Wolfgang Strauss · Deutsche und Russen in einem Boot (3)
Revisionismus ist keineswegs nur ein Ost-Phänomen. ,,Geschichte, so habe jedenfalls ich gelernt, muß alle zehn Jahre umgeschrieben werden, was ich nun gesunden Revisionismus nennen möchte", notiert Rudolf Augstein.[31] Die ungarisch-jüdische Philosophin Agnes Heller, eine Schlüsselfigur der linkskritischen Intelligenz Osteuropas, die ehemalige Marxistin Heller gibt sich als Revisionistin zu erkennen. ,,Wir brauchen in unser Leben sinngebende Ideen", erklärt sie in einem Interview. ,,Wir können nicht existieren, ohne unserem Leben einen Sinn zu geben. Besonders nicht in einer Welt, in der es keine traditionelle Sittlichkeit, keine traditionellen Tugenden mehr gibt.[32] Dies beziehe sie, betont Agnes Heller, ausdrücklich auf Osteuropa (wo der widerlegte Marxismus ein geistiges Vakuum hinterlassen hat). Frank Schirrmacher sieht im Ende des Kommunismus und im Zusammenbruch des Ostblocks auch eine Niederlage der Aufklärung, hätten sich doch die Kommunisten als Erben der Aufklärung betrachtet. ,,Die kommunistischen Staaten waren in den Augen vieler westlicher Intellektueller nicht etwa eine Perversion der Ideale der Aufklärung, sondern ein Versuch, sie radikal zu Ende zu denken", schreibt der Chef des FAZ-Feuilletons. ,,Nur so konnte jene geteilte Moral entstehen, die mit Blick nicht nur auf die Sowjetunion, sondern auch auf Angola oder Kambodscha, die Greuel verzieh und letztlich bei allem dem aus der Aufklärung geborenen Weltgeist am Werke sah." Der Zusammenbruch des Ostblocks habe diese Konstruktion zerstört. Nun entdecke die intellektuelle Klasse, die innenpolitisch die multikulturelle Gesellschaft empfiehlt, daß in den religiös inspirierten Staaten - mögen sie der islamischen oder der christlich-orthodoxen Welt zugehören - die Gegner der Aufklärung herrschen. ,,Aber wenn es stimmt, daß der sowjetische Kommunismus sich letztlich jener aufklärerischen Tradition verdankt, [...], dann ist damit auch ein Urteil über die Aufklärung gesprochen." Frank Schirrmacher schließt mit vernichtender Kritik: ,,Dem Ende des Kommunismus hatte eine Arbeit am Mythos folgen müssen, eine Debatte um den Obskurantismus und Fundamentalismus der eigenen Rationalität. Europa, das am Ende des vorigen Jahrhunderts damit begann, eine bis, ins Detail systematisierte Ideologie zu exportieren, müßte sich seiner eigenen geistigen Abgründe vergewissern [33]
In einem langen offenen Brief an François Mitterrand bedankte sich der französische Filmstar Alain Delon dafür, daß Mitterrand ihm wenige Tage vor seinem Abschied noch den Nationalen Verdienstorden zugesprochen hatte. Dann erinnert Delon an einen Freund, den verstorbenen französischen Schriftsteller Jean Cau, der nach dem Kriege lange Jahre Sekretär von Jean-Paul Sartre gewesen war. ,,Jean gehörte auch nicht unbedingt auf Ihre Seite, Monsieur le Président, doch er hegte für sie eine große Bewunderung", schreibt Alain Delon. ,,Jean liebte den deutschen Satz: Meine Ehre heißt Treue... Ich weiß, die Herkunft dieser wenigen Worte ist nicht unbedingt empfehlenswert. Doch es ist leider nicht so häufig, daß Worte wie Ehre und Treue verwendet werden"[34]
Heiner Müller, der wohl populärste deutsche Dramaturg der Gegenwart, offenbarte sich in einem Interview mit der Schriftenreihe des Berliner Ensembles, als Radikalrevisionist: ,,Es gibt Belege dafür, das die SA am Anfang, ab 1933, zum größten Teil aus ehemaligen deutschen Kommunisten bestand. Dadurch ist ein Großteil linker Energie von den Nazis aufgenommen worden. Karl Korsch schrieb in einem Brief an Brecht, als die Wehrmacht Kreta besetzt hatte: Der Blitzkrieg ist gebündelte linke Energie. Der Nationalsozialismus war in diesem Sinne die größte historische Leistung der deutschen Arbeiterklasse. Man kann es auch so formulieren: Der Blitzkrieg oder der Bewegungskrieg war nach der gescheiterten Revolution von 1848 die Herausführung der deutschen Arbeiterklasse aus dem Status der Ausgebeuteten in den Jägerstatus.[35]
Revisionismus bricht sich Bahn in Italien. Renzo de Felice, Ordinarius an der Universität Rom, ist Verfasser der umfangreichsten Mussolini-Biographie. Der Faschismus Mussolinis sei eine jakobinische, sozialrevolutionäre Bewegung gewesen, behauptet der 1929 geborene Historiker. Das ist so neu nicht. 1926 wurde in einem offiziellen Bericht des sozialistischen Generalsekretärs des Internationalen Arbeitsamtes in Genf, Albert Thomas, anerkannt, das die Sozialgesetzgebung Mussolinis die fortschrittlichste der damaligen Zeit war.[36] Mit dem Gesetz über die soziale Neuordnung vom 3. April 1926 wurde die Zugehörigkeit zu den faschistischen Gewerkschaften zur Pflicht gemacht, Aussperrungen wurden verboten, Kollektivverträge zur Regel, die sozialen Konflikte einem ,,Arbeitsgericht" unterworfen. Diese Gesetzgebung war für die Arbeiterklasse so günstig, daß sie von den Arbeitgebern scharf kritisiert wurde, und es war die Klasse der Besitzenden - Kapitalisten und Aristokraten -, die der Konföderationen - oder Ständestaatsidee Mussolinis am längsten Widerstand entgegensetzte. ,,Im Jahre 1926 war all dies unerhört", urteilt der französische Historiker und Diplomat Georges-Roux. ,,Noch nie waren die kleinen Leute in Italien so weitgehend durch das Gesetz geschützt worden."
Der Revisionismus gleicht einem großen europäischen Strom, er fließt auch durch Rußland. Die eben zitierten Stimmen finden Widerhall in der ,,nationalsozialistischen" eines Alexander Barkaschow. Zwei entscheidende, das deutsch-russische Verhältnis unmittelbar tangierende Revisionsismus-Durchbrüche stehen noch aus. Die Eroberungsgreuel in Ostdeutschland 1944/45 und - Andrej Wlassow. In seinem Gedichtepos ,,Ostpreußische Nächte", entstanden 1974, schildert Augenzeuge Alexander Solschenizyn, damals ein unbekannter Artillerieoffizier der Sowjetarmee, das eigentlich Unbeschreibliche.
Und Generalleutnant Andrej Andrejewitsch Wlassow, dieser Kleinbauernsohn und Betrinische Russe, Verteidiger von Kiew 1941, Oberbefehlshaber der 20. sowjetischen Armee in der Winterschlacht vor Moskau, der Eroberer der deutschen Eckpfeiler Solnetschnogorsk und Wolokolamsk, Befehlshaber der 2. Stoßarmee und Stellvertretender OB der Wolchow-Front 1942? In seinem ersten Flugblatt nach der Gefangennahme, abgefaßt in Winniza am 20. September 1942, stehen Sätze, die ein jedes Schulkind im Vaterland Wlassows auswendig lernen sollte: ,,Wer trägt hier die Schuld? Wenn man auf die letzten 12 bis 15 Vorkriegsjahre zurückblickt, zieht man unwillkürlich den Schluß: An all diesem Unglück ist lediglich die Stalin-Clique schuld. Sie hat das Land durch das Kolchossystem ruiniert. Sie hat Millionen ehrlicher Menschen vernichtet. (...) In der Heimat völliges Chaos und ein heraufziehender, nie dagewesener Zusammenbruch. Viele Millionen verhungern, vor allem - eure Familien, die fast keine Hilfe von Seiten der Regierung und der Behörden erhalten. Die Stalin-Clique hofft stark auf die Hilfe durch England und Amerika. Die Mehrzahl von euch kennt genau die Politik Englands und Amerikas - bis zum letzten russischen Soldaten zu kämpfen, sich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, Deutschland durch die Russen zu erschöpfen - und letzteren dafür eine sagenhafte zweite Front zu versprechen. Blickt zurück auf die Geschichte! Es ist nicht das erstemal, daß das russische Volk sein Blut für die englisch-amerikanischen Interessen vergießt.[37]
Hatte sich Wlassow vom Kommunisten zum Kapitalisten gewandelt? Nein. War er von einem glühenden Verehrer Stalins zu einem ebenso glühenden Bewunderer Hitlers geworden? Nein. 1943 erscheint Wlassows Aufruf des Russischen Komitees von Smolensk, dessen weltanschauliche Argumentation, dessen soziale Freiheitsvision heute von einem Alexander Barkaschow stammen konnte: ,,Das Russische Komitee liegt dem Neuaufbau Rußlands folgende Richtlinien zugrunde: I. Abschaffung der Zwangsarbeit - freies Recht auf Arbeit- die Sicherstellung des materiellen Wohlergehens aller Werktatigen.2. Aufhebung der Kolchoswirtschaft und planmäßige Übergabe des Bodens in den Besitz der Bauern. 3. Wiederaufrichtung von Handel, Handwerk und Heimindustrie. Das Wirtschaftsleben des Landes soll durch private Initiativen wieder belebt werden. (...)
5. Soziale Gerechtigkeit und Schutz aller Werktätigen gegen Ausbeutung. 6. Allen Werktätigen ihr gutes Recht auf Weiterbildung; Sicherung von Urlaub und Altersversorgung. 7.Beseitigung des Terrors und der Vergewaltigung. Religionsfreiheit, Gewissensfreiheit, Freiheit des Wortes, der Versammlung, der Presse, Unantastbarkeit der Person und des Heimes. 8. Garantierung der völkischen Freiheit. 9. Amnestie für durch den Bolschewismus verurteilte politische Gefangene, Rückkehr in die Heimat aller im Kampfe gegen den Bolschewismus Verurteilten aus den Gefängnissen und Konzentrationslagern. (...) 12. Keine Schuldenzahlung laut Geheimverträgen, die Stalin mit den anglo-amerikanischen Kapitalisten abgeschlossen hat. (...) Russen, Freunde und Brüder! Genug des Blutvergießens! Genug der Witwen und Waisen! Genug des Hungers, der Zwangsarbeit... Erhebt euch zum Kampfe für die Freiheit! Auf in den Kampf nur die heilige Sache unserer Heimat und unseres Volkes! Es lebe ein ehrenvoller Friede mit Deutschland für alle Zeiten! Es lebe das russische Volk als gleichberechtigtes Mitglied der Völkerfamilie des neuen Europas![38]
Zehn Gedanken über eine deutsch-slawische Völkerfront
1.) Die nationale Bewegung der slawischen Völker Selbstfindung und Emanzipation - begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem Einfluß der Deutschen Romantik, des Deutschen Idealismus. Johann Gottfried Herder, der Freund Goethes, gab einen entscheidenden Impuls durch sein Werk ,,Stimmen der Völker in Liedern". Herder wird der ,,Vater der kulturellen Wiedergeburt der slawischen Völker" genannt. In der Zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts lernten Turgenjew, Tschechow, Herzen, Dostojewskij, Iwan Aksakow, Sascha Tschornij, Alexander Borodin, Dimitrij Mendelejew u. a. Deutschland kennen, erkannten in Deutschland ihr zweites spirituelles Vaterland, während Rilke und Barlach auf ihren Reisen das schöne, das starke, das bäuerliche, das ewige Rußland entdeckten. Rilke übersetzte die Volkshymne der Ukrainer, Schewtschenkows ,,Vermächtnis". Germanophilie und Slawophilie verschmolzen zu einem österlichen Schicksalsbund.
2.) Deutsche Slawophilie war gekennzeichnet durch ein tiefes Eindringen vor allem in die russische Literatur und Philosophie. An positiven Stimmen können Chamisso, Hofmann von Fallersteben angeführt werden, Theodor Fontane, der besonders gern Lermontow gelesen hat, Varnhagen von Ense, der noch 52jährig Russisch lernt und Rußland als einen Teil des Abendlandes betrachtet. Auf der geschichtsphilosophischen Ebene führt dieses intensive Eindringen bei einem Dostojewskij-Bewunderer, bei Nietzsche, zu Ansichten von einer grandiosen Prophetie. Für Nietzsche sind die Russen die ,,bewunderungswürdigen Barbaren der Zukunft, die Wildheit und Kraftverjüngung bringen werden", voller Härte, Willenskraft und einer im Rahmen der Nietzsche-Philosophie durchaus willkommenen Zunahme der Bedrohlichkeit für das bürgerliche Europa, eine Bedrohlichkeit, die von einer heilkräftigen Wirkung sein wird. Die Zeit einer liberalistischen Politik sei vorbei, Rußland müsse der Herr Europas werden, heißt es in seinen Aphorismen; dem degenerierten Westen billigt Nietzsche allenfalls die Rolle Griechenlands unter der Herrschaft Roms zu. In dieser Zukunftsvision verbindet sich die bourgeoise Vorstellung von der ,,russischen Gefahr", nun aber positiv umgewertet, mit der gegenbürgerlichen Vorstellung von der jugendlichen Erneuerungskraft des russischen Volkes zu einem geradezu revolutionären Aspekt. Die von den Slawophilen in Rußland aufgefangenen Zukunftserwartungen, die bei Herder machtvoll anklangen, werden jetzt wieder zurückgegeben und im Munde Nietzsches präzisiert. Kaum jemand ist von dem vorrevolutionären Rußland starker ergriffen worden, als der Dichter Rainer Maria Rilke, der um 1900 Rußland mehrfach bereist hat. Er war an der Wolga, in der Ukraine, in Moskau, wo ihn Leonid Pasternak, der Vater des Dichters, mit dem Kreml im Hintergrund gemalt hat. ,,Das Entscheidende war Rul31and", schreibt Rilke, ,,weil es in mir nicht allein eine mit nichts zu vergleichende Welt, eine Welt unerhörter Dimensionen eröffnete, sondern auch durch seine humanen Gegebenheiten mir gewahrte, mich unter Menschen brüderlich eingelassen zu fühlen." Man lerne alle Dimensionen um, schreibt er ein anderes Mal. ,,Was ich bisher sah, war nur ein Bild von Land und Fluß und Welt, hier aber ist alles selbst. Mir ist, als hatte ich der Schöpfung zugesehen". Thomas Mann war Dur eine deutschrussische Annäherung während des Ersten Weltkrieges, nicht aus machtpolitischer Zweckmäßigkeit, sondern wegen der inneren Verwandtschaft der Geistesart. In unverkennbarer Anlehnung an Tolstoj und Dostojewskij heißt es in Thomas Manns ,,Betrachtungen eines Unpolitischen": ,,Die russische, religiös bestimmte Humanität in ihrer Weichherzigkeit und Demut" sage dem deutschen Geist mehr zu, als ,,die nüchterne Rationalität der westlichen Zivilisation".
3.) Am klarsten betont Walter Schubart in ,,Europa und Seele des Ostens" (Luzern 1943) die deutsch-russische Gemeinsamkeit, herrührend aus einer antirationalistischen Seinsvorstellung, in der emotionale Antriebe, metaphysische Gefühle die Dominanten sind. Deutsche und Russen, zwei Völker, die nach Schubart das ,,falsche Menschenbild der Aufklärung" niemals akzeptiert haben. Walter Schubart, nach dem 22. Juni 1941 im Baltikum verschollen (erschossen? deportiert?), prophezeite ein ,,Johanneisches Zeitalter" nach dem Untergang des westromische ,,Paulinischen Zeitalters".
Nach seiner Rückkehr aus dem amerikanischen Exil bekennt Alexander Solschenizyn: ,,Die Deutschen haben unsere Seele begriffen, unsere Kultur akzeptiert, der deutsche und der russische Charakter sind eng verwandt." Beide Kriege hatten nicht nur die Deutschen verloren, sondern auch die Russen, konstatiert Solschenizyn. Den Zweiten Weltkrieg hatten die Russen zwar nicht auf dem Schlachtfeld verloren, doch in der Gesellschaft des Bolschewismus. ,,Wir zahlten 31 Millionen Opfer. Stalins Herrschaft wurde bestätigt, das flache Land entvölkert. Wir müssen die ganzen drei Jahrhunderte unserer Beziehungen aufarbeiten. Die Lehre kann nur sein, daß Deutsche und Russen einander brauchen, weil sie sich ergänzen."
4.) In Rußland ist heute der Marxismus tot, seine Verführungskraft gebrochen. An die Stelle einer universalistischen Ideologie tritt eine messianische Russophilie mit volkssozialistischen, das heißt konterliberalistischen Akzenten. Die Mythologisierung des ,,Vaterlandischen Krieges" (Leo Tolstoj) gegen Napoleon weist eine aktuelle Parallele auf, enthält einen antiwestlichen Affekt; darum die Verurteilung der Amerikanisierung und das geschlossene russische Nein zur Ostererweiterung der Nato. Der Vaterländische Krieg von 1812/13 war ein Verteidigungskrieg, es gab damals keine Konzentrationslager, keine Strafbataillone, keine Politruks, und Hof, Adel und Offizierskorps waren europäisch kultiviert. Es war ein Verteidigungskrieg nicht gegen die Deutschen, sondern ein Befreiungskrieg mit den Deutschen. Die Konvention von Tauroggen am 30. Dezember 1812 hat mehr als nur Geschichtsbuchwert, sie ist ein Paradigma für einen deutsch-russischen Völkerbund am Vorabend des 21. Jahrhunderts. Das Signal für den Aufstand gegen Napoleon und den Ausbruch der Freiheitskriege gaben drei Persönlichkeiten, vereint unter dem schwarzen Preußenadler und dem Romanowschen Doppeladler: General York und zwei preußische Offiziere in russischen Diensten, Generalmajor Carl von Clausewitz und Gernealquartiermeister Hans von Diebitsch.
5.) Die mittel- und osteuropäische Völkerbefreiungsrevolution der Jahre 1989-91 war die wichtigste historische Zäsur nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie bestätigte die Vitalität der nationalen Idee und den reaktionären Charakter multinationaler Gesellschaftsmodelle.
6.) Ein Maastricht-Europa ist für das renationalisierte Mittel- und Osteuropa unannehmbar. Ein europäischer Bundesstaat, wie er von der Bonner Kaste der Deutschlandverweigerer propagiert wird, wird im Osten einhellig abgelehnt. In Frage käme lediglich ein Staatenbund, der die jeweiligen Nationalstaaten auch für die Zukunft eindeutig sichert. Die Architekten von Maastricht müssen zur Kenntnis nehmen, das Europa politisch nicht zusammenwächst und den der Spalt zwischen der politische Klasse Bonns und den Völkern im Osten - heute schon ein Abgrund - immer tiefer wird. Wer im Hinblick auf die sogenannte europäische Einigung von ,,Unumkehrbarkeit" redet, begibt sich in die Nähe von Vorstellungen vom Ende der Geschichte. Ein solches Ende wird es aber in Europa nicht geben.
7.) Der politischen Klasse Bonns geht es mitnichten um die ,,europäische Einbindung", es geht um nichts weniger als die Abschaffung des Nationalstaates Deutschland zugunsten eines Melting Pot, verbunden mit dem Verzicht auf essentielle spezifisch deutsche Interessen. Diese Selbstverleugnung - oder staatliche Selbstauslöschung - kann von der Mehrheit des deutschen Volkes nicht nachvollzogen werden. Niemand außer der politischen Klasse will den Schmelztiegel. Der Gedanke, die West- und Osteuropäer könnten geneigt sein, ihre staatliche Existenz in einem europäischen Superstaat aufgehen zu lassen, liegt allen Völkern fern.
8.) Die Mehrheit der Deutschen ist gegen die Abschaffung eines Staatsbürgerrechts auf der Grundlage der Abstammung, gegen Pläne aus der germanophoben Moralbesetzer-Szene, es auf die Basis des Geburtsortes zu stellen. Die multikulturell-multiethnische Gettoisierung der Gesellschaft holt den Bürgerkrieg ins Land, und diesen Krieg haben die Deutschen bereits in ihrer Wohnung. Deutschland ist kein Einwanderungsland, keine zweite USA, kein rheinischer Maghreb; wer die Kasba dennoch anstrebt - ein Pfälzerkohl, ein Bayernherzog oder Münchhausen - will nicht einen anderen Staat, sondern die Abschaffung Deutschlands.
9.) Das Lager der PDS-Wahler schließt offenkundig auch Menschen ein, die 1989 gegen den SED-Staat aufstanden (,,Wir sind ein Volk!"). Der Hauptgrund für ihr Verhalten heute ist die Enttäuschung über das verweigerte Gefühl, mit der Wiedervereinigung endlich zu Hause angekommen zu sein. Mit der Vereinigung in einem Staat ging nicht eine Einheit im Fühlen und Wollen einher. Verweigerung der nationalen Solidarität erzeugt ein Trauma. Während in Mittel- und Osteuropa der Völkerfrühling einzog und die multinationalen Zwangsgebilde zum Einsturz brachte, saß die westdeutsche politische Klasse in einem antinationalen Getto, von einem postnationalen Zeitalter träumend; ihr fehlendes positives Verhältnis zur eigenen Nation ist eine der Ursachen der PDS-Erfolge.
10.) Trotz der kommunistischen Zwei-Nationen-Theorie war bei den Mitteldeutschen ein gesamtdeutsches Nationalgefühl lebendig geblieben. Nach der staatlichen Wiedervereinigung fielen die Mitteldeutschen in ein nationales Vakuum. Heute werden die Folgen der ideologischen Demontage der Werte ,,Heimat", ,,Nationalstolz", ,,nationale Identität", ,,Vaterland" offenbar. Als Ersatz offeriert die herrschende Klasse andere ,,Werte", wie Materialismus, Hedonismus, Egoismus, Raffgier, Multikulti. Die meisten Menschen in der DDR glaubten nicht, daß der Kapitalismus so sei, wie er von der SED karikiert wurde. Sie hielten das für Propaganda. Erst jetzt, wo sie in kapitalistischen Verhältnissen leben, bemerken sie schnell, daß sie nicht belogen worden sind. Es hat alles gestimmt, es stimmt auch weltweit, es stimmt im nachkommunistischen Rußland. Und sie erkennen: Im Grunde ist auch der Kapitalismus pleite. Doch Deutsche und Russen verweigern sich dem schwarzen Marsch in die soziale Eiszeit, ins moralische Nichts. Der Hunger nach sozialer Gerechtigkeit, moralischer Festigkeit, menschlicher Geborgenheit und nationaler Solidarität, dieser Hunger wächst. Er mündet, früher oder später, in das Verlangen nach einer Gemeinschaftsordnung jenseits aller Materialismen. Eine Ordnung, die Alexander Barkaschow als eine christliche, nationale und sozialistische kennzeichnet. Einer postliberalistischen Ordnung wird das 21. Jahrhundert geboren, in Deutschland und Rußland, im neuen Europa.
Anmerkungen