II. TEIL
Die medizinischen Experimente in den KZ

Die medizinischen Versuche an KZ-Insassen

In einigen - durchaus nicht allen - KZ wurden medizinische Versuche zu Forschungszwecken an KZ-Insassen durchgeführt. Versuchsobjekte waren nicht etwa nur Juden oder vorwiegend Juden, sondern vielmehr zum allerwenigsten Juden. Diese Versuche wurden von der Haß- und Hetzpropaganda als unerhörte Kriegsverbrechen", als "ungeheuerliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit" herausgestellt. Und unter dem Einfluß der bekannten Rächer an Deutschland maßten sich die Amerikaner an, die Deutschen vor ein amerikanisches Militärtribunal zu stellen und als Ankläger, Richter und Henker deutscher Ärzte aufzutreten.

Das Gerichtsverfahren in Nürnberg, der "Ärzteprozeß", dauerte vom 9. Dezember 1946 bis zum 12. Juli 1947. Das Gerichtsprotokoll dieses Prozesses umfaßte 12.000 Seiten, 570 Dokumente der Anklagevertretung in 18 Dokumentenbüchern und 901 Dokumente der Verteidigung in 41 Dokumentenbüchern und Nachträgen. Dazu kommen noch die einige tausend Seiten umfassenden Plädoyers und Abschlußzusammenfassungen (Closingbriefs) der Verteidigung und Anklage und die Urteilsbegründung.

Am 20. August 1947 fällte das amerikanische Tribunal, das von vielen Deutschen nur als Rachetribunal angesehen wird, sein Urteil: sieben Angeklagte wurden zum Tode, sieben zu lebenslänglichem Kerker verurteilt. je einer kam mit 15 und zehn Jahren Kerker davon.

Was die Welt über diese Tribunale und die von ihnen abgeführten Kriegsverbrecherprozesse zu sagen hat, ist weiter unter angeführt. Wie bei allen diesen Kriegsverbrecherprozessen sind auch bei diesem Ärzteprozeß die Zeugenaussagen eine sehr trübe Quelle für die Wahrheitsfindung; bei fast allen läßt sich ihre Unstichhaltigkeit und Unverläßlichkeit ohne viel Mühe entlarven.

Auch auf dem Gebiete dieses Ärzteprozesses hat sich ein "Deutscher" gefunden, der sich mit den amerikanischen Richtern und Rächern anscheinend identifiziert. Ich habe bei Mitscherlich, der n a c h der Besetzung Dozent geworden ist, den Eindruck, daß er Genugtuung daran findet, als unermüdlicher Ankläger aufzutreten.

1947 fühlte er sich dazu berufen, gemeinsam mit einem jungen Medizinstudenten, Fred Mielke, eine anklagende Schrift zusammenzustellen: "Diktat der Menschenverachtung", Heidelberg, 1947.

1949 erweitert er diese Anklageschrift und veröffentlicht sie unter dem Titel "Wissenschaft ohne Menschlichkeit", Heidelberg, 1949.

1960 gibt er dieselbe Anklage unter dem Titel "Medizin ohne Menschlichkeit" in der Fischer-Bücherei heraus. Wirklich ein hartnäckiger und unermüdlicher Ankläger. Nur mit tiefem Abscheu und Widerwillen las ich die Einbegleitung, die er zu diesem Fischer-Buch schrieb. Ich gebe daraus nachstehend einige Kostproben:

"Die Zeugnisse sind über die Maßen furchtbar ungeheuerliches Geschehen das u n g e z ä h 1 t e (!!!!) Opfer gefordert hat Untaten von so ungezügelter Bosheit und Mordgier, daß niemand sie ohne tiefste Scham darüber zu lesen vermag Folter und Schrekkenskammern unserer Zeit weltzerstörerische Trieblust … Was in diesen Hohlräumen völliger Kulturentledigung, in den Vernichtungslagern und KZ geschah, war so ungeheuerlich, wie das Menschenwesen, das sich selbst ächtet und sich in das Wesen seiner Alpträume verwandelt das unsägliche Elend, das wir über unsere Nachbarn gebracht haben, übergipfelt das, was wir der eigenen Nation zufügten. Die Verpflichtung zur Klärung des von uns Verübten wird zu einer schweren moralischen Last, daß unser geschichtlicher Fortbestand von ihrer Bewältigung abhängen wird (M) … Niedergedrückt von Scham und Verzweiflung … wir mußten die Geduld und Unvoreingenommenheit des Gerichtshofes bewundern …"

Und ohne daß ein deutscher Staatsanwalt einschreitet, darf Herr M., ein "Deutscher" in Deutschland, fortfahren und folgendes Ungeheuerliche schreiben:

"Wer heute durch Deutschland fährt, kann sich nicht vorstellen, daß vor 20 Jahren hier die Gasöfen (!) rauchten, in denen die Geisteskranken verbrannt wurden (!), daß vor 15 Jahren erst die KZ sich für die überlebenden von M i 11 i o n e n (!) öffneten diese

Tüchtigkeit, die Berge von Trümmern versetzen konnte, den S c h u 1 d b e r g (!) konnte sie nicht versetzen es zeigen sich Zelclgen, die darauf schließen lassen, daß das Bewußtsein sich mit neuer Ki~aft der unerledigten Vergangenheit zuwendet, daß der Prozeß der Schuldbewältigung zwar unterbrochen war, aber noch nicht abgeschlossen ist. Kriegsverbrecher, die seit dem Ende ihres Anstifters unter uns leben konnten, werden jetzt ergriffen … Deutschland wird nun doch nach langer Abwehr jene kritische Auseinandersetzung zu leisten haben …: die heftige und befreiende Reaktion gegen die unerträgliche Last von Führern, die sich und das Land so tief in Schuld verstrickt haben 1945 in jenen wichtigen Momenten, in denen eine revolutionäre Phase eine kathartische Entlastung hätte bringen können, gängelten uns die Alliierten …"

Weniger geistig verbogen, sondern auf gut deutsch gesagt, bedauert also M., daß 1945 unter den Parteigenossen kein Blutbad angerichtet und viel zu wenig Menschen ermordet wurden.

Man kann über Menschenversuche so streng ablehnend denken wie man will; man kann sie zutiefst verdammen; aber solche Worte darf man niemals gegen sein eigenes Volk schreiben. Man darf sich, bei schärfster Kritik im Innern, niemals als Vorkämpfer in die Reihen der Todfeinde und Hasser seines eigenen Volkes stellen. So wenig, wie man Ärzte wegen Menschenversuchen, die sie noch dazu im Auftrage des Staates unternahmen, wie gemeine Mörder henken darf.

Ich will im Nachstehenden versuchen, eine objektive Darstellung des Problems und der Tatsachen und Geschehnisse der Jahre 1939 bis 1945 zu geben. Vorausgeschickt sei die Feststellung, daß ich selbst zu diesem ungeheuer tief eingreifenden Problem der medizinischen Menschenversuche hier keine persönliche Stellung beziehen will. Ich will nur alle Seiten des Problems und alle Faktoren und Tatsachen, die in dieser Frage eine Rolle spielen, so weit und so gut als möglich aufzeigen, um jeden Leser dadurch in eine bessere Lage zu versetzen, diese Frage vor seinem Gewissen selbst zu beantworten.

Die Fleckfieber-Impfstoff-Versuche in Buchenwald und Struthof (Natzweiler)

Die Versuche in Buchenwald begannen 1942 und dauerten bis Ende 1944. Sie standen unter Leitung von Dr. Ding-Schuler. Kogon war als Schreiber bei Dr. Ding; er hat das Tagebuch Dr. Dings "gerettet", ausgeliefert, was jedenfalls und in jeder Beziehung ganz ungeheuerlich ist.

insgesamt wurden auf der Versuchsstation in den drei Jahren etwa 1000 Häftlinge behandelt, davon höchstens 400 Gesunde. Erprobt wurden die verschiedenen Fleckfieber-Impfstoffe. Die Versuche wurden in Block 46 und 50 durchgeführt. Diese Blöcke waren Muster peinlichster Sauberkeit und zweckmäßigster moderner hygienischer Einrichtungen. In Block 46 lagen alle Fleckfieberkranken isoliert und wurden dort, soweit sie nicht trotz aller aufgewendeten Sorgfalt starben, gesundgepflegt. Die Versuchsstation erzeugte auch einen Fleckfieber-Impfstoff erster Qualität, den Versuchstiere (Kaninchen) lieferten. Bei der Impfstoffproduktion wurden etwa 65 Häftlinge beschäftigt; Leiter war der polnische Arzt Dr. Maria Giepielowski; ferner waren dort Prof. Dr. Balachowsky vom Pasteuerinstitut in Paris, Prof. Dr. Ludwig Fleck, Prof. Dr. van Lingen, Amsterdam u. a. Es arbeiteten dort Polen, Franzosen, sieben Juden, zwölf Russen u. a.

Prof. Dr. Gerhard Rose, Chef der Abteilung für tropische Medizin am Robert-Koch-Institut, sagte als Angeklagter im Ärzteprozeß über die Fleckfieber-Impfstoff -Versuche aus (Prot. Seite 6231 f.) -

"… Ich teilte Dr. Conti (Reichsgesundheitsführer und Staatssekretär für Gesundheitswesen im Reichsministerium des Innern) meine Bedenken gegen die künstliche Infektion mit Flecktyphus mit … Doktor Conti sagte als Antwort, auch er habe sich nicht ohne erhebliche Bedenken zur Anordnung der Erprobung der Impfstoffe im Menschenversuch entschlossen. Die Schwere der Fleckfiebergefahr aber mache außerordentliche und außergewöhnliche Maßnahmen notwendig. Im Generalgouvernement, also im besetzten Polen, sei es bereits zu einer schweren Fleckfieberepidemie gekommen. Durch die russischen Kriegsgefangenen sei das Fleckfieber in erheblichem Umfange in das Reichsgebiet eingeschleppt worden. In allen möglichen Lagern und Gefängnissen sei es auch im Reichsgebiet bereits zu örtlichen Epidemien gekommen.

Wie es bei der Wehrmacht stehe, müsse ich ja besser wissen als er. Aber auch er habe außerordentlich beunruhigende Nachrichten. Nach den Erfahrungen des letzten Krieges stünden H u n d e r t t a u s e n d e von Menschenleben auf dem Spiele und er, der Staatssekretär, und nicht die Herren Wissenschaftler trügen die Verantwortung für die Maßnahmen, die ergriffen werden müßten. Angesichts der herrschenden Notlage habe er alle Bedenken zurückstellen müssen, die er an sich genauso gehabt habe, wie ich. Er könne nicht Epidemienstatistiken abwarten, die vielleicht nach Jahren oder erfahrungsgemäß auch erst nach Jahrzehnten eine klare Antwort brächten.

Er könne nicht so lange warten, wenn die Möglichkeit bestünde, mit einem kleinen Einsatz von wenigen Menschenleben die richtigen Maßnahmen für Hunderttausende ausfindig zu machen. Er sei genauso gut Arzt wie ich und achte den Wert des Menschenlebens genauso; aber in K r i e g s z e i t e n, wo Millionen der Besten und völlig Unschuldige ihr Leben opfern müßten, müsse man auch vom Gemeinschaftsschädling, von den Verbrechern, einen Beitrag zum allgemeinen Wohl fordern … Ich muß hier ausdrücklich gestehen, daß das, was ich damals zu Dr. Conti gesagt habe, unrichtig war, das heißt, sich nachher als unrichtig herausgestellt hat. Die Versuche in Buchenwald haben sehr wesentliche Erfolge gezeitigt … Bis zum Mai 1945 ist niemand in der Lage gewesen, auch nur einen vorläufigen Bericht über den Wert der einzelnen Fleckfieber-Impfstoffe zu geben, geschweige denn etwas darüber zu veröffentlichen … Also die deutsche Gesundheitsführung, Herr Dr. Conti, stand vor der schweren Entscheidung, ob er unbekannten und unerprobten Impfstoff in großen Massen herstellen und anwenden lassen solle, oder ob er - angesichts der Größe und Dringlichkeit der Gefahr - von der Staatsführung die Genehmigung erbitten solle, die Impfstoffe vorher durch Menschenversuche zu erproben."

(Damals gab es allein beim Heer im Monat Februar 1942 10.000 Fleckfiebererkrankungen und 1300 Fleckfiebertote. In den Kriegsgefangenenlagern der Russen herrschten Epidemien, die täglich Tausende von Toten hinrafften.)

"Herr Staatssekretär Dr. Conti hat sich für diesen Weg entschieden. Eine Zahl von Menschen wurde zu Versuchen bestimmt, um das Leben von Hunderttausenden zu schützen. Die Staatsverwaltung hat dafür die Verantwortung übernommen … Das Ergebnis hat dieser Entscheidung recht gegeben. Die Buchenwald-Versuche haben vier Hauptergebnisse gebracht:

1. haben sie gezeigt, daß der Glaube an die schützende Wirkung der Weiglschen Impfstoffe ein Irrtum war, obwohl sich dieser Glaube auf eine lange Beobachtung zu stützen schien;

2. haben sie gezeigt, daß die brauchbaren Impfstoffe zwar nicht vor Infektionen, aber so gut wie sicher vor dem Tode schützen, unter den Bedingungen des Buchenwald-Versuches;

3. haben sie gezeigt, daß die Einwände gegen den biologischen Wert der Eidotterimpfstoffe im Vergleich zu dem Läuseimpfstoff ungerechtfertigt waren, sondern daß Eidotter Kaninchenlungen, Mäuselungen und Hundelungen in gleicher Weise schützen können; das haben wir e r s t durch den Buchenwald-Versuch erfahren und damit erst war uns der Weg zu einer Massenherstellung von Fleckfieber-Impfstoffen offen;

4. sind durch die Buchenwald-Versuche aber auch mehr Impfstoffe rechtzeitig als völlig unbrauchbar erkannt worden. Einmal das Verfahren nach Otto und Wohlrab, und das Verfahren nach Cox, nämlich Gemisch von Rikettsia prowazeki und Rikettsia murina aus Eikulturen, als unbrauchbar erkannt wurden auch die Impfstoffe der Behring-Werke … und schließlich der Ipsen'sche Impfstoff aus Mäuseleber. Die Impfstoffe der Behring-Werke waren damals in Zehntausenden von Dosen praktisch in Gebrauch. Sie stellten also eine große gesundheitliche Gefahr dar. Ohne diese Versuche in Buchenwald wären die Impfstoffe, die dort als unbrauchbar erkannt wurden, in Massen hergestellt worden; denn alle diese Impfstoffe hatten eines gemeinsam: daß ihre Herstellung technisch sehr viel einfacher und billiger ist, als die von den brauchbaren Impfstoffen. Jedenfalls steht wenigstens das eine fest: daß die Opfer dieser Buchenwald-Versuche nicht umsonst gelitten haben und gestorben sind. Es gab eben nur die Wahl: wenig Opfer an Menschen und von solchen Personen, die dazu ausgewählt und bestimmt waren, oder den Dingen den Lauf lassen und das Leben von ungezählten Menschen opfern u. zw. von Menschen, die nicht von den Kriminalgerichten, sondern vom blinden Schicksal ausgesucht wurden. Wieviele Menschen den Versuchen geopfert wurden, das können wir heute genau nachrechnen. Wieviele Menschen durch diese Versuche gerettet wurden, können wir nicht genau angeben. Aber vielleicht steht der eine oder andere von denen, die diesen Versuchen ihr Leben verdanken, heute in der ersten Reihe der Ankläger gegen diese Ärzte, die sich dieser schweren Aufgabe unterzogen haben und denen sie ihr Leben verdanken." (Prot. Seite 6266 f.)

Eine gute Übersicht über die in Buchenwald vorgenommenen Fleckfieber-Impfstoff-Versuche und ihre Ergebnisse gibt die nachstehende Tabelle:

Künstlich infizierte VP

Todesfälle

Geimpft mit Impfstoff nach:

 

ohne Impfg.
(Kontroll.
Personen)

Erkrankte
VP

Geimpfte
VP

Kontroll
personen

Weigl

31

       

Cox-Gildemeister-Haagen

35

       

Behring-Normal

35

10

145

1

3

Behring-stark

34

   

1

 

Durand und Giroud

20

19

59

4

 

Combiescou u. Zotta

20

       

Gîroud

20

6

-

-

-

Weigl

25

10

5

-

-

Züridi

20

-

-

-

-

Riga

20

-

-

-

-

Asid

20

   

18

 

Asîd adsorbat

20

10

70

18

8

Weigl

20

   

9

 

Kopenhagen (Ipsen)

17

9

26

3

3

Weimar

5

   

1

 

Giroud

5

5

20

 

3

Asid

5

   

1

 

Weimar

20

20

60

 

19

Weigl

20

   

5

 

Gesamt

392

89

383

57

40

Die Versuche in Struthof (Natzweiler) wurden von Prof. Doktor Haagen vom Herbst 1943 bis zum Sommer 1944 durchgeführt. Es handelte sich dabei nur um Verträglichkeitsprüfungen mit einem von Prof. Haagen entwickelten Impfstoff. Nach dem Tierversuch wurde der Impfstoff an freiwilligen VP erprobt. Die Freiwilligen waren zunächst Prof. Haagen selber, dann seine Institutsmitarbeiter sowie eine Reihe Studenten der Universität Straßburg.

Professor Haagen und die Mediziner der Fakultät Straßburg wurden wegen der an Häftlingen durchgeführten Versuche angeklagt. Der anklagende Regierungskommissar mußte zugeben, daß er einen Beweis, daß die Versuche zu Todesfällen geführt hätten, nicht erbringen könne, sondern sich nur auf Mutmaßungen stützen könne. Die angeklagten Ärzte beriefen sich darauf, daß alle Versuche unter denselben Sicherheitsvorkehrungen stattgefunden hätten, wie sie bei ähnlichen Versuchen von Engländern und Franzosen in ihren Kolonien und von Amerikanern in Sing-Sing getroffen wurden.

Die Versuchsstation der Luftwaffe in Dachau

Kautsky (Teufel und Verdammte) schreibt darüber:

"Eines der Glanzstücke war zweifellos die Luftwaffen-Versuchsstation in Dachau. Sie war in Block 5 des Häftlings-Krankenhauses eingerichtet. In der Barackenstraße zwischen Baracke 5 und der danebenliegenden Baracke war ein Versuchswagen aufgestellt. Das war ein hoher Kasten auf Rädern, mit eingebauten Apparaturen für Druck-, Temperatur- und Höhenmessung. Mit ihrer Hilfe konnte man die VP in den psychischen Zustand einer Höhenfahrt bis über 10.000 Meter versetzen und von dort im Sturzflug auf die Erde sausen lassen. Im Verhalten des Prüflings bei den Prozeduren wurde die Wirkung der Höhe und des Sturzfluges auf den menschlichen Organismus festgestellt. Anschließend kam der Prüfling, bekleidet mit einem wasserdichten Anzug und umgürtet mit einem Rettungsring, in ein Schwimmbecken von 1 bis 2 Grad Temperatur. Er mußte sich dort mindestens zwei Stunden aufhalten …"

Vorgenommen wurden Versuche zur Rettung aus großen Höhen (Unterdruck-Versuche) und Versuche zur Rettung abgestürzter Flieger nach langem Aufenthalt in eisigem Meerwasser (Unterkühl-Versuche). Die Versuche standen unter der Leitung des Institutes für Luftfahrt-Medizin der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt.

Die Versuche zur Rettung aus großen Höhen

Erforscht wurde die Reaktion und Lebensfähigkeit der Menschen in großen Höhen bei raschem Aufstieg von der Erde in Höhen bis zu 20 km und mehr, sowie bei plötzlichem Fall aus diesen Höhen auf die Erde. Für diese Versuche stand eine einzige Unterdruck-Kammer zur Verfügung, ein hoher, abgeschlossener Kasten auf Rädern mit eingebauten entsprechenden Apparaten. Die VP wurde in den Zustand einer Fahrt bzw. eines Absturzes aus den genannten Höhen versetzt. Ein Elektro-Kardiograph verzeichnete die Herztätigkeit. Versuchspersonen waren teils die Forscher selber, teils zum Tode verurteilte Verbrecher, die begnadigt wurden, wenn sie die Versuche lebend überstanden. (Siehe Schreiben RF-SS Himmler vom 18. April 1942.)

Der nachstehende Geheimbericht des Versuchsleiters Dr. Rascher an Heinrich Himmler vom 11. Mai 1942 gibt ein Bild über die Versuche.

" Fußend auf Resultaten bisheriger Tierexperimente verschiedener Forscher galt es bei den in Dachau angestellten Versuchen zu finden, ob die im Tierexperiment gewonnenen Resultate auch für den Menschen Gültigkeit haben.

1. Die erste Versuchsanordnung sollte zeigen, ob eine langsame Anpassung des Menschen an größere Höhen möglich ist. Etwa zehn Versuche ergaben, daß ein langsamer Aufstieg binnen 6 bis 8 Stunden die verschiedensten VPn bis etwa 8000 m Höhe ohne Sauerstoff gesund erhält. Verschiedene VPn erreichten 9,5 km ohne Sauerstoff binnen 8 Stunden, bis schlagartig Höhenkrankheit auftrat.

2. Normalerweise ist in Höhen über 6 km ein Aufenthalt ohne Sauerstoff unmöglich. Versuche zeigen jedoch, daß nach Aufstieg auf 8000 m ohne Sauerstoff die Höhenkrankheit mit Bewußtlosigkeit nur etwa 25 Minuten anhielt. Nach dieser Zeit war meistens eine Gewöhnung der VPn an diese Höhe eingetreten, die VPn kehrten ins Bewußtsein zurück, konnten Kniebeugen verrichten, zeigten normales EKG und waren arbeitsfähig. (60 bis 70 Prozent der untersuchten Fälle.)

3. Sinkversuche am Fallschirm (hängend) ohne Sauerstoff. Bei diesen Versuchen zeigte sich, daß ab 14 km Höhe schwerste, bis zur Bodenhöhe andauernde Höhenkrankheit auftrat … Etwa eine Stunde nach Versuchsende waren die VPn meistens noch zeitlich und örtlich desorientiert …

In Gegensatz zu Sinkversuchen ohne Sauerstoff wurden Sinkversuche mit Sauerstoff bis zu 18 km Höhe durchgeführt. Es zeigte sich, daß die VPn durchschnittlich bei 12-13 km wieder voll aktionsfähig wurden. Bei keinem dieser Versuche traten irgendwie geartete Störungen des Allgemeinbefindens auf. Die kurze Bewußtlosigkeit bei Beginn des Versuches verursachte bei den VPn keine bleibenden Störungen …

4. Da im Ernstfall bei langen Sinkzeiten am Fallschirm, auch wenn keine Sauerstoff-Mangelschäden auftreten würden, sich schwere Erfrierungen einstellen, brachten wir VPn im Drucksturz mit Sauerstoffgebläse von 8 km auf 20 km, entsprechend der Beschädigung des Höhenflugzeug-Druckkörpers. Von hier wurden nach einer Wartezeit von zehn Sekunden entsprechend dem Aussteigen aus der Maschine, die VPn mit Sauerstoff in atembare Höhen durchfallen gelassen. Die VPn wurden nach 10 bis 12 km wach und zogen bei etwa 8 km den Fallschirmgriff.

5. Bei Fallversuchen aus der gleichen Höhe ohne Sauerstoff wurden die VPn erst zwischen 2 bis 5 km wieder handlungsfähig.

6. Versuche dahingehend, wie Pervitin beim Fallschirm-Absprung auf den Organismus einwirkt, ergaben, daß die unter Ziffer 3 geschilderten schweren Nachwirkungen wesentlich gemildert auftraten. Die Höhenfestigkeit wurde nur gering verbessert, dafür trat die Höhenkrankheit, weil unbeobachtet (hemmungslösende Wirkung des Pervitins) schlagartig auf.

7. Dr. Kliches, Karlsuniversität in Prag, teilt im Organ des Reichsforschungsrates mit, daß "theoretisch der Mensch bei längerer Sauerstoffatmung bis 13 km voll leistungsfähig erhalten bleiben müßte. Praktisch sei die Grenze bei rund 11 km." Von mir durchgeführte diesbezügliche Versuche zeigen, daß bei reinem Sauerstoff bis 13,3 km noch kein Absinken der meßbaren rohen Kraft (Ergometer) festzustellen war. Die VPn wurden lediglich unwillig, da die Leib- und Nebenhöhlen-Schmerzen infolge des Druckabfalles zwischen Körper- und verdünnter Luft zu groß wurden. Höhenkrankheit mit reinem Sauerstoff trat in allen Fällen erst oberhalb 14,2 km ein.

Als praktische Resultate aus den über 200 in Dachau angestellten Versuchen darf Folgendes gelten:

Fliegen bei Höhen über 12 km ohne Druck-Kabine oder Druck-Anzug, auch bei reiner Sauerstoff-Atmung, ist unmöglich. Bei Beschädigung des Flugzeug-Druckkörpers in großer Höhe, 13 km und darüber, ist ein selbständiges Aussteigen der Besatzung aus der beschädigten Maschine unmöglich, da die Höhenkrankheit in diesen Höhen nahezu schlagartig auftritt. Es muß gefordert werden, daß die Besatzung automatisch aus der Maschine entfernt wird, z. B. durch Preßluft-Katapultierung der Sitze. Ein Sinken mit geöffnetem Fallschirm ohne Sauerstoff würde neben schweren Erfrierungen schwerste Schädigungen durch Sauerstoffmangel setzen; bis zum Erreichen des Bodens wäre das Bewußtsein noch nicht zurückgekehrt. Daher ist zu fordern:

1. Ein Fallschirm mit barometrisch gesteuerter Eröffnung;

2. Tragbares Sauerstoffgerät für den Absprung…"

Die Unterdruck-Versuche wurden in Dachau Ende Mai 1942 beendet. Der zusammenfassende Schlußbericht vom 28. Juli 1942 umfaßt 24 Schreibmaschinenseiten und liegt als Doc. No. 402 (des Ärzte-Prozesses) vor. Die Urteilsbegründung im Ärzte-Prozeß kommt zu folgender Meinung über die Unterdruck-Versuche (Seite 20):

"Es scheint, als ob zwei verschiedene Gruppen von Häftlingen für die Versuchsreihen benützt wurden. Die eine war eine Gruppe von zehn bis fünfzehn VPn. Die meisten von ihnen, wenn nicht alle, waren Deutsche, die im Lager als Berufsverbrecher eingesperrt waren. Diese Männer waren gut untergebracht, gut genährt und ziemlich zufrieden. Keiner von ihnen erlitt Tod oder Verletzung als Folge der Versuche. Die andere Gruppe bestand aus 150 bis 200 VPn, die aufs Geratewohl aus dem Lager herausgegriffen und ohne ihre Einwilligung für die Versuche verwendet wurden. Ungefähr 70 bis 80 von ihnen wurden während der Versuche getötet."

Die Unterkühlungs-Versuche in Dachau

Die Versuche über die Wirkung der Abkühlung auf Warmblüter wurden in der Zeit vom 15. August 1942 bis Mai 1943 durchgeführt. Der Zweck war, Hilfsmittel für die in Seenot geratenen, ins eiskalte Meer abgestürzten Flieger zu finden.

In einer Versuchsreihe, die insgesamt etwa 50 freiwillige VPn umfaßte, wurden diese normal oder in wasserdichte Kleidung gekleidet, in kaltes Wasser von + 4 und + 9 Grad gelegt. Neben Abkühlungs-Versuchen wurden auch besondere Versuche über die zweckmäßige Wiedererwärmung kälteerstarrter Körper unternommen.

Auch über die Unterkühlungs-Versuche im Lager Dachau gibt ein Bericht des Leiters der Versuche, Dr. Rascher, an Himmler ein gutes Bild (Ärzte-Prozeß Doc. 1618-PS):

"Versuchsanordnung:

Die VPn werden mit voller Fliegeruniform, Winter- und Sommerkombination und Fliegerhaube bekleidet ins Wasser gebracht. Eine Schwimmweste aus Gummi oder Kapok soll das Untergehen verhindern. Die Versuche wurden durchgeführt bei Wassertemperaturen zwischen 2,5 und 12 Grad Wärme. Bei der einen Versuchsreihe war der Hinterkopf sowie Hirnstamm außer Wasser, während bei der anderen Versuchsreihe der Nacken (Hirnstamm) und Hinterhirn im Wasser lagen.

Es wurden Unterkühlungen im Magen von 26,4 Grad, im After von 26,5 Grad elektrisch gemessen. Todesfälle traten nur ein, wenn der Hirnstamm sowie das Hinterhirn mit unterkühlt wurde. Es fanden sich bei der Sektion derartiger Todesfälle stets innerhalb der Schädelkapsel größere Mengen freien Blutes, bis zu einen halben Liter. Das Herz zeigte regelmäßig schwerste Erweiterungen der rechten Kammer. Sobald die Unterkühlung bei diesen Versuchen 28 Grad erreicht hatte, starb die VP mit Sicherheit trotz aller Versuche zur Rettung. Die Wichtigkeit eines wärmespendenden Kopf- und Nackenschutzes bei der in Ausarbeitung stehenden Schaumbekleidung wird durch oben geschilderten Sektionsbefund eindeutig erwiesen. Als besondere Befunde bei allen Versuchen sind zu erwähnen: Verfünflachung der Leukozyten, regelmäßiger Anstieg des Blutzuckers auf das Doppelte …

Bei den Versuchen, Unterkühlte zu retten, zeigte sich, daß der schnellen Erwärmung in jedem Falle gegenüber der langsamen Erwärmung der Vorzug zu geben ist, weil nach der Herausnahme des Körpers aus dem kalten Wasser die Körpertemperatur weiterhin sinkt Die Erwärmung durch animalische Wärmetierkörper oder Frauenkörper - würde zu langsam vor sich gehen. Als Hilfsmaßnahmen, um eine Unterkühlung zu verhindern, kommen lediglich Verbesserungen der Fliegerkleidung in Frage. An erster Stelle steht der von dem Deutschen Textilforschungsinstitut hergestellte Schaumanzug in Verbindung mit entsprechendem Nackenschutz. Die Versuche haben ergeben, daß sich medikamentöse Maßnahmen wahrscheinlich erübrigen, wenn der Flieger überhaupt lebend geborgen wird.

München-Dachau, den 10. September 1942."

Die Ergebnisse der Versuche Prof. Dr. Holzlöhners sind in einem 32 Seiten umfassenden Bericht vom 10. Oktober 1942 "Über Abkühlungsversuche am Menschen" zusammengefaßt. (Ärzte-Prozeß. Doc. NO. 428) Die abschließende Zusammenfassung der Ergebnisse lautet:

"1. Die Kurve der Rectaltemperatur des Menschen zeigt bei Abkühlung im Wasser von + 2 bis + 12 Grad zunächst ein langsameres Absinken bis zu etwa 35 Grad. Darauf wird der Abfall steiler. Todesgefahr besteht bei Rectaltemperaturen unter 30 Grad.

2. Die Todesursache ist ein Versagen des Herzens. Die direkte Schädigung des Herzens ergibt sich aus der regelmäßig beobachteten Irregularität, die bei ungefähr 30 Grad einsetzt. Die Schädigung ist auf eine Überlastung des Herzens zurückzuführen, hervorgerufen durch Außerdem ist eine Kälteschädigung des Herzens wahrscheinlich.

3. Bei gleichzeitiger Abkühlung von Hals und Nacken wird die Temperatursenkung beschleunigt. Dies ist auf einen Ausfall der Gegenregulation durch Wärme- und Gefäßzentren zu beziehen; es tritt außerdem Hirnödem auf.

4. Der Blutzucker steigt während der Temperatursenkung an und geht nicht zurück, solange diese anhält. Es ergeben sich Anhaltspunkte für eine intermediäre Störung des Stoffwechsels.

5. Die Atmung des Abgekühlten ist erschwert durch den Rigor der Atemmuskulatur.

6. Nach der Bergung aus dem kalten Wasser kann 15 Minuten und länger sich ein weiterer Temperaturabfall vollziehen. Dies gibt eine Erklärungsmöglichkeit für Todesfälle, die nach der Rettung aus Seenot auftreten.

7. Starke Wärmezufuhr von außen schädigt den Abgekühlten nie

8. Erfolge einer Strophantinbehandlung wurden nicht beobachtet

9. Als wirksamste therapeutische Maßnahme wird eine aktive massive Wärmebehandlung nachgewiesen; am günstigsten ist das Einbringen in ein heißes Bad.

10. Die Erprobung von Anzügen gegen Wasserkälte zeigte, daß die Überlebensdauer auf über das Doppelte sich steigern läßt.

11. Es werden Vorschläge zur Verbesserung der Schwimmwesten gemacht …"

Die amerikanische Luftwaffe hat auf Grund der in Dachau durch die Versuche gewonnenen Erkenntnisse diese Versuche weiter fortgesetzt.

Die Versuche zur Trinkbarmachung von Meerwasser im KZ Dachau

Durch die Zunahme des Luftkrieges mehrten sich die Fälle, daß Flieger in Seenot gerieten. Das Problem der Trinkbarmachung von Meerwasser wurde dadurch immer brennender.

Es gab zwei Verfahren:

1. das sogenannte Berka-Verfahren,

2. das IG-Farben-Verfahren (Schäfer-Verfahren).

Beim Berka-Verfahren werden die im Meerwasser enthaltenen Salze nicht ausgefällt, sondern so präpariert, daß sie geschmacklich beim Trinken nicht unangenehm in Erscheinung treten, durch den menschlichen Körper durchgeschleust werden, ohne diesen mit Salzen zu übersättigen und das Durstgefühl zu erhöhen. Über die Gefahren dieses Verfahrens urteilte Dr. Becker-Freyseng:

"Die Hauptgefahr des Trinkens von Seewasser in Seenot besteht darin, daß der Schiffbrüchige sich bereits in einem ausgetrockneten Zustande befindet und nachdem er zwei bis drei Tage Durst gelitten hat, Seewasser trinkt. - Durch das Seewasser wird der ausgetrocknete Organismus auf das schwerste gefährdet. Die Gefahr des Berkatits liegt in folgendem: Das Berkatit ist ein zuckerähnliches Mittel, das die Eigenschaft hat, den unangenehm bittersalzigen Geschmack des Seewassers zu verdrängen und eine trinkbare Flüssigkeit daraus zu machen Da aber das Berkatit nur den Geschmack des Meerwassers ändert, die Salze aber nicht ausfällt, stellt sich nach einiger Zeit wieder starker Durst ein und der Schiffbrüchige wird sich in das Trinken immer größerer Mengen nichtentsalzten Berkatitseewassers hineinsteigern. Sobald er nun mehr trinkt als 300 Kubikzentimeter, muß es zu Durchfällen kommen. Er wird also jetzt nicht nur durch den Harn Wasser verlieren, sondern auch durch die Durchfälle; damit steigert sich der Durst und gleichzeitig die Gefahr natürlich immer mehr."

Das IG-Farben Verfahren, entwickelt durch Dr. Konrad Schäfer, ist für die Verhältnisse eines Rettungsbootes praktisch unmöglich. Die Versuche bedeuteten keine Gesundheitsschädigung und schon gar keine Lebensgefahr. Ursprünglich waren VPn ausschließlich Soldaten, die sich freiwillig dazu meldeten. Es wurden elf Versuche in drei Gruppen unternommen. Keine der VPn hat irgend einen Schaden erlitten.

Die Malaria-Station in Dachau

Die Versuche begannen im März 1942 und dauerten bis zum Ende des Afrika-Feldzuges.

Dr. Kautsky berichtet nach den Erzählungen seiner Gewährsmänner:

(Seite 355 f.): "In Käfigen wurden verschiedene Arten von Anophelesfliegen gehalten und gezüchtet. Mehrere Krankenzimmer wurden als Versuchsstation eingerichtet. Die Fenster und den Eingang überzog man mit engmaschigem Fliegengitter. Die Häftlinge mußten sich von den Anophelesmücken stechen lassen. Ein Mückenkästchen wurde an den Oberschenkel des Patienten gebunden - der Verlauf der Versuche wurde genau kontrolliert; sogar während der Nacht wurde jede zweite Stunde die Temperatur gemessen und notiert … Wenn die Lockmittel für Freiwilligenmeldungen nicht ausreichten, wurden von Zeit zu Zeit Zwangsauffüllungen vorgenommen … Mit der Liquidierung des deutschen Afrikakorps verlor die Malariastation ihre Bedeutung."

Zweck der Versuche war die Erforschung des Zusammenhanges zwischen Blutgruppe und Malaria und die Wirkung der verschiedeneu Therapeutika. Prof. Dr. Claus Schilling, der Leiter der Versuche, war schon vor dem Ärzte-Prozeß im Verfahren gegen die Wachmannschaften des KZ Dachau zum Tode verurteilt und hingerichtet worden.

Versuche zur Muskelregeneration und Knochentransplantation

Einige wenige Versuche in dieser Richtung wurden im KZ Ravensbrück und der nahegelegenen Anstalt Hohenlychen vorgenommen. Vor Gericht wurde ein besonderer Fall eingehend behandelt: die homöoplastische Transplantation eines Schulterblattes von einem weiblichen Häftling auf einen Patienten in Hohenlychen, einen jungen Mann, der durch ein Anglioblastom Schulterblatt und Schlüsselbein und damit beide Stützen für den Arm verloren hatte. (Ärzte-Prozeß, Prot., Seite 4123 ff.)

Dr. Karl Gebhardt, Chefarzt der Heilanstalt Hohenlychen, Professor und Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (im Ärzte-Prozeß zum Tode verurteilt und hingerichtet) sagte über diesen Fall vor Gericht:

"Von diesem Versuch wurde abhängig gemacht, daß überhaupt keine Knochenversuche mehr gemacht werden sollten, wenn er sich nicht bewährte. Die Planung der Übertragung an Verwundete sollte endgültig aufhören, wenn der Versuch fehlschlüge. Das Schulterblatt wurde dem krebsgefährdeten Mann eingesetzt. Das Ergebnis hat mir recht gegeben. Der Arm blieb erhalten. Das übertragene Schulterblatt heilte gelenksähnlich ein und der Krebs trat bis 1945 nie mehr auf. Der Mann blieb am Leben. Für die Frau, die eine zum Tode verurteilte Kriminelle war, bestand dieselbe Chance, daß sie als zum Tode Verurteilte am Leben bliebe."

Die Phlegmoneversuche in Dachau

Während der Jahre 1942 und 1943 wurden Phlegmoneversuche angestellt, um die Wirksamkeit allopathischer und biochemischer Therapeutica zu erproben.

In einem Bericht Dr. Grawitz vom 29. August 1942 an Heinrich Himmler heißt es:

"In der Berichtszeit wurden im SS-Lazarett Dachau 40 Fälle mit biochemischen Mitteln behandelt:

Phlegmonöseitrige Prozesse

17

Sepsis

8

Furunkulose und Abszesse

2

Infizierte Operationswunden

1

Malaria

5

Pleura empyem

3

Sept. Endocarditis

1

Nephrose

1

Chron. Ischias

1

Gallensteine

1

Die Sepsisfälle wurden zum größten Teil künstlich gesetzt. Als bisheriges Ergebnis ist festzustellen, daß der ungünstige Verlauf bei kaum einer der schweren Erkrankungen durch die biochemischen Mittel aufgehalten werden konnte. Sämtliche Sepsisfälle kamen ad exitum. Die Malariafälle blieben völlig unbeeinflußt. Die Fälle mit ausgedehnteren phlegmonöseitrigen Prozessen, mit Abszeßbildungen, die Pleuraempyeme, die septische Endocarditis, die Nephrose, die chronische Ischias und die Gallensteine zeigten keinen. auch nur einigermaßen sicheren Einfluß der biochemischen Behandlung. Soweit sie günstig ausgingen, zeigten sie keinen anderen Verlauf, als sie nach ärztlicher Erfahrung bei absoluter Ruhestellung im Bett auch ohne besondere Maßnahmen zu nehmen pflegen …

Abschließend ist zu sagen, daß bei einer Gesamtzahl von 40 Fällen einem positiven Fall und vier mit Vorbehalt als positiv zu wertenden Fällen 35 Versager gegenüberstehen, von denen zwölf tödlich ausgingen."


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