Geopolitische Aspekte des Afghanistankrieges
Von Arthur Kowalski
Bei den verheerenden Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon vom 11. September 2001 mit ihren Tausenden Todesopfern handelte es sich nicht um einen Anschlag auf die gesamte "westliche Zivilisation", sondern um einen Anschlag auf Symbole des weltumspannenden, US-amerikanischen Hegemonialstrebens. Das World Trade Center als Symbol des globalen und rücksichtslosen Turbokapitalismus, das Pentagon als Symbol der weltweit agierenden und intervenierenden amerikanischen Streitkräfte, das State Departement als Symbol der arrogant und anmaßend auftretenden amerikanischen Außenpolitik. Weltweite Militärpräsenz der USA, wirtschaftliche Beherrschung des gesamten Globus durch internationale Finanzinstitutionen (IWF), die von den USA dominiert (und wohl auch instrumentalisiert) werden und amerikanischer Kulturimperialismus sind nach Zbigniew Brzezinski die tragenden Säulen der US-Weltmacht. Daß die Skrupellosigkeit, mit der die USA als einzig verbliebene Supermacht ihre globale Hegemonie durchzusetzen gedenken, nicht nur Freunde schafft, sondern auch erbitterten Widerstand, ja Feindschaft entfacht, dürfte auf der Hand liegen. Die Etikettierung des gnadenlosen Machtpokers und Interventionismus als friedensstiftende Maßnahmen oder Demokratisierung im Sinne der "westlichen Gesellschaft" ist die Krönung anmaßender Schein-Moral.
Krieg und Moral
Moralische Kategorien, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließen, wurden vom Präsidenten des betroffenen Landes unmittelbar nach den schrecklichen Attentaten eingeführt. George W. Bush sprach von einem »monumentalen Kampf des Guten gegen das Böse« und zitierte aus den alttestamentarischen Psalmen. Biblische Wortwahl eines Kreuzritters für grenzenlose Freiheit und Demokratie auf Erden?
Zeitgleich bestand auch keine Sekunde Zweifel darüber, welcher Art die Maßnahmen sein sollten, die man als Antwort auf die verheerenden Anschläge zu geben gewillt war. Es wird harte Vergeltungsschläge geben, hieß es aus dem Weißen Haus. Völlig ignoriert wurde dabei - und keinem europäischen oder sonstigen Spitzenpolitiker wollte das auffallen? - , was der amerikanische Völkerrechtler Francis Boyle in einem Interview mit dem Spiegel online klar feststellte: Die Anschläge des 11.09.2001 waren »eindeutig terroristische Akte«, Gewalt nichtstaatlicher Akteure gegen zivile Objekte oder Zivilisten. Die Montreal-Konvention von 1971 zur »Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt« (sowohl von den USA als auch von Afghanistan unterzeichnet) oder das »Übereinkommen zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus« von 1999 bieten »einen exzellenten juristischen Rahmen, um auf diese Anschläge zu reagieren«. Doch George Bush, der die Anschläge selbst am 11.09. noch als »eindeutig terroristische Akte« bezeichnet hatte, bezeichnete diese nach Absprache mit Außenminister Powell plötzlich nur mehr noch als »act of war«, als Kriegshandlung, um vom Kongreß die Zustimmung für den Einsatz militärischer Mittel zu erlangen, die er auch bekam. Nicht aber vom UNO-Sicherheitsrat, der der Verabschiedung einer Kriegs-Resolution auf zweimaliges Drängen Bushs unter Verweis auf die Rechtslage nicht nachkam. - Daraufhin ließ Bush über den amerikanischen UNO-Botschafter Negroponte mitteilen, daß die USA nun »ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen« würden.
Die Aufenthaltsländer der mutmaßlichen Attentats-Drahtzieher in Schutt und Asche zu bomben und den Rachefeldzug auch noch »Grenzenlose Gerechtigkeit« (infinite justice) zu nennen, ist inszenierte Heuchelei, deren Widerwärtigkeit noch dadurch zunimmt, daß nahezu sämtliche Medien sich der unsichtbaren aber nicht minder wirksamen Regie und Sprachregelung unterwerfen.
Was die verhängnisvolle Qualifizierung des Kriegsgegners auf moralischer Ebene anbelangt, hat der um markige Worte nie verlegene amerikanische Präsident im Zuge der ersten Bombenabwürfe auf Afghanistan demonstriert, wohin dies führt. Da war nicht etwa von harten, aber notwendigen Gewaltmaßnahmen die Rede, sondern davon, daß »man die Terroristen in ihren Höhlen so lange ausräuchern werde, bis sie die Bestie Osama Bin Laden ausspeihen«. Wenn selbst der oberste Befehlshaber - sich seiner Verantwortung voll bewußt - eine Wortwahl gebraucht, die die Gegner eher als Tiere denn als Menschen erscheinen läßt, welcher Art wird dann das Verhalten der kämpfenden Truppen gegenüber der afghanischen Bevölkerung und etwaigen Kriegsgefangenen sein? Insbesondere solchen, die man als Köpfe des terroristischen Netzwerks mutmaßt?
Propagandakrieg
Mit erstaunlicher Offenheit wurde dieser Tage in den Abendnachrichten des österreichischen Fernsehens festgestellt, was an sich fast jedermann klar sein dürfte, aber um so erstaunlicher ist, wenn es sogar bis in die Redaktionen des Rundfunks vorgedrungen ist: Längst ist dieser Krieg auch ein Propagandakrieg geworden. Das sind mutige Worte, doch um aus dieser Erkenntnis die notwendige Konsequenz zu ziehen, dazu fehlt es dann doch am Schneid. Eigentlich aber verständlich, denn schließlich hätte das nichts anderes bedeutet, als einzugestehen, daß man selber in erster Linie am Informationstropf des geheimdienstlich zensierten amerikanischen Senders CNN hängt. Brav wird geschluckt, was man von dort als Informationshäppchen zugeworfen bekommt - oder sollte man besser sagen Desinformationshäppchen? Daß das Ergebnis geheimdienstzensierter "Nachrichten" ebenso wie der Ausfluß kriegsverherrlichender Informationspolitik schlicht nichts anderes sein kann als Kriegspropaganda, ist allerdings eine Binsenweisheit, die unseren emsigen Berichterstattern schon früher hätte dämmern können.
Informationspolitisch bedeutet der Afghanistankrieg des Jahres 2001 für die "westliche Wertegemeinschaft" nur die konsequente Fortsetzung der Golfkriegs- oder Kosovokriegs-Berichterstattung. Das Szenario in Afghanistan durch diese "Fernseh-Brille" betrachtet ergibt dann tatsächlich das Bild der sich fernab der Heimat heldenhaft aufopfernden Amerikaner, die in Asien einen verbissenen Kampf gegen den Hort des Bösen führen. Aus derart einseitiger Wahrnehmung der Verhältnisse speisen sich Aussprüche bundesdeutscher Spitzenpolitiker, die von »bedingungsloser Treue«(!) schwadronieren und verkünden, daß »wir jetzt alle Amerikaner sind«. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die sich üblicherweise in permanenter Bußkultur ergehenden Politiker es geradezu genießen, endlich einmal ungestraft pathetische und kriegerische Töne anschlagen zu dürfen. Bezeichnenderweise stammt die Aussage von der »bedingungslosen Treue« - was nichts anderes darstellt als einen Freibrief für sämtliche amerikanische Forderungen, Taten und Untaten - aus dem Munde eines Sozialdemokraten.
Verschwiegene Hintergründe
Ausgespart bleibt bei soviel Bedingungslosigkeit die Frage nach den Hintergründen des Afghanistankrieges.
Unbestritten waren die Attentate vom 11.9.2001 eine ungeheuerliche Provokation der einzig verbliebenen Weltmacht. Es scheint noch bis zu einem gewissen Grad verständlich - sieht man mal von rechtlichen oder gar ethischen Aspekten ab - , wenn die USA aus rein machtpolitischen Gründen nicht gewillt sind, diesen Schlag ins Gesicht hinzunehmen. Doch die Genugtuung für diesen hingeworfenen Fehdehandschuh ließe sich mit weitaus weniger Aufwand an Menschen, Material und Millionen bewerkstelligen. Eine ebenso nüchterne wie politisch unkorrekte Frage: Wäre es nicht das Begleichen einer Rechnung in der selben Währung, wenn die USA in Kommandoaktion die bedeutendste Moschee des radikalislamischen Gottestaates Afghanistan in die Luft jagen würden und durch eine Sprengung den überlebenswichtigen Kyberpaß über den Hindukusch nach Pakistan unpassierbar machten? Daß die Gefährdung ziviler Menschenleben ein Hinderungsgrund für ein solches Vorgehen wäre, kann definitiv ausgeschlossen werden, was sich an der geschehenen Bombardierung eines Krankenhauses in diesen Tagen ablesen läßt. Selbst die Außenministerin einer demokratischen Regierung Clinton äußerte einst auf die Frage, ob die infolge des Irak-Embargos verhungerten 500.000 Kinder nicht ein zu hoher Preis für die Maßregelung eines unbotmäßigen Staates wären, sinngemäß, daß diese Opfer durchaus im Rahmen des Eingeplanten seien.
Geopolitisch betrachtet macht der enorme Aufwand, die Mobilmachung der gesamten US-Kriegsmaschinerie einschließlich europäischer Vasallentruppen, der Milliarden an Kosten verursacht, schon mehr Sinn. Geopolitisch betrachtet ist Afghanistan für die USA auch alles andere als ein neuer Aktionsraum. Seit über zwei Jahrzehnten ist man um hegemoniale Ausdehnung im mittelasiatischen Raum bemüht. Nach dem Rückzug der Sowjets aus Afghanistan im Februar 1989 und vor allem nach dem Zerfall der Sowjetunion und der folgenden Verselbständigung ihrer asiatischen Teilrepubliken hat sich in Mittelasien ein weitreichendes Operationsfeld geopolitischer Einflußnahme und informeller Machtausübung ergeben.
Eurasischer Balkan
Den neu entstanden multiethnischen Staaten Zentralasiens sowie ihren alten Nachbarn ist vor allem ein Merkmal gemeinsam: politische Instabilität. Diese zeichnet - in unterschiedlichem Grad - sowohl die ehemals sozialistischen Sowjetrepubliken Turkmenistan, Usbekistan, Kirgisistan und Tadschikistan als auch ihre Nachbarn Iran, Afghanistan und Pakistan aus. Ein Umstand, der der Großregion in geopolitischen Kreisen auch den Namen "Eurasischer Balkan" eintrug und die Staaten - trotz ihrer beachtlichen Größe - zu geopolitischen Objekten degradiert. Die amerikanische Einflußnahme, die, um nicht offen zu provozieren, bis zum Zerfall der Sowjetunion nur verdeckt möglich war, findet seit dem Ende des Ostblocks ganz offen statt. Seit Ende 2001 geschieht dies auf eine Weise, die zwar mit dem vorgeblichen Kampf gegen den Terrorismus bemäntelt wird, mit dem Bombenhagel auf afghanische Städte in Wirklichkeit aber auch nichts anderes ist als Terror, wenn er auch von einer kriegshysterischen "westlichen Wertegesellschaft" bejubelt und bedingungslos unterstützt wird.
Interessant sind die Staaten um das Kaspische Meer und darüber hinaus vor allem aus drei Gründen: Als Transitländer, durch die Öl-Pipelines gebaut werden sollen, die der russischen Kontrolle völlig entzogen sind. Als sicherheitspolitischer Gürtel, der um Chinas Westgrenze gelegt ist, und nicht zuletzt wegen der enormen Erdöl- und Erdgasvorkommen, die nach Schätzungen von Experten jene Saudi Arabiens oder Kuwaits noch übertreffen sollen. Aus diesen Gründen werden auf diese Staaten nicht nur vom SU-Nachlaßverwalter Rußland, sondern auch von den USA begehrliche Blicke geworfen.
Gekonnter Schachzug
Das Geniale am derzeitigen amerikanischen Anti-Terror-Krieg gegen einen sogenannten "Schurkenstaat" ist, daß die USA ganz offen und unter den Augen der Weltöffentlichkeit, ja großenteils sogar mit deren Unterstützung, ihre Truppen geostrategisch entscheidend positionieren können und Moskau nichts anderes übrigbleibt, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen, will es nicht als indirekter Hilfesteller des Terrorismus gelten. Im Gegensatz zu den europäischen NATO-Vasallen (so die Bezeichnung der europäischen "Partner" durch einen amerikanischen Strategen) sind dem starken Mann im Kreml die Implikationen der laufenden amerikanischen Operation durchaus bewußt. Rußland als geopolitischer Nachfolger der Sowjetunion und tonangebende Macht in der GUS kann die Präsenz amerikanischer Truppen in den asiatischen Mitgliedern dieses Bündnisses nur als Provokation empfinden. Der amerikanische Besen kehrt vor Rußlands geopolitischer Haustür. Im Jahre 1996 formulierte ein namhafter russischer Politiker:[1]
»Die Spezifik unserer [der russischen] Lage besteht darin, daß die derzeitigen Grenzen der Russischen Föderation nicht mit ihrem militärstrategischen Raum, der das ganze Territorium der UdSSR umfaßt, identisch sind«
»Doch die Einbeziehung der Republiken der einstigen Sowjetunion in dieses Programm [der sog. Partnerschaft für den Frieden] stellt nichts anderes dar als die Umwandlung eines Teils des russischen militärstrategischen Raums in eine westliche Einflußsphäre.«
Moskau reagiert
Putin versucht aus dieser Situation noch das Beste zu machen und ist - ganz die Zeichen der Zeit erkennend - auf den fahrenden Zug des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus aufgesprungen. Das kriegerische Vorgehen der Amerikaner gegen die radikalislamischen Taliban in Afghanistan läßt Putins Krieg gegen die islamische Kaukasusrepublik Tschetschenien plötzlich in einem anderen Licht dastehen. Zumal an der tschetschenischen Urheberschaft der im Sommer 1999 durchgeführten Terroranschläge auf Moskauer Hochhäuser kaum Zweifel bestehen. Als Putin am 25. September seine aus vielerlei Gründen beachtenswerte Rede im deutschen Bundestag hielt, war dieses Kalkül aufgegangen: Kanzler Schröder ließ wenig später verlauten, daß er seit dieser Rede Putins den Tschetschenienkrieg anders sehe. Vergessen hat Schröder dabei, daß seine bis dahin geäußerte Kritik den eklatanten Menschenrechtsverletzungen galt, nicht etwa der geopolitischen Illegitimität des russischen Vorgehens im Kaukasus - und diese werden auch durch eine neugewonnene Sichtweise des Krieges nicht ungeschehen gemacht.
Schauplatz Afghanistan
Wenn man auch getrost unterstellen darf, daß die USA keineswegs in den Afghanistankrieg hineingeschlittert sind, sondern vielmehr von strategischen Überlegungen geleitet waren, so ist damit allerdings noch lange nicht gewährleistet, daß die Pläne auch so umgesetzt werden können, wie man es im Pentagon und State Departement oder anderen Gremien ausgeheckt hat. Selbst die einzig verbliebene Weltmacht unseres Planeten ist bei ihren Aktionen nicht vor Entwicklungen gefeit, die in den Planspielen keine Berücksichtigung gefunden haben und somit kurzfristige Überraschungen zeitigen können, auf die es dann - mehr oder weniger geschickt - zu reagieren gilt.
Die Sowjetunion hatte sich in Afghanistan in einem nahezu zehn Jahre währenden Krieg eine blutige Nase geholt. Als im Februar 1989 die damalige Noch-Supermacht ihren Rückzug aus dem islamischen Vielvölkerstaat antrat, mündete die zehnjährige Intervention beinahe nahtlos in den Untergang des kommunistischen Riesenreiches. Einmarschiert waren die Sowjets in das unwirtliche gebirgige Land, das doppelt so groß ist wie die BRD, im Dezember 1979. Im Jahr zuvor erlangten die afghanischen Kommunisten durch einen Putsch die Macht, stießen aber durch die Radikalität, mit der sie die Sowjetisierung des Landes durchführen wollten, auf erbitterten Widerstand der Bevölkerung. Die Partei stand schließlich kurz vor der Spaltung. Ironie dabei: Bereits Josef Stalin - vor 1917 jahrelang in Aserbeidschan ansässig - geißelte einst »die oftmals in grobe Taktlosigkeit ausartende Hast, die manche Genossen bei der Sowjetisierung der Randgebiete an den Tag legen«, denn »wenn diese Genossen in Gebieten, die nun eine ganze geschichtliche Periode hinter Zentralrußland zurückgeblieben sind, in Gebieten, in denen die mittelalterlichen Lebensformen noch nicht völlig liquidiert sind, sich entschließen, "heroische Anstrengungen" zur Durchführung des reinen Kommunismus zu machen, dann kann man mit Sicherheit sagen, daß aus solch einem "Husarenritt" nichts Gutes herauskommen wird.«[2]
US-Geheimdienste seit 1979 in Afghanistan
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Die verbotene Wahrheit: Die Verstrickung der USA mit Osama bin Laden: Obwohl im wesentlichen vor dem 11. September 2001 verfaßt, erhielt dieses Buch der französischen Geheimdienstler Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquié eine unerwartet hoch Aktualität. |
Anders als die Sowjets verfolgten die Amerikaner in Afghanistan überhaupt keine gesellschaftspolitisch relevanten Ziele, wie etwa die Liquidierung mittelalterlicher Lebensformen. Auch die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten oder die Verbesserung der gesellschaftlichen Stellung der Frau stand nicht zur Debatte. Die Ziele waren vielmehr wirtschaftlicher Natur. Das geopolitisch-ökonomische Interesse der USA galt einem von Sowjets befreiten Afghanistan mit stabilen Verhältnissen, das eine störungsfreie Umsetzung der energiewirtschaftlichen Konzeption für den Eurasischen Balkan garantieren sollte. Menschenrechte oder Frauenrechte waren bei diesem Unternehmen nicht einmal zweitrangig, denn der verläßlichste antikommunistische Partner schienen den USA die islamischen Mudjahedin. Robert Gates, CIA-Direktor, bekannte in seinen unlängst erschienenen Memoiren, daß »amerikanische Geheimdienste den afghanischen Mudjahedin sechs Monate vor[!] der sowjetischen Intervention zu helfen begonnen haben«.[3] Und auch der amerikanische Geopolitiker Zbigniew Brzezinski bestätigte, daß der US-Präsident Carter bereits am 3. Juli 1979 eine Direktive zur Unterstützung der islamischen Mudjahedin erlassen hatte - mit dem Ziel, die prosowjetische Regierung in Kabul zu stürzen. Dem KGB ist diese Provokation nicht unbekannt geblieben: Brzezinski:
»Wir haben die Russen nicht gedrängt zu intervenieren, aber wir haben die Möglichkeit, daß sie es tun, wissentlich erhöht.«
Während sich die Amerikaner in der UNO und in der internationalen Presse über den Einmarsch der Sowjets in Afghanistan empörten, zog der US-Geheimdienst vor Ort längst die Fäden amerikanischer Machtpolitik - mit den Mudjahedin als Marionetten.
Ihre Aufgabe haben die Mudjahedin allerdings nur teilweise erfüllt. Zwar mußte sich die Sowjetunion nach zehnjährigem Guerillakrieg aus Afghanistan zurückziehen, das prosowjetische Regime in Kabul unter Präsident Nadjibullah konnte sich aber trotz des Abzugs der Roten Armee halten. Die in zahlreiche islamische Parteien gespaltenen Mudjahedin mit ihrer pakistanischen Exilregierung versuchten vergeblich, die Regierung zu stürzen und militärisch vollendete Tatsachen zu schaffen. Als die Mudjahedin 1992 infolge einer "Palastrevolution" die Regierungsgewalt in Afghanistan übernahmen, waren sie nicht fähig, das Land zu befrieden oder gar zu regieren. Die innerislamischen Konflikte ließen den Bürgerkrieg mit allen verheerenden Folgen für die Zivilbevölkerung weitertoben, wobei sich zu den verschiedenen religiösen und politischen Konflikten noch ethnische Komponenten mischten.
Die Unfähigkeit der Mudjahedin, in Afghanistan sichere Transitbedingungen für eine amerikanische Pipeline vom Kaspischen Meer-Anrainer Turkmenistan zum Indischen Ozean zu schaffen, ließ sie in westliche Ungnade fallen. Zudem hatte sich einer der maßgeblichen Mudjahedinführer, Gulbuddin Hekmatyar, während des Golfkrieges zu lautstark für Saddam Hussein begeistert. Rüstungslieferungen und die bekanntlich nicht stinkenden Geldflüsse wurden gestoppt.
"Geburtsstunde der Taliban"
Nach Ausführungen des in Marburg/Lahn am Lehrstuhl für Internationale Politik tätigen Matin Baraki war dies die Geburtsstunde der Taliban, die bereits Ende der achtziger Jahre im Nordosten Afghanistans aufgestellt und mit pakistanischer Hilfe ausgebildet worden sein soll. Die Taliban sollte den Auftrag ausführen, an dem die Mudjahedin gescheitert waren: das Land befrieden. Eine militärische Lösung schien den USA realistischerweise schneller und effektiver als der Versuch, unter islamischen Bürgerkriegsparteien Frieden zu stiften. Es schienen die Aussichten nicht zu schlecht, als die Taliban im September 1996 die Hauptstadt Kabul einnahmen.
»Jedoch unabhängig von der territorialen Ausdehnung ihrer Herrschaft haben die Taliban nicht die Bedingungen schaffen können, um die Realisierung der ökonomischen Vorhaben ihrer ausländischen Mentoren abzusichern.« (Matin Baraki)
Das hatte zur Folge, daß die Unocal Corporation, mit 54% am amerikanisch-saudischem Konsortium Centgas beteiligt, den Plan der Transafghanistan-Pipeline verwarf und die Taliban ihre strategische Funktion verloren hat.
Mit den Bombardements vom Oktober 2001 ist nun eine neue Situation entstanden. Die amerikanischen Ölkonzerne hoffen auf eine baldige Befriedung Afghanistans durch US-Truppen, die man zur Bekämpfung des Terrorismus in die nördlichen Anrainerstaaten herangeführt hatte. Unterstützt wird nun die gegen die Taliban kämpfende Nordallianz. Für die Zukunft stellt sich die Frage, ob den USA gelingen wird, was der Sowjetunion nicht gelang, nämlich ein militärischer Sieg gegen fanatisierte "Heilige Krieger". Daß man sich im Falle eines militärischen Sieges nicht mehr auf das Risiko einer aus landeseigenen Kräften rekrutierten Stellvertreter-Regierung einlassen will, zeigte der jüngste amerikanische Vorstoß, der eine UNO-Verwaltung für Afghanistan forderte. Sollte die Installierung einer solchen Landesverwaltung gelingen, wäre den USA ein strategisch bedeutsamer Schachzug gelungen. Daß vom großen geopolitischen Tisch für die afghanische Bevölkerung wenigstens ein paar Brosamen des Friedens abfallen werden, darf bezweifelt werden. Saima Karim, Vertreterin der Frauenvereinigung RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan), bewies eine nüchterne Einschätzung der amerikanischen Politik:[4]
»Bis gestern haben die USA und ihre Verbündeten ohne die geringste Rücksicht auf das Schicksal der Demokratie in Afghanistan die Politik der fundamentalistischen Gotteskrieger unterstützt, heute schärfen sie das Schwert der Nordallianz.«
Wer möchte da noch von "grenzenloser Gerechtigkeit" sprechen?
Anmerkungen
[1] | Alexander Ruzkoi, Vom Reich, Verlag der Freunde, Berlin 1996, S. 178 u. 181. |
[2] | Josef W. Stalin, Der Marxismus und die nationale und koloniale Frage, Dietz-Verlag, Berlin 1952, S. 124. |
[3] | Zit.nach Matin Baraki, »Ursachen, Verlauf und Perspektive des Afghanistan-Konflikts«, in: Kalaschnikow - Das Politmagazin, Ausgabe 13, Heft 2/99, S. 85ff. |
[4] | Zit. nach Die Furche, Nr. 43, 25.10.2001, S. 2. |
Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 128-131.
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