Die Versuche am Menschen in den KZ wurden von wissenschaftlich hochqualifizierten und sittlich einwandfreien, hochstehenden Ärzten durchgeführt
Die Haß- und Hetz-Propaganda stellt die Sache so dar, als ob die Versuche an Häftlingen von sadistischen Elementen aus sadistischen Beweggründen und nach dem Gutdünken einzelner Ärzte willkürlich vorgenommen seien. Das ist unwahr. Alle diese Versuche mußten von der höchsten zuständigen Stelle genehmigt sein. Alle Versuche standen auch unter der berufenen Leitung der bedeutendsten medizinischen Koryphäen auf dem betreffenden Gebiete der Wissenschaft; sie wurden von diesen bestimmt und überwacht und nach streng wissenschaftlichen Methoden durchgeführt.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse wurden zum Segen der ganzen Menschheit ausgewertet. Die Ärzte, die die Versuchsreihen durchführten, waren auch keineswegs alle Deutsche; auch Nicht-Deutsche waren daran beteiligt: Franzosen, Holländer, Dänen, Russen, Polen, u. a. Juden.
Die Verantwortung der angeklagten Forscher vor dem amerikanischen Gericht
Aus der Verantwortung der angeklagten medizinischen Forscher vor dem amerikanischen Tribunal seien einige Stellen angeführt, die keines Kommentares bedürfen:
Prof. Dr. Siegfried R u f f, Direktor des Fliegermedizinischen Institutes der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt:
"Die Genehmigung zu den Versuchen war von Seite des Staates gegeben Zu dem Entschluß, diese Versuche an Häftlingen durchzuführen, brachte mich die Wichtigkeit dieser Untersuchungen und die Dringlichkeit, zweitens meine Kenntnis der internationalen Literatur, die mir bestätigte daß solche Versuche weder von den ärztlichen Berufsorganisationen in anderen Ländern abgelehnt wurden, noch daß irgendwo und irgendwie in einem anderen Land jemals die Staatsanwaltschaft oder die Kirche oder ein Parlament an solchen Versuchen Anstoß genommen hatten dieses Wissen um diese internationalen Versuche gab mir auch die moralische Sicherheit, daß ich nichts unternahm, was in irgendeinem anderen Teile der Welt als unmoralisch hätte betrachtet werden können "
(Prot. Seite 6748)
Dr. Hans Wolfgang R o m b e r g, Abteilungsleiter an der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt:
" Solche Versuche kommen in der ganzen Welt vor, ohne daß man sagt, sie seien Morde. (Prot. Seite 7018.) Diese Versuche waren von der größten Bedeutung für Heer, Luftwaffe und Marine Himmler legte uns dar, daß es wohl nicht zu viel verlangt sei, wenn KZ-Häftlinge, die wegen begangener Verbrechen nicht an der Front kämpften, solche Versuche mitmachten So können sich diese Leute, wenn sie wollen, rehabilitieren, zum Tode Verurteilte könnten begnadigt werden Wer dafür kein Verständnis hätte, der hätte noch immer nicht erfaßt, daß es in diesem Krieg um Tod oder Leben Deutschlands geht Wir konnten uns diesen Worten in der damaligen ernsten Situation nicht verschließen."
(Prot. Seite 6907 f.)
Dr. Fritz Fischer :
"Als Arzt bedaure ich es, daß das Schicksal mich gezwungen hat, das ärztliche Grundgesetz 'nihil nocere' zu verletzen. Man muß diese Verletzung aber beurteilen nach den Motiven und nach den Begleitumständen, aus denen heraus sie entstand. Das dieser Handlung, deretwegen man mich vor dieses Gericht gestellt hat, zugrunde liegende Motiv war ausschließlich das Motiv, Verwundeten zu helfen. Es sollte eine Hilfe gegeben werden in dieser damals einmalig schweren Zeit mit ihrer Millionenzahl von Verwundeten. Diese Versuche wurden von mir unternommen als Angehöriger der deutschen Streitkräfte. Der Glaube und das Vertrauen an das legale Recht der Obrigkeit und des Staates gab mir die juristische Deckung und Rechtfertigung ab und enthob mich, wie mir dies auch versichert wurde, der individuellen Verantwortung. In dieser Zeit des Kampfes meines Volkes auf Leben und Tod, in einer Zeit, in der es um die letzte Entscheidung ging, glaube ich, daß der Staat das Recht hat, solche Maßnahmen zu ergreifen. Der Gehorsam gegen den Staat erschien mir in der damaligen Zeit, in der im Durchschnitt täglich 1500 Soldaten an der Front fielen und in der mehrere hundert Menschen täglich in der Heimat infolge der Kriegseinwirkung starben, als höchste sittliche Pflicht. Es war meine Auffassung, daß den Versuchspersonen, die den sicheren Tod vor Augen hatten, eine menschlich vertretbare Chance geboten würde. Ich glaube, daß ich, in der gleichen Situation, eine solche Chance ergreifen würde. Die Versuche geschahen nicht 1947, sondern 1942, im Krieg, und zwar auf dem Höhepunkt des Krieges. Ich war zu dieser Zeit nicht ein in seinen Entschlüssen freier Zivilarzt, sondern ein zu Gehorsam verpflichteter Soldat Ich stand der Autorität des Staates gegenüber und auf der anderen Seite einer ärztlichen Autorität, die internationalen Ruf hatte. Und diese Autorität, Prof. Gebhardt, die ich in ihrem Lebenswert kannte, war eine Person, die mir höchstes Vertrauen einflößte. Wenn diese Autorität sich zu diesen Versuchen entschloß, dann mußten diese wirklich notwendig sein. Prof. Gebhardt wies mich auch darauf hin, daß es im Leben des Menschen und im Leben der Völker Situationen gibt, in der das Einzelwesen verpflichtet ist, innere Bedenken zurückzustellen, weil das Interesse der Gemeinschaft dies erfordert Es waren dieselben Motive, unter denen der Soldat an der Front handelt, wenn er als gehorsamer Soldat Taten vollbringt, die er als ungebundenes Individuum niemals vollbringen würde. Ich befand mich damals in der gleichen Situation, in der ein Soldat ein Torpedo gegen ein Schiff abschießen muß und ein anderer Soldat Bomben über das Wohnviertel einer offenen Stadt abwirft
Sie fühlen sich gesetzlich gerechtfertigt durch die Tatsache, daß im militärischen Geschehen der Befehl Gesetz ist und zum zweiten durch die Empfindung und den Glauben, daß sie durch diese Tat, im höheren Sinne, sittlich handeln; in höherem Sinne insofern, daß sie damit zum Siege und Wohle ihres Staates und Volkes beitragen Und dieser Gehorsam ist nicht etwa eine spezifische deutsche Erfindung, sondern gibt auch bei anderen Staaten die Grundform ab. (Prot., ,Seite 437 f.)
Der Angeklagte, Prof. Dr. Gerhard Rose, sagte in seiner Verteidigungsrede vor dem amerikanischen Tribunal:
"General Taylor hat in seiner Eröffnungsansprache (Seite 55 des deutschen Protokolls) die Forderung gestellt:
'Uns obliegt es, kristallklar die Ideen und Beweggründe darzutun, die für diese Angeklagten bestimmend waren '
Ich stimme dem Herrn Generalstaatsanwalt darin zu, daß das einer der wichtigsten Punkte des Prozesses sei und ich möchte daher auch diese Frage ausführlich beantworten. Ich werde dabei meine eigenen Überlegungen mitteilen und gleichzeitig auch das, was ich über die Motive von solchen beteiligten Wissenschaftlern weiß, die heute tot sind und daher nicht selbst antworten können Da ist zunächst einmal der Begriff 'Zum Tode verurteilte Verbrecher' Für den Juristen und mit ihm für viele Menschen, die gewohnt sind, formal zu denken, mag das vielleicht ein einfaches Problem sein: Wenn ein Mensch zum Tode verurteilt ist nach dem Gesetz, dann ist das für sie in Ordnung und muß eben so sein. Der Jurist befaßt sich mit der gesetzlichen Grundlage und hat dabei seine schwere Verantwortung zu tragen bei der Entscheidung. Ich habe da eine andere Einstellung ich weiß, wie außerordentlich schwankend und relativ Rechtsauffassungen sind. Sie wechseln nicht nur von Land zu Land und von Volk zu Volk, sondern sie sind innerhalb desselben Landes binnen kürzester Zeit einem vollständigen Wechsel unterworfen. Das gilt schon in normalen ruhigen Zeiten, wieviel mehr noch in erregten politischen und in Kriegszeiten. 0ft wird auch als begangenes Verbrechen bestraft, was Tausende von anderen Menschen als eine besondere Heldentat ansehen
Ich habe schon erläutert, wie wir normalerweise vorgehen, um einen neuen Impfstoff einzuführen. Da wird eben zum Schluß die Verträglichkeit am Menschen geprüft aus dem einfachen Grunde, weil sich das im Tierversuch überhaupt nicht feststellen läßt Ich weiß, welche ungeheuren Vorteile es der Forschung bieten würde, wenn einem der Menschenversuch nach Belieben zur Verfügung stehen würde. Aber sosehr ich mir verstandesmäßig dieses Vorteils bewußt war, sosehr sträubte ich mich (bei meinen Versuchen) gefühlsmäßig dagegen Ich habe seit 1921 in der experimentellen Medizin in den verschiedensten Ländern gearbeitet und ich weiß, unter welchem Vorurteil mein Beruf und auch das Fach Physiologie stehen. In weitesten Kreisen der Öffentlichkeit werden wir als Tierschinder und gefühllose Quäler beschimpft aus dem Grunde, weil gerade unser Fach, ate Immunitätswissenschaft und die Physiologie, weitgehend die Versuche an lebenden Tieren durchführen muß, weil wir sonst ganz einfach nicht arbeiten können. Wenn nun zu diesem Vorurteil der noch viel schwerwiegendere Menschenversuch dazukäme, so bedeutete das eine noch viel schwerere Belastung meines Berufes. Dazu kommt noch ein psychologischer Punkt: Der Herr Anklagevertreter McHaney hat hier bei der Haltung von Prof. Hippke gesagt: Wenn Hippke annahm, daß es sich um Verbrecher handelte, die zum Tode verurteilt waren, dann war doch alles in Ordnung und er brauchte keine Gewissensskrupel zu haben.'
Ich glaube, daß dies eine völlige Verkennung der psychologischen Faktoren ist, die bei diesem Problem eine entscheidende Rolle spielen. Die Haltung des Juristen ist da eine ganz andere. Auf ihm lastet die schwere berufliche Verantwortung, ein Todesurteil auszusprechen oder als Staatsanwalt zu beantragen; aber, wenn das einmal geschehen ist, dann ist für ihn die Sache erledigt und dann beißt es 'fiat justitia'. Auch der fanatische Forscher, dem es nur um die wissenschaftliche Erkenntnis geht, mag vielleicht zu diesem Schluß kommen: das Todesurteil ist ausgesprochen, also ist es nun gleichgültig, ob der Mensch durch den Strang oder durch einen medizinischen Versuch hingerichtet wird Aber für den, der Nichtjurist ist und nicht vom Forschungsfanatismus beherrscht ist, spielen sehr wesentliche andere Überlegungen (vor allem das Gefühl) eine Rolle. Ich hatte ja doch in Buchenwald den schweren Krankheitszustand der nichtinfizierten Kontrollpersonen gesehen und ich stand unter diesem Eindruck Ich hatte gesehen, was für eine ungeheure seelische Belastung die Durchführung der Versuche (der Unterkühlungsversuche) für den Arzt, für Prof. Holzlöhner, gewesen war. Denn auch der zum Tod Verurteilte bleibt doch ein Mensch, er ist für Leiden empfänglich Es steht ja nun doch einmal fest, daß nur der allerwichtigste Versuch am Menschen durchgeführt wird. Viele Forscher werden auch dann, wenn die Genehmigung des Staates für einen solchen Versuch vorliegt, der Ausführung des Versuches aus dem Wege gehen, einfach aus dem Grunde, weil sie der seelischen Belastung dieser Versuche sich persönlich nicht gewachsen fühlen. Damit entsteht nun die Gefahr, daß der wichti Ste Teil der Forschung in die Hände des rein kalten Forschungsfanatikers gerät Wie alt das Problem des Forschungsfanatikers in der Medizin ist, geht z. B. aus dem Buche von M o 11 ('Ärztliche Ethik', Enke Verlag, Stuttgart 1902) hervor; da heißt es auf Seite 757:
'Wenn ein Mediziner besonders der Forschung lebt, so ist er geneigt, mehr oder weniger die Patienten, die sich ihm anvertrauen unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten. Er sucht gar zu leicht einen Kranken, der sich ihm anvertraute, für die Lösung eines wissenschaftlichen Problems zu benützen und gelangt so dazu, das Interesse des Kranken hintanzusetzen. Dieser Konflikt zwischen dem ärztlichen Beruf und der Förderung der Wissenschaft ist auch bereits in der französischen Literatur behandelt worden, wo ein Arzt geschildert wird, der einzig und allein dem Götzen Wissenschaft lebt und ihm seine Patienten opfert.'
Ich möchte aber nicht darin mißverstanden werden, daß nun jeder Arzt, der den Auftrag zu einem Menschenversuch annimmt, für einen kalten, gefühlslosen Forschungsfanatiker gehalten wird. Das wäre ein ausgesprochenes Unrecht. Ich kenne zu viele Forscher der verschiedensten Nationen persönlich, die Versuche an freiwilligen und nichtfreiwilligen Versuchspersonen ausgeführt haben. Ich weiß daher genau, in welche seelischen Konflikte so ein Arzt bei dieser Arbeit gerät und welche ungeheure Belastung er sich selbst mit der Übernahme einer solchen Arbeit aufbürdet. Dem Staatsanwalt und dem Gericht, die als Juristen in der glücklichen Lage sind, nie mit einem solchen Konflikt in Berührung zu kommen, obwohl natürlich auch ihr Beruf eine schwere Verantwortung trägt, denen muß ich diese Seite der Menschenversuche einmal darlegen Ich nehme hierfür als Beispiel einen nichtdeutschen Versuch Es handelt sich um den ersten Versuch zur Entwicklung einer Impfung mit lebenden Bakterien, und zwar mit lebenden Pestbakterien Diese Versuche wurden an Verbrechern ausgeführt, und zwar an zum Tode verurteilten Verbrechern, die Nicht freiwillige waren Wer dieses Arbeitsgebiet kennt, der weiß, welches Maß von bitterer Sorge und Angst von diesem Mann bei diesen Versuchen getragen worden ist Nun ist heute dieser Versuch, der vor 40 Jahren stattfand, durch den Glanz des Erfolges verklärt und gerechtfertigt; denn auf ihm gründet sich die moderne Schutzimpfung gegen Pest mit lebenden avirulenten Pestbakterien. Vom gleichen Forscher liegt eine weitere Versuchsreihe vor, ebenfalls an zum Tode verurteilten Verbrechern Es handelt sich um die Versuche, die Ursachen der Beriberikrankheit zu finden Diesem Versuch blieb der wissenschaftliche Erfolg versagt
Bei diesem Versuch blieb ihm also selbst dieser Trost, eine Rechtfertigung durch den Erfolg, versagt. Welche Belastung ein solches Leben für den Arzt bedeutet, wie vergiftend das wirkt, das kann ein Nichtarzt gar nicht verstehen Was ist nun der Grund, daß ein Mensch sich freiwillig diese Last aufbürdet oder sie annimmt, wenn sie ihm durch Befehl einer Regierungsstelle Übertragen wird? Es wäre eine billige Antwort, das Motiv im Ehrgeiz oder im reinen Forschungsfanatismus zu suchen. Ich kenne in diesem Fall den wirklichen Beweggrund, denn ich kenne den Mann und die Verhältnisse, unter denen er arbeitete. Die Triebfeder war einzig die P der Verantwortung den Millionen von Eingeborenen gegenüber, für deren Gesundheit er zu sorgen hatte. Zu Hunderttausenden siechten sie im qualvollen Leid der Beriberikrankheit dahin. Das Bewußsein, diesen Menschen helfen zu müssen und doch mit dem bisherigen Stand der Wissenschaft machtlos zu sein, das war der Grund, nach neuen Wegen zu suchen, auf sich selber solche Lasten zu nehmen und anderen Menschen derartige Leiden zuzumuten.
Diese Versuche, von denen ich hier gesprochen habe, wurden ausgeführt von Prof. Richard P. Strong. Zur Zeit der Versuche war er Public-Health-Officer in Manila, später Professor an der Harvard-Universität in Boston und Vorsitzender der amerikanischen Gesellschaft für Tropenmedizin. Ich hoffe, daß der Herr Staatsanwalt nicht den Versuch machen wird, die Arbeit des von mir hochverehrten Mannes auch mit den Worten abzutun: 'Es gibt eben Überall Verbrecher', denn es handelt sich bei Prof. Strong um einen Mann von allerhöchstem Pflichtgefühl und tiefer Ethik . Und die Ethik und die Motive der deutschen Ärzte, die sich zur Übernahme und zur Mitarbeit an solchen Versuchen entschlossen war die gleiche, die ihre ausländischen Kollegen in der gleichen Lage beseelten.
Es sitzen hier auf der Anklagebank drei tote Professoren: der Präsident Gildemeister, der Professor Eppinger aus Wien und der Professor Holzlöhner aus Kiel. Weil sie tot sind, sind sie der Herabsetzung in der Öffentlichkeit und einer Kritik hier im Gerichtssaal noch weit mehr ausgesetzt als wir, die wir wenigstens die Möglichkeit haben, uns zu rechtfertigen. Aber gerade deshalb fühle ich mich verpflichtet, auch für diese Toten hier Zeugnis abzulegen Sie waren bei ihrem Tun genauso durch das Gefühl ihrer ärztlichen Pflicht der Verhütung von Krankheit und Not geleitet und haben ihren Anteil als schwere Bürde getragen
Wir Hygieniker verbringen unser Leben unter menschlichem Elend und Seuchen. Wir werden dorthin geschickt, von wo andere Menschen fliehen. Für uns ist selbstverständlich, daß wir unser eigenes Leben riskieren. Im Kreis von Fachleuten wird das Überhaupt nicht erwähnt. Ich weiß nicht, wieviele Ärzte und Helfer in den mehr als 50 Jahren des Bestehens des Robert-Koch-Institutes gestorben sind an Infektionen, die sie sich in Laboratorien zugezogen haben Es gibt keine Gedenktafel für sie. Sicher sind es mehr als 20 Forscher, die ihr Leben schweigend als Opfer hingegeben haben. Es gehört eben zu unserer Berufsethik "
Prof. Dr. Karl B r a n d t, Reichskommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen, vor dem amerikanischen Militärtribunal in Nürnberg, das ihn ungeheuerlicher- und unfaßbarerweise zum schmählichen Tode durch Erhängen verurteilte:
"Ich bin Arzt. Und vor meinem Gewissen steht die Verantwortlichkeit vor Mensch und Leben Ich habe den Menschenversuch, wie dieser auch als Problem mir begegnet sein mag, nie als eine Selbstverständlichkeit angesehen, auch nicht dort, wo er ungefährlich ist. Aber ich bejahe aus Gründen der Vernunft seine Notwendigkeit Hier stehe ich unter der furchtbaren Anklage, wie wenn ich nicht nur Arzt wäre, sondern auch ein Mensch ohne Herz und Gewissen 15 Jahre habe ich am Krankenbett mich bemüht, und jeder Patient war mir wie ein Bruder. Jedes kranke Kind habe ich umsorgt, wie wenn es mein eigenes wäre Ich wehre mich gegen den Vorwurf der Unmenschlichkeit und der niederen Gesinnung Ich weiß, wie schwer das Problem der Euthanasie ist. Ich habe mit tiefer Inbrunst mich damit gequält und gequält Ich habe die Euthanasie bejaht. Ich kenne das Problem wohl. Es ist so alt wie der Mensch. Aber es ist kein Verbrechen gegen den Menschen und keines gegen die Menschlichkeit. Ich kann hier nicht als Geistlicher glauben oder als Jurist denken. Ich bin Arzt und sehe das Gesetz der Natur als das Gesetz der Vernunft. Durch dieses wuchs in meinem Herzen auch die Liebe zum Menschen. So trage ich vor meinem Gewissen die Verantwortung Ich habe vor mir selbst das tiefe Bewußtsein, daß ich, als ich zur Euthanasie ja, sagte, dies wie heute noch in der Überzeugung tat: Es ist richtig. Der Tod kann Erlösung sein. Der Tod ist Leben, wie Geburt. Ich trage meine Last, aber es ist nicht die Last des Verbrechens. Ich trage diese Last, wenn auch mit schwerem Herzen, als meine Verantwortung. Ich bestehe mit ihr vor mir und meinem Gewissen als Mensch und Arzt "
Die Zahl der Opfer der medizinischen Versuche an Menschen
Die Lügenpropaganda hat sowohl die Zahl der Versuchspersonen als auch die der Todesopfer bzw. die Zahl der durch die Versuche dauernd Geschädigten maßlos - bis um das Tausendfache - übertrieben. In der Tat handelte es sich hierbei der Zahl nach um eine verhältnismäßig und absolut geringe Anzahl von Menschen.
Die Auswahl der Versuchspersonen erfolgte zu einem großen Teile, wenn nicht zum größten Teile aus sich freiwillig meldenden Versuchspersonen, denen besondere Vergünstigungen zugestanden wurden. Zum Teil waren es zum Tode verurteilte Verbrecher.
"Zu den Experimenten wurden Häftlinge der verschiedensten Kategorien ausgewählt; neben alten, arbeitsunfähigen, suchte man junge, kräftige Keineswegs wurden ausschließlich Juden ausgewählt. Auch Ausländer und nicht zuletzt Deutsche wurden genommen. Vielfach wurde die Auswahl als Strafe verfügt " (Kautsky, Teufel und Verdammte", Seite 311f.)
K o g o n sagte im Ärzteprozeß vor Gericht aus:
"Die Auswahl der Versuchspersonen war zu den verschiedenen Zeiten nicht gleich. In der allerersten Zeit wurden die Häftlinge aufgefordert, sich freiwillig zu melden. Es handle sich um eine harmlose Sache. Die Leute würden wesentliche Zusatzkost erhalten. Nach einem oder zwei Versuchen war es unmöglich geworden, Freiwillige zu finden. Von da ab forderte Dr. Ding den Lagerarzt oder die Lagerführung auf, ihm geeignete Personen für die Versuche zur Verfügung zu stellen. Er hatte dafür keine besonderen Richtlinien. Die Lagerführung (Häftlinge) wählte beliebig nach ihrem Gefallen aus den Häftlingen aus, ob es sich dabei um Kriminelle oder um Politische oder um Homosexuelle oder sogenannte Asoziale handelte. Auch Intrigen selbst aus dem Lager spielten dabei eine Rolle und es kamen zuweilen Leute, für die kein besonderer Grund vorlag, in die Versuchsreihen hinein Dr. Ding wandte sich an Mrugowsky mit der Bitte, der Reichsführer-SS möge Leute für die Versuche benennen. SS-Gruppenführer Nebe vom Reichskriminalpolizeiamt Berlin verfügte so7ann nach einer Richtlinie Himmlers daß nur mehr Leute verwendet werden sollten, die mindestens zehn Jahre Zuchthaus abzubüßen hatten
(Prot., Seite 1197.)
Befehl Himmlers:
"An den Chef der Sicherbeitspolizei.
Ich bin einverstanden, daß Berufsverbrecher für die Versuche mit Fleckfieberimpfstoff genommen werden. Aus den Berufsverbrechern sind aber nur solche mit mindestens zehn Jahren Haft auszusuchen. SS-Gruppenfährer Nebe soll die Zurverfügungstellung dieser Häftlinge überwachen. Ich wünsche nicht, daß der Arzt nur von sich aus ohne Gegenkontrolle aussucht.
gez. Himmler
(Doc.-Nr. 1189)
Versuche sind für die medizinische Wissenschaft unentbehrlich
Die medizinische Wissenschaft kann ohne Versuche gar nicht auskommen. Sie befindet sich dauernd auf einer ewigen Suche nach bisher unentdeckten Krankheitserregern, Heilmitteln und Heilmethoden. Besonders gegen die Millionenwürger der Menschheit, die Seuchen und Epidemien in allen Arten und Formen, den Flecktyphus, die Kinderlähmung, den Krebs und wie sie alle heißen mögen, sind die Ärzte dauernd auf der Suche nach den Erregern bzw. nach Mitteln und Wegen zu ihrer wirksamen Bekämpfung. jeder Patient ist da in Wahrheit - soweit sich seine Behandlung nicht auf in ihrer Wirkung bekannte und erprobte Heilmittel beschränkt, unvermeidbar Versuchskaninchen der behandelnden Ärzte.
Die Ärzte müssen im Interesse der Erhaltung der Gesundheit der Menschen dauernd versuchen und ausprobieren, wenn sie nicht von vornherein die Flagge streichen und sich geschlagen geben wollen. Schon seit je, also lange vor dem nationalsozialistischen Regime anerkannten die bedeutendsten Ärzte und alle Staaten die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit medizinischer Versuche an Menschen. So versuchte auch das Deutsche Reich schon vor dem nationalsozialistischen Regime die Frage des Menschenversuches durch Aufstellung von Richtlinien zu regeln.
Deutsches Reich
Rundschreiben des Reichsministers des Innern,
betr. Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher
Versuche am Menschen.
Vom 28. Februar 1931.
Der Reichsgesundheitsrat hat besonderen Wert darauf gelegt, Vorsorge zu treffen, daß alle Ärzte von den nachstehenden Richtlinien Kenntnis erhalten und nahm von diesem Gesichtspunkte aus einstimmig eine Entschließung an, wonach alle in Anstalten der geschlossenen und offenen Krankenbehandlung oder Krankenfürsorge tätigen Ärzte auf die Beachtung dieser Richtlinien bei ihrem Eintritt unterschriftlich verpflichtet werden sollten.
Endgültiger Entwurf
von Richtlinien für neuartige Heilbehandlung und für die Vornahme wissenschaftlicher Versuche am Menschen.
Selbst die Ankläger und Richter im Ärzteprozeß mußten die Unerläßlichkeit und Unentbehrlichkeit der medizinischen Versuche am Menschen anerkennen. In der Begründung des Urteils heißt es:
"Die Überzahl des dem Gerichte vorliegenden Beweismaterials belegt, daß medizinische Experimente am Menschen der ärztlichen Ethik entsprechen und daß durch diese Experimente für das Wohl der Menschheit Ergebnisse erzielt werden, welche durch andere Methoden oder Studien nicht zu erlangen sind." (Urteilsbegründung, Seite 21f.)
Viele Menschen werden die Zulässigkeit medizinischer Versuche an Menschen - besonders wenn es sich um Versuche handelt, die Schmerzen, dauernde Schädigungen oder gar den Tod der Versuchsperson herbeiführen können - unbedingt und absolut verneinen. Ein Blick auf die große Literatur über diese Frage der Zulässigkeit solcher Versuche zeigt, daß es auch hier kein allgemeines, unbedingtes und absolutes Nein gibt. Es gab und gibt hochangesehene, wertvolle, ethisch hochstehende und einwandfreie Menschen, vor allem berühmte Ärzte und Wissenschaftler, die - bei aller Gewissensqual, in die sie eine solche Entscheidung jedesmal wirft - unserem Nein" nicht beistimmen, und dies aus dem Grunde, weil hier das Leid einiger weniger Millionen und Abermillionen Menschen Leid und Tod ersparen kann.
Die Wichtigkeit, Notwendigkeit ja Unentbehrlichkeit von solchen Versuchen für die medizinische Wissenschaft ist so groß, daß viele von ihrem ärztlichen Berufe und ihrer Mission - der leidenden Menschheit zu helfen - besessene Ärzte ihre eigene Person hierfür zur Verfügung stellen und ihre Gesundheit, ja ihr Leben opfern, um vielen anderen damit zu helfen.
Es kann nicht genug gerühmt werden, daß es zur täglichen Heldengeschichte der Medizin gehört, daß sich in erster Linie Ärzte und Studenten der Medizin seit eh und je ohne Zaudern für Versuche -nur zu oft gefährlichster Art - im Dienste der leidenden Menschheit zur Verfügung stellen. Aus dieser Selbstbereitschaft und Selbstaufopferung dieser sittlich so hochstehenden Ärzte können diese wohl die Kraft zu dem schweren Entschluß ziehen, unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen im Interesse der Menschheit Versuche am Menschen vorzunehmen.
Sehr groß ist die Reihe der bekannten Fälle solcher Versuche bei allen Völkern, die wir in der medizinischen Literatur verzeichnet finden.
Versuche am Menschen in der Geschichte der Medizin
Zur Erforschung der Ursachen der furchtbaren Beriberikrankheit führte Richard P. S t r o n g in Manila Menschenversuche an zum Tode verurteilten Verbrechern durch.
Pellagraversuche führte Goldberger 1915 im Staate Mississippi an zwölf Verbrechern durch.
Das Worcester-Institut in Manila prüft laufend neue Arzneimittel an Häftlingen des Bilibid-Gefängnisses gegen Belohnung.
Durch eine Kommission des Oberbürgermeisters von New York wurden an 77 Häftlingen Versuche mit Haschisch unternommen.
Streptokokkeneinspritzungen wurden an 25 amerikanischen Häftlingen nach freiwilliger Meldung vorgenommen.
800 Häftlinge aus drei amerikanischen Gefängnissen wurden nach freiwilliger Meldung künstlich mit M a l a r i a infiziert.
An elf zum Tode verurteilten Verbrechern wurden toxikologische Versuche angestellt.
Die Zeitschrift "Match" berichtet am 23. Februar 1957 von Versuchen, die im Februar 1956 an 14 Insassen des Gefängnisses in Columbus (USA) stattfanden, denen (mit ihrer Einwilligung) der Krebsvirus eingeimpft wurde.
Der Marine-Chefarzt Dr. Frangois Bayle berichtet in seinem Buche "Croix gamme contre croix caducée" ("Hakenkreuz gegen Äskulapstab", Neustadt in der Pfalz, 1950) von Versuchen von Franzosen und Engländern in ihren Kolonien zur Erprobung eines Serums an 6000 Negern, wobei es Todesopfer gab.
Paul de Kruif bringt in seinem Buch "Bezwinger des Hungers" einige Beispiele von Versuchen an Menschen (Seite 324-326).
Prof. Dr. Hans Luxemburger und Dr. Erich H. Hahlbach bringen in ihrer eingehenden Arbeit Der Menschenversuch in der Weltliteratur" sehr viel Material zu diesem Problem.
Die Verteidigung legte dem Tribunal zahllose Beispiele über Versuche an Menschen, zahlreiche Auszüge aus dem internationalen Schrifttum und umfassendes Vergleichsmaterial über Versuche an Menschen in aller Welt zu allen Zeiten und bei allen Völkern vor. Die Anklagevertretung erhob heftigen Einspruch gegen die Vorlage dieses erdrückenden und entlastenden Beweismaterials und suchte seine Anerkennung als Gerichtsdokument zu verhindern.
Dieses umfassende Entlastungsmaterial ist in den Dokumentenbüchern der Verteidigung enthalten; so u. a. in Doc. Becker-Freyseng; Doc. Karl Brandt; Doc. Gerhard Rose; Joachim Mrugowsky u. a. Bei dieser Situation ist die Bitterkeit verständlich, mit der sich ein Verteidiger an das Tribunal und die ganze Welt wendete:
"Die Anklage beruft sich auf das Strafrecht aller Länder, das die Grundlage für die Beurteilung der Handlung (Versuche am Menschen) abgeben soll. Die Anklage hat einen ganzen Tag einen Sachverständigen gebraucht, der sich über die ethische Frage geäußert bat. Der Zweck war, damit das Fundament der Anklage zu schaffen Ich brauche nicht darauf einzugehen, ob all diese Experimente, die in Artikeln und Büchern geschildert sind, wirklich der Wahrheit entsprechen. Für mich ist ein wesentlicher Gesichtspunkt, daß diese Dinge, soweit sie anderwärts in der Welt geschehen, überall von der Öffentlichkeit akzeptiert werden, z. B. in Amerika ("LIFE"-Aufsatz in Doc. 1), wo sich keine Hand geregt hat, um gegen solche Versuche anzugehen. Und dies ist nicht ein Einzelfall. In allen Ländern liegt seit vielen Jahren das gleiche vor. Im Dokumentenband Karl Brandt 3 habe ich aus der Literatur eine große Zahl von Fällen zusammengetragen, die jeden, der sie liest, in Erstaunen versetzen. Aber noch mehr erstaunt, daß sich niemand in der Welt darüber aufgeregt hat. Und wenn man nun hier im selben Fall Anklage erhebt und sich auf die Gesetze der Menschlichkeit beruft, dann muß es von Bedeutung sein, wenn wir Ihnen beweisen, daß immer und überall anderswo die Menschlichkeit bis jetzt nicht so aufgefaßt wurde." (Prot., Seite 2789 f .)
Und ein anderer Verteidiger führte aus:
"Um zu einem gerechten Urteil zu kommen, ist es nötig, die tatsächlichen Verhältnisse auf dem bestimmten in Verhandlung stehenden Gebiet zu untersuchen Das gilt insbesondere für die Beurteilung der Frage, ob ein medizinisches Experiment ein Verbrechen darstellt Bei der Prüfung dieser Frage kann es nicht gleichgültig sein, wie Ärzte in anderen Ländern in einer solchen Situation sich verhalten. Es ist also entscheidend, ob auch in anderen Ländern, unter Anwendung der allgemein gültigen, ärztlichen und ethischen Überzeugungen Ärzte dazu kommen können, im Interesse eines höheren Zieles oder im Hinblick auf einen besonderen Notstand, derartige Versuche durchzuführen Die von der Verteidigung vorgelegten Beweisstücke sind nun beweiserbeblich, weil sie das Gericht in die Lage versetzen sich an der Wirklichkeit des Lebens auszurichten Genauso, wie man im Völkerrecht nicht vorbeigehen kann an der tatsächlichen Praxis der Staaten, genau so wenig ist es möglich, bei der Beurteilung der Frage, ob ein bestimmtes medizinisches Experiment ein Verbrechen darstellt, die Praxis anderer Ärzte und anderer Länder außer acht zu lassen." (Prot., Seite 2791.)
Die meisten Todesopfer erforderten die Fleckfieberversuche. Aus dem dem Gericht vorgelegten Beweismaterial über nichtdeutsche Fleckfieberversuche seien hier erwähnt:
Blanc et Baltazard, "Action de la bile sur le virus du typhus murin".
"Comptes Rendues de la Société de Biologie", 124/1937/I/Seite 428 f.
Hamdi, "Über die Ergebnisse der Immunisierungsversuche gegen Typhus exant". Zeitschrift für Hygiene, 1916, 82.
Heilbrunn, "Infektionsversuche am Menschen". 1937, Würzburg. Inauguraldissertation Otera. Agente patogene del tifo exantematico. Gazeta med. del Mexico.
Appendice 1908.
Sergent Edm. u. a., Transmission à l'homme au singe du typhus exanthematique". Comptes Rendues Ac. Sci. 158/965 (1914).
Sparrow, "Recherches expérim. sur le typhus exanthematique". Comptes Rendues Soc. Biol. 91, 1341/89, 1349, 1923.
Veintemillas, Schutzimpfung von Menschen gegen das mexikanische Hodenfleckfieber". Doc.-Nr. 3964.
Yersin A. et Vassal J. J., "Une maladie rappelant de typhus exanthématique observé en Indochina". Bulletin Soc. Pathol. exot. 1908, Seite 156.
Trotz alledem lautete das amerikanische Urteil auf sieben Mal Henkertod und sieben Mal lebenslänglichen Kerker. Und zur gleichen Zeit, als die Amerikaner den Ärzteprozeß vorbereiteten, führten sie an deutschen Patienten Versuche durch! Der Verteidiger Prof. Doktor Karl Brandts legte nachstehend zitierte Schriftstücke als Beweisstück KB 93 dem Tribunal vor:
Headquarters Military-Government North-Rhine-Region
NR/PH 2457
Betrifft: Arztlicher Forschungsausschuß.
Oberpräsident Nord-Rheinprovinz.
22. Juni 1946
gez. Unterschrift
für Brigadier
Deputy Regional Commissionar
North-Rhine-Region
Wie aus einem Begleitbrief an die Regierungspräsidenten in Aachen, Düsseldorf und Köln hervorgeht, handelte es sich um Versuche wegen Nierenfunktionsprüfungen.
Der Staat als Auftraggeber der medizinischen Versuche am Menschen
Die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit des Versuches am Menschen kann ernstlich nicht bestritten werden; aber es ist rechtlich nicht tragbar, die Entscheidung über die Durchführung solcher Versuche dem einzelnen Arzt zu überlassen, und sei er ein sittlich und fachlich noch so hochstehender Mensch. Nur der Staat kann in gewissen Fällen, vor allem in Zeiten der Not, die Vornahme lebensgefährdender und gesundheitsschädigender Versuche anordnen. Die Anordnung des
Staates aber ist ein Strafausschließungsgrund für den durchführenden Arzt. Auf diese entscheidende Tatsache wies der Verteidiger des Angeklagten Prof. Dr. Gerhard Rose hin, als er in seinem Plädoyer ausführte:
(Closingbrief Rose, Seite 87 1.) Das geltende Völkerrecht kennt den Rechtsbegriff der Selbsterhaltung. Theorie und Praxis stimmen darin überein, daß die Übertretung von Geboten und Verboten des Völkerrechts dann zulässig ist, wenn eine solche Übertretung zur Rettung aus einer dringenden Gefahr für den Lebensgüterbestand notwendig ist und ein anderer Weg zur Beseitigung der Gefahr nicht vorhanden ist. Im Kern ist das nichts anderes als der innerstaatliche Notstandsbegriff, nur daß die Voraussetzungen für das Vorliegen des völkerrechtlichen Rechtes auf Selbsterhaltung etwas milder sind, als die für Notstand nach innerstaatlichem Recht erforderlichen Es fehlt jeder Grund, dieses Recht nicht auch dann zu bejahen, wenn es 5ich um eine gefährliche Seuche handelt.
Hier scheint die Anerkennung des Selbsterhaltungsrechtes um so berechtigter, als die Beseitigung der Fleckfieberseuche nicht nur im deutschen Interesse lag, sondern auch in dem der Kriegsgegner Deutschlands, ihrer Zivilbevölkerung, ihrer Armeen und besonders der in deutscher Hand befindlichen Kriegsgefangenen, auf die die Seuche schon übergegriffen hatte. Daß das Selbsterhaltungsrecht des Staates auch zur Beseitigung von Notständen zulässig ist, die von Naturgewalten ausgehen, wird von den Völkerrechtslehrern bejaht." (Vgl. hiezu Oppenheim, International Law, 6. Auflage, 1947, Seite 226, Anm. 2 u. v. a.)
Menschenversuche in den USA 1963
Mehr als sonstwo in der Welt werden in den USA Menschenversuche, u. zw. oft in wissenschaftlich sehr gewagten Experimenten angestellt. Die US-Mediziner stellen in vollem Bewußtsein ihrer schweren Verantwortung Menschenversuche an, weil sie wissen, daß sie damit dem Heile der ganzen Menschheit und der Zukunft dienen.
So besonders auf dem Gebiete der L e u k ä m i e. Die Leukämie ist eine furchtbare Krankheit, der K r e b s im Blute. Sie führt fast immer zum Tode. Dennoch haben amerikanische Ärzte gesunden Menschen Gewebsextrakte von Leukämie eingespritzt, um zu erforschen, ob Leukämie auf diese Weise übertragen werden könne. Dies geschah in Chicago.
In Ohio versuchten Ärzte, ob es möglich sei, durch Injektion von K r e b s zellen gesunde Menschen anzustecken.
Die amerikanische Medizin rühmt sich dieser Menschenversuche sehr und stellt fest, daß sie dadurch wichtige medizinische Erkenntnisse gewonnen habe.
Die amerikanischen Menschenversuche beschränken sich keineswegs auf die Krebsforschung. In Philadelphia wurden, um neue Heilmethoden zu ergründen, Menschen absichtlich schwere Brandwunden zugefügt - von Ärzten.
Ebenfalls in Philadelphia sind, ebenso versuchsweise, Menschen mit Thalidomid "behandelt" worden; das ist der Grundstoff des Unglückspräparates Contergan. Und das zu einer Zeit, da längst bekannt war, welch furchtbare Schäden das früher für harmlos gehaltene Schlafmittel" verursachen kann.
Im Staate Maryland experimentierten die Ärzte mit neuen Impfstoffen gegen Grippe und Schnupfen - ebenfalls an Menschen.
Die menschlichen Versuchskaninchen waren in allen Fällen Sträflinge. In den US-Bundesgefängnissen wurden 1962 allein 3200 Strafgefangene zu solchen Experimenten herangezogen. Sie haben sich durchwegs freiwillig gemeldet. Manchmal bekamen sie Geld dafür; so jene, die sich Brandverletzungen zufügen ließen. Diese erhielten 50 Dollar (1250 Schilling, 192 DM). Andere, so die an Krebsversuchen Beteiligten, erhielten nichts.
Im amerikanischen Buche "An American Doctor's Odyssee" werden Experimente geschildert, die die amerikanischen Forscher Fraser und Stanton mit der gefürchteten Beriberikrankheit an Strafgefangenen anstellten.
Fast zu eben der Zeit als man deutschen Ärzten deshalb den Prozeß als gemeine Verbrecher machte, berichtete die "Time" (24. Juni 1946):
"Amerikanische Wissenschaftler haben Experimente vorgenommen mit Tuberkuloseschutzimpfungen an 3000 Indianern. Die Hälfte wurde mit diesem Schutzmittel geimpft, die andere Hälfte erhielt eine harmlose Salzinjektion. 40 Tuberkulosefälle haben sich dann entwickelt. 158 Fälle reagierten nicht, 38 gingen tödlich aus. Und zwar wurden die Experimente an nicht taberkulösen Indianern vorgenommen."
Das amerikanische Nachrichtenmagazin "Time" schreibt:
"Ein wesentlicher Anteil des medizinischen Fortschrittes ist auf die Experimente zurückzuführen, die in den Gefängnissen an Freiwilligen durchgeführt wurden."
Der Generalarzt des amerikanischen Gesundheitsdienstes, Günther Terry, begeisterte sich noch mehr:
"Sträflinge haben einen enormen Beitrag zur medizinischen Forschung geleistet."
Die Zeitung "The News", Albany, vom 16. Jänner 1967 (vgl. auch die deutsche medizinische Zeitschrift "euromed", Nr. 4, vom 21. Februar 1967) berichtet:
"Senator Seymour R. Thaler vom New Yorker Staatsdepartement untersuchte als Mitglied des Ausschusses für Gesundheitswesen die Krankenhäuser New Yorks und der Umgebung und berichtet über die dort vorgenommenen Versuche an Menschen:
Die medizinischen Versuche am Menschen in den KZ: zum Abschluß
Ich danke Gott, daß er mir in meinem bisherigen Leben die furchtbare Gewissensqual ersparte, in der sich jene Ärzte und Forscher befanden, die in den KZ Versuche an Menschen machten. Ich, für meine Person gesprochen, hätte nicht die Kraft, einen Menschen zu ermorden, auch wenn ich durch diese Tat Tausenden Menschen das Leben retten würde.
Aber ich halte es für eine Vermessenheit, einen Menschen, der das tut, deshalb wie einen gemeinen Mörder zum Tode zu verurteilen und hinzurichten. Nur Haß und Rache können einen zu einem solchen Urteil verblenden und damit selber zum Mörder machen. Das Urteil der amerikanischen Gerichte war ungeheuerlich und vermessen, es war ein - unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit verübtes - Racheurteil, es war reine Rache
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