Zeitgeschichte

Das wichtigste revisionistische Sammelwerk der letzten Jahre, das klare und ausführliche Antworten auf so ziemlich alle Fragen gibt. Wer über den Holocaust und die Holocaust-Propaganda mit wachem Verstand urteilen will, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Angesichts der vielen romanhaften Literatur zum Holocaust und der Schriften, die nur auf der Phantasie der Autoren beruhen, darf mit Fug und Recht behauptet werden, daß dieses Buch eines der wenigen wissenschaftlichen Anthologien über den Holocaust ist:

»Dieser Sammelband ist augenscheinlich also Teil der großangelegten wissenschaftlichen Auseinandersetzung über ein ernstes zeitgenössisches Problem, das über den eigentlichen wissenschaftlichen Bereich hinaus weit in das Politische hineinwirkt.«

Dr. J. Hoffmann, Bundeswehr-Historiker, Gerichtsgutachten, 28.9.1995

Weil dieses Buch wie ein Flächenbrand über Deutschland hinwegzog, immerhin Tausende von Akademikern und Führungskräften von ihm überzeugt wurden und weil es nicht zu widerlegen war, wurde es vom freiheitlichsten Staat deutscher Geschichte 1995 verboten und verbrannt! Auf dem Schwarzmarkt wird es bereits mit über € 75,- gehandelt.

Deutsch: 415 S. DIN A4, teilw. farbig ill., Index, gb., € 35,- + Porto

Englisch: Dissecting the Holocaust, 2. revidierte Auflage, 616 S., teilw. farbig ill., Bibliographie, Index, pb., € 30,- + Porto

Anmerkung: Der Druck einer erweiterten, aktualisierten deutschen Taschenbuch-Neuauflage kann erst erfolgen, wenn der Altbestand von etwa 450 Büchern zumindest größtenteils abgesetzt wurde. Wir bitten daher um Flüsterpropaganda!

»Mit der Gesamtheit der Remer-Fassung des "Gutachtens" wird aus politischem Kalkül und aus Haß gegen die Juden gezielt die Behauptung aufgestellt, die Berichte über die systematischen Judenmorde in der Zeit des Nationalsozialismus, vor allem im Konzentrationslager Auschwitz seien eine reine Erfindung zum Zwecke der Knebelung und Ausbeutung Deutschlands«. (Hervorhebung vom U.).

Insgesamt ist festzustellen, daß das Landgericht Stuttgart die Motive für die abzuurteilenden Taten des Angeklagten im politischen Bereich sieht (ob diese Einschätzung richtig ist, kann dahinstehen). So heißt es bereits auf S. 14 im Abschnitt B unter der Überschrift »Allgemeines zur Motivation und Strategie des Angeklagten«:

»Nach seiner Überzeugung war die deutsche Nachkriegsentwicklung und ist das Selbstverständnis der Deutschen und ihr Ansehen in der Welt ganz wesentlich bestimmt durch die Art und Weise, wie das Hitler-Regime bewertet wird, vor allem durch die Darstellung über die systematische Vernichtung von Menschen jüdischen Glaubens in Vernichtungslagern. Da der Angeklagte nicht bereit ist, die Folgen für Deutschland und die Deutschen, wie er sie sieht, zu akzeptieren, entschloß er sich, dazu beizutragen, die nationalsozialistischen Massenverbrechen zumindest in Zweifel zu ziehen.« (Hervorhebung vom U.).

Es heißt ferner, der Angeklagte habe nach seinem Beitritt zu der Partei der Republikaner die Überzeugung gewonnen, »daß seine radikalen Ziele in einer Partei nicht zu erreichen seien« (Urteil, S. 14). Das Gericht führte ferner aus, daß Herr Rudolf »nationalsozialistischem Denken, insbesondere dessen Rassenideologie, zumindest nahesteht« (Urteil, S. 15). An anderer Stelle (S. 28) steht, es sei ihm von Anfang an darauf angekommen, »seine Schrift auch für politische, insbesondere nationalistische und rassistische Zwecke einzusetzen«. Auf S. 239 wird der Antragsteller schließlich als »fanatischer Überzeugungstäter mit einer tiefen antisemitischen Einstellung« charakterisiert.

Ich betone: Die Frage, ob diese Einschätzungen des Gerichts zutreffend waren oder nicht, erscheint mir irrelevant. Festzustellen ist: Das Gericht hat dem Antragsteller politische Beweggründe und Ziele zugeschrieben; diese hat das Gericht negativ bewertet (womit auch begründet wurde, weshalb dem nicht vorbestraften Angeklagten keine Bewährung zu bewilligen sei, S. 239 des Urteils).

Die im Rahmen des Asylverfahrens interessierende Frage, ob Herr Rudolf (zumindest: auch) wegen – ihm vom Gericht unterstellter? – »politischer Ansichten« verurteilt wurde, dürfte daher zu bejahen sein.

ZUM VERFAHREN AG TÜBINGEN (AZ. 4 LS 15 JS 1535/95)

Ich habe Herrn Rudolf in diesem Verfahren nicht verteidigt. Mir ist jedoch bekannt, daß Gegenstand der Anklage gegen ihn dort das von ihm unter dem Pseudonym "Ernst Gauss" herausgegebene Werk Grundlagen zur Zeitgeschichte war. Dieses Buch wird im Stuttgarter Urteil wie folgt angesprochen (S. 239):

»Der Angeklagte hat, was seine Einstellung einmal mehr dokumentiert, während und trotz des laufenden Verfahrens weitere "revisionistische" Schriften veröffentlicht bzw. vorbereitet, die nach der gleichen Strategie der scheinbaren Objektivität wiederum darauf abzielen, den Holocaust zu leugnen. So erschien im Herbst 1994 das Buch "Grundlagen zur Zeitgeschichte" und wurde das Buch gegen Pressac vorbereitet.«

Obwohl mir die Anklageschrift im Tübinger Verfahren nicht vorliegt, gehe ich (gestützt auf die obigen Ausführungen der Stuttgarter Richter) davon aus, daß auch der dortigen Anklage letztlich der Vorwurf, der Angeklagte würde "den Holocaust leugnen" zugrunde liegt (was von der StA u.a. als Volksverhetzung, § 130 StGB, betrachtet wird). Auch hier dürfte daher – auch ohne Kenntnis der Einzelheiten – dasselbe gelten, was auch hinsichtlich des Verfahrens vor dem Landgericht Stuttgart von mir konstatiert wurde: nämlich, daß es sich um ein politisches Verfahren handelt(e).

SONSTIGE STRAFVERFAHREN GEGEN HERRN RUDOLF

Man wird aufgrund der publizistischen Tätigkeit des Antragstellers, die dieser seit seiner Exilierung ausübt, davon ausgehen müssen, daß weitere Strafverfahren gegen ihn anhängig sind, die derzeit nur deshalb nicht weiterbetrieben werden können, weil sich Herr Rudolf nicht in Deutschland aufhält. Auch hinsichtlich möglicher weiterer anhängiger Strafverfahren wird man die Aussage wagen können, daß dem Antragsteller letztlich eine "Leugnung des Holocaust" zur Last gelegt wird.

IV. SONSTIGE ANMERKUNGEN ZUM URTEIL LG S AZ. 17 KLS 83/94

1. Die inkriminierte Schrift bestand bekanntlich aus zwei Teilen: Dem eigentlichen "Gutachten", als dessen Autor der Antragsteller genannt wird, ferner Vor- und Nachwort (als dessen Verfasser Herr Otto Ernst Remer auftritt), und das dem Angeklagten zugerechnet wurde.

Auffallend ist, daß das Gericht diese "Remer-Fassung" des Gutachtens als Einheit betrachtet hat (S. 235):

»Die Remer Fassung des "Gutachtens", die einschließlich Vor- und Nachwort eine einheitliche Schrift darstellt, ist in ihrer Gesamtheit kein wissenschaftliches Werk.«

Begründet wird dies wie folgt:

»Der Angeklagte und seine Mittäter bedienten sich eines wissenschaftlich scheinenden Hauptteiles des Werkes, um in erster Linie mittels Vor- und Nachwort die genannten Straftaten zu begehen« (S. 236 des Urteils)

Dies erscheint abwegig: Wieso hätte sich der Angeklagte dann die Arbeit mit dem "Gutachten" machen sollen? Hier erscheinen die Dinge auf den Kopf gestellt. Die Sichtweise des Gerichts hat jedoch gravierende Folgen (S. 236 des Urteils):

»Angesichts der Tatsache, daß die Remer-Fassung als Ganzes kein wissenschaftliches Werk ist, hatte die Kammer nicht zu prüfen, ob Teile des Werkes wissenschaftlichen Charakter haben (was angesichts der politischen Ziele der Angeklagten und der oben geschilderten Art, wie er mit Tatsachen umgeht, allerdings unwahrscheinlich erscheint).«

Mit dieser Begründung konnte sich das Gericht einer Aufgabe entziehen, die ihm unangenehm hätte werden können: nämlich darüber Beweis zu erheben, ob die vom Angeklagten im "Gutachten" gezogenen Schlußfolgerungen zutreffend sind oder nicht (sollte – was ich nicht beurteilen kann – letzteres der Fall sein: Was hätte dagegen gesprochen, die sachlichen Aussagen des Angeklagten durch einen Beweis in öffentlicher Verhandlung durch Sachverständige als falsch festzustellen, ja geradezu "zu entlarven"?). Der zweite Vorteil dieser Betrachtungsweise bestand darin, es dem Antragsteller zu verwehren, sich auf die Verfassungsgarantien der Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) sowie der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) zu berufen, s. hierzu Urteil S. 235 f.. Zumindest aber hinsichtlich der Frage, wie der Angeklagte zu bestrafen sei, wäre es aber angebracht gewesen, dieser Frage nachzugehen (nach § 46 Abs. 1 StGB ist die Schuld des Täters die Grundlage für die Strafzumessung).

2. Zur vom Gericht vorgenommenen Beweiswürdigung:

Diese erscheint nicht in jeder Hinsicht zwingend. Insbesondere die Ausführungen der Kammer zur Frage, ob die Remer-Aktion nun vom Angeklagten mitgetragen wurde oder nicht, sind nicht gänzlich überzeugend. Was Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung betrifft, möchte ich auf einige Punkte hinweisen, die der Kritik bedürfen:

  1. Auf Seite 44 des Urteils zitiert das Gericht Herrn Willy Wallwey als einen der Mitarbeiter am Buch Grundlagen zur Zeitgeschichte. Hierzu heißt es dann (Urteil, S. 44):
  2. »Mitarbeitern am Buch stellte er sich mit Schreiben vom 27.1.1993, von dem eine Kopie beim Angeklagten gefunden wurde, mit den Worten vor: "Ich arbeite in meiner Freizeit als Amateurhistoriker. Bisher war mein Gebiet meine alte Truppe, nämlich die Waffen-SS ..." Außerdem schrieb er nach Schilderung seiner Arbeitsbelastung als freier Architekt: "Andererseits ist mir klar, daß es ‚fünf vor zwölf’ ist und den meisten Gleichgesinnten die Zeit davon läuft".«

    Auf S. 166 kommt das Gericht auf den Zeugen Wallwey nochmals zu sprechen, um die »Einbindung in das rechtsextremistische Milieu« des Angeklagten zu belegen. Es heißt dann:

    »Der Zeuge Wallwey "arbeitete" über seine "alte Truppe, die Waffen-SS" und befürchtete, daß ihm die Zeit zur Rehabilitierung des Nationalsozialismus davonlaufe«. (Hervorhebung vom U.).

    Hier unterstellt das Gericht dem Zeugen ganz offensichtlich alleiniges Ziel seiner Beschäftigung mit der (Geschichte der) Waffen-SS sei die »Rehabilitierung des Nationalsozialismus«. Belege werden hierfür nicht angeführt. All dies nährt die Befürchtung, daß schon während der Hauptverhandlung das Gericht dem Angeklagten nicht mit der notwendigen Unbefangenheit gegenüberstand.

  3. Auf S. 49 des Urteils heißt es:
  4. »Zur persönlichen Begegnung zwischen dem Angeklagten und Philipp kam es spätestens am 29.6.1991 aus Anlaß einer Veranstaltung der J.G. Burg Gesellschaft im Großraum Nürnberg. Anknüpfend an den "Erfolg" der o.g. Anzeigen fand hier eine "geschlossene revisionistische Veranstaltung" mit dem Ziel statt, über die weitere Vorgehensweise zu beraten.«

    An anderer Stelle wird besagte – angebliche – Teilnahme des Angeklagten an dieser Veranstaltung nochmals erwähnt (Urteil, S. 148):

    »Zum einen nahm er an der von Remer einberufenen, "geschlossenen revisionistischen Veranstaltung" vom 29.6.1991 teil, bei der Remer das Grußwort sprach (S. 49). Dies zeigt die Kopie eines bei ihm gefundenen ausgefüllten Anmeldeformulars. Der Angeklagte hat dies auch nicht bestritten.«

    Zunächst ist hierzu zu sagen, daß die Veranstaltung – an der ich selbst in beruflicher Eigenschaft teilnahm – nicht im »Großraum Nürnberg«, sondern in 93426 Roding/ Oberpfalz stattfand. Des weiteren: Beim Angeklagten wurde nicht eine »Kopie«, sondern ein Original der Anmeldung gefunden (die jedoch vom Angeklagten nicht abgeschickt worden war). Die Darstellung im Urteil legt schließlich den Schluß nahe, Herr Rudolf habe eingeräumt, an der Veranstaltung teilgenommen zu haben. Ein solcher Schluß wäre unzutreffend: Der Mandant hat dies während des Prozesses energisch bestritten. Nach allem, was mir vor, auf und nach der betreffenden Veranstaltung bekannt wurde, hat der Angeklagte an dieser n i c h t teilgenommen.

  5. Die Verteidigung hatte etliche Zeugen mit dem Ziel laden lassen, zu beweisen, daß der Angeklagte nicht (neo-) nationalsozialistisch bzw. antisemitisch eingestellt sei. Das Gericht führt auf S. 169 des Urteils an, die Zeugen Philipp, Wallwey, Weckert, Neumaier, Herrmann, Stratemann, die Eheleute Sternberg, die Mutter, Schwester sowie der Bruder des Angeklagten – immerhin 11 Personen – hätten in der Hauptverhandlung angegeben, »er habe ihnen gegenüber keine antisemitischen bzw. rechtsextremistischen Einstellungen geäußert«, diese Angaben seien jedoch entweder »bewußt falsch« oder »Folge einer gelungenen Täuschung der Zeugen durch den Angeklagten«.
  6. Ich konnte diese Überzeugung des Gerichts nicht teilen: Die Angaben der Zeugen waren für mich z.T. glaubwürdig, mithin entlastend.

    An dieser Stelle ist auf folgendes aufmerksam zu machen:

    Fehler des Gerichts in der Feststellung der Tatsachen (im Urteil unter Ziffer II unter »Feststellungen« aufgeführt) lassen sich schwer nachweisen, da nach deutschem Strafprozeßrecht grundsätzlich nur bei Strafverfahren vor dem Amtsgericht (Einzelrichter oder Schöffengericht) die (zumindest: inhaltliche) Protokollierung dessen, was der Angeklagte oder was Zeugen sagen, vorgeschrieben ist.

    In § 273 Absatz 2 StPO heißt es hierzu:

    »Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen (Hervorhebung vom U.) in das Protokoll aufzunehmen […]«.

    Wie man sieht, wird solches nur für Verfahren vor dem Amtsgericht verlangt, nicht jedoch für Verfahren vor dem Landgericht. Der Prozeß gegen Herrn Rudolf wurde jedoch vor dem Landgericht geführt; dort wurde zwar auch ein Protokoll (gemäß §§ 271 ff. StPO ) geführt, das aber weder die Angaben des Angeklagten noch die der Zeugen enthalten mußte (und enthalten hat).

    Gleichfalls werden in deutschen Strafprozessen grundsätzlich keine Tonbandprotokolle geführt. Der Vollständigkeit halber muß hinzugefügt werden, daß in Ausnahmefällen das Gericht eine wörtliche Protokollierung anordnen kann, und zwar gem. § 273 III StPO. Voraussetzung einer solchen Protokollierung ist, »daß es auf den Vorgang oder den Wortlaut der Aussage oder Äußerung ankommt. Das Interesse an der Feststellung kann im Hinblick auf das laufende oder auch ein anderes Verfahren begründet sein. Im laufenden Verfahren von Bedeutung sind Vorgänge oder der Wortlaut von Äußerungen, wenn sie Verfahrensfehler darstellen oder Ablehnungsgesuche rechtfertigen können, ferner, wenn sie Anlaß zu Beweisanträgen oder weiterer Aufklärung bieten können, schließlich, wenn sie für die Beweiswürdigung von Bedeutung sein können« (Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, 4. Auflage, München 1999, § 273 Rn. 23). Diese Voraussetzungen sind sehr selten gegeben.

  7. Das Gericht begründete die erfolgte Verurteilung wegen Aufstachelung zum Rassenhaß u.a. wie folgt (Urteil, S. 235):

»Im Zusammenhang mit der Behauptung, daß der Holocaust eine Erfindung der Juden sei, wird damit gezielt zum Haß gegen die Juden aufgestachelt.«

Gegenstand der Urteilsfindung waren "Gutachten" nebst Vor- und Nachwort. Im "Gutachten" finden sich keine antisemitischen Passagen. Im (von Remer verantworteten) Vor- wie Nachwort wird jedenfalls – aber genau dies meint man, wenn man das Urteil liest! – nicht ausdrücklich behauptet, der Holocaust sei »eine Erfindung der Juden«. Wie einleuchtet, ist es ein Unterschied, ob jemand eine bestimmte Tatsache behauptet, oder – wie es hier zugegebenerweise nicht auszuschließen ist – Tatsachen darlegt, aus denen man den Schluß ziehen kann (oder auch nicht!), eine bestimmte Tatsache sei gegeben. Von der Kammer konnte verlangt werden, diese Unterscheidung zu treffen. Daß sie nicht getroffen wurde, deutet wiederum darauf hin, daß der Angeklagte kein faires Urteil erhielt. (Angemerkt sei, daß Herr Rudolf mit einem Freispruch rechnete – im Gegensatz zu mir, was ich damit begründete, daß sich der deutsche Staat aus politischen Gründen einen solchen im vorliegenden Fall nicht leisten könne).

V. ZUR FRAGE, OB DIE VERHÄNGTE STRAFE UNVERHÄLTNISMÄSSIG SCHWER WAR:

Grundlage für die Bemessung der Strafe ist gem. § 46 StGB Abs. 1 Satz 1 die »Schuld des Täters«. Das Gesetz fährt dann fort, Absatz 2:

»Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

– die Beweggründe und die Ziele des Täters,

– die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,

– das Maß der Pflichtwidrigkeit,

– die Art der Auswirkungen und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,

– das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie

– sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.«

Auf der Hand liegt, daß das Gericht bei der Strafzumessung ein gewisses Ermessen hat. Zugunsten des Angeklagten berücksichtigte das Gericht (Urteil, S. 237), daß der Angeklagte »bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist«, was doch einigermaßen erstaunlich war, soll es sich doch nach Ansicht des Gerichts bei diesem um einen »fanatischer Überzeugungstäter« handeln. Das Gericht berücksichtigte ferner, daß der Angeklagte »besonders strafempfindlich« sei, »insbesondere weil er eine Familie mit einem Kleinkind zu versorgen hat.« Gleichwohl verhängte die Kammer eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten, die es nicht zur Bewährung aussetzte. Die hierzu benutzte Formulierung des Gerichts »Eine Aussetzung der Freiheitsstrafe würde sowohl im Hinblick auf die Tat und als auch ihre Begehungsweise das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung erschüttern« sehe ich als nichtssagende, zudem unzutreffende Leerformel an. Das »Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung« wurde und wird von anderen Vorkommnissen – z.B. der vorzeitigen Freisetzung von Sexualtätern, die danach wieder straffällig werden – mehr erschüttert, als von der Verbreitung einer Schrift, deren Inhalt weder damals noch jetzt breite Kreise der Bevölkerung interessiert(e). In Anbetracht dessen, daß der Angeklagte nicht vorbestraft war, und mit einem Kleinkind in geordneten sozialen Verhältnissen lebte, ferner, daß – was bereits damals abzusehen war – die inkriminierte Publikation in der Öffentlichkeit letztlich keine Wirkung gezeitigt hatte, erscheint mir die verhängte Strafe unangemessen hoch (statistisch gesehen, werden rund zwei Drittel aller verhängter Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt) Eine Erklärung hierfür könnte darin gesehen werden, daß ein politischer Prozeß geführt wurde, in dem angesichts der intensiven "revisionistischen" Tätigkeit des Angeklagten ganz erhebliche Belange des Staates berührt waren.

Der Mandant hat bekanntlich gegen das landgerichtliche Urteil das statthafte Rechtsmittel der Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt, die allerdings erfolglos blieb. Hier ist auf eine Besonderheit des deutschen Strafverfahrensrechts hinzuweisen (Darstellung in Grundzügen):

In Fällen geringer Kriminalität und geringer Straferwartung findet die erste (Tatsachen-)verhandlung vor dem Amtsgericht statt. Gegen ein hier ergehendes Urteil kann Berufung eingelegt werden. Die zweite Verhandlung findet sodann vor dem Landgericht statt – vor dem grundsätzlich nochmals alle Beweise, die schon vor dem Amtsgericht erhoben worden sind, nochmals erhoben werden können. Gegen das Urteil des Landgerichts kann sodann Revision eingelegt werden. Hier findet allerdings in der Regel keine erneute mündliche Verhandlung statt, sondern nur eine Überprüfung des angefochtenen Urteils auf Rechtsfehler durch das übergeordnete Gericht. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, daß das Revisionsgericht bei dieser Überprüfung an die tatsächlichen Feststellungen, die das untergeordnete Gericht seinem Urteil in den schriftlichen Urteilsgründen zugrundegelegt hat, gebunden ist; auch die Beweiswürdigung kann nur in seltenen Fällen beanstandet werden, da sie ureigene Aufgabe des sogenannten Tatrichters ist, der in der mündlichen Verhandlung Angeklagten und Zeugen hört. Dies bedeutet, daß in der Revision nur in allerseltensten Fällen mit Aussicht auf Erfolg gerügt werden kann, Angeklagter und/oder Zeugen hätten etwas anderes gesagt, als das, was im angefochtenen Urteil stünde, ferner, die Angaben seien – entgegen der Bewertung des angegriffenen Urteils – doch glaubhaft gewesen.

F. Zur Frage, ob dem Antragsteller in Deutschland "politische Verfolgung" droht, sollte er in den Geltungsbereich des Grundgesetzes zurückkehren:

  1. Herr Rudolf wurde vom Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 23.6.1995 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die hiergegen (von RA Ludwig Bock, Mannheim) eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof verworfen (Az. 1 StR 18/96); dieses ist (nach Mitteilung des Antragstellers: seit 7.3.1996) rechtskräftig. Herr Rudolf Er hat sich bekanntlich dem Haftantritt durch Flucht in das Ausland entzogen. Es ist daher davon auszugehen, daß in Deutschland ein entsprechender Haftbefehl existiert. Zu fragen ist, ob, sollte dieser vollstreckt werden können, Herr Rudolf seine Strafe noch verbüßen müßte. Dies ist anhand des 5. Abschnitt, »Verjährung«, 2. Titel (»Vollstreckungsverjährung«) des Strafgesetzbuches zu prüfen. Soweit hier von Interesse, lautet diese Vorschrift wie folgt:
  2. »§ 79 StGB, Verjährung

    Abs. 1 Eine rechtskräftig verhängte Strafe oder Maßnahme […] darf nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht mehr vollstreckt werden.

    […]

    Abs. 3 Die Verjährungsfrist beträgt […] zehn Jahre bei Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren. […]

    Abs. 6 Die Verjährung beginnt mit der Rechtskraft der Entscheidung.«

    Von Interesse ist hier ferner noch die Vorschrift des § 79 b StGB:

    »§ 79 b StGB, Verlängerung

    Das Gericht kann die Verjährungsfrist vor ihrem Ablauf auf Antrag der Vollstreckungsbehörde einmal um die Hälfte der gesetzlichen Verjährungsfrist verlängern, wenn der Verurteilte sich in einem Gebiet aufhält, aus dem seine Auslieferung oder Überstellung nicht erreicht werden kann.«

    Gegenwärtig ist daher festzustellen, daß die Strafvollstreckung des in Stuttgart gesprochenen Urteils noch nicht verjährt ist (ob die Staatsanwaltschaft einen Antrag nach § 79 b StGB gestellt hat, ist hier nicht bekannt).

  3. Darüber hinaus ist Herr Rudolf nicht zu seiner Verhandlung in der beim AG Tübingen unter dem Az. 4 Ls 15 Js 1535/95) anhängigen Strafsache am 7.5.1996 erschienen, dem die Veröffentlichung des von ihm unter dem Pseudonym "Ernst Gauss" herausgegeben Buches Grundlagen zur Zeitgeschichte zugrunde lag. Obwohl ich, wie schon angesprochen, Herrn Rudolf in diesem Prozeß nicht verteidigt habe, ist davon auszugehen, daß auf Antrag der Staatsanwaltschaft ein Haftbefehl erlassen wurde, § 230 Abs. 2 StPO (ob aufgrund der publizistischen Tätigkeit, die Herr Rudolf entfaltete, nachdem er Deutschland verließ, noch weitere Haftbefehle existieren, ist mir nicht bekannt).

G. Welche Motive hat der deutsche Staat bei seiner Verfolgung von Germar Rudolf?

Vorauszuschicken ist, daß es sich bei der Bundesrepublik Deutschland, was ihre Entstehung betrifft, um keinen "normalen Staat" handelt: Die Bundesrepublik Deutschland entstand nicht aufgrund einer Entscheidung, sondern aufgrund einer Lage (in Anlehnung an Ernst Forsthoff); sie war eine "Zangengeburt der Alliierten" (ein Ausdruck, der nicht von mir geprägt wurde, sondern von einem Staatsanwalt in Stuttgart in einem Plädoyer in einem politischen Prozeß verwendet wurde, in dem ich verteidigte). Ein Hinweis auf die besonderen Bedingungen, unter denen das Grundgesetz entstand, ist dessen letzter Artikel, der auch nach dem Beitritt der DDR folgende Fassung hat:

Art. 146: »Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.«

Dies läßt den Schluß zu, daß das Grundgesetz n i c h t »vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist.« Historisch gesehen ist die Bundesrepublik eine Antithese zum "Dritten Reich", und hat sich auch immer so verstanden.

Es wurde der Versuch unternommen, nationalsozialistisches Unrecht auch juristisch aufzuarbeiten. Ein bestimmtes Geschichtsbild – auch von der Judenverfolgung – ist hierbei entstanden. Dieses wurde Grundlage von Beziehungen besonderer Art zum einen zur in Deutschland lebenden jüdischen Gemeinschaft (bzw. – es gehören nicht alle in Deutschland lebenden Juden solchen an – zu den in Deutschland lebenden Juden) einerseits, zum Staat Israel anderseits. Es hat auch den Anschein, als werde das bestehende Geschichtsbild – das u.a. die Alleinschuld Deutschlands am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges beinhaltet – dazu benutzt, politische Gegner im Inneren, d.h. von "rechts" niederzuhalten. Eine Korrektur des Geschichtsbildes auch oder insbesondere des "Holocaust" berührt im deutschen Selbstverständnis ein Trauma. Die deutsche Vergangenheit erscheint insoweit noch nicht aufgearbeitet, so daß man insoweit von einer "kranken Nation" und "der deutschen Neurose" sprechen kann (im Verhältnis zu jüdischen Mitbürgern läßt sich dies alles auch am geltenden Strafrecht sowie dessen Anwendung durch Staatsanwaltschaften und Gerichte aufzeigen, wobei der deutsche Hang, alles gründlich zu machen, eine verstärkende Rolle spielt). Was einer historischen Aufarbeitung der jüngeren deutschen Vergangenheit – die eine ergebnisoffene Forschung voraussetzt – erschwerend im Wege steht, sind, wie schon angesprochen, massive Sonderinteressen von in- und ausländischen Interessenträgern (auch materieller Art).

Ich persönlich halte die gegenwärtige Gesetzeslage wie auch die Anwendung der bestehenden Gesetze in Fällen wie dem vorliegenden für juristisch fragwürdig (um es zurückhaltend auszudrücken).

H. Strafrechtliches Vorgehen gegen andere "Leugner des Holocaust"

Die Verfahren gegen "Leugner des Holocaust" werden vor allem wegen Volksverhetzung (§ 130 StGB) sowie wegen Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (§ 189 StGB) geführt. Nicht alle Fälle gelangen in die Öffentlichkeit, dies auch deshalb, weil – falls die Staatsanwaltschaft im Wege des Strafbefehlsverfahrens gem. §§ 407 ff. StPO anklagt – es nicht zu einer öffentlichen Verhandlung kommt, wenn der Angeklagte gegen den vom Gericht erlassenen Strafbefehl keinen Einspruch einlegt. An herausragenden Fällen sind aus den letzten Jahren folgende zu nennen:

I. VERFAHREN GEGEN OTTO ERNST REMER VOR DEM LANDGERICHT SCHWEINFURT (AZ. 1 KLS 8 JS 7494/91)

Dieser wurde durch Urteil vom 22.10.1992 wegen Volkverhetzung in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit Aufstachelung zum Rassenhaß, zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten o h n e Bewährung verurteilt. Die hiergegen eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 16.11.1993 (Az. 1 StR 193/93) verworfen, wobei folgende, vom Landgericht getroffene tatsächlichen Feststellungen zugrunde gelegt wurden:

»Nach den Feststellungen der Strafkammer hängt er (der Angeklagte, d.U.) nationalsozialistischem Gedankengut an. Er behauptet in fünf von ihm verbreiteten "Remer-Depeschen" sinngemäß: Es habe während des Dritten Reiches keine Gaskammermorde an Juden in Konzentrationslagern gegeben. Die Behauptung solcher Morde sei von den Juden erfunden, um das deutsche Volk finanziell bis in die Gegenwart um riesige Summen zu erpressen.«

Der Bundesgerichtshof führte zur Begründung der Ablehnung der Revision u.a. aus:

»Zu Recht hat das Landgericht angenommen, der Massenmord an den Juden, begangen in den Gaskammern von Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs, sei als geschichtliche Tatsache offenkundig; eine Beweiserhebung darüber sei deshalb überflüssig (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO).«

Otto Ernst Remer entzog sich dem Haftantritt durch Flucht in das Exil, wo er auch starb.

II. VERFAHREN GEGEN UDO WALENDY

VERFAHREN VOR DEM LANDGERICHT BIELEFELD (AZ. 2 KLS 46 JS 374/95)

Der Angeklagte, ein Diplom-Politologe, forscht seit Jahrzehnten auf dem Gebiet der Zeitgeschichte und hat etliche Werke zu zeitgeschichtlichen Fragen publiziert, wobei das erstmals 1964 erschienene Buch Wahrheit für Deutschland – Die Schuldfrage des Zweiten Weltkriegs als Hauptwerk gelten kann. Daneben veröffentlichte er seit Jahren zeitgeschichtliche Erkenntnisse in der Schriftenreihe Historische Tatsachen.

Vor dem Landgericht Bielefeld wurde er wegen der Ausgaben Nr. 1 (»Kriegs-, Verbrechens- oder Propaganda-Opfer?«) und Nr. 64 (»Immer neue Bildfälschungen II. Teil«) u.a. wegen Volksverhetzung angeklagt.

Die HT Nr. 1 befaßt sich mit der nationalsozialistischen Judenverfolgung, die HT Nr. 2 mit der Echtheit von Fotos, mit denen vornehmlich deutsche Untaten belegt werden sollen, und deren Authentizität von Herrn Walendy bestritten wird. Mit Urteil vom 17.5.1996 wurde der Angeklagte wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten ohne Bewährung verurteilt. In der Urteilsbegründung hieß es, der Angeklagte könne sich auch nicht auf das Grundrecht der Freiheit der Wissenschaft, Art. 5 GG, berufen, beide Druckschriften seien »nach Inhalt und Form nicht als ernsthafter, planmäßiger Versuch anzusehen, die Wahrheit über die Judenverfolgungen und -vernichtungen im Dritten Reich zu ermitteln.« Obwohl dem Angeklagten zugebilligt wurde, er habe »die allgemeinen Judenvernichtungsaktionen im Dritten Reich gar nicht generell bestritten«, hieß es gleichwohl, er habe »in erheblichem Maße verharmlost«. Die gegen das Urteil eingelegte Revision wurde vom Bundesgerichtshof am 17.5.1996 verworfen (rechtskräftig seit 18.12.1996, Az. 4 StR 524/9). Eine hiergegen von Herrn Walendy eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht mit Beschluß vom 27.5.1997 nicht zur Entscheidung angenommen (Az. 1 BvR 195/97). Der am 21.1.1927 geborene Angeklagte hat die Strafe zwischenzeitlich voll verbüßt (Anträge, den Rest der Strafe zur Bewährung auszusetzen, wurden mit der Begründung abgelehnt, dem Verurteilten könne keine günstige Sozialprognose gestellt werden).

VERFAHREN VOR DEM AG HERFORD (AZ. 3 LS 46 JS 71/96 (97/96)

Auch hier war der Angeklagte wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbene angeklagt, begangen durch Veröffentlichung der Historischen Tatsachen Nr. 66, 67, 68 und 44. Gegenstand dieser Publikationen waren wiederum zeitgeschichtliche Vorgänge, u.a. die nationalsozialistische Judenverfolgung. In der Ausgabe Nr. 66 der HT hatte der Angeklagte auf S. 2 der Schrift sein Anliegen wie folgt beschrieben:

»Zweifel an der systematischen Massenvernichtung von Juden dürfen nach der jetzigen Gesetzeslage in der Bundesrepublik nicht bestehen. Es ist deshalb Aufgabe der Forschung, Elemente, die zur Begründung von Zweifeln dienen können, zu untersuchen und auszuräumen.«

Das Amtsgericht Herford verurteilte Walendy mit Urteil vom 6.5.1997 zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten Haft ohne Bewährung. Begründet wurde dies u.a. damit, der unbefangene Leser könne den Schluß ziehen, »daß es keinerlei gesicherte Erkenntnisse über eine systematische Judenverfolgung und Judenvernichtung gibt, daß sämtliche Zahlen mit großer Vorsicht zu bewerten sind und daß letztlich überhaupt nicht gesagt werden kann, welche Behauptungen zutreffen oder nicht.« Konstatiert wurde, mit den Ausgaben Nr. 66 und 68 verfolge der Angeklagte »allein das Ziel, die historisch gesicherte Tatsache der systematischen Judenverfolgung und Judenvernichtung zu leugnen und zu verharmlosen«. Vom Angeklagten wurde ferner gesagt, er habe »ein völliges Desinteresse an irgendwelchen Fakten und Einzelheiten zur massenhaften systematischen Judenvernichtung«. Auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit könne er sich nicht berufen, da die inkriminierten Schriften unwissenschaftlich seien.

Der Angeklagte ließ gegen die erfolgte Verurteilung Berufung einlegen, die jedoch vom Landgericht Bielefeld in der Verhandlung 25.9. 1998 verworfen wurde (Az. 6 Ns 3 Ls 46 Js 71/96 – W 3/98 VI –) Die hiergegen eingelegte Revision wurde vom OLG Hamm zurückgewiesen. Von den verhängten 14 Monaten Freiheitsstrafe wurden 11 verbüßt, 3 zur Bewährung ausgesetzt.

Fazit

Es ist derzeit mit einem hohen strafrechtlichen Risiko behaftet, zeitgeschichtliche Forschungsergebnisse zu veröffentlichen, die in entscheidenden Punkten (Alleinkriegsschuld Deutschland, Judenvernichtung) von dem abweichen, was (auch von den Gerichten) als herrschende, wissenschaftlich gesicherte Meinung angesehen wird.


Dr. Günther Herzogenrath-Amelung

Rechtsanwalt

Regensburg, den 9.9.2001


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 176-190.


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