Die Kinderlandverschickung im Zweiten Weltkrieg

Von Oliver Kaiser

Am 6. April 2000 veranstaltete der Bergische Geschichtsverein in der Bibliothek zu Wuppertal-Elberfeld einen Vortragsabend von Prof. Dr. Gerhard E. Sollbach, Historiker an der Universität Dortmund, über die Kinderlandverschickung während des Dritten Reiches. Ich nahm an dieser Veranstaltung nur deshalb teil, weil in der Beschreibung der Vortragsliste angeführt ist, daß diese zunächst gemeinnützige und dann später im Krieg kinderlebensrettende Aktion im Volksmund »Kinderlandverschleppung« geheißen hätte. Über diese provokatorische Behauptung waren ein Freund und ich so empört, daß wir uns vorgenommen hatten, gegen diese Häme und erneute Geschichtsfälschung persönlich zu protestieren.

Werbeplakat im Dritten Reich

Dann ergab sich aber, daß aus dem Publikum schönste Erinnerungen an diese Zeit laut wurden. Ein Teilnehmer hatte sogar einen Bericht darüber verfaßt, den er mit Begeisterung vorlas. So traute sich wohl der Vortragende letzten Endes nicht, den angekündigten Begriff »Kinderlandverschleppung« in seinem Vortrag aufzugreifen. Daraufhin wurde von einer Teilnehmerin dieser Terminus protestierend vorgebracht, was dann Herrn Professor Goebel als Diskussionsleiter veranlaßte zu behaupten, daß es sich bei dieser Formulierung um einen Irrtum handele. Ich meldete mich dazu und wies darauf hin, daß dieser "Irrtum" im Veranstaltungskalender des Bergischen Geschichtsvereins abgedruckt sei und somit nur eine bewußte Diffamierung darstellen könne. Dieser Einwurf wurde geschickt und abgebrüht übergangen.

Die politisch korrekten sogenannten Zeitgeschichtsforscher stecken alle unter einer zielgerichteten, NS-lügengetränkten Decke.

Als Zeitzeugen-Dokument halte ich hier folgende eigene Erfahrungen fest:

Die von der National-Sozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) durchgeführte Kinderlandverschickung hatte zum Ziel, den nicht von der Sonne verwöhnten Stadtkindern, insbesondere aus den Arbeiter-Haushalten, eine gesundheitsfördernde Zeit auf dem Lande zu ermöglichen.

Mit sieben Jahren, also bereits 1934, wurde ich für zunächst sechs Wochen – ich nehme an, in den großen Ferien – nach Thüringen verschickt (Westgreußen, ca. 30 km nördl. Erfurt). Meine Gasteltern waren ein junges Bauern-Ehepaar noch ohne Kinder, die einen landwirtschaftlichen Hof bewirtschafteten. Hier wurde ich auf das liebevollste aufgenommen und in den bäuerlichen Tagesablauf integriert.

Ich erinnere mich daran, wie die auf dem Altenteil lebende Mutter ein Huhn geköpft hatte und rupfen wollte. Es flatterte noch so heftig, daß es ihr aus den Händen glitt und kopflos über den ganzen Innenhof zwischen Scheune, Viehstall und Wohnhaus flog mit der Folgewirkung, daß ich später weder die Suppe noch das Hühnerfleischgericht essen mochte; vielleicht bin ich hier schon unbewußt zu den Anlagen meiner späteren vegetarischen Lebensausrichtung gekommen. Dagegen spricht allerdings, daß ich mit zunehmender Vertrautheit auch die Mettwürste entdeckte, die auf einem luftigen Speicher hingen, und die mir ernste Vorhaltungen wegen Mundraubes einbrachten. Ich hatte einen jungen Ziegenbock zum Spielgefährten, der mit mir herumtobte. Die Sympathien hörten dann auf, als er mich mit einem so derben Stoß ins Gesäß bedachte, daß ich in den Misthaufen flog. Mit den Dorfkindern spielte ich täglich; ein stark wasserführender Bach floß in einer blechverkleideten brückenartigen Holzrinne über ein Tälchen, und dort machten wir unsere ersten Schwimmversuche.

Wenn es sich ergab, hatte ich des Mittags dem Bauern das warme Essen aufs Feld zu bringen. Dafür spannte mir die Bäuerin das Pferd an einen vierrädrigen Wagen, und hoch auf den Kutschbock fuhr mich das lammfromme Tier – stolz hatte ich den Zügel in den Händen – auf das Feld hinaus. An die dabei notwendigen Orientierungshilfen habe ich keine Erinnerung mehr.

Meine Zeit dort begleitete eine Korrespondenz zwischen der Bäuerin und Tante Emmi, die mich nach dem Tod meiner Mutter aufzog. Die junge Bauersfrau wollte mich nach den sechs Wochen nicht hergeben und brachte es mit Zustimmung der Tante fertig, eine Genehmigung der dortigen Ortsgruppenführung bzw. der dort angesiedelten NSV (Volkswohlfahrt) für weitere vier Wochen Erholung zu erhalten. Es gab dann später einen tränenreichen Abschied. Ich vergesse nicht, wie mein Vater und Tante Emmi und meine Kusine Ellen-Ruth mich am Elberfelder Bahnhof wieder in Empfang nahmen; sie konnten sich vor Lachen nicht mehr einkriegen: Der braungebrannte kleine Dorflümmel sprach ein so perfektes und breites Thüringisch, daß mich keiner mehr verstand.

Dieses erste KLV-Erlebnis war ein unvergeßliches und tief prägendes Ereignis meiner frühen Jugend. Und das lief alles ohne Kosten für meinen Vater ab, und die aufnehmenden Familien waren im völkischen Aufbruch derartig gemeinnützig motiviert, daß es Hunderttausende von Land-Haushalten gab, die solche Ferienkinder wie mich damals aufgenommen haben, natürlich ohne jede Vergütung!

Mein zweites und drittes Zeugnis der KLV will ich kürzer fassen:

1935 kam ich nochmals weg, diesmal nach Gonsenheim bei Mainz, wo ich bei einem Landarzt namens Eisel unterkam, der selbst sechs Kinder hatte. Das war auch ein Landhaushalt in einem weiträumigen Haus mit großem Park. Ich bekam fünf Pfennige für einen Korb voll gesammelter Tannenzapfen, die massenhaft dort herumlagen und verfeuert wurden. Das Kindermädchen hatte die Anweisung, mich am Badetag, der in einer großen gußeisernen Wanne mit davor stehendem Heißwasserofen einmal wöchentlich zelebriert wurde, als letztes Kind zu baden und zu schrubben. Der Wassertank des Kohle(Holz?)-Ofens reichte nur für eine Wannenfüllung, und so kam ich in die immer dunkler werdende Brühe, die meine sechs Vorgänger hinterlassen hatten. Das war mir durchaus nicht recht, vom Schrubben ganz abgesehen. Des Sonntags wurden wir bei schönem Wetter in einen großen Motorwagen mit offenem Verdeck verfrachtet, der Doktor und seine Frau machten dann mit uns eine Landpartie, und das Mädchen hatte einen großen Korb dabei, wohlgefüllt mit deftiger Brotzeit für den Imbiß unterwegs.

Mein Vater traute sich nicht, auf meinen ersten Brief zu antworten; der noch bei mir vorhandene Umschlag wies als Absender folgende Anschrift auf: »Eberhard Kleffmann bei Dr. Esel«. Er ahnte, daß es mit den Schreibkünsten seines Filius noch nicht weit her war.

Beim dritten Mal war ich schon um die zehn Jahre, etwa 1937 oder 38, und bereits im Jungvolk bei den Pimpfen, wie es im Volksmund hieß. Hier hatten wir ein dreiwöchiges Lager in der Jugendherberge von Diez an der Lahn. Es fehlte mir dort aber die Bindung an die Familie, und als Einzelgänger hatte ich Einordnungsschwierigkeiten in der Gruppe. Starkes Heimweh ist mir in Erinnerung.

Nach dem obigen Vortrag kamen Zuhörer-Erinnerungen zutage, die mit dieser Jungvolkzeit romantische Lagerfeuer, schönste Liederabende mit Schifferklavier und Klampfe, mit Zeltlagern, Abkochen am offenen Feuer und viele abenteuerliche Unternehmungen verbinden. Das Ergebnis solcher Erziehungsarbeit war eine unverdorbene, gesunde und geistig geforderte deutsche Jugend. So war es nun mal, ob es den Gutmenschen paßt oder nicht.

Soweit mein eigener Erfahrungsbericht zum Thema. Für die KLV während des Bombenkrieges war ich dann wohl schon zu groß; aus welchen Gründen auch immer wurde meine Schulklasse nicht evakuiert. Ich weiß aber noch, wie erleichtert die Mütter waren, deren Männer und Brüder, oft auch noch die Großväter und Onkel, im Felde standen, und die ganz auf sich gestellt die Sorgen um das Leben ihrer Kinder zu meistern hatten. Sie sahen nicht nur ihre Blagen aus der Todesgefahr herausgenommen, sondern waren auch sicher, daß die immer schwerer werdende Ernährung auf dem Lande viel besser zu bewerkstelligen war, wie sie aus den Briefen ihrer Kinder erfuhren. Der Schulunterricht war ebenfalls wohlgeordnet und zielgerichtet, während wir in Wuppertal mit der fortschreitenden Intensität der alliierten Massenmordaktionen gegen die Zivilbevölkerung ja schon die halbe Tageszeit im Luftschutzkeller saßen.

Auch während dieser Kriegszeit war die Motivation der ganzen Bevölkerung, sich hier gegenseitig zu helfen, ungeheuer. Die organisatorische Leistung der beauftragten Parteidienststellen war unglaublich effizient. Selbst Einzelbeschwerden wurde korrekt nachgegangen, wie auch eine Zuhörerin bei der obigen Vortragsveranstaltung eindrucksvoll zum Besten gab. Die Eltern hatten jeden Einfluß darauf, daß die Gasteltern gewechselt oder Mißstände in Gemeinschaftsunterbringung verfolgt und beseitigt wurden. Dabei war die Verfügungsgewalt der Eltern bezüglich ihrer Kinder nie angetastet; die Einbindung in die Rettungsaktionen blieb stets freiwillig und war an die elterliche Zustimmung gebunden (von wegen "Verschleppung"!).

NS-Werbeplakat für die Kinderlandverschickung

Mit erwachsenen Augen und im nachhinein ist kaum noch nachvollziehbar, was an Einsatz hier abgelaufen ist. Mit der zunehmenden Ausbombung zog dann oft die ganze Wuppertaler Restfamilie zu diesen Gasteltern aufs Land, auch hier nach den Grundsätzen "Gemeinnutz geht vor Eigennutz" und "Einer für alle – alle für einen", die im Dritten Reich keine Phrasen waren, sondern einen hohen Stellenwert hatten und vom ganzen Volk mit größter Hilfsbereitschaft praktiziert wurden.

Für den Schutz der Bevölkerung war im übrigen vom Staat alles Menschenmögliche getan worden: Luftschutzbunker wurden am laufenden Band aus der Erde gestampft. Bei uns im Westkotten waren es zwei große Höhlen unter dem Fattloh, die wohl früher als Bierkeller gedient hatten und nun als Schutzkeller umgebaut wurden. Hier konnte ein Großteil der umliegenden Bevölkerung aufgenommen werden. An der Viktorstraße stand ein riesiger, unangreifbarer Betonpilz, in der Münzstraße war ein Hochbunker gebaut worden mit meterdicken Betonwänden. Nur all diesen Vorsorgen ist zu verdanken, daß es nicht zu so katastrophalen Bevölkerungsverlusten kam wie zuerst in Hamburg und später in Dresden, wo heute ganz offiziell die Verlustzahlen von 350.000 auf 35.000 nach der vorgegebenen Orwellschen Sprachregelung heruntergelogen werden.

Und hier komme ich nun zu einer weiteren Abrechnung mit den Brandt- und Kohl-Regimes unserer Nachkriegszeit: Mitten während des Kalten Krieges, als sämtliche atomaren Mittelstrecken-Raketen auf Ziele in Deutschland programmiert waren (Amerikaner, Briten, Franzosen, Russen und deren Satrapen), wurden bei uns ausnahmslos alle noch vorhandenen Schutzanlagen der Bevölkerung unbrauchbar gemacht (durch Entfernen der Stahltüren und Zumauern der Eingänge, durch Abriß – z.B. des Pilzes an der Viktorstraße durch Einschneiden von Fenstern in den Hochbunkern usw.).

Während der gleichen Zeit, als Schutzräume für das Volk abgebaut wurden, war ein unterirdisches, atombombensicheres, strategisch begründetes Elektrizitätskraftwerk auf der Hardthöhe in Planung und bei Dernau an der Ahr wurde eine unterirdische Stadt gebaut, welche die ganze Bonner Regierung einschließlich der Angehörigen aufnehmen konnte. Ungeheure Summen sind da unter Geheimhaltung hineingeflossen, und der Bundesgrenzschutz war noch vor wenigen Jahren damit beschäftigt, die komplizierten Kraft- und Lüftungsanlagen betriebsfähig zu halten und die eingebunkerten Vorräte im Turnus auszuwechseln.

Gibt es noch ein treffenderes Beispiel für den volksverbrecherischen Charakter unserer Heloten-Regierungen, die auch heute noch Fremdbefehlen gehorchen und die geplante atomare Auslöschung unseres ganzen Volkes mit solchen Maßnahmen willig unterstützt haben? Und diese Schurken bestimmen heute nach den Vorgaben unserer Feinde – pardon: unsere internationalistischen "Freunde" und liebevollen Erpresser –, was wir zu denken und zu sprechen haben! Wer nicht spurt, wird wirtschaftlich ruiniert, ins Gefängnis gesteckt, von zielgelenkten "Autonomen" zusammengeschlagen oder schlimmstenfalls in einer Badewanne ertränkt, in die Luft gesprengt, durch Kopfschuß erledigt oder aus dem Fenster gestürzt.

Bildquelle: www.dhm.de/lemo/html/wk2/alltagsleben


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 165-167.


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