Josef Kramers zwei schriftliche Erklärungen, wie sie in dem Buch "The Belsen Trial", hrsg. Fyfe, wiedergegeben sind.
"Erklärung von Josef Kramer
Ich bin am 10. November 1906 in München geboren. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Ich habe mich 1932 freiwillig zur SS gemeldet; ich hatte keinerlei Ausbildung und wurde zum Dienst in einem Konzentrationslager eingeteilt. Ich habe mich nicht freiwillig für diese spezielle Art von Dienst gemeldet. Als der Krieg ausbrach, wurde die SS von der Wehrmacht übernommen, und ich meldete mich freiwillig zur Front, weil ich lieber gekämpft hätte, aber mir wurde gesagt, ich hätte den Einsatz durchzuführen, für den ich eingeteilt war. Mein erster Rang war Unterscharführer, und meine Beförderung zum Scharführer und Oberscharführer geschah 1934 und 1935. An die genauen Daten kann ich mich nicht mehr erinnern.
Dachau : Im Jahre 1936 war ich im Verwaltungsbüro des Konzentrationslagers in Dachau. Der Kommandant des Lagers war Standartenführer Loritz. In dem Lager waren nur deutsche Häftlinge. Ich bin nicht absolut sicher, aber soweit ich mich erinnere, waren alle Deutsche. Die SS-Einheit war Wachtruppe Oberbayern. Es waren in diesem Lager nur politische, kriminelle und asoziale Häftlinge. Asoziale sind Leute wie beispielsweise Bettler und Zigeuner und Leute, die nicht arbeiten wollen. In dem Lager wurden keine Todesurteile vollstreckt. Die einzigen Fälle, bei denen Menschen getötet wurden, waren die, als sie zu fliehen versuchten, in welchem Falle die Wache Befehl hatte, zu schießen. In Fällen, wo geschossen wurde, als Häftlinge versuchten zu fliehen, führte die Polizei Untersuchungen durch. Ich verließ dieses Lager Anfang Juni 1937.
Sachsenhausen : Von Dachau kam ich nach dem Lager Sachsenhausen. Außerhalb der Reihe wurde ich zum vorläufigen Untersturmführer befördert. Als ich nach Sachsenhausen ging, gehörte ich dort zur Lagerführung. Die Häftlinge in Sachsenhausen bestanden aus den gleichen drei Typen wie im vorigen Lager. Der Lagerkommandant war Standartenführer Baranowsky. Todesurteile wurden in diesem Lager nicht vollstreckt. Mir unterstand die Poststelle, und darum erfuhr ich nicht alles, was vorging, aber ich hörte manchmal, daß Leute bei Fluchtversuchen erschossen worden sind.
Mauthausen : Das nächste Konzentrationslager war Mauthausen in Österreich. Dieses Lager war gerade im Aufbau, als ich hinkam. Der Kommandant war Standartenführer Ziereis. Hier hatte ich den gleichen Rang wie vorher. Während ich in diesem Lager war, wurde ich zum Obersturmführer befördert. Ich glaube, es war im Januar 1939, und ich war eine Art Adjutant, hatte das Büro unter mir und stand dem Kommandanten zur Verfügung. Die Häftlinge waren alles Deutsche und die drei gleichen Typen, wie ich vorher schon beschrieben habe. Der letzte Typ, d.h. Landstreicher und Herumlungerer, bestand hauptsächlich aus Österreichern, wovon es dort anscheinend viele gab, als Österreich von Deutschland übernommen wurde. Es waren dort zwischen 1.500 und 2.000
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Häftlinge und alles Männer. Dazu gehörten auch jüdische Häftlinge. Im Lager war genügend Platz für alle, als ich dort war. Keiner der Häftlinge wußte zur Zeit, als er ankam, wann er wieder entlassen würde. Es gab nur einige, die zu Strafen von drei oder sechs Monaten verurteilt waren, und der größte Teil der Häftlinge war dort für einen unbestimmten Zeitraum. Einzelhaft sowie Einzelhaft bei Wasser und Brot oder Extraarbeit an Sonntagen waren die Strafen für Verstöße gegen die Disziplin. Die Häftlinge sind niemals geschlagen worden, auch weiß ich keinen Fall von Erschießen. Gefangenenausbrüche kamen vor, aber ich war nie dabei, wenn jemand versuchte, zu fliehen. Ich saß im Büro, und wenn dann das Telefon klingelte, und einer der Wachen berichtete dann, daß einer der Häftlinge versucht hatte, zu fliehen. Meine Aufgabe war es dann, hinauszugehen und nachzusehen, wo der Häftling gearbeitet hatte und wie es möglich war, daß er fliehen konnte. Wir benachrichtigten dann die Polizei und gaben die Personalien des Geflohenen durch. Die Weisungen lauteten, daß kein Häftling über eine bestimmte Grenze hinausgehen durfte. Tat es ein Häftling doch, so mußte die Wache ihn dreimal mit den Worten "Halt oder ich schieße" auffordern, dann einmal in die Luft schießen und erst der zweite Schuß sollte töten. Es ist schwer zu sagen, wie oft diese Art Schießerei stattfand, während ich in dem Lager war, weil es schon so lange her ist. Ich glaube, daß 10 bis 15 Leute erschossen worden sind, aber genau kann ich das nicht angeben. Jeder Fall von Schießen mußte den Dienststellen in Mauthausen und Linz gemeldet werden. Die nächstgelegene größere Stadt führte eine Untersuchung durch. Wenn auf jemanden geschossen oder jemand auf der Flucht erschossen worden war, wurde die entsprechende Wache sofort unter eine Art offenen Arrest gestellt, aber niemand ist je wegen falschen Schießens schuldig gesprochen worden. Die meisten der Leute, die auf diese Weise erschossen worden sind, waren Kriminelle oder Vagabunden, wobei der Grund dafür der war, daß der größere Teil der Lagerinsassen zu dieser Kategorie gehörte.
Die Todesfälle, die vorkamen, hatten meistens natürliche Ursachen. Sobald jemand starb, mußten seine Angehörigen und die Stellen, die ihn ins Lager geschickt hatten, benachrichtigt werden. Es gab einen sehr harten Winter, als die Sterbefälle anstiegen, aber sonst hatten wir sehr wenig Tote. Die Häftlinge lebten in Holzbaracken mit übereinander montierten Dreierbetten, 250 bis 300 Mann je Gebäude. Während ich in diesem Lager war, inspizierte Obergruppenführer Eicke, dem alle Konzentrationslager unterstanden, das Lager drei- oder viermal, aber an die Daten kann ich mich nicht mehr erinnern. In diesem Lager befanden sich keine Kriegsgefangenen. Es kamen ein paar mehr politische Gefangene herein, aber großer Zuwachs bestand nicht. Sie waren meist Österreicher. Weder in Dachau noch in Mauthausen waren Mitglieder der ehemaligen österreichischen Regierung oder aus Schuschniggs Partei. Mir war das Verwaltungsbüro unterstellt, und ich hatte mit der ein- und ausgehenden Post für den Kommandanten zu tun. Ich pflegte ihm die Post vorzulesen, und er gab mir seine Befehle, die ich dann an die verschiedenen Unterführer weitergab. Die Vollmachten der Kommandanten hinsichtlich der Bestrafung von Häftlingen waren nicht genau festgelegt, aber ich glaube, er konnte bis zu 21 Tagen geben. Er war der einzige, der Disziplinargewalt hatte. Ich weiß die Zahl der Häftlinge nicht mehr, als ich aus dem Lager wegging, aber das Lager war voll. Die Gesamtbelegung wurde jeden Tag registriert, aber an die Zahl kann ich mich nicht mehr erinnern. Einige der Häftlinge wurden in andere Lager verlegt. Diese Verlegungen wurden nicht entsprechend der Art der Häftlinge vorgenommen, sondern nach der Art der Arbeiten, die wir getan haben wollten und nach Berufen. Als ich da war, wurden einige freigelassen. Ich weiß nicht mehr, ob es Politische oder andere Häftlinge waren, aber ich erinnere mich, daß ich an
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Hitlers Geburtstag, 20.4.1940, 50 Häftlinge im Hof sah, die zur Entlassung bereitstanden.
Auschwitz : Ich ging nach Auschwitz im Mai 1940. Ich wohnte mit meiner Familie in einem Dorf außerhalb des Lagers. Ich hatte in dem Lager ein Büro, wo ich tagsüber arbeitete. Der Kommandant des Lagers war Obersturmführer Höß. Ich war Adjutant. Ich weiß die Zahl der Lagerführung nicht mehr, als ich kam. Der größte Teil der Häftlinge in Auschwitz bestand aus polnischen Politischen. Es waren wenige da, als ich ankam, da das Lager gerade erst gebaut worden war. Als ich vier Monate nach meiner Ankunft wegging, waren es alles feste Gebäude aus Stein, die von den Polen gebaut worden waren. Da gab es Männer, Frauen und Vieh, die in den Holzgebäuden lebten. Die Steingebäude waren leer. Die früheren Insassen der Holzbaracken wurden verlegt. Als ich anfing, bestand die Lagerverwaltung nur aus mir und einem Büroangestellten, ferner war da nur eine SS-Kompanie als Wache. Ich weiß den Namen der Kompanie nicht mehr, aber sie wurde als "Wachkompanie Konzentrationslager Auschwitz" bezeichnet. Diese Kompanie hatte keine Feldpostnummer. Der ranghöchste Offizier war der Lagerkommandant; nach ihm kam der Chef der Wachkompanie, Obersturmführer Plorin. Außer dem Kompaniechef waren da keine weiteren Offiziere. Die Kompaniezüge wurden von Unteroffizieren befehligt. Es gab drei Abteilungen je Kompanie mit 30-40 Mann in einem Zug. Das war je nach Bedarf unterschiedlich. Außer dem Lagerkommandanten, mir und der SS-Kompanie war da sonst keiner. Später kam noch ein Büroangestellter dazu. Es waren da 40 oder 50 SS-Leute, die nicht zur Wachkompanie gehörten, aber für Lagerverwaltungsarbeiten im Lager zuständig waren, wie beispielweise für Vorgänge in der Küche oder den Baracken usw.
Ich weiß die Zahl der Häftlinge im Lager nicht mehr. Es mögen 3.000 bis 4.000 Mann gewesen sein, aber da möchte ich mich nicht festlegen. Untersturmführer Meyer unterstand die Lagerverwaltung. Ich weiß seinen Vornamen nicht mehr, weil ich mich immer von den anderen weghielt. Der Grund dafür war, daß ich meine Familie bei mir hatte. Es war auch ein Doktor da und ich glaube, er hieß Potau. Er kam aus Oberschlesien. Er ist später gestorben, aber daran erinnere ich mich nicht mehr so genau. Es war da noch ein anderer Untersturmführer Namens Meier (oder Meyer), der für die Häftlinge verantwortlich war. Ich glaube, er hieß Franz mit Vornamen. Der Kommandant erteilte die Befehle an den befehlshabenden SS-Offizier der Wache. Seine Befehle kamen von der nächsthöheren SS-Formation. Diese war das Wirtschaftsverwaltungshauptamt, Berlin, Amtsgruppe D, Berlin-Oranienburg.
Wenn Häftlinge ankamen, wurden wir von der Gestapo in Kattowitz benachrichtigt. Es gab auch Fälle, in denen Häftlinge von gewöhnlichen Polizisten gebracht wurden, die auch deren Personalakten mitbrachten. Sie kamen meistens in Gruppen. Sie kamen in Zügen auf dem Bahnhof Auschwitz an und wurden von da mit Transportwagen abgeholt. Die Häftlinge waren alles Männer. Es gab keine Verhöre durch die Gestapo im Lager. Alle Vernehmungen wurden durchgeführt, bevor die Häftlinge ankamen. Da war im Lagerstab ein Polizeibeamter, der sich mit Kriminellen befaßte, gegen die vorher ein Verfahren gelaufen war. Ich weiß seinen Namen nicht mehr. Er blieb nur eine kurze Zeit und wurde dann von einem anderen abgelöst. Wenn die Häftlinge ankamen, waren manche von ihnen gesund und manche nicht, aber keiner wies Merkmale von Mißhandlung oder Unterernährung auf. Ich glaube, daß in der Zeit, in der ich da war, es keine Zellen für Einzelhaft gegeben hat, aber, wie ich schon erwähnte, das Lager war erst in seinem Anfangsstadium. Wie für deutsche Politische und deutsche Häftlinge galten auch die gleichen Regeln für die Polen und später auch für die Russen. Es gab keinen Unterschied. Eines der Steingebäude diente als Krankenhaus. Dieses Gebäude unterschied sich in
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keiner Weise von den anderen Gebäuden. Neben dem einen von mir bereits erwähnten Arzt gab es noch einen anderen Doktor aus den Reihen der Internierten, unter denen sich viele Ärzte und Medizinstudenten befanden. Es stand nicht in meiner Macht, dem medizinischen Personal Befehle zu erteilen, da dieses dem Kommandanten direkt unterstand. Die Sterberate betrug grob gerechnet ein Prozent, im Sommer, oder möglicherweise anderthalb Prozent - das war der Wochendurchschnitt. Es handelte sich um natürliche Todesfälle und hing davon ab, wie ihr Zustand gewesen war, als sie ankamen. Der Lagerarzt machte Berichte und ich als Adjutant sah sie durch. Im Durchschnitt bekam ich 30 solcher Berichte pro Woche. Die Häftlinge, die gestorben waren, wurden verbrannt. Es arbeiteten Häftlinge im Krematorium unter dem Befehl der Wache. Die Asche wurde den Angehörigen zugeschickt, wenn diese sie anforderten.
Während ich in dem Lager war, gab es sehr wenige Entlassungen. Diese Entlassungen wurden ausschließlich von der Gestapo in Berlin genehmigt und zwar für politische Häftlinge; oder von Polizeidienststellen für gewöhnliche Kriminelle. Die Gestapostelle, die für das Lager zuständig war, war das Gestapohauptquartier in Kattowitz. Ob es noch eine andere Dienststelle zwischen Kattowitz und dem Zentralhauptquartier in Berlin gab, weiß ich nicht. Die Gestapoleute waren entweder Zivilisten in Zivilkleidung oder in Uniform, ohne besondere Kennzeichen. Einige von ihnen trugen ein SD-Abzeichen. Der SD und die Gestapo waren zweierlei. Ich unterstand der SS für meine Befehle. Und so war es auch mit dem Lagerkommandanten. Doch die Gestapo befaßte sich mit den politischen Häftlingen im Lager. Jede körperliche Bestrafung mußte von Berlin genehmigt werden. Die Lagerdienststellen durften keine körperlichen Strafen genehmigen. Im Anfang wurde körperliche Züchtigung von den Wachen ausgeführt, aber später wurde das von Berlin verboten und die Häftlinge mußten die Bestrafungen selber ausführen. Ich weiß nicht, warum dieser Befehl aus Berlin kam. Er war von Gruppenführer Glücks unterschrieben und kam aus Oranienburg.
Dachau : Zwischen dem 15. und 20. November 1940 ging ich zurück nach Dachau. Bis dahin war ich immer im Büro beschäftigt gewesen, zuerst als Schreiber, dann als Adjutant, und jetzt sollte ich mir Kenntnisse über die Arbeit aneignen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit den Häftlingen stand. Ich sollte als Lagerführer ausgebildet werden. Meine Versetzung wurde von der zentralen SS-Organisation in Berlin genehmigt. Als ich in Dachau ankam, lief das Lager in reibungsloser Ordnung und bestand aus 30 oder 32 Holzbaracken insgesamt zur Unterbringung aller Häftlinge einschließlich Krankenstube usw. Die Zahl der Häftlinge in einer Baracke variierte zwischen 300 und 450. Die Gesamtzahl der Häftlinge lag zwischen 13.000 und 14.000. Es waren dort drei SS-Kompanien (120 bis 150 Mann in jeder Kompanie) als Wachmannschaften und das Verwaltungspersonal zählte 100 oder 120 Mann. Die Offiziere der Wachkompanien waren keine beruflichen SS-Männer. Es waren Leute, die aus Handwerks- oder freien Berufen zur Wehrmacht eingezogen und dann zur SS überstellt worden waren. Dann wurden sie von der SS in ihre besonderen Dienste eingeteilt, d.h. für Konzentrationslager; sie haben sich für diesen Dienst nicht freiwillig gemeldet. Sie erhielten ihre Befehle vom Kommandanten, der seinerseits Befehle aus Berlin-Oranienburg bekam. Der Name des Kommandanten war SS-Obersturmführer Piorkowski. Der nächste im Rang nach dem Kommandanten war der Lagerführer, Hauptsturmführer Eill. Seinen Vornamen weiß ich nicht mehr. Einem Offizier unterstand die Verwaltung, Hauptsturmführer Wagner. Dann waren die drei Kompaniechefs, deren Namen ich nicht mehr weiß.
Die Häftlinge waren alles Männer und bestanden aus Kriminellen und
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Politischen, wie vorher, und ein neuer Typ, nämlich Polen und Russen, die Kriegsgefangene waren und zu bestimmten Arbeiten eingeteilt wurden, beispielsweise Landarbeiten, und die geringfügigere Vergehen begangen hatten, wie Fluchtversuch oder Arbeitsverweigerung; sie waren deswegen ins Konzentrationslager eingeliefert worden. Diese Kriegsgefangenen waren interniert, weil sie diese Straftaten begangen hatten. Zu dieser Zeit waren es nur Gefangene von der Ostfront, nämlich Polen und Russen. Ich bin darauf hingewiesen worden, daß der Krieg in Rußland erst im Juni 1941 angefangen hat, wohingegen ich von da im April 1941 weggegangen bin, wenn das so ist, muß ich das mit Auschwitz verwechselt haben. Ich war da (in Dachau) nur zu einer Art Ausbildung und hatte mit der Organisation des Lagerbereichs sehr wenig zu tun. Ich kann mich an keinen Gefangenenausbruch erinnern. Auch die Sterberate weiß ich nicht mehr, weil das nichts mit mir zu tun hatte, aber ich weiß, daß es ein sehr gutes Lager war.
Da war eine Möbelfabrik und Häftlinge arbeiteten darin als Zimmerleute und Tischler, auch als Schneider und Schuster. In Ausnahmefällen durften Häftlinge auch außerhalb des Lagers arbeiten wie beispielsweise als Gärtner. Solange ich dort war, gab es etwa vierzig bis fünfzig Mann Neuzugänge pro Woche. Es gab wenig Verlegungen und sehr wenig Entlassungen. Die Häftlinge kamen von der Gestapo in München. Von der Lagerverwaltung organisierte Gruppen, die das Lager besuchten und darin herumgingen, waren eine regelmäßige Erscheinung und zwar etwa zwei- oder dreimal die Woche. Diese Gruppen wurden meistens aus prominenten Gästen aus dem Ausland gebildet, Staatsmännern sowie Politikern aus mit Deutschland verbündeten Ländern. Hohe deutsche Beamte sind niemals in dem Lager gewesen.
Natzweiler : April 1941 bis 10. oder 15. Mai 1944. Meine Stellung in Natzweiler war Lagerführer und im Oktober 1942 wurde ich zum Lagerkommandanten ernannt. Vor dieser Ernennung war ich zum Hauptsturmführer befördert worden. Als ich in das Lager kam, war der Kommandant Sturmbannführer Hüttig. Für die Lagerverwaltung war Obersturmführer Faschingbauer verantwortlich. Der Lagerarzt war Obersturmführer Eiserle. Chef der Wachkompanie war Obersturmführer Peter. Das Verwaltungspersonal bestand am Anfang aus 20 und am Ende aus 70 bis 75 Mann. Das Lager ist sehr klein. Als ich dahinkam, waren noch keine Häftlinge da, weil das Lager gerade gebaut worden war. Als ich im Mai 1944 wegging, waren dort 2.500 bis 3.000 Häftlinge, bestehend aus den drei üblichen Kategorien : Politische, Asoziale, Kriminelle, und später polnische und russische Kriegsgefangene, die kleinere Straftaten begangen, zu fliehen versucht oder die Arbeit verweigert hatten. Es waren dort auch einige 100 Häftlinge aus Luxemburg. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, ob da auch französische Gefangene waren oder nicht. Die Häftlinge kamen mit ihren Papieren an, auf denen ihre Nationalität stand, an Einzelheiten kann ich mich aber nicht erinnern, weil ich die Papiere nicht selbst durchgegangen bin. Keiner dieser Leute kam direkt in das Lager; sie alle kamen aus anderen Konzentrationslagern. Ich kann daher nicht sagen, weswegen sie ins Lager kamen, aber soweit ich weiß, gehörten sie alle zu den bereits beschriebenen drei Kategorien.
Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, daß Häftlinge für Experimente an einen Arzt in Straßburg ausgeliehen worden sein sollen. Ich erinnere mich nicht an Professor Pickard in Straßburg. Es ist völlig unmöglich, daß Versuche irgendwelcher Art an Häftlingen ohne mein Wissen vorgenommen worden sind, denn in meinen beiden Positionen als Lagerführer und später als Lagerkommandant hätte ich das wissen müssen. Obergruppenführer Glücks vom Ministerium in Berlin kam zweimal am Anfang zur Inspektion ins Lager, einmal im Sommer 1941 und einmal im Frühjahr 1942. Der Besuch von Gruppenführer
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Pohl fand Ende April oder Anfang Mai 1944 statt. Das einzige, wonach Glücks fragte, war, wieviel politische und wie viele Asoziale im Lager wären. Ausländer galten als politische Häftlinge. Er hat nicht nach ihrer Nationalität gefragt. Von britischen Gefangenen, die dort gewesen sein sollen, weiß ich nichts. Ich habe niemals ein Dokument gesehen, das die Nationalität irgendeines Häftlings als britisch auswies.
Im Lager waren 15 Holzbaracken und in jeder bis zu 250 Insassen. Das Lager lag oben auf dem Hügel und mein Büro stand an der Lagergrenze. Ich wohnte am Fuß des Hügels mit meiner Familie. Die Offiziere waren alle verheiratet und wohnten mit ihren Familien im Dorf. An einen Wechsel im Personal kann ich mich erinnern; Obersturmführer Peter, der die Wachkompanie befehligte, wurde versetzt und von einem Obersturmführer Namens Meier abgelöst. Ich kenne keinen der Rottenführer, die dort waren. In dem Lager war ein Krematorium. Die Sterberate hing von der Jahreszeit ab. In der guten Jahreszeit waren es 7 bis 8 Sterbefälle pro Woche und in der schlechten 15 bis 18. Sie alle starben eines natürlichen Todes. Der gleiche Vorgang, wie bereits beschrieben, vollzog sich dann, nämlich die Angehörigen und die Dienststelle, die sie ins Lager eingewiesen hatte, zu benachrichtigen.
Es war dort nur ein Lagerarzt (Obersturmführer Eiserle), und vier oder fünf Krankenpfleger (Deutsche). Es gab Ärzte und Medizinstudenten unter den Häftlingen, die dem Lagerarzt zur Hand gingen. Viele Menschen von über 50 Jahren starben an natürlichen Ursachen, wie Herzkrankheiten. Im Vergleich zu anderen Lagern war die Sterberate in diesem Lager sehr niedrig. Ich pflegte ins Arbeitszimmer des Doktors zu gehen, und er erklärte mir verschiedene Dinge, wie beispielsweise die Versorgung mit Medikamenten, die er hatte, aber da das alles in Latein war, wußte ich nicht wirklich, um was es sich handelte. Er hat sich nie über Mangel an Medikamenten beklagt. Zwei Baracken etwas abseits dienten als Krankenbau, eine für Leute, die nur schwach waren, und die andere als regelrechter Krankenbau. In diesem letzteren standen 60 bis 75 Betten. Der Arzt verfügte über Einrichtungen zur Durchführung kleinerer Operationen, aber nicht für große Eingriffe. Für diese wurden die Patienten nach Straßburg geschickt. Es wurde ein Dokument unterschrieben, wenn eine Person dort hinkam, und wiederum unterschrieben, wenn sie zurückkam, und die Todesfälle wurden im Lagerbuch eingetragen.
Als ich dort war, passierten 20 bis 25 Gefangenenausbrüche und zehn der Häftlinge, die zu fliehen versuchten, wurden erschossen. Acht oder neun wurden wieder eingefangen und zurückgebracht und die übrigen entkamen. Die acht oder neun, die wieder eingefangen worden waren, erhielten je nach Alter und Gesundheitszustand 14 bis 21 Tage Haft. In vier oder fünf Fällen aus zwanzig wurden sie entweder ausgepeitscht oder verprügelt. In jedem Einzelfall erhielt der Schuldige 10 oder 15 Schläge. Dieses wurde vom Lagerführer überwacht und auch vom Lagerarzt. Als ich noch Lagerführer war, machte ich die Aufsicht selbst. Ganz allgemein gesagt, wenn körperliche Züchtigung vorgenommen wurde, so schwankte die Zahl der Schläge zwischen 5 und 25. Die Zahl war in dem von Berlin stammenden Befehl festgelegt. Fünfundzwanzig waren das Maximum. Der Arzt mußte zugegen sein, wenn körperliche Züchtigung vorgenommen wurde. Ich kann mich nicht erinnern, daß ein Häftling diese Prügelstrafe nicht ausgehalten habe und ohnmächtig geworden sei. Wenn solch ein Fall vorgekommen wäre, hätte der Arzt die Aufgabe gehabt, einzugreifen, darum war er ja dabei. Die Strafe wurde mit gewöhnlichen Holzstöcken ausgeführt, 90 bis 120 cm lang und ungefähr so dick wie mein Daumen. Die Stöcke wurden aus festem Holz geschnitten, wie man sie in den Wäldern um das Lager findet. Die Bestrafung wurde von einem anderen Häftling ausgeführt, der nach Belieben ausgewählt wurde, und zwar auf folgende Weise :
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der Häftling mußte sich über einen Tisch beugen und die Schläge wurden ihm auf sein Hinterteil gegeben, ohne daß er sich vorher entblößen mußte. Ich habe nie Schwierigkeiten mit Häftlingen gehabt, die diese Prügelstrafe vornehmen mußten. Sie erhielten den Befehl dazu und den befolgten sie. Hätten sie sich geweigert, hätte ich sie für diese Weigerung nicht bestrafen können. Der Befehl aus Berlin lautete, daß so und so viel Schläge von einem anderen Häftling ausgeteilt werden sollten, aber der Befehl sagte nichts darüber, was zu tun war, wenn die Häftlinge sich geweigert hätten, einen ihrer Mithäftlinge zu prügeln.
Es gab keine festgelegten Regeln, für welche Vergehen die Prügelstrafe verhängt werden konnte. Es oblag dem Kommandanten, in Berlin die Erlaubnis zur Prügelstrafe zu beantragen. Aus dem Antrag mußte hervorgehen, welche Art von Vergehen der Häftling begangen hatte und welche Strafen er für vorhergehende Taten bereits erhalten hatte. Dieses Schreiben mußte vom Kommandanten unterzeichnet werden. Die Art der Vergehen, für die ich die Prügelstrafe in Berlin zu beantragen pflegte, war wie folgt : "Dieser Häftling hat bereits drei- oder viermal Lebensmittel von seinen Mithäftlingen gestohlen" oder wegen Unordentlichkeit oder Ungehorsam oder Angriff gegen seine Wache. Das erste, was passierte, wenn jemand aus dem Lager ausgebrochen war und zurückgebracht wurde, war, daß die Kriminal-Vernehmungsabteilung untersuchte, ob er irgendetwas verbrochen hatte, während er auf freim Fuß war; dann wurde er ohne jede Verhandlung dem Kommandanten vorgeführt, und der Kommandant ordnete Bestrafung an. Jeder Mann, der zu fliehen versucht hatte, wurde nach Berlin gemeldet, auch mußte berichtet werden, wann er wieder eingefangen war. Der Kommandant konnte ihm 21 Tage Haft auferlegen, ohne bei einer höheren Dienststelle anzufragen, aber Prügelstrafe konnte er nur mit Genehmigung Berlins erteilen. Jedes Mitglied der Wache war mit einem Gewehr bewaffnet und auf den Wachtürmen standen Maschinengewehre. Peitschen und Stöcke waren verboten. Die Wachen trugen einfach nur Gewehre.
Sobald Häftlinge in einer geschlossenen Gruppe ankamen, wurden sie alle in dem gleichen Block untergebracht. Schließlich wurden sie in drei Gruppen aussortiert : Politische, Asoziale und Kriminelle, aber niemals nach Nationalitäten. Es gab in diesem Punkt keine strengen Regeln, aber das entwickelte sich so im Lauf der Zeit. Die drei oben erwähnten Kategorien wurden nur in ihren Unterkünften voneinander getrennt gehalten. Sie arbeiteten zusammen, aßen zusammen und konnten miteinander sprechen. Am Anfang arbeiteten die Häftlinge nur im Lager selbst. Später machten wir einen nahegelegenen Steinbruch auf. Eine andere Arbeit war, Flugzeugmotoren auseinanderzunehmen und Teile zu reparieren, die wieder verwendet werden konnten. Fünfzehn bis zwanzig Häftlinge wurden entlassen, während ich dort war. Der Befehl zur Entlassung kam aus Berlin. Ich weiß nicht, warum der Befehl erteilt wurde. Sie waren alle politische Häftlinge und deutscher Nationalität.
Das Lager war mit Stacheldraht eingezäunt - 3m hoch. An den jeweiligen Ecken standen Türme mit Maschinengewehren. Da war eine Reihe Stacheldraht, wo die Wachen patrouillierten und dann ein weiterer Stacheldrahtzaun. Der Stacheldraht stand im Anfang nicht unter Strom, weil es keinen Strom gab, aber später, als Strom da war, wurde der Zaun unter Strom gesetzt, im Frühjahr 1943. Damals war ich Kommandant. Zwei Monate bevor ich abgelöst wurde, kamen acht oder neun Hunde, die zur Wachbegleitung eingesetzt wurden. Sie wurden hauptsächlich im Steinbruch verwendet, um die Häftlinge am Entkommen zu hindern. Diese wurden von den Wachen beaufsichtigt. Ich erinnere mich an zwei Vorfälle, wo die Häftlinge versuchten, aus dem Steinbruch zu fliehen, aber ich weiß nicht mehr, ob sie erschossen wurden. In meinen ganzen drei Jahren hatte ich dort nur zwei Erschießungen im
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Steinbruch. Die anderen acht Häftlinge, die zu fliehen versuchten und die ich bereits erwähnt habe, versuchten aus dem Lager zu entweichen und nicht aus dem Steinbruch.
Die einzige Erhängung, die stattfand, war im Sommer 1943 und geschah auf Weisungen aus Berlin. Zwei Gestapobeamte brachten einen Häftling ins Lager und zeigten mir einen Befehl, unterzeichnet von jemandem in Berlin, worin stand, daß dieser Mann in mein Lager einzuliefern und zu hängen sei. Ich weiß nicht mehr, wer den Befehl unterzeichnet hatte. Ich teilte daher zwei Häftlinge dazu ein, die Exekution durchzuführen. Es wurde ein Gerüst im Lager aufgerichtet und die Erhängung fand in meiner Gegenwart statt. Die dabei Anwesenden waren : der Lagerarzt (Obersturmführer Eiserle), der hinterher bestätigte, daß der Tod durch Erhängen eingetreten war, die beiden Gestapobeamten, die den Häftling gebracht hatten, die beiden Häftlinge, die die Exekution durchführten und ich. Ich kann mich des Namens des Häftlings nicht erinnern; ich glaube, seine Nationalität war russisch. Ich weiß seinen Namen nicht mehr, weil er niemals in meinen Büchern erschien. Er war nur ausgeliefert worden, um gehängt zu werden. Es ist völlig unmöglich, daß irgendwelche anderen Exekutionen stattgefunden haben, solange ich Kommandant war. Die anderen Häftlinge des Lagers sind zu dieser Erhängung nicht angetreten. Keine befohlenen bezw. genehmigten Erschießungen oder irgendwelche anderen Exekutionen haben auf Weisungen aus Berlin im Lager stattgefunden. Ich habe niemals von irgendwelchen besonderen, engen Zellen gehört, in denen Männer an ihren Armen aufgehängt worden sein sollen. Es gab keine besonderen Gebäude für Häftlinge, die unter Arrest standen, und auch keine Zellen für Einzelhaft. Es ist ganz unmöglich, daß eine Exekution durch Aufhängen der Männer an ihren Armen ohne mein Wissen durchgeführt wurde. Das einzige Gefängnis, das wir hatten, war ein Block, der von den übrigen durch Stacheldraht abgesondert war, und dieser wurde benutzt für Leute, die die Lagerdisziplin übertreten hatten.
Alle Häftlinge in diesem Lager waren Männer. Ich habe niemals von einem Häftling Namens Fritz Knoll in diesem Lager gehört. Er war kein Vorarbeiter, aber vielleicht einer der Häftlinge. Ich kann mich an seinen Namen nicht erinnern. Wenn jemand aus einer Arbeitsgruppe gestorben war, dann wäre das dem Büro gemeldet worden und das Büro hätte es mir gemeldet, aber ich kann mich an einen solchen Fall nicht erinnern, daß der vorgekommen ist. Jede Einzelheit von einem Häftling, der bei der Arbeit oder auf Grund irgendeiner anderen Ursache gestorben ist, mußte dem Büro gemeldet werden, vom Büro ging die Meldung an den Kriminaluntersuchungsbeamten und von dem zum Kommandanten. Mein Kommando und meine Kontrolle über alle Vorgänge im Lager Natzweiler war so lückenlos und mein Stab hatte so klare Anweisungen, daß die Exekution eines Häftlings ohne mein Wissen, in der Zeit, als ich Kommandant war, eine ausgesprochene Unmöglichkeit war.
Nur dem Personal der SS war es gestattet, die Lager zu inspizieren. Niemand anders durfte sich dem Lager auch nur nähern. Dazu gehörten auch Offiziere der Wehrmacht, denen es verboten war, irgendein Konzentrationslager zu betreten. Man konnte in ein Konzentrationslager nur mit einem Erlaubnisschein vom SS-Generalkommando in Berlin gelangen. Auch SD-Personal durfte das Lager ohne Erlaubnis von Berlin nicht betreten. Mit Ausnahme des Gruppenführers Glücks, der vom Ministerium in Berlin kam, und des Obergruppenführers Pohl, hat niemand in den zwei Jahren das Lager besucht, in denen ich das Lager befehligte. Abgesehen von diesen Besuchen brauchte ich niemandem Rede und Antwort zu stehen, außer schriftlich nach Berlin. Ich kann mich an keine Einzelheiten des Besuchs von Obergruppenführer Pohl Anfang Mai 1944
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erinnern. Er kam, um das Lager zu inspizieren und hat sich alles genau angesehen.
In der Zeit, als ich Lagerführer war, bekam ich das Kriegsverdienstkreuz (2. Klasse) im Frühjahr 1943. Es bestand kein sonderlicher Anlaß für diese Auszeichnung. Es war lediglich dafür, daß ich zwei Jahre Lagerführer in diesem Lager war. Ich wurde für diese Auszeichnung vom Kommandanten vorgeschlagen. Auch erhielt ich das Kriegsverdienstkreuz (1. Klasse), das mir im Januar 1945 verliehen wurde. Während dieser ganzen Zeit in Natzweiler bin ich für das Lager verantwortlich gewesen. Als ich wegging, übergab ich meinem Nachfolger. Er war Sturmbannführer Hartjenstein. Die Übergabe erfolgte in meinem Büro und ich übergab ihm das ganze Lager. Die Lagerbücher wurden meinem Nachfolger nicht formell übergeben, sie wurden nicht erwähnt.
Auschwitz : 10. bis 15. Mai, bis 29. November 1944. Auschwitz war ein ungeheuer großes Lager, wozu noch viele kleinere Lager in der Umgebung gehörten. Da die Verantwortlichkeit für das ganze Lager nicht von nur einem Mann getragen werden konnte, wurde sie geteilt und mir wurde ein Teil des Lagers übertragen. Ich war der Kommandant dieses Teils, doch da ich unter dem Befehl des obersten Kommandanten des Lagers stand, der mein Vorgesetzter war, waren meine Aufgaben die eines Lagerführers, obwohl meine Dienststellung Kommandant genannt wurde. Ich hatte in meinem Teil des Lagers das Krankenhaus und das Landwirtschaftslager unter mir, das ein enorm großes Lager war und viele tausend Hektar umfaßte (Kramers Übers. schreibt "acres", ein angelsächsisches Flächenmaß; 1ha = 2,47 acres; 1ha = 10.000qm. d.Ü.). Die Zahl der Häftlinge unter meinem unmittelbaren Befehl schwankte zwischen 15.000 und 16.000 und 35.000 und 40.000, sie umfaßte Männer und Frauen. Es gab zwischen 350 und 500 Todesfälle pro Woche. Unter den Männern war die Sterberate höher; der Grund war, daß die Neuankünfte aus dem Arbeitslager hauptsächlich aus kranken Leuten bestanden. Wenn ich von der Sterberate in Auschwitz spreche, so meine ich, daß alle diese Leute an natürlichen Ursachen gestorben waren, das heißt, an Krankheit oder wegen des Alters. Die Sterberate lag etwas über dem Normalstand, was an der Tatsache lag, daß ich ein Lager mit Kranken hatte, die aus anderen Teilen des Lagers kamen. Der einzige Grund, den ich als Ursache der höheren Sterberate ansehe, nicht nur in Auschwitz, sondern in allen Konzentrationslagern im Vergleich zu Zivilgefängnissen, war der, daß die Häftlinge arbeiten mußten, wohingegen sie in Zivilgefängnissen nicht zu arbeiten brauchten.
In Auschwitz gingen die Häftlinge im Sommer morgens um 5 Uhr zur Arbeit hinaus und sie kamen abends um 8 Uhr, manchmal auch später zurück. Sie arbeiteten sieben Tage in der Woche, aber sonntags kamen sie um 1, 2 oder 3 Uhr nachmittags zurück. Ihre Arbeit war landwirtschaftlicher Art und alle dort vorkommenden Arbeiten wurden von den Häftlingen getan. Das ganze Lager bestand aus 90.000 bis 100.000 Häftlingen, aber das ist nur eine grobe Schätzung. Mein vorgesetzter Offizier und Kommandant des ganzen Lagers war Obersturmbannführer Höß. Im Lager waren Männer, Frauen und Kinder. Die Mehrheit der unter meinem Befehl stehenden Häftlinge stammte aus dem Osten, d.h. Polen und Russen. Ich habe keinen Anlaß zu glauben, daß Kriegsgefangene darunter waren, obwohl es doch sein könnte, daß ich das gar nicht erfuhr. Soweit ich mich erinnere, waren keine britischen Internierten dort. Ich glaube, die britischen Gefangenen waren im Konzentrationslager Sachsenhausen und in einem anderen Lager in der Nähe Hamburgs, das Neuengamme hieß. Es ist möglich, daß einige Franzosen in meinem Lager waren, aber dessen bin ich nicht sicher. Wir hatten mehr weibliche als männliche Häftlinge.
Ich hatte drei SS-Kompanien als Lagerwache unter mir. Einige der Wachen waren Männer der Waffen-SS und da waren auch bei der SS angestellte Frauen
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als Aufseherinnen. Die männlichen und weiblichen Häftlinge, die außerhalb des Lagers in der Landwirtschaft arbeiteten, wurden unterschiedslos von Männern bewacht. Die Aufseherinnen bewachten nur die Häftlinge innerhalb des Lagerkomplexes. Für das ganze Lager standen etwa 10 bis 14 Ärzte zur Verfügung, von denen zwei für meinen besonderen Abschnitt des Lagers abgestellt waren. In jedem Abschnitt des Lagers gab es einen Krankenbau, aber der größte davon stand in meinem Abschnitt. Ich kann nicht mehr genau sagen, wie viele Betten im Krankenbau standen; dieses hing davon ab, wie dicht man die Betten zusammenstellen konnte.
Häftlinge waren in Holzbaracken mit drei Betten übereinander untergebracht. Die Männer waren von den Frauen getrennt und die Kinder waren bei ihren Müttern. Verheiratete wurden auch getrennt. Es gab insgesamt 150 Gebäude, Männer- und Frauenlager zusammen; etwa 80 oder 90 waren für die Krankenreviere. Das Lager war erst im Aufbau begriffen und es war geplant, es beträchtlich zu erweitern.
Alle Häftlinge, die dort starben, wurden eingeäschert. Es fand keinerlei Art von Einsegnung statt, wenn sie starben. Sie wurden direkt verbrannt. Die Einäscherungen wurden von Häftlingen durchgeführt. Alles, was ich zu tun hatte, wenn ein Häftling gestorben war, war, Obersturmführer Höß zu benachrichtigen, und er befaßte sich dann mit dem Fall. Ich hatte keine Verwaltungstätigkeit in Auschwitz. Alle Häftlinge waren nur durch ihre Nummern bekannt. Ich hatte nichts mit Strafzumessung in Auschwitz zu tun; das wurde alles durch Höß veranlaßt. Als ich nach Auschwitz kam, gab es keine körperliche Bestrafung für Frauen, aber ich habe es sagen hören und es wurde darüber im Lager gesprochen, daß es Prügelstrafen für Frauen gegeben hätte und daß das unterbunden worden ist. Die einzige Art, in der ich darüber unterrichtet wurde, daß Prügelstrafe für Frauen nicht erlaubt war, geschah durch die Unterhaltung im Lager, worauf ich schon hingewiesen habe. Ich weiß nicht mehr, mit wem ich dieses Gespräch geführt habe. Wenn ein Fall vorgekommen wäre, in dem eine Frau etwas begangen hätte, wofür ein Mann verprügelt worden wäre, dann hätte ich die Aufseherinnen darauf hingewiesen, daß Prügelstrafe bei Frauen nicht angewendet werden dürfe. Die einzige Kompetenz, auf die ich mich dabei berufen konnte, war das Gespräch kurz nach meiner Ankunft. Selbst wenn Prügelstrafe für Frauen zugelassen worden wäre, so hätte ich das niemals in die Praxis umgesetzt, weil so etwas für mich undenkbar ist. Die Strafe für Frauen, wenn sie eine der Taten begangen hätten, wofür Männer verprügelt wurden, war, daß sie in eine andere Arbeitsgruppe versetzt wurden, wo sie schmutzigere Arbeit verrichten oder länger arbeiten mußten.
Wenn ein Gesuch für Arbeitskräfte aus Berlin kam, mußten die Häftlinge vor dem Arzt antreten. Ich bin sehr oft dabei gewesen, aber nicht immer. Die Prüfung fand statt, indem die Häftlinge angekleidet an dem Doktor einzeln vorbeigingen. Danach wurde entschieden, ob ein Mann oder eine Frau kräftig genug waren, um zur Arbeit geschickt zu werden. Wenn jedoch jemand untersucht werden mußte, um festzustellen, ob er eine Prügelstrafe durchhalten würde, dann wurde eine richtige ärztliche Untersuchung durchgeführt. Der Grund, warum keine richtige ärztliche Untersuchung im Fall einer Arbeitszuteilung vorgenommen wurde, war der, daß die Gesuche in die Tausende gingen und der Arzt tagelang damit beschäftigt gewesen wäre. Diese Methode, Leute zur Arbeit auszusuchen, war die normale Methode, wie sie in allen Lagern angewandt worden ist. Darin lag nichts Ungewöhnliches.
Es sind vier oder fünf Fälle vorgekommen, in denen Fluchtversuche unternommen wurden, während ich dort war. Diese Versuche wurden einzeln unternommen. Einige der Häftlinge sind entkommen. In meinem Lagerabschnitt sind keine Häftlinge bei Fluchtversuchen erschossen
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worden. Keine Häftlinge sind ausgepeitscht worden; es gab keine Exekutionen, Erschießungen oder Erhängungen in meinem Abschnitt. Ich bin oft auf Inspektion durchs Lager gegangen. Allein der Doktor war zuständig für die Bescheinigung der Todesursache, wenn ein Häftling gestorben war. Die Ärzte wechselten ständig. Einer dieser Ärzte war Hauptsturmführer Mengele. Ich nahm Untersuchungen an den Körpern von Leuten vor, die an natürlichen Ursachen gestorben waren, und das in meiner Stellung als Kommandant, wenn ich das Lager inspizierte. Wer immer am Tage gestorben war, wurde in ein Sondergebäude verbracht, genannt Leichenkammer, und dann am Abend auf einer Lore zum Krematorium gefahren. Die Leichen wurden von Häftlingen auf die Loren getragen und wieder abgeladen. Die Häftlinge zogen die Leichen im Krematorium aus, bevor diese verbrannt wurden. Die Kleidungsstücke wurden gereinigt und wieder ausgegeben, wenn die Leute nicht an Infektionskrankheiten gestorben waren. Während meiner Inspektionsgänge habe ich niemals Häftlinge gesehen, die durch physische Gewalt gestorben waren. Wenn ein Häftling gestorben war, mußte ein Arzt die Zeit des Todes, die Ursache und die Einzelheiten der Erkrankung bescheinigen. Ein Doktor stellte einen Sterbeschein aus und sandte diesen an die Verwaltungszentrale des Lagers. Diese Sterbescheine gingen nicht durch meine Hände. Die beiden Ärzte unternahmen alle Anstrengungen, um die Häftlinge am Leben zu erhalten. Medikamente und Kräftigungsmittel wurden verabreicht. Zwei verschiedene Ärzte übernahmen jeden Tag die Aufsicht über meinen Lagerabschnitt. An einen erinnere ich mich sehr gut, er war die längste Zeit in meinem besonderen Lagerabschnitt und hatte auch schon unter meinem Vorgänger Hartjenstein gewirkt. Ich weiß nicht, wie lange er schon dagewesen war. Sein Name war Hauptsturmführer Mengele, wie bereits erwähnt.
Der Lagerdrahtzaun stand unter Strom und Hunde wurden nur außerhalb des Lagerkomplexes mitgenommen, um die Häftlinge zu beaufsichtigen, die landwirtschaftliche Arbeiten verrichteten. Es ist mir niemals gemeldet worden, daß Häftlinge wegen Hundebissen behandelt werden mußten. In den Lagern gab es keine Vernehmungen und ich habe überhaupt niemals eine Vernehmung durchgeführt, als ich Kommandant war. Manchmal habe ich Leute zur Vernehmung zum Kriminaluntersuchungsbeamten hingeschickt; in diesem Fall gingen sie zum Zentralverwaltungsbüro und wurden nach der Vernehmung zurückgebracht, wenn diese beendet war. Ich weiß nicht, wer die Vernehmungen durchführte. Ich habe von den Behauptungen ehemaliger Auschwitzhäftlinge gehört, die was von Gaskammern dort sagten, Massenerschießungen und Auspeitschungen, von der Grausamkeit der dort eingesetzten Wachen, und daß dies alles entweder in meiner Gegenwart oder mit meinem Wissen geschehen sei. Alles was ich dazu sagen kann, ist, daß es von Anfang bis Ende unwahr ist.
Belsen : 1. Dezember 1944 bis 15 April 1945. Am 29. November fuhr ich nach Berlin-Oranienburg, um mich bei Gruppenführer Glücks zu melden. Seine Stellung war Chef der Amtsgruppe D, was bedeutet, daß er der zuständige Offizier für die Organisation aller Konzentrationslager im Reich war. Er unterstand Obergruppenführer Pohl, der Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes der SS war, (Leiter der Verwaltungsabteilung der SS im Ministerium) das ist gleichbedeutend mit einem General der Wehrmacht. Er sagte zu mir : "Kramer, Sie gehen als Kommandant nach Belsen. In Belsen sind zur Zeit viele Jüdische Häftlinge, die möglicherweise ausgetauscht werden." Erst später, als ich in Belsen war, erfuhr ich, daß diese jüdischen Häftlinge gegen Deutsche im Ausland ausgetauscht werden sollten. Der erste Austausch fand zwischen dem 5. und 15. Dezember 1944 statt und wurde unter persönlicher Aufsicht eines Beamten durchgeführt, der zu dem Zweck aus Berlin gekommen
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war. Ich weiß seinen Namen nicht mehr. Sein Titel war Regierungsrat. Im ersten Transport befanden sich ungefähr 1.300 bis 1.400 Häftlinge. Glücks sagte während unseres Gespräches in Berlin zu mir : "Es ist beabsichtigt, Belsen in ein Lager für kranke Häftlinge umzuwandeln. Dieses Lager soll alle kranken Häftlinge und Internierten aus allen Lagern in Nord- und Nordwest-Deutschland aufnehmen, und auch alle kranken Personen unter diesen Häftlingen, die entweder in Firmen oder in Industrieunternehmen arbeiten". Er bezog sich auf Arbeitseinsatzstellen, was sich auf die Häftlinge bezieht, die Landwirten oder Industriefirmen, Kohlenbergwerken und den Steinbrüchen zur Arbeit zugeteilt waren und für die innerhalb der jeweiligen Arbeitsstätten Sonderlager eingerichtet worden waren. Verantwortlich für die Ernährung und Unterbringung sind allein die jeweiligen Arbeitgeber. Zuständig für die Verwaltung blieben die jeweiligen Stammlager. Er sagte : "Es gibt eine beträchtliche Zahl von Häftlingen, die für Industriefirmen arbeiten und krank oder physisch ungeeignet für die ihnen zugeteilte Arbeit sind. Alle die Häftlinge sollen im Lager Belsen zusammengezogen werden. Das bürdet den betreffenden Firmen unnötige Schwierigkeiten auf, und daher müssen diese Häftlinge verlegt werden. Welche Häftlinge und wie viele Belsen eventuell fassen kann, kann ich Ihnen im Moment nicht sagen, weil das erst des weiteren ausgearbeitet werden muß. Allgemeine Regel soll sein, daß jeder Häftling, der wegen Krankheit länger als 10 oder 14 Tage von der Arbeit wegbleibt, nach Belsen verlegt werden soll. Wenn und wann sich diese Häftlinge in Belsen erholt haben, werden sie zu neuen Gruppen aufgestellt und zu neuen Arbeiten ausgeschickt oder an ihre alten Arbeitsplätze verbracht, was eben dann praktischer ist. Wie Sie sehen, ist das eine sehr große Aufgabe für Sie. Ich schlage vor, Sie fahren jetzt nach Belsen, um sich das Lager anzusehen und auch herauszufinden, wie Sie zurechtkommen. Wenn Sie Unterstützung brauchen, können Sie entweder wieder nach Berlin kommen oder schreiben".
Hiermit war die Arbeitsbesprechung zu Ende. Glücks fragte mich dann, wie es meiner Frau [und] meinen Kindern gehe, und ich erkundigte mich nach dem Befinden seiner Familie. Auch fragte ich, ob es möglich sei, daß ich, wenn ich Belsen übernähme, meine Familie mitnehmen könne. Er sagte mir, ich müsse nach Belsen gehen und es mir ansehen. Wenn ich eine geeignete Behausung fände, sollte ich ihm schreiben und er würde den Umzug meines Haushalts genehmigen. Diese Unterredung fand zwischen Gruppenführer Glücks und mir statt, es war niemand anders anwesend. Dieses waren die einzigen Weisungen, die ich erhielt, und ich habe nicht nach mehr gefragt. Ich glaube nicht, daß ich noch mehr Weisungen brauchte und war ganz zufrieden mit meinen Befehlen.
Nach dem Gespräch mit Glücks sprach ich noch mit drei Offizieren, die ich persönlich kannte. Es waren : Standartenführer Maurer (er war zuständig für die Zuteilung von Häftlingen für Lager und Arbeit); Hauptsturmführer Sommer (er arbeitete in Maurers Abteilung); und Sturmbannführer Burger (er war der Mann, der die Aufsicht über die Verwaltungen in den verschiedenen Konzentrationslagern führte). Ich habe mit keinem der drei oben erwähnten Personen über dienstliche Dinge gesprochen. Es waren Freunde von mir, und da ich gerade im Haus war, ging ich in ihre Büros, um Guten Tag zu sagen. Der führende Arzt war ein Standartenführer Dr. Lolling. Er war der zuständige Amtsarzt für alle Konzentrationslager. Ich kann mich an keine Namen anderer Leute erinnern, aber ich erinnere mich an diese Namen, weil sie entweder die Lager aufsuchten oder ich sah ihre Namen auf verschiedenen Schreiben aus dem Ministerium.
Ich fuhr dann nach Belsen, wo ich von Obersturmführer Schaaf empfangen wurde. Er war der für die Verwaltung zuständige Offizier. Am nächsten Morgen ging ich ins Büro und lernte Sturmbannführer Haas, den Kommandanten kennen, welcher wußte, daß ich aus Berlin kam, um das ganze Lager Belsen zu
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übernehmen. Ich fragte ihn, wie viele Insassen im Lager seien und er sagte "Grob gerechnet 15.000". Er sagte, es habe keinen Sinn, die Dinge im Büro zu besprechen und schlug einen Rundgang durch das Lager vor. Bei diesem Rundgang wies er auf Veränderungen und Verbesserungen hin, die er noch vornehmen lassen wollte. Das Lager war ungefähr 1,5 km lang und zwischen 300 und 350m breit. Es standen da ungefähr 60 Baracken, Unterkünfte für Wachen und Lager eingeschlossen; 40 bis 45 dienten zur Unterbringung der Häftlinge. Die Häftlinge bestanden aus Männern, Frauen und Kindern; Familien durften zusammenwohnen; ansonsten waren Männer von Frauen getrennt. Sechs Gebäude im Männerlager, drei im Familienlager und zwei im Frauenlager dienten als Krankenbau. Ein Krematorium stand im Lager.
Ich weiß nicht, welcher Nationalität die Häftlinge angehörten, als ich dort anfing, weil es im Lager weder Akten noch sonstige Unterlagen gab. Es war mir unmöglich, herauszufinden, mit welcher Art Häftlingen ich es zu tun hatte, da sie alle nach Belsen geschickt wurden, weil sie krank waren, und zwar von allen Konzentrationslagern im Lande. Viele von ihnen hatten ihre Kennkarten bzw. Personalausweise verloren und da keine Akten vorhanden waren, muß es als absolut unmöglich gelten, zu sagen, wer wer war. Ich fing an, meine eigenen Unterlagen über die Häftlinge zusammenzustellen, aber diese Akten wurden alle auf Befehle hin vernichtet, die ich etwa Ende März 1945 aus Berlin erhielt. Ich weiß nicht mehr, wer diese Befehle unterzeichnet hatte.
Das Personal bestand aus einer SS-Wachkompanie. Chef der Kompanie war Hauptscharführer Meyer. Er kam von irgendwo aus der Umgebung Hannovers. Er war mittelgroß, etwa 1,70, trug eine Brille, hatte kaum noch Haare und war ungefähr 50 Jahre alt. Dann war da Hauptsturmführer Vogler. Er war der Chef der Verwaltung, der von Schaaf übernommen hatte, den ich bereits als Chef der Verwaltung bei meiner Ankunft erwähnt habe. Der Offizier für die Kriminalabteilung war Untersturmführer Frericks. Der Lagerführer (Obersturmführer Stresse) wurde wenige Tage nach meinem Dienstantritt versetzt, und ich war über zwei Monate lange ohne einen Lagerführer und mußte die Arbeit alle allein machen mit nur einem Offiziersanwärter als Assistent, dessen Stellung Rapportführer war; es war Oberscharführer Reddhaser. Lagerarzt war Sturmbannführer Schnabel. Ein Hauptscharführer wirkte als Zahnarzt. Er ist später zum Untersturmführer befördert worden. Sein Name war Linsmeier. Weitere Offiziere waren dort nicht und ich hatte keinen Adjutanten. Sechzig bis siebzig Offiziersanwärter waren da, von denen 20 bis 25 Dienst in der SS-Wachkompanie taten und die anderen arbeiteten in der Verwaltung. Einer der Offiziere war Schreiber beim Verwaltungsoffizier. Es war Unterscharführer Kuckerts. Da war noch ein älterer SS-Mann in meinem Büro; sein Name war Unterscharführer Rang. Er machte Dienst als Untersturmführer und Adjutant. Andere, an die ich mich erinnere, waren Oberscharführer Hilmer (in der Verwaltung) Unterscharführer Lademacher (auch in der Verwaltung); Unterscharführer Wille (Verwaltung); und Unterscharführer Müller, dem das Lebensmittellager unterstand. Als ich Belsen übernahm, waren dort sechs Offiziere, ich eingeschlossen. Ich hatte keine Längergedienten. Als ich übernahm, gehörten noch drei Frauen zum Personal. An ihre Namen kann ich mich im Augenblick nicht besinnen.
Die Sterberate betrug bei meinem Dienstantritt 40 bis 60 pro Woche. Als ich im Lager ankam, mußte mir der Lagerführer Meldung machen und sagte : "Es sind so viele im Lager; so viele sind gestern gestorben; und so viele sind noch da." Bei meiner Ankunft wurde ein Buch geführt, in das diese Zahlen eingetragen wurden, aber damit hat man später aufgehört. Dieses Buch hatte ich von meinem Vorgänger übernommen. Es wurde vom diensthabenden Lagerführer in seinem Büro geführt. Es gab noch ein weiteres Buch, worin die Gesamtstärke
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eingetragen wurde. Der diensthabende Lagerführer ließ jeden Morgen antreten zum Zählen der Häftlinge. Bei diesem Antreten meldete jeder Blockführer die Stärke seiner Blockeinheit und die Zahl der Todesfälle, die am Tag zuvor eingetreten waren, und der Rapportführer addierte die Stärke der verschiedenen Blocks auf einem Bogen Papier und errechnete die Gesamtsumme. Dieser Bericht schloß die Zahl der Toten vom vorhergehenden Tag ein. Wir hatten jeden Tag beim Antreten 40 Blockführer.
Im Januar (1945) übernahm ich ein neues benachbartes Lager, in dem 40 bis 50 neue Blöcke waren. Ich bekam kein zusätzliches Personal, als ich dieses Lager übernahm. Erst später, als Lager in Schlesien evakuiert wurden, kamen Wachen mit Häftlingen, wodurch die Stärke des Personals erhöht wurde. Ich wurde nicht immer über neue Häftlingstransporte unterrichtet; besonders die Häftlingstransporte aus Schlesien kamen ohne Voranmeldung. Es kamen Transporte mit nur 100 oder 200 Leuten und andere mit 1.500, 2.000, 2.500 usw. Ich hatte Lebensmittelreserven im Lager und wenn ein neuer Trupp von Häftlingen ankam, mußte ich auf diese Reserven zurückgreifen, bis ich die neue Gesamtzahl gemeldet hatte und dementsprechend Nachschub für die größere Häftlingszahl bekam. Es kamen keine regelmäßigen Lebensmitteltransporte; die Bahn hätte Lebensmittel bringen müssen, wann immer ein Zug zur Verfügung stand. Ich kann nicht mehr sagen, wie viele Häftlinge ich nach Ablauf dieses Monats hatte, weil mein Befehl lautete, daß ich Häftlinge so schnell wie möglich zum Arbeiten hinausschicken sollte. Die eintreffenden Häftlinge wurden daher mit jenen ausgeglichen, die zur Arbeit verschickt wurden, und so schwankten die Zahlen jeden Tag. Jeder arbeitsfähige Häftling wurde zum Arbeitseinsatz hinausgeschickt und zwar an Industriefirmen. Die anderen Häftlinge arbeiteten nur innerhalb des Lagers und zur Sauberhaltung des Lagers.
Als ich am 1. Dezember (1944) übernahm, waren grob gerechnet 15.000 Personen im Lager; etwa 200 starben im Dezember; am 1. Januar 1945 waren 17.000 Personen im Lager; 600 starben im Januar; am 1. Februar waren 22.000 Personen im Lager. Vom 15. Februar an bin ich nicht mehr in der Lage zu sagen, wie viele Häftlinge ich hatte, weil kein Buch darüber mehr geführt wurde, denn das erwies sich als ausgesprochen unmöglich angesichts der hereinströmenden Transporte aus den Lagern in Schlesien, die evakuiert wurden, und, wie ich bereits erwähnte, die Lagerlisten, die ich geführt hatte, habe ich im März vernichtet.
Ich weiß die Zahl der Todesfälle, die in dieser Zeitspanne eingetreten waren, überhaupt nicht mehr, aber die Zustände in Belsen verschlimmerten sich von Mitte Februar bis Mitte April 1945, als die Alliierten kamen. Ich habe das Lager während dieser Zeitspanne täglich inspiziert und mir waren die Zustände und die große Zahl der Personen, die starben, völlig klar. Die Sterberaten in den Monaten Februar, März und April stiegen allmählich an, bis sie 400 oder 500 pro Tag erreichten. Diese Zahl rührte von der Tatsache her, daß, wenn die Leute gesund waren, ich sie zum Arbeitseinsatz hinausschicken mußte und nur die Kranken und Sterbenden dabehielt. Ich wurde vom Stationsvorsteher benachrichtigt, daß ein Transport angekommen war, und dann mußte ich die Häftlinge abholen. Die ankommenden Transporte wurden von den Wachen nur nach Zahlen und nicht nach Namen registriert. Ungefähr zweimal wöchentlich wurden Lebensmittel von örtlichen Lagern angefordert und eine entsprechende Meldung ans Ministerium in Berlin gesandt, was auf der von den Wachen angegebenen Zahl basierte, die die eintreffenden Leute gezählt hatten.
Alle Häftlinge erhielten drei Mahlzeiten am Tag. Ich kann nicht mehr sagen, was die Tagesration war, da dieses vom Lebensmittellager festgelegt und einheitlich ausgerichtet war. Ich habe die Rationen aus den Lebensmitteldepots niemals überprüft, aber ich versicherte mich, daß jeder Häftling einen Liter
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Gemüseeintopf für die Hauptmahlzeit erhielt, und am Morgen bekam der Häftling Kaffee und Brot, wenn vorhanden, und für das Abendbrot Kaffee und Brot, wiederum, wenn vorhanden, und Käse oder Wurst. Wenn die Häftlinge bei dieser Ernährung hätten arbeiten müssen, hätte es zum Überleben nicht ausgereicht, aber da sie nicht arbeiteten, glaube ich, daß es genug war, um sie am Leben zu erhalten. Ich glaubte, sie würden diese Ernährung etwa sechs Wochen durchhalten können und nach diesen sechs Wochen hoffte ich, mehr Lebensmittel zu bekommen. Die oben beschriebenen Rationen waren der normale Satz in jedem Konzentrationslager zu jener Zeit. Der Hauptpunkt, an dem sich die Ernährung verschlechterte, war Brot, weil dieses zwei oder drei Tage lang wiederholt fehlte. Es war absolut unmöglich für mich, genug Brot herbeizuschaffen, um die Zahl der Häftlinge zu versorgen. In den Anfangstagen war Brot von den örtlichen Bäckereien in Belsen geliefert worden. Später waren so viele Häftlinge im Lager, daß die Bäckereien die erforderliche Menge nicht mehr liefern konnten, und so schickte ich LKWs nach Hannover und anderen Orten, um Brot zu holen, aber selbst dann war es mir nicht möglich, auch nur die Hälfte dessen zu beschaffen, was ich brauchte, um die Häftlinge mit normalen Rationen zu ernähren. Abgesehen von Brot sind die Rationen niemals herabgesetzt worden. Anstelle von Brot wurde Mehl geliefert, was dann für Mahlzeiten verwendet wurde. Es stellte sich dann heraus, daß, wenn wir aus diesem Mehl Brot gebacken hätten, die Sterberate nicht so hoch gewesen wäre. Ich fuhr zum Depot in Celle und dann zur nächsthöheren Dienststelle in Hannover, um die ins Bild zu setzen, was in Belsen los war. Auch wies ich sie darauf hin, daß, wenn eine Katastrophe passieren würde, ich die Tatsachen nicht nur aufdecken, sondern sie auch verantwortlich dafür machen würde. Ich weiß nicht mehr, mit wem ich an jeder dieser Dienststellen gesprochen habe. Ich habe mich niemals an Berlin gewandt, weil die mir doch nicht hätten helfen können. Es war ausschließlich Sache der Versorgungsstellen in Celle und in Hannover. Meine Besuche in diesen Depots resultierten in Extrarationen an Kartoffeln und Rüben, die dann später auch kamen.
Ich erinnere mich an einen Fall von Kannibalismus sehr gut. Es wurde mir gemeldet, daß ein Häftling in den Leichenraum eingedrungen war und daß Teile von einer Leiche fehlten. Ich setzte eine Wache für die Leichen über Nacht ein, und jene Wache verhaftete einen Mann noch in der gleichen Nacht, der sich einer Leiche genähert hatte. Der Mann wurde festgenommen, aber bevor er am nächsten Morgen vernommen werden konnte, hatte er sich erhängt. Ob es noch mehr Fälle von Kannibalismus gegeben hat, kann ich nicht sagen, aber von dem Abend an setzte ich Wachen im Leichenraum ein. Die Wachen bestanden aus Häftlingen. Ich glaube, daß die Häftlinge die Leichen gegen andere Häftlinge schützen würden. Ob sie es taten oder nicht, kann ich nicht sagen. Der Leichenraum war nicht immer im gleichen Gebäude, da die Häftlinge in so großem Ausmaß wechselten. Ich mußte die Unterbringung ständig wechseln, und darum war das als Leichenraum dienende Gebäude nicht immer das gleiche. Wenn ein solcher Wechsel stattfand, wurde das Gebäude von Häftlingen gesäubert und für sie am folgenden Tag als Unterkunft eingerichtet.
Der Lagerarzt meldete sich krank und wurde Mitte Februar von Dr. Klein abgelöst. Ungefähr am 1. März kam ein weiterer Lagerarzt. Sein Name war Hauptsturmführer Horstmann. Zwei Tage bevor die Alliierten kamen, zog Horstmann mit den Truppen ab und nur Dr. Klein blieb. Abgesehen von jenen (Klein und Horstmann) waren keine SS-Ärzte im Lager. Ende Januar kam Dr. Lolling vom Ministerium in Berlin zu einer Inspektion. Ich wies darauf hin, daß wenn, wie mir in Berlin gesagt worden war, Belsen ein Lager für Kranke sein sollte, ich mehr Ärzte brauchte. Er sagte, es ständen im Augenblick keine zur Verfügung, aber sobald er wen hätte, würde er sie schicken. Dr. Lolling
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inspizierte das Lager, und ihm waren damals bei einer Inspektion, die dort herrschenden Zustände absolut klar. Er verbrachte einen ganzen Tag mit Gängen zusammen mit Dr. Schnabel durch das Lager und sah sich alles gründlich an. Dabei getroffene Maßnahmen waren, daß Dr. Lolling eine Liste von Erfordernissen mitnahm und sagte, er würde dafür sorgen, daß wir die notwendigen Medikamente erhielten. Obwohl ich Kommandant war, wußte ich gar nichts über den Bestand an ärztlichen Instrumenten und Medikamenten. Das habe ich dem Lagerarzt völlig überlassen. Alle Lieferungen an Medikamenten wurden direkt von Berlin angefordert (Dr. Lollings Abteilung). Das ist alles, was ich darüber weiß.
Solange ich in Belsen war, ereigneten sich 15 bis 20 Gefangenenausbrüche. Einige der Häftlinge wurden beim Fluchtversuch erschossen. Ich weiß nicht, wie viele. Gegen Ende Dezember kam ein Befehl aus Berlin, der jede Prügelstrafe untersagte. Von dem Augenblick an gab es keine Prügelstrafen mehr.
Zwischen dem 20. und 28. Februar 1945 meldete mir der Lagerarzt, es sei Fleckfieber im Lager ausgebrochen. Die Tatsache wurde von einem biologischen Institut in Hannover bestätigt. Ich habe darum das Lager geschlossen und einen Bericht nach Berlin gesandt. Die Antwort aus Berlin lautete, ich hätte das Lager offen zu halten, um Transporte aus dem Osten aufzunehmen, ob Fieber oder nicht. Das zweite Mal, als ich nach Berlin schrieb, war zwischen dem 1. und 10. März, wobei ich einen umfassenden Bericht über die im Lager herrschenden Zustände abgab. Diese beiden Vorgänge waren die einzigen Gelegenheiten, bei denen ich gegenüber höheren Dienststellen vorstellig geworden bin. Diese beiden Schreiben waren an die Verwaltungsstellegruppe B in Berlin gerichtet. Ich bin nicht selbst nach Berlin gefahren, wie mir bei meinem Gespräch im November (mit Glücks) gesagt worden war, weil das drei oder vier Tage in Anspruch genommen hätte, in denen während meiner Abwesenheit keiner weitermachen konnte.
Soweit ich mich erinnere, hat Gruppenführer Pohl das Lager Belsen ungefähr am 20. März inspiziert. Er kam mit einem anderen Offizier. Ich führte Pohl ganz durch das Lager und wies auf die Zustände hin, so wie sie waren. Er kam nicht auf das Schreiben hin, das ich hingeschickt hatte. Er kam im Rahmen einer Routine-Inspektion, - "Nur um mal einen Blick in das Lager zu werfen". Ob mein Schreiben an das Zentralbüro in Berlin bei unserem Gespräch in Berlin erwähnt wurde, kann ich nicht sagen. Ich wies auf die Zustände hin, und er sagte, da müßte etwas geschehen. Die erste von ihm vorgeschlagene Maßnahme war, das Lager zu schließen, und keine Leute mehr aufzunehmen. Ich schlug Pohl zwei Maßnahmen vor, um mit der Lage fertig zu werden : a) keine weiteren Transporte ins Lager und b) den Austausch von Juden im Lager sofort vorzunehmen. Das Ergebnis war, daß er in meinem Büro ein Schreiben nach Berlin diktierte, das besagte, daß der Austausch von Juden sofort vorzunehmen wäre. Dieser Austausch fand schließlich in den letzten Märztagen statt. Ich weiß nicht, gegen wen diese Häftlinge ausgetauscht werden sollten, aber sie verließen Belsen in Richtung Theresienstadt. Zwischen 6.000 und 7.000 Personen wurden abtransportiert, um ausgetauscht zu werden (drei Eisenbahnzüge voll). Diese 6.000 oder 7.000 bildeten die Gesamtzahl jüdischer Häftlinge, die ausgetauscht werden sollten. Sie wurden in drei Eisenbahnzügen verschickt, jeder Zug hatte 45 bis 50 Waggons. Ich hatte Befehl, drei Transporte an drei verschiedenen Tagen abgehen zu lassen. Bei jedem Mal setzte ich einige Wachen dafür ein - ich weiß nicht mehr wie viele - und für jeden Zug war ein verantwortlicher Wachoffizier als Leiter eingesetzt, wahrscheinlich ein Scharführer, aber das weiß ich nicht mehr. Ich weiß nicht, bei wem sich die Wachoffiziere am Fahrziel zu melden hatten. Alles, was ich weiß, ist, daß ich drei Züge voll auf den Weg
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schicken mußte. Ich habe diese Wachoffiziere, die ich losschickte, nie wiedergesehen.
Ich machte Pohl klar, daß ich mehr Decken und mehr Betten benötigte, und er stimmte mir darin zu, daß in dieser Sache, wie in den anderen auch, unverzügliche Abhilfe geschaffen werden müsse. Der Lagerarzt und der Verwaltungschef haben auch mit Pohl gesprochen. Der Verwaltungschef wies auf seine Schwierigkeiten mit der Lebensmittelversorgung hin, wohingegen der Dr. zufrieden war, da er gerade eine neue Lieferung an Medikamenten für seine Vorräte erhalten hatte. Pohl hielt seinen Posten in Berlin ungefähr zwei Jahre. Glücks war dort sehr viel länger, da er bereits unter Eicke gearbeitet hatte. Eicke wurde später an die Westfront versetzt und danach an die Ostfront, wo er gefallen ist.
Ich weiß nicht, welcher Nationalität die Häftlinge in Belsen waren, da sie keine Personalpapiere mitgeschickt bekommen hatten, und die einzige Prüfung ging nach Zahlen. Ich kann daher nicht sagen, ob unter den Häftlingen Briten waren, aber es ist möglich, daß da welche waren. Ich habe niemals von einem Häftling namens Keith Meyer gehört, der ein Brite war.
Das weibliche Lagerpersonal stieg in gleichem Maße wie das des männlichen Personals, da weibliche Aufseherinnen mit Frauentransporten aus dem Osten kamen. Alle Frauen im Lager unterstanden genau wie die Männer, meinem Befehl. Zwanzig bis zweiundzwanzig Aufseherinnen waren noch im Lager, als die Alliierten kamen, und ungefähr 26.000 weibliche Häftlinge. Wenn ich keine Beschwerden von den Häftlingen selber erhielt, hatte ich keine Mittel, um festzustellen, welche Behandlung durch die weiblichen Aufseherinnen für richtig gehalten wurde, aber ich hatte zu diesen volles Vertrauen. Die einzige Kritik, die ich zu äußern hatte, war die, daß sie mit den weiblichen Häftlingen etwas zu familiär umgingen. Ich hatte das gleiche Vertrauen zu den männlichen Wachen. Sie waren 100%ig korrekt und ich habe nie Beschwerden von den Häftlingen gehört. Im Februar oder März 1945 - das genaue Datum weiß ich nicht mehr - kam die Oberaufseherin Volkenrath und wurde als Leiterin der weiblichen Aufseherinnen eingesetzt. Ich hatte volles Vertrauen zu ihr.
Es stand ein Krematorium im Lager, und solange wie Koks geliefert wurde, wurden alle Leichen eingeäschert. Als es keinen Koks mehr gab, wurden sie in Massengräbern beerdigt. Ich habe in den Lagern, in denen ich gewesen bin, niemals einen Beamten des Roten Kreuzes gesehen. Ich kann nicht sagen, warum nicht. Wenn ein Rote-Kreuz-Beamter gekommen wäre, hätte ich sofort Berlin angerufen, um zu fragen, ob ihm gestattet würde, das Lager zu betreten, da niemand ohne Genehmigung von Berlin ins Lager durfte. Welche Antwort ich bekommen hätte, kann ich nicht sagen.
Für keines der Konzentrationslager, in denen ich gewesen bin, hat es feststehende Weisungen aus Berlin gegeben wie beispielsweise : a) die Größe des Raumes, der einem einzelnen Häftling zustand; b) hygienische Maßnahmen oder c) Arbeitsbedingungen. Das war völlig dem Kommandanten überlassen. Ich kann mich an keine Dauerbefehle oder Weisungen aus Berlin erinnern mit Ausnahme hinsichtlich Lagerbesuchern oder Bestrafungen. In allen anderen Dingen hatte der Kommandant völlig freie Hand. Als das Lager Belsen schließlich von den Alliierten übernommen wurde, war ich ganz zufrieden, daß ich alles in meinen Kräften Stehende getan hatte, den Umständen entsprechend die Zustände im Lager zu beheben.
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Weitere Erklärung Josef Kramers
1. Ich verließ meine Kommandostelle von Struthof-Natzweiler im Mai 1944 und übergab dem Sturmbannführer Hartjenstein. Zu dieser Zeit und für mindestens ein Jahr vorher befehligte Buck Schirmeck. Aber es bestand keine amtliche Verbindung zwischen Schirmeck und Struthof. Dort war ein Gestapobeamter, der mir während meiner Zeit in Struthof zugeteilt war; sein Name war Wochner und wurde von der Gestapo Stuttgart eingesetzt. Entsprechend der Bereichsaufteilung hätte Struthof meiner Meinung nach zum Bereich der Gestapo Straßburg gehören müssen, aber ich glaube, daß die Gestapostelle Straßburg auf jeden Fall Stuttgart unterstand.
2. In bezug auf die erhaltenen Befehle, bestimmte Frauen zu vergasen und sie nach Straßburg zur Universität zu schicken, wie von mir vor dem Kommandanten Jadin der französischen Armee beschworen, gebe ich hiermit die folgenden Einzelheiten an : Die Befehle, die ich erhielt, waren schriftlich und auf Befehl von Reichsführer Himmler von Gruppenführer Glücks unterzeichnet. So gut wie ich mich annähernd erinnern kann, besagten sie, daß ein Sondertransport aus Auschwitz eintreffen würde und daß die Personen aus diesem Transport getötet und ihre Leichen nach Straßburg zu Professor Hirt verbracht werden sollten. Ferner hieß es, daß ich mich mit Professor Hirt in Verbindung setzen sollte darüber, wie die Tötungen vorgenommen werden sollten. Dieses tat ich und erhielt dann von Professor Hirt einen Behälter mit Gaskristallen und Weisungen für die Anwendung. In Struthof gab es keine reguläre Gaskammer, aber er beschrieb mir, wie man einen gewöhnlichen Raum dafür benutzen könnte. Ich kenne keinen weiteren der Professoren, die mit Hirt befaßt waren, aber ich weiß, daß in einer der Abteilungen ein Professor Bickerbach war.
3. Eine richtige Gaskammer habe ich zum ersten Mal in Auschwitz gesehen. Sie war an das Krematorium angebaut. Das ganze Gebäude, worin sich Krematorium und Gaskammer befanden, lag in Lager 2 (Birkenau), das unter meinem Befehl stand. Ich suchte das Gebäude bei meiner ersten Lagerinspektion auf, nachdem ich drei Tage dort war, aber während meiner ersten acht Tage dort war es nicht in Betrieb. Nach acht Tagen kam der erste Transport, aus dem die Gaskammeropfer aussortiert wurden, an, und zur gleichen Zeit erhielt ich einen schriftlichen Befehl von Höß, der das ganze Lager Auschwitz befehligte, daß, obwohl die Gaskammer und das Krematorium in meinem Abschnitt des Lagers standen, ich hierfür in keinerlei Hinsicht zuständig sei. Befehle im Hinblick auf die Gaskammer wurden in der Tat von Höß erteilt und ich bin fest davon überzeugt, daß er solche Befehle aus Berlin erhalten hat. Ich glaube, daß, wäre ich in Höß' Lage gewesen und hätte solche Befehle erhalten, ich sie auch ausgeführt hätte, weil, wenn ich protestiert hätte, es darauf hinausgelaufen wäre, daß ich selbst verhaftet worden wäre. Meine Empfindungen über Befehle hinsichtlich der Gaskammer hätten leicht überrascht sein müssen, und ich hätte mich fragen müssen, ob eine solche Aktion wirklich rechtens wäre.
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4. Im Hinblick auf die Zustände in Belsen sage ich noch einmal, daß ich alles tat, was ich konnte, um sie zu beheben. Bezüglich der Ernährung haben die Häftlinge während des ganzen März und April 1945 ihre volle Ration bekommen und nach meiner Ansicht war diese Zuteilung vollständig ausreichend für den gesunden Häftling, aber von Mitte Februar an begann es, daß kranke Personen ankamen und ich der Ansicht war, sie mußten mehr zu essen bekommen. Ich schickte meinen Versorgungsoffizier, Unterscharführer Müller, in die Lebensmitteldepots in Celle und Hannover, aber ihm wurde gesagt, es könnten nicht mehr Lebensmittel ausgeliefert werden, weil wir bereits unsere Zuteilungen bekommen hätten. Ich habe dann tatsächlich noch einige Mengen Lebensmittel aus dem Verpflegungslager der Wehrmacht in Belsen erhalten, aber es hätte keinen Zweck gehabt, mehr von denen zu fordern, weil es sich nicht um ein für mich zuständiges Depot handelte.
5. Was die Unterbringung anbelangt, als ich den Befehl erhielt, Anfang April 30.000 mehr Leute aufzunehmen, wo das Lager doch schon mehr als voll war, appellierte ich an Generalleutnant Beineburg in der Kommandantur des Wehrmachtlagers in Belsen, und er ist es gewesen, der es veranlaßte, daß 15.000 Häftlinge in den Baracken seines Lagers untergebracht wurden. Er mußte sich dafür telefonisch eine Sondergenehmigung einholen. Ich habe mich nie an den General um Hilfe bezüglich der Ernährungslage oder irgendwelcher anderen Schwierigkeiten gewandt, weil ich wußte, daß er mir nicht hätte helfen können, weil er für so etwas nicht zuständig war. Ich hielt es nicht für richtig, mich um Hilfe an ihn zu wenden, weil ich wußte, daß er mir nicht hätte helfen können. Ferner glaube ich nicht, daß irgendjemand in Deutschland die Nahrungszuteilung für die Häftlinge hätte ändern können, weil ich nicht glaube, daß die Lebensmittel überhaupt zur Verfügung standen. Es überraschte mich sehr, zu hören, daß im Wehrmachtlager große und ausreichende Lebensmittelmengen vorhanden waren. Ich bin noch immer der Ansicht, daß ein Hilferuf an den General zwecklos gewesen wäre.
6. Man hat mir vorgehalten, daß einige meiner SS-Mitarbeiter sich der Mißhandlung und Brutalität an den Häftlingen schuldig gemacht hätten. Ich halte das für sehr wenig glaubwürdig und ich pflegte ihnen völlig zu vertrauen. Nach bestem Wissen und Gewissen haben sie sich niemals verbrecherisch an den Häftlingen vergangen. Ich betrachte mich selbst als verantwortlich für ihr Verhalten und glaube nicht, daß auch nur einer von ihnen meine Befehle gegen Mißhandlung oder Brutalität mißachtet hat.
7. Die ungarischen Truppen übernahmen den Wachdienst über die Außengrenze meines Lagers während der wenigen Tage, bevor die Briten kamen. Ich stimme zu, daß in dieser Zeitspanne mehr Schießereien stattfanden als gewöhnlich, wenn die Wehrmacht Wachdienst ausübte. Ich erinnere mich an den Vorfall am 15. April 1945, am späten Nachmittag, als ich mit britischen Offizieren zum Kartoffelfeld gegangen war und mir befohlen wurde, die Leiche eines Häftlings aus dem Feld zu entfernen. Ich halte es für falsch, daß dieser Mann erschossen werden mußte und bezweifele in keinem Fall, daß es entweder die Wehrmacht oder die Ungarn gewesen sind, die daran Schuld waren.
8. Das Schießgelände, das an der Nordwest-Ecke meines Lagers zu sehen ist, ist ziemlich regelmäßig zwei- oder dreimal die Woche von der Wehrmacht benutzt worden.
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Abb. 28 : Verschiedene Dosen Zyklon B
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