Bücherschau
Krieg in Deutsch-Südwestafrika
Von Barbara Hirsch
Claus Nordbruch, Der Hereroaufstand 1904, Vowinckel-Verlag, Sinning 2002, gebunden, Bildband, Farbphotos, 156 Seiten, € 24,80.
Im ehemaligen Schutzgebiet Deutsch-Südwestafrika probte das stolze Volk der Herero 1904 den Aufstand gegen die deutsche Schutzmacht, die Kaiserliche Schutztruppe. Der Hererokrieg war der erste Partisanenkrieg des XX. Jahrhunderts, der mit unerbittlicher Härte ausgetragen wurde. Die berühmte Schlacht am Waterberg im August 1904 stellte den Höhepunkt des Kampfes dar. Die Herero flohen letztlich in die wasserlose Wüste Omaheke. Fast 100 Jahre später fordern namibische Politiker Wiedergutmachung von Deutschland.
Kuaima Riruako, nicht uneingeschränkt akzeptierter "Häuptling" des Volkes der Herero, beabsichtigt die Deutsche Bank und die Reederei Deutsche Afrika Linie wegen »Versklavung, Völkermord und Raub« vor einem Bundesgericht in Washington auf zwei Milliarden Dollar Entschädigung zu verklagen. Die Chance, vor einem amerikanischen Gericht Recht zu bekommen, hält er für »möglich, denn wir gehen ja denselben Weg wie die Juden. Der Genozid an unserem Volk war Vorreiter des Holocaust.«[1] Starker Tobak, der es wert ist, einer Analyse unterzogen zu werden. Diese vollzieht der unkonventionelle deutsch-südafrikanische Publizist Dr. Claus Nordbruch in seinem flüssigen Schreibstil jenseits von Denkverboten und Tabuvorgaben.
Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte hat gerade der Aufruf an das Volk der Herero vom 2. Oktober 1904 des deutschen Befehlshabers General Lothar v. Trotha immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Der Text dieses Aufrufs lautete wie folgt:
»Ich, der große General der deutschen Soldaten, sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten, und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen Kapitän abliefert, erhält 1000 Mark, wer Samuel bringt, erhält 5000 Mark. Das Volk der Herero muß jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh, erschossen, ich nehme keine Weiber, Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volk zurück oder lasse auch auf sie schießen.
Dies sind meine Worte an das Volk der Herero.
Der große General des mächtigen deutschen Kaisers.«
Im günstigsten Falle hieß es, daß es sich hierbei um einen Schießbefehl gehandelt habe. Meist war die Ausgangsposition jedoch, daß dieser Aufruf ein Befehl zur Völkervernichtung gewesen und damit der Grundtenor der politisch-militärischen Intention von Trothas bewiesen sei: Er »steckte sich zum Ziel, die Herero auszurotten.« Und deshalb stehe selbstredend fest:[2]
»Die Herero wurden die Opfer eines verbrecherischen Staates, der jene beseitigte, die seinen wirtschaftlichen Interessen im Wege standen.«
Ob explizit darauf hingewiesen oder lediglich unbewußt mit eingearbeitet, die meisten dieser voreiligen bzw. diffamierenden Urteile fußen, wie Nordbruch eindrucksvoll belegt, erstens auf den Behauptungen der englischen Kriegspropaganda unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg und zweitens auf einseitigen Darstellungen marxistisch-leninistischer Historiker und Publizisten. Diese meist unsachlichen, teilweise sogar volksverhetzenden Darlegungen und Mutmaßungen, wurden von vielen Verfassern der gängigen bundesdeutschen und österreichischen Literatur teils aus Leichtsinnigkeit, teils weil sie in die eigene Ideologie passen, unkritisch übernommen. Nordbruchs Schlußfolgerung:
»Eine große Aufgabe harrt eurer: ihr sollt das schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen, sie haben in einer in der Weltgeschichte nicht erhörten Weise der Heiligkeit des Gesandten, den Pflichten des Gastrechts Hohn gesprochen. [...] Ihr wißt es wohl, ihr sollt fechten gegen einen verschlagenen, tapferen, gut bewaffneten, grausamen Feind. Kommt ihr an ihn, so wißt: Pardon wird nicht gegeben. Gefangene werden nicht gemacht. Führt eure Waffen so, daß auf tausend Jahre hinaus kein Chinese mehr es wagt, einen Deutschen scheel anzusehen.«
Der Hereroaufstand 1904 ist für jeden geschichtsinteressierten Leser eine wertvolle Quelle, die beide Seiten zu Wort kommen läßt und die Gründe, die zu diesem grausamen Krieg führten, seinen bewegten Verlauf und seine einschneidenden Konsequenzen darlegt. Entgegen fragwürdiger Denkschablonen der Politischen Korrektheit basiert Dr. Nordbruchs These auf der Erkenntnis des großen Gelehrten Wilhelm von Humboldt:
»Der Historiker muß sich in das Innere der Personen und Epochen, mit denen er zu tun hat, hineinversetzen, wenn er mehr als eine zusammenhanglose Aufzählung äußerer Ereignisse bieten will.«
Damit belegt Dr. Nordbruch mit seinem neuesten Buch nicht zuletzt die Richtigkeit eines Bekenntnisses des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, der den Mut fand zu erklären, daß die deutsche Geschichte kein Verbrecheralbum ist. Dies gilt für die Geschichte Deutsch-Südwestafrikas nicht minder.
Anmerkungen
Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 224-226.
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