Aus der Forschung

Japan knackte US-Funkverkehr schon im Sommer 1941

Von Richard Rausch

Als die Spannungen zwischen Japan und den USA Mitte 1941 anwuchsen, sorgte Washington dafür, daß die verschlüsselten diplomatischen Nachrichten zwischen der US-Botschaft in Tokio und dem US-Außenministerium von den Japanern nicht geknackt werden konnten.

Die herkömmliche Lehrmeinung ging bisher davon aus, daß diese Anstrengungen erfolgreich waren. Die Entdeckungen von zwei Historikern an der Universität von Kobe (Japan) weisen jedoch darauf hin, daß die Japaner bereits Monate vor dem Angriff auf Pearl Harbor in der Lage waren, die amerikanischen Nachrichten zu entschlüsseln. Experten gehen daher nun davon aus, daß die Geschichte umgeschrieben werden müsse (hört, hört!).

Toshihiro Minohara, Assistenz-Professor in Kobe, und der dortige Dozent Satoshi Hattori verkündeten, die im Archiv des japanischen Außenministeriums gefundenen Dokumente zeigten eindeutig, daß die japanische Regierung nicht nur die geheimen Codes der USA, sondern auch die Englands, Chinas und Kanadas geknackt hatte.

Kurz vor dem 60. Jahrestag des Angriffs auf Pearl Harbor verkündete Makoto Iokibe, ebenfalls Professor in Kobe und Koordinator dieser Forschungen:

»Diese Erkenntnisse von Minohara und Hattori widerlegen die übliche Ansicht, Japan sei den USA im Informationskrieg unterlegen gewesen«.

Seine Nachforschungen über den Mandschurei-Vorfall des Jahres 1931 führten Minohara vor kurzem in das Nationalarchiv der USA nach Washington D.C., wo er über ein 1996 freigegebenes CIA-Dokument stolperte, aus dem hervorging, daß Japan die US-Verschlüsselungen schon vor Kriegsausbruch geknackt hatte. Minohara führte aus:

»Unmittelbar nachdem ich dieses Dokument fand, nahm ich mit Hattori Kontakt auf. Eine Durchsicht des Archivs des japanischen Außenministeriums ergab, daß verschlüsselte Meldungen der US-Botschaft nach Washington seit Mai 1941 von den Japanern innerhalb weniger Tage entschlüsselt worden waren.«

In einem Dokument vom 22.9.1941, das von den Japanern offenbar am 25.9.1941 entschlüsselt wurde, erwähnt der US-Botschafter in Tokio Joseph Grew Japans Fünf-Punkte-Friedensplan für China, über den damals mit der japanischen Regierung verhandelt wurde. Demnach hätte Japan alle Truppen aus China abgezogen, es sei denn, sie würden zur Verhinderung »kommunistischer oder anderer subversiver Aktivitäten benötigt, die eine Bedrohung für beide Länder darstellen.«

Minohara und Hattori führten zudem ein Dokument vom 28.11.1941 an, das den Japanern am 2.12.1941 entschlüsselt vorlag, nur fünf Tage vor ihrem Angriff. Darin wird Botschafter Grew mitgeteilt, der vorgeschlagene Friedensplan werde von der US-Regierung abgelehnt werden. Die Bedeutung dieses Dokuments liegt darin, daß es zugleich eine weitere dreimonatige Verhandlungsphase vorschlug, während der die USA eine geringfügige Erleichterung des Handelsembargos gegen Japan erwägen und es Japan erlauben wollten, Truppen in Französisch-Indochina zu behalten.

Botschafter Grew erhielt dieses Telegramm allerdings zwei Tage, nachdem der US-Außenminister Cordell Hull Tokio zum sofortigen Abzug aller Truppen aus China und Französisch-Indochina aufgefordert hatte. Japan interpretierte Hulls Aufforderung als Ultimatum, das unmöglich zu erfüllen war, was zur Umsetzung des Angriffs auf Pearl Harbor führte.

Minohara fügte hinzu, er gehe davon aus, der japanische Kaiser Showa sei über den Inhalt der chiffrierten Meldungen zwischen Grew und Hull informiert gewesen, da er während des gesamten Herbstes 1941 regelmäßig über die Verhandlungen mit den USA unterrichtet worden war:

»Dem Kaiser wurde womöglich nicht mitgeteilt, woher genau diese Informationen stammten, aber sie wurden ihm sicherlich zugänglich gemacht.«

Einen Beweis dafür, daß der Kaiser informiert war, wäre wohl nur in seinen Tagebüchern zu finden, falls sie jemals zugänglich gemacht werden. Das kaiserliche Haus bestreitet allerdings, daß es derartige Tagebücher überhaupt gibt, was Minohara für unglaubhaft hält:

»Es kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß Kaiser Showa ein Tagebuch führte. Zu jener Zeit führten alle gebildeten Leute Tagebücher.«

Soweit die am 8. Dezember in der Japan Times veröffentlichte Meldung.

Die Verantwortung für das Desaster der Angriffe auf Pearl Harbor wurde seinerzeit hauptsächlich dem für die Hawaii-Inseln zuständigen Admiral Husband Kimmel untergeschoben, womit sich die militärische Führung der USA im allgemeinen und Präsident Roosevelt im besonderen weißwuschen. Aus späteren Untersuchungen ging allerdings hervor, daß Admiral Kimmel von Washington über die wachsende Kriegsgefahr mit Japan absichtlich unwissend gehalten wurde, einerseits, um einen Sündenbock zu haben, und andererseits, weil man ja einen möglichst erfolgreichen japanischen Angriff auf Pearl Harbor brauchte, um offen in den Krieg gegen Deutschland eintreten zu können.

Aus den jüngsten Forschungsergebnissen scheint nun hervorzugehen, daß sogar die Japaner besser über die Intrigen der US-Regierung Bescheid wußten als Admiral Kimmel. Allerdings muß man diese Meldung zunächst mit Vorsicht genießen, denn aus obiger Pressemeldung geht nicht hervor, welche der vielen amerikanischen diplomatischen Codes die Japaner gebrochen hatten. Man erinnere sich nur daran, daß man in Washington durchaus wußte, daß der sogenannte "Graue Code" nicht sicher war. Roosevelt benutze diesen Code in einer Nachricht an die US-Botschaft Anfang Dezember, um Japan ein letztes Verhandlungsangebot zu unterbreiten, wobei er im Prinzip wollte, daß die Japaner das Angebot abhörten.

Es ist aber bezeichnend für die amerikanische Arroganz, daß man 60 Jahre lediglich darüber diskutierte, welche der vielen japanischen diplomatischen und militärischen Codes die Amerikaner geknackt hatten, man aber keine Zeit damit verbrachte, auch einmal darüber nachzudenken, ob nicht auch die Japaner den einen oder anderen US-Code geknackt hatten.

Bei der Erforschungen der japanischen Seite des Zweiten Weltkrieges kommt neben der mangelnden Motivation erschwerende hinzu, daß Japan damals viele geheime Dokumente nach Kenntnisnahme schlicht verbrannte – oder daß sie bei US-Luftangriffen verbrannten. Was den Krieg überlebte, wurde zumeist in US-Archive verschleppt, wo es kaum Beachtung fand.

Wie die Los Angeles Times am 7.12.2001 zu berichten weiß, sind die meisten der nun von den Japanern gefundenen Korrespondenzen zwischen der US-Botschaft und Washington sowie anderer ausländischer diplomatischer Verkehr nicht neu. Was neu ist, ist der Umstand, daß dies Material den Japanern schon vor Kriegsausbruch bekannt war. Dies kann erklären, warum gegen Ende 1941 auch die letzten Mitglieder des kaiserlichen Kabinetts ihre Gegnerschaft zum Krieg gegen die USA aufgaben: sie waren alle der Ansicht, die USA wollten keinen Kompromiß mehr, sondern Krieg.

Das US-Ultimatum an Japan vom 26.11.1941 erfolgte übrigens nur acht Tage, nachdem der auf Befehl von Moskau agierende Harry Dexter White für Morgenthau in einem Memorandum an Roosevelt eine harte Gangart gegen Japan nahelegte – um Moskau im Kampf gegen Europa den Rücken freizuhalten (vgl. National Archive 19PHA3667-3682). Der japanische US-Botschafter Grew bezeichnete dies als »den Knopf zur Auslösung der Krieges«.


Quelle: Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung 6(2) (2002), S. 209f.


Zurück zum Inhaltsverzeichnis