Bücherschau

Hitlers jüdische Soldaten

Von Jörg Berger

Bryan Mark Rigg, Hitler’s Jewish Soldiers: The Untold Story of Nazi Racial Laws and Men of Jewish Descent in the German Military, University Press of Kansas, ISBN: 0700611789, 528 S., $29.95

Bereits in der Ausgabe 3/97 (S. 34) berichtete VffG kurz über eine Forschungsarbeit des Amerikaners Bryan M. Rigg über »Juden in Wehrmachtsuniform«. Während der letzten vier Jahre hat Rigg dieses Thema im Rahmen seiner Doktorarbeit, die im Mai dieses Jahres veröffentlicht wurde, wesentlich vertieft.

Der heute 31-jährige Bryan Rigg erhielt seinen Doktortitel in Geschichte von der Universität Cambridge unter Professor Jonathan Steinberg. Heute ist Rigg Geschichtsprofessor an der amerikanischen Online-Militäruniversität.

Riggs Buch basiert in erster Linie auf etwa 430 Interviews mit ehemaligen Wehrmachtsoldaten mit zumindest teilweise jüdischem Hintergrund, also dem, was die Nationalsozialisten als "Mischlinge" bezeichneten. Es handelt sich also primär um "erlebte und erzählte Geschichte", die von betroffenen Zeitzeugen erzählt und vom Autor bewertet und in den Zusammenhang der Zeit gestellt wird. Er reiht sich damit ein mit journalistischen Autoren wie John Sack, der die Geschichte der polnischen Vernichtungslager auch nicht anhand von Dokumenten und Sekundärliteratur erforschte, sondern mittels "mündlicher Geschichte", also einer Serie von Interviews mit Opfern und Tätern.

Aufgrund von statistischen Hochrechnungen meint Rigg, es habe in der Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges mindestens 100.000 jüdische "Mischlinge" in der Definition der Nürnberger Gesetze gegeben. Die meisten dieser Mischlinge seien Nachfahren nichtjüdischer Deutscher und assimilierter bzw. getaufter deutscher Juden gewesen. Aus Riggs Analyse ergibt sich, daß ein Teil dieser Soldaten deshalb diente, um der Verfolgungsdrohung als Mischlinge zu entgehen, ein anderer Teil aber schlicht deshalb, weil sie sich wie selbstverständlich als Deutsche empfanden und nichts anderes taten als alle anderen Deutschen auch, nämlich dem Vaterland treu zu dienen.

Bereits der Beginn von Briggs Studien zum Staatsexamen im Jahr 1996 verursachte einige Aufmerksamkeit, was es ihm ermöglichte, mit vielen Zeitzeugen in Kontakt zu treten und was seiner Doktorarbeit schließlich ein ungewöhnliches Maß an Kritik und Anerkennung einbrachte. Angefangen hatte Rigg seine Forschungen allerdings bereits schon zu Beginn seiner Studienzeiten, als er während eines Aufenthalts in Deutschland erfuhr, daß seine protestantische Mutter jüdische Vorfahren hatte, und als er zufällig einen alten Herrn kennenlernte, der über seine Erlebnisse als "Vierteljude" an der Ostfront berichtete.

Es ist erwartungsgemäß vor allem die lange Reihe der Holocaust-Gelehrten, die Riggs Studie zu allerlei Kommentaren veranlaßte, wie die US-Zeitschrift The Chronicle of Higher Education in der Ausgabe vom 3.5.02 zu berichten weiß. (http://chronicle.com/free/v48/i34/34a01401.htm). Entmutigende und kritische Worte wurden ihm nicht nur während seiner Studien von verschiedenen Professoren entgegengebracht, sondern auch jetzt, da seine Studie veröffentlicht ist. Einer derjenigen, die öffentlich zu Wort kommen und sein Buch positiv hervorheben, ist Michael Berenbaum, ehemaliger Direktor des U.S. Holocaust Memorial Museums, sowie Christopher R. Browning, Geschichtsprofessor der Universität North Carolina in Chapel Hill. Andere Holocaustler beurteilen Riggs Studien eher negativ, entweder, weil das Thema Zeitverschwendung sei (wer will schon wissen, daß 100,000 Mischlinge Hitlers willige Soldaten waren?), oder weil es sensationalistisch und verzerrend dargestellt sei (das war alles schon bekannt und ist völlig irrelevant zur Beurteilung des Holocaust und des Dritten Reiches), so etwa David Cesarani, Professor für jüdische Geschichte in Southampton, England, oder Raul Hilberg, Emeritus der Uni Vermont. Manche verübeln ihm, daß er die Öffentlichkeit bereits erfolgreich suchte, als seine Arbeit noch in den Anfängen steckte. Allerdings war es sein Doktorvater, der die frühe Pressekampagne lancierte, um es Rigg zu ermöglichen, weitere potentielle Zeitzeugen zu finden. Andere, wie etwa Richard J. Evans, Zeitgeschichtsprofessor in Cambridge, und Omer Bartov, Geschichtsprofessor an der Brown Universität, sehen alleine schon den Titel des Buches als verzerrend an, da es sich eben nicht um Juden gehandelt habe, sondern in den meisten Fällen um "Mischlinge", die nur nach der "rassistischen NS-Ideologie" Juden waren, nicht aber nach der (nicht minder rassistischen) jüdischen Ansicht. Allerdings ist der Titel des Buches nicht von Rigg, sondern vom Verlag aus Marketinggründen gewählt worden, und zwar erfolgreich, wie sich herausgestellt hat.

Riggs Doktorvater war beeindruckt von der Dokumentensammelwut seines Zöglings, wobei die meisten Dokumente von Hitlers jüdischen Soldaten selbst stammen. die Sammlung befindet sich mittlerweile im bundesdeutschen Bundesarchiv-Militärarchiv.


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 223f.


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