Bücherschau
Unnütze Pflichtübung
Von Samuel Crowell
Michael J. Neufeld, Michael Berenbaum, The Bombing of Auschwitz: Should the Allies have Attempted it?, St. Martin’s Press, New York 2000. Hardcover, 350 Seiten., $6,89
Wenn man glaubt, Auschwitz sei ein einzigartiges Schlachthaus gewesen, wo eine Million – oder gar mehrere Millionen – Juden vergast und verbrannt worden seien, stellt sich natürlich die Frage, ob die Alliierten etwas zur Beendung der Massenmorde in jenem Lager hätten tun können. In der Tat wurde während des Krieges die Forderung nach der Bombardierung der angeblichen Gaskammern laut: Mehrere jüdische Organisationen drängten die USA und Großbritannien während der Evakuierung von 400.000 ungarischen Juden im Jahre 1944 zu einem Luftschlag.
Nach Kriegsende flaute das Interesse an der Frage, weshalb die Alliierten die Bombardierung von Auschwitz unterließen, zwar merklich ab, war aber immer noch genügend stark, um Arthur R. Butz 1977 in seinem The Hoax of the Twentieth Century (Der Jahrhundertbetrug) zu einer Erörterung dieses Problems zu bewegen. Butz äußerte die – später als richtig bestätigte – Vermutung, alliierte Aufklärungsflugzeuge hätten den Auschwitz-Komplex aus der Luft fotografiert. 1978 schrieb David Wyman einen Artikel, indem er die alliierte Weigerung, die »Gaskammern und Krematorien« zu bombardieren, an den Pranger stellte, und in seinem 1984 erschienenen Buch The Abandonment of the Jews (Die Preisgabe der Juden) wiederholte er seine Vorwürfe. (Man beachte, daß "Gaskammern und Krematorien" von den Holocaust-Historikern meistens als Einheit genannt werden, wobei Beweise für die Existenz der letzteren als ausreichend erachtet werden, um auch das Vorhandensein der ersteren zu belegen.) 1979, als Brugioni und Poirier die lange Zeit in Vergessenheit geratenen Luftaufnahmen von Auschwitz aufstöberten, rückten diese ins Rampenlicht, und Elie Wiesel konnte ausrufen:
»Die Welt wußte Bescheid und schwieg. […] Nichts wurde unternommen, um den Ausrottungsprozeß zu verhindern oder zu verzögern. Nicht eine einzige Bombe fiel auf die Schienen, die zu den Todeslagern führten.«
Das Buch, welches Gegenstand dieser Besprechung ist, entsprang einem anläßlich der Eröffnung des US-Holocaust-Memorial-Museum im Jahre 1993 durchgeführten Symposium und greift im wesentlichen Elie Wiesels Klage über die Untätigkeit der Alliierten auf. Es umfaßt 15 Beiträge, die ungefähr zwei Drittel des Gesamtumfangs ausmachen, ausführliche Fußnoten, eine umfangreiche Sammlung von Telegrammen aus der Kriegszeit, doch lediglich eine verkürzte Version des berühmten Vrba-Wetzler-Berichts.
Einige der Beiträge sind recht impressionistischer Natur. Gerhard Weinberg, jener US-Professor, der als erster die gefälschten Hitler-Tagebücher für echt erklärte, hat wenig mehr zu bieten als die Ansicht, die Nazis seien »üble Gesellen« gewesen, denen das Abschlachten von Juden tiefe Befriedigung verschafft habe und welche auch im Fall einer Bombardierung der Gaskammern und Krematorien einen Weg zur Verwirklichung ihrer Mordpläne gefunden hätten; eine andere Auffassung zu vertreten sei »lachhaft« (S. 25). Henry L. Feingold verficht in seinem Aufsatz die Meinung, das richtige Vorgehen habe in Vergeltungsangriffen auf deutsche Städte bestanden: schließlich wurden die Städte so oder so zerstört, und warum hätte man diese Praxis nicht mit dem Hinweis auf Auschwitz rechtfertigen sollen? Das ist freilich anachronistisch argumentiert, aber folgt der heute oft anzutreffenden Sichtweise.
Richard Breitman, der unter den orthodoxen Holocaust-Historikern durch den Fleiß hervorsticht, mit dem er gelegentlich Archivarbeit leistet, steuert einen leicht vom Thema abweichenden Beitrag über die Entzifferung des ULTRA-Codes bei. Während seine Beschreibung der erfolgreichen britischen Bemühungen, den deutschen Enigma-Code zu knacken, nichts mit dem eigentlichen Gegenstand des Sammelbandes zu tun hat, erwähnt er die Tatsache, daß es den Briten nicht gelang, einen Zusammenhang zwischen den nach Auschwitz abgehenden Transporten und Massenmorden zu konstruieren. Breitmann schreibt:
»Bezeichnender war ein später (im November 1942) abgefangener Funkspruch, laut dem man in Auschwitz dringend 600 Gasmasken zur Ausrüstung der neuen Wachmannschaften benötigte, doch auch dies war bloß ein kleiner Mosaikstein des Gesamtbildes.« (S. 29)
David Irving machte sich die Mühe und suchte daraufhin die von Breitmann genannte Akte HW.16/22 im Public Record durch, die den dechiffrierten Funkverkehr von SS und Polizei zwischen Mitte November 1942 und Anfang Januar 1943 enthält. Demnach besagt die von Breitman zitierte Passage (S. 38-39):
»Bezug: dort. Funk vom 19.11.42. Die Kdtr. KL. AU meldet zu obigem Bezug, dass folgende Waffen und Gerät dringend für Ausrüstung der Rekruten benötigt werden: 490 Gewehre, 490 Seitengewehre, 600 kompl. Gasmasken und 960 Reinigungsgeräte.«
Eine dermaßen große Anzahl von Gasmasken wäre für keinerlei Vergasungsoperationen nötig gewesen, weder zur Entlausung noch zu anderen Zwecken. Andererseits paßt der geknackte Funkspruch sehr gut zu anderen, im Verlauf der letzten paar Jahre gesammelten Belegen dafür, daß man in Auschwitz sowie anderswo im besetzten Polen zum damaligen Zeitpunkt, noch vor der Fertigstellung der Krematorien, Furcht vor Giftgasangriffen hegte.
Mehrere der übrigen Artikel sind ausgeprägt technischer Natur. Beispielsweise schwelgt Frederick Kitchens, ein Luftwaffenexperte, ausgiebig im Vokabular der taktischen Bombardierungen, wobei er die Krematorien als »relativ weiche Ziele aus Ziegeln« beschreibt (S. 86). Weiter unten schildert Kitchens eine potentielle Mission:
»[Ein] furchterregend komplexes Ziel, bestehend aus fünf weit auseinander liegenden Gebäuden (vier in Birkenau, eines mehr als eine Meile davon entfernt in Auschwitz I), die identifiziert und gleichzeitig angegriffen werden mußten, wobei man sich keine Trödelei und keine Fehlabwürfe leisten durfte.« (S. 90)
Offenbar weiß Kitchens nicht darüber Bescheid, daß das Stammlager-Krema im Vorjahr (1943) ausrangiert worden war und später zu einem Luftschutzbunker umgemodelt wurde. Andere Beiträge verraten einen ähnlichen Mangel an Detailkenntnis. Mehrere Diagramme erhellen den Aufbau des Lagers sowie die Position der Birkenauer Krematorien; verschieden schraffierte Kreise und Vierecke veranschaulichen den Ausmaß des Schadens, der um die Krematorien herum zu erwarten war.
Angesichts der Fülle an Details im Zusammenhang mit der Perspektive eines Luftangriffs hätte man eine entsprechende Analyse der in Auschwitz getroffenen Luftschutzmaßnahmen erwarten dürfen. Doch wird nicht auf die Zivilschutzvorkehrungen einschließlich der gasdichten Türen eingegangen, mit denen die Keller der Krematorien bestückt waren. Vielleicht wollten die Verfasser sich nicht mit dem Paradox auseinandersetzen, daß von allen Räumlichkeiten in Auschwitz die als "Gaskammern" bezeichneten Räume am besten gegen Luftangriffe geschützt waren. Doch während sie die Menschenverluste unter den Häftlingen, die eine Bombardierung gefordert hätte, sorgfältig berechnen, scheint sich keiner von ihnen Gedanken darüber zu machen, daß eine Zerstörung der Krematorien auch zu jener der Kläranlage sowie der Zentralsauna geführt hätte. Die Vorstellung eines Luftangriffs zur "Rettung" der Häftlinge, der sämtliche hygienischen Einrichtung in jenem überfüllten Lager vernichtet und somit unweigerlich zu verheerenden Epidemien geführt hätte, mutet schlicht und einfach absurd an.
Immerhin schenkt einer der Autoren, Stuart G. Erdheim, der Seuchengefahr in Auschwitz seine Aufmerksamkeit. Er macht geltend, nach einer Bombardierung der Kremas hätten die Deutschen keine große Zahl von Leichen mehr in Gräben verbrennen können, und zwar
»wegen der durch die Feuchtigkeit hervorgerufenen Probleme sowie der Gefahr von Epidemien. Gerade aus diesen Gründen hatte Himmler ja die Errichtung der Krematorien angeordnet.« (S. 355)
Erdheims Gedankengang läßt sich anscheinend so zusammenfassen: Die Nazis wollten die Gefangenen in Auschwitz ermorden, zögerten jedoch, die Leichen in Gräben zu verbrennen, da sie befürchteten, dies könne zu Seuchen führen, welche die Gefangenen in Auschwitz zweifellos dahingerafft hätten! Hallooooo! Bemerkt denn keiner die Absurdität dieser Argumentation?
Alles in allem kranken die "technischen" Analysen allesamt an zwei Grundproblemen. Zuerst scheinen sich ihre Urheber in keiner Hinsicht über die wirkliche Kapazität der "Gaskammern" oder Krematorien im klaren zu sein, geschweige denn jene fabulöse Kapazität, welche ihnen die Propaganda 1944 andichtete. Die meisten der Verfasser schildern unter Berufung auf Zeugenaussage oder Nachkriegsromane dogmatisch, wie die "Gaskammern und Krematorien" tausend oder zehntausend Menschen täglich vernichten konnten. Doch diese Berechnungen sind für die weltfremden Szenarien, die ihre Verfasser entwerfen, ohne Belang, denn aus den am Ende des Buchs zitierten Primärquellen geht hervor, daß man 1944 von einer täglichen Kapazität von 60.000 ausging!
Daß man 1944 die tagtägliche Ausrottung von 60.000 Menschen in Auschwitz für möglich hielt, spricht Bände über die Denkweise der jüdischen Gruppen sowie amerikanischen und britischen Lehnstuhlstrategen und wirft Licht auf ihre Besorgnis – oder vielmehr ihren Mangel an Besorgnis – über das, was sich angeblich in jenem Lager abspielte. Eine dermaßen schwindelerregende Tötungskapazität hätte die Verfasser eigentlich zum Versuch veranlassen müssen, die tatsächliche Kapazität der angenommenen "Gaskammern" zu kalkulieren. Hätten sie dies getan, so hätten sie herausgefunden, daß die Räumlichkeiten, deren Bombardierung sie befürworteten, gar keine außergewöhnlichen Merkmale aufwiesen. Eine nüchterne Analyse der Vergasungsbehauptungen hätte die Verfasser vielleicht nicht gerade zu einer Übernahme der revisionistischen Position geführt, doch immerhin zur zwar falschen, aber weit verbreiteten Annahme, daß jeder beliebige mit einer gasdichten Tür versehene Raum für Vergasungsoperationen ausgereicht hätte, was heißt, daß eine Bombardierung der "Gaskammern" ganz unnütz gewesen wäre.
Das zweite Grundproblem betrifft die Kremation. Die der Argumentation der Verfasser zugrunde liegende Prämisse scheint zu sein, daß die Nazis erpicht auf die Durchführung von Massenvergasungen waren, doch nur unter der Bedingung, daß sie alle Beweise für ihre Verbrechen beseitigen konnten. Diesem Gedankengang scheint die Vorstellung zugrunde zu liegen, daß die Krematorien die magische Fähigkeit besaßen, die Beweise für Massenmorde verschwinden zu lassen, und daß ohne solche Einrichtungen keine Massenmorde möglich gewesen wären. Diese Vorstellung ignoriert die Standardbehauptung, wonach in den "reinen Vernichtungslagern" in Ostpolen fast zwei Millionen Holocaust-Opfer ohne teure Krematorien zur Verbrennung ihrer sterblichen Überreste ermordet worden sein sollen. Da außerdem die meisten der Autoren annehmen, die Verbrennungsgräben von Auschwitz hätten täglich Tausende von Leichen bewältigen können, ist nicht einzusehen, warum sie die Zerstörung der Krematorien für entscheidend halten. Ganz abgesehen davon, daß eine Bombardierung der Krematorien Krater geschaffen hätte, die man als Verbrennungsgruben hätte benutzen können. Uns scheint, daß jeder Forscher, der die Machbarkeit und den Nutzen einer Bombardierung der Krematorien untersuchen will, von deren Einäscherungskapazität ausgehen muß. Ist dies getan, und liegen realistische Ziffern vor, so erledigt sich die These ohnehin von selbst, wonach die Zerstörung der Krematorien von entscheidender Bedeutung gewesen wäre.
Abgesehen von den am Ende des Werkes angeführten Primärquellen gibt es kaum einen Grund, die Lektüre von The Bombing of Auschwitz zu empfehlen. Die technischen Beiträge, in denen alle Möglichkeiten zur Bombardierung der Gaskammern und Krematorien durchgespielt werden, leiden daran, daß die Verfasser miserabel über den Charakter der Einrichtungen Bescheid wissen, die man angeblich hätte zerstören müssen, so daß der ganze Rest ihrer hochtrabenden Kommentare herzlich wenig wert ist. Die impressionistischen Aufsätze wiederholen schlicht wohlbekannte, doch eher seichte moralische Urteile. Eine angenehme Überraschung wird dem Leser aber doch bereitet: Deborah Lipstadt erklärt in einer Übersicht über das Werk, die Verwendung des Holocaust zu politischen Zwecken, einschließlich der Frage, warum es die Alliierten versäumt haben, Auschwitz zu bombardieren, für »ahistorisch« – und faßt damit das Hauptmerkmal dieses schwachen Buchs recht adäquat zusammen.
Samuel Crowell ist das Pseudonym eines amerikanischen Schriftstellers, der sich selbst als "gemäßigten Revisionisten" einstuft. An der Universität von Kalifornien (Berkeley) studierte er Philosophie, Fremdsprachen (einschließlich Deutsch, Polnisch, Russisch und Ungarisch) sowie Geschichte, insbesondere russische, deutsche und deutsch-jüdische Geschichte. Er setzte seine Geschichtsstudien an der Columbia University fort. Er war sechs Jahren lang als Lehrer an einem College tätig. Mit freundlicher Genehmigung entnommen dem Journal of Historical Review, 20(2) (2001), S. 38-40, Übersetzung von Jürgen Graf.
Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 215-217.
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